Alles schön bunt hier ... der "Farbfernsehkrieg"

Vor genau 40 Jahren, am 25. August 1967, begann das das deutsche Farbfernsehzeitalter mit einer entlarvenden Panne: wenige Sekunden bevor der damalige Vizekanzler, Bundesaußenminister Willy Brand per Knopfdruck den "Startschuss" für das
Farbfernsehen
gab, wurde bereits im Regieraum die "Farbe aufgeschaltet". Da es allerdings nur wenige Farbfernsehzuschauer der erste Stunde gab (es gab nur 5800 angemeldete Farbgeräte), blieb das ungewollt treffende Symbol eines symbolisches Aktes dem Publikum verborgen - jedenfalls bis zum Erscheinen der Tageszeitungen am nächsten Tag: der Druckknopf war nichts als eine Attrappe.

Im selben Jahr, am 1. Oktober 1967, begann auch in Frankreich das Farbfernsehzeitalter: mit einem eigenen Farbfernsehverfahren, abgekürzt SECAM, dass mit dem deutschen PAL-Verfahren inkompatibel war. Schon 1954 startete in den USA das Farbfernsehen nach der NTSC-Norm (National Television System Committee), die allerdings gegenüber Farbtonverfälschungen durch Übertragungsfehler anfällig war, die von Hand nachjustiert werden mussten ("Never The Same Color"). SECAM (Système En Couleur Avec Mémoire) und PAL (Phase Alternation Line) beseitigten diesen Nachteil um den Preis eines größeren Schaltungsaufwands.
Zu den technischen Aspekten von PAL, SECAM und NTSC verweise ich auf die Wikipedia.

Im Streit um die verschiedenen Farbfernsehsysteme ging es nicht etwa um das technisch beste System - der Konflikt wurde von wirtschaftlichen und politischen Interessen bestimmt. Da die Fernsehsysteme Patentschutz genossen, hatte die an der Entwicklung beteiligte Industrie ein sehr starkes Interesse daran, dass "ihr" System möglichst weit verbreitetet wurde.
Die us-amerikanischen (und japanischen) Elektronikindustrie hätte es gern gesehen, wenn sich die Union der Europäischen Rundfunkanstalten (EBU) dem in jenen Ländern eingeführten NTSC-System zuzustimmen. Die meisten Mitglieder der EBU verwiesen aber darauf, dass SECAM und PAL qualitativ besser seien - was allerdings nur ein Teil der Wahrheit war: Der ohnehin nicht leicht zu erschließende Markt für die zunächst teuren Farbfernsehgeräte (sie waren anfangs etwa viermal so teuer wie Schwarzweiß-Geräte) musste sich schon über Europa erstrecken, um für einen Hersteller überhaupt interessant zu sein. Was man am wenigsten wollte, war zusätzliche Konkurrenz aus den USA und Japan auf dem "heimischen Markt" - wenn z. B. Sony unbedingt Farbfernseher auf dem europäischen Markt anbieten wollte, dann sollten die Japaner wenigsten ordentlich Lizenzen für die Patente zahlen. ("Pay Another License" für PAL oder "Système Élégant Contre l'AMérique" für SECAM.)
Bemerkenswert ist, wie lange der Streit um eine möglichst einheitliche europäische Fernsehnorm den Start des Farbfernsehens verzögerte.SECAM wäre schon Ende der 1950er Jahre einsetzbar gewesen - 1956 meldete Henri de France sein SECAM-Verfahren zum Patent an. Der französische Präsident Charles De Gaulle verfolgte seit 1958 eine Politik, die Frankreich als technologische Großmacht etablieren sollte. Das eigene Farbfernsehsystem bot De Gaulle dafür optimale Chancen, denn als einer der ersten Politiker Europas hatte er die Macht und die Möglichkeiten des Fernsehens erkannt.
Die Entwicklung von PAL war ursprünglich nicht geplant gewesen. Der Ingenieur Walter Bruch erhielt von seinem Arbeitgeber, den Telefunken-Werken, den Auftrag, sich die beiden konkurrierenden Systeme einmal näher anzusehen. Dass er ein neues Farbfernsehsystem entwickeln sollt, stand nicht in seinem Auftrag. Telefunken erkannte aber schnell die kommerziellen Möglichkeiten, die das von Bruch zunächst auf eigene Faust entwickelte System bieten würde, und schaffte es, andere Elektronikhersteller mit ins Boot zu bekommen - besonders wichtig waren dabei die niederländischen Phillips-Werke, die sich damals zum ersten transnationalen Elektronikkonzern entwickelten. (Auch das englische Akronym "PAL" sollte den "internationalen Charakter" betonen - gerade Telefunken litt - durchaus zu Recht - unter dem Image, allzu eng mit den Nazis und der Rüstungsindustrie "verheiratet" gewesen zu sein.) Da PAL SECAM qualitativ überlegen war, machte sich die "PAL-Koalition" einige Hoffnungen, dass sich ihre Entwicklung durchsetzen könnte. Telefunken startete nach der Patentanmeldung 1963 eine aufwendige internationale Werbetournee für das PAL-System.
Damit begann eine heikle politische Gradwanderung. Speziell vor dem Hintergrund des 1963 geschlossenen deutsch-französischen Freundschaftsvertrages war die Konkurrenz auf fernsehtechnischem Gebiet für die Politiker beider Staaten eine brisante Situation. In Frankreich übersetzte man "PAL" damals mit "Provocation ALlemand".
1965 eskalierte der Konflikt, als ein Skandal alle bis dahin geschehenen Bemühungen um ein einheitliches europäisches System zunichte machte. Bei ihrer Zusammenkunft auf der CCIR-Konferenz in Wien, wo Techniker aus ganz Europa über ein einheitliches Farbfernsehsystem diskutieren wollten, erfuhren die Fernsehexperten aus der Presse von einem sowjetisch-französichen Vertragsschluss. Die UdSSR war mit der Einführung eines eigenen Farbfernsehsystems (NIR) gescheitert und entschied sich auch aus politischen Gründe für SECAM, denn eine Kooperation mit der Bundesrepublik Deutschland, die damals mit den "Ostblock"-Staaten (außer der UdSSR) keine diplomatischen Beziehungen unterhielt, war problematisch, und Frankreich war bereit, die Ausfuhr von Studio- und Übertragungstechnik in den "Osten" zu subventionieren.
Zwei Tage vor der entscheidenden Konferenz waren somit für den gesamten "Ostblock" die Würfel für SECAM gefallen. Die erwartete Sogwirkung auf die westeuropäischen Staaten blieb aber aus. Trotz zahlreicher SECAM-Vorführungen auf der ganzen Welt und massivem politischen Druck war das deutsche PAL-System nicht vom Markt zu verdrängen - was auch an der Hartnäckigkeit der hinter PAL stehenden Industrie zu verdanken waren. Europa war in der Folge durch eine "Farbfernsehgrenze" getrennt, im Nahe Osten entstand sogar ein Farbsystem-Flickenteppisch (der inzwischen zugunsten von PAL bereinigt ist).
Auf den Märkten Südamerikas und Ostasiens war NTSC auch noch nicht aus dem Rennen - sein Vorteil: die Empfänger waren einfacher und damit preisgünstiger. PAL wurde als "Pay Additional Luxury" (bezahle für zusätzlichen Luxus) verspottet. Mit den sich damals durchsetzenden Transitorschaltungen verringerte sich der Preisvorteil von NTSC deutlich.

Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil ist das entscheidende Hindernis bei der Konventierung unterschiedlicher Fernsehnormen nicht das jeweilige Farbfernsehverfahren. Als das Fernsehen der DDR 1969 zum 20.Jahrestag der DDR-Gründung den SECAM-Betrieb aufnahm, tauchten schon sehr bald einfache, oft selbgebastelte PAL-Adapter für das "Westfernsehen" auf. In den 1980er-Jahren waren die meisten in der DDR verkauften Farbfernseher schon werkseitig zweisystemtauglich, was die Umstellung auf PAL "nach der Wende" erheblich erleichtete. (Übrigens arbeitete das DDR-Fernsehen, wie die meisten SECAM-Länder, schon vor der Wende mit PAL, da Überblendungen in SECAM-Format nicht möglich sind und wandeln das Signal erst vor der Ausstrahlung nach SECAM um. Deshalb konnte man auch das DDR-Fernsehen nach der Wende problemlos auf PAL umstellen.) In Brasilen gab es einige Zeit lang nebeneinander PAL und NTSC, ohne das dass zu nennenswerten Probleme geführt hätte.

Schwierigkeiten bei der Konvertierung machen vielmehr unterschiedliche Abtastgeschwindigkeiten (30 Bilder pro Sekunde in den USA, 25 Bilder pro Sekunde in Europa) und Bildauflösungen (486 Zeilen in den USA, 625 Zeilen in Europa). Allerdings werden diese Schwierigkeiten mit Fortschreiten der Digitaltechnik zunehmend geringer, wie auch die Bedeutung der analogen Fernsehsysteme zusehens schrumpft. Zwischen PAL und SECAM besteht auf einem digitalen Medium kein Unterschied mehr – ein PAL-DVD-Player erzeugt aus einer "PAL-DVD" ein analoges PAL-Videosignal, ein SECAM-DVD-Player aus der gleichen DVD ein analoges SECAM-Videosignal. Fast alle PAL-DVD-Spieler erzeugen aus NTSC-DVDs ein PAL-60 genanntes PAL-ähnliches Signal, mit dem fast alle neueren PAL-Fernsehgeräte problemlos zurechtkommen.

ZEIT-Artikel von 1966 über den "Farbfernsehkrieg": Warten auf die bunte Scheibe.

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