Dienstag, 17. April 2007

Voynich-Manuskript enthält angeblich nur Nonsense

Das Voynich-Manuskript ist die wohl rätselhaftesten mittelalterliche Handschrift. Wahrscheinlich ist das in einer unbekannten Sprache verfasste Werk zwischen 1450 und 1520 entstanden. Aufgrund seiner enorm komplexen Sprache hatten Wissenschaftler lange ausgeschlossen, dass es sich bei dem Manuskript lediglich um einen Nonsens-Text handelt. Vielmehr, so die These, müsse die unverständliche Sprache auf einen unbekannten Code zurückgehen.

Der österreichische Wissenschaftler Andreas Schinner, von Haus aus interessanterweise theoretischer Physiker, bekräftigt nach einer Analyse des Texts die Vermutung, das Voynich-Manuskript enthalte lediglich bedeutungsloses Geschwafel. Schinner verglich das geheimnisvolle Manuskript mit im Mittelalter gebräuchlichen lateinischen und deutschen Bibelübersetzungen. Wie sich dabei zeigte, ist etwa das Wort "und" beinahe zufällig in Luthers Bibelübersetzung verteilt, während im Voynich-Manuskript viele Wörter an bestimmten Stellen gehäuft vorkommen. Für Schinner handelt es sich beim Manuskript folglich nicht um die Umschrift einer natürlichen Sprache und ebenso wenig um einen verschlüsselten Text, weil beim Kodieren sprachliche Wechselbeziehungen eher verschwinden als entstehen.

Meldung in wissenschaft.de:Das Geheimnis des mysteriösen Voynich-Codes

Montag, 16. April 2007

Ambivalenzen ertragen ist schwierig

Dass der von mir sehr geschätzte Dichter Rainer Maria Rilke auch seine "dunklen Seiten", sprich eine Neigung zum schwärmerisch "Deutsch-Völkischen" hatte, ist mir nicht neu.

Dennoch erschreckte es mich, als ich im Zuge meiner Recherchen über die "Bremer Böttcherstraße" auf diesen Artikel von Ferdinand Krogmann stieß:
Rilke als "Kulturheld des Jahres".
Ich nehme Krogmanns Darstellung sehr ernst, da er, als geradezu bessener Archivgänger, seine unangenehmen Wahrheiten z. B. über die Künstlerkolonie Worpswede und über die Böttcherstraße akribisch belegen kann. nordwestradio: Wird im Künstlerdorf Worpswede Geschichte geschönt?
Ich zweifle keine Sekunde daran, dass Krogmann auch in diesen Aufsatz alle Fakten "gerichtsfest" recherchiert hat. (Dass Krogmann andersseits anachronistisch argumentiert, sei ihm nachgesehen. "Nordisch" ist z. B. im Kontext der Lebensreformer und Frühexpressionisten durchaus anders zu verstehen als in der NS-Rassenlehre. Auch wenn es Verbindungslinien gibt.)
Indem Rilke die Mitmenschlichkeit mißbilligt, greift er 1926 sein politisches Glaubensbekenntnis wieder auf, das er 1896 in seiner Erzählung "Der Apostel" verkündet hatte. Es lautet: In der menschlichen Seele gibt es keine schlimmeren Gifte als Nächstenliebe, Mitleid und Erbarmen, Gnade und Nachsicht. Deshalb geht der "Apostel", das Sprachrohr des Dichters, in die Welt, um die Liebe zu töten. Höhnisch bekennt er: "Wo ich sie finde, da morde ich sie." Denn das christliche Gebot der Nächstenliebe schwächt diejenigen, die es "blind und blöde" befolgen; und "der, den sie als Messias preisen, hat die ganze Welt zum Siechenhaus gemacht". Träger des Fortschritts kann nie die stumpfe Menge sein, sondern nur "der Eine, der Große, den der Pöbel haßt"; nur er kann rücksichtslos den Weg seines Willens gehen, "mit göttlicher Kraft und sieghaftem Lächeln". Ein Recht zu leben hat nur der Starke. Der marschiert vorwärts, selbst wenn die Reihen sich lichten. "Aber wenige Große, Gewaltige, Göttliche werden sonnigen Auges das neue gelobte Land erreichen, vielleicht nach Jahrtausenden erst, und sie werden ein Reich bauen mit starken, sehnigen, herrischen Armen auf den Leichen der Kranken, der Schwachen, der Krüppel. Ein ewiges Reich!"
Etwas, das ich dem so empfindsamen und einfühlsamen Dichter nicht zugetraut hätte. Und doch - es paßt ins Bild. Selbst, wenn man unterstellt, das "der Apostel" kein "Sprachrohr des Autor" war.
Es war vielleicht keine Verwirrung des Denkens, wenn Rilke in seinen letzten Lebensjahren für Mussolini und den Faschismus schwärmte.

Sonntag, 15. April 2007

Apropos "Freiheit und "Mut"

Es gibt keine Grund, aus Angst, es "könne was passieren" den Feinden der Freiheit die Straße zu überlassen: Dokumention: Geplante Neonazi-Märsche am 1. Mai.
Daran denken: die Strategie der alten wie der neuen Nazis ist es, Symbole für sich zu besetzen. Der 1. Mai ist gleich zweifach ein Symbol einmal als "Tag der Arbeit": Rechtsextreme Gruppierungen versuchen seit einigen Jahren, die "soziale Frage" für sich zu vereinnahmen und sich als "Antikapitalisten" (natürlich nur gegen das "raffende", vorzugsweise "ausländische" Kapital) zu profilileren. Deshalb wollen Neonazis am 1. Mai in vier bis sechs deutschen Städten parallel zu den Aktionen der Gewerkschaften demonstrieren.
Das andere Symbol des 1. Mai ist der eines naturreligiösen Frühlingsfests - Beltaine, Pholfest, Walpurgis. Leider haben es "deutschvölksiche" Kräfte einst und "neurechte" Kräfte heute es geschafft, dass ihnen diese Symbolik von ihren Freunden wie ihren Gegnern weitgehend unwidersprochen überlassen wird.

Vor 102 Jahren hat die SPD das noch gewußt:
Titelbild des Vorwärts, Mai 1905
Titelbild des "Vorwärts" mit Aufruf zum 1. Mai 1905

Zeigt den Nazis, dass sie unerwünscht sind!Überlast ihnen nichts, was sie sich unter den Nagel gerissen haben!

Quadratisch, praktisch, mutig

Ich habe mich endlich aufgerafft. Zum Besuch der vieldiskutierten Ausstellung "Das schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch" in der
Hamburger Kunsthalle.

Das meistdiskutierte Stück der Ausstellung thront unübersehbar zwischen dem Altbau der Kunsthalle und dem steinernen hellen Würfel der Galerie der Gegenwart. Ein schwarzer Würfel, aus Tuch. Sehr passend als Hommage an Malewitschens Provokation, weil (ungewollt) provokativ.
Wobei: der einzige Grund, aus dem Gregor Schneiders 14 Meter hoher Würfel provokativ ist, ist das vorherrschende Gefühl und Motiv unserer "Mächtigen", unserer "Entscheider", in Politik, Wirtschaft, Medien, Kultur - Angst. Angst vor Kontrollverlust: Alles, was nicht "beherrschbar" ist, ist bedrohlich. Und Angst, Angstmache, als Machttechnik: wer vor Angst nicht aus noch ein weiß, ist Beherrschbar.
Der Stoffwürfel entlarvte schon zweimal dieses "Lebensgefühl" des "Westens".
Eigentlich hätte Schneiders schwarzer Würfel als "Cube Venice" bereits zur Biennale in Venedig 2005 zu sehen sein sollen. Gregor Schneider erhielt eine Absage - weil der schwarze Kubus nicht nur ans schwarze Quadrat erinnert, sondern an die muslimische Kaaba in Mekka. Terrorgefahr!
Dann plante der "Hamburger Bahnhof" in Berlin die Installation des Kunstwerks - aber wieder eine Absage, aus Angst. Vorauseilender Kapitulation vor einem selbst an die Wand gemalten Teufel: denn für die Kaaba in Mekka den wichtigsten Wallfahrtsort der Muslime, besteht kein Abbildungsverbot. Wovon man sich, wenn man will, in jeder zweiten türkischen Teestube und jeden islamischen Zentrum mit eigenen Augen überzeugen kann.
Angst schafft eine eigene Realität. Es war eine groteske Mischung aus Unkenntnis, Paranoia und Medienspektakel - denn nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, und wozu eine gute Panik-Story mit einem Blick ins Lexikon "totrecherchieren" - die angesichts halluzinierter befürchteter muslimischer Proteste zu dem vorauseilenden Kubus-Baustopp führte.
Anders in Hamburg. Vertreter der islamischen Gemeinden, die in Hamburg vor dem Bau des Kubus konsultiert wurden, hatten keinerlei Bedenken gegen ein Kunstwerk, das an die Kaaba erinnert: Ganz im Gegenteil! Man fühlt sich geehrt.
Und ganz im Sinne des Künstlers, denn Schneider selbst sieht seine Skulptur durchaus auch als eine Huldigung an das islamische Heiligtum und will damit für mehr interkulturelles Verständnis werben.

Mich selbst erinnert der schwarze Würfel an ein Gebilde, dass nur deshalb kein schwarzer Würfel war, weil selbst ein Stanley Kubrik Angst hatte, ein schwarzer Kubus könne als Abbild der Kaaba mißverstanden werden: der geheimnisvolle schwarze Monolith aus dem Film "2001 - Odysee im Weltraum". Wobei Kubrik nicht vor muslemischen, sondern christlich-evangelikalen Prostesten Angst hatte. Obwohl ich wußte, dass der Würfel nur ein stoffbespanntes Gestell ist, strahlt er (jedenfalls für mich) etwas unheimliches, außerweltliches, aus. Eine Projektionsfläche. Als ich den Kubus mit eigenen Augen sah, begriff ich, wieso es Menschen gibt, die vor ihm, vor dem, wofür er steht, Angst haben. Angst vor der Reflektion, Angst auch vor dem nicht sofort Erklärbaren, die sich dann nachträglich rationalisieren und z. B. auf den derzeitigen "Lieblingsfeind", den islamistischen Terror, projezieren.
Kaaba, Melewitsch Quadrat, der schwarze Monolilth aus "2001" und der Stoffwürfel sind - oder symbolisieren - Orte der Selbstverwandlung wie auch die spirituelle Dimension. Bei Malewitsch ist das keine Spekulation - "Ich aber verwandelte mich in die Nullform und kam jenseits der Null bei -1 heraus", schrieb Malewitsch in seinem Manifest 1915.

Und die Austellung? Sehenswert. Sie macht überzeugend deutlich, wieso ein harmloses (und im Grunde banales) "Schwarzes Quadrat auf weißem Grund" im frühen 20. Jahrhunderts in Europa und Amerika so provoziert und zur Auseinandersetzung angeregt hat.

Wie revolutionär seine Idee war, wird schon im Eingangsraum deutlich. Historiengemälde des 19. Jahrhunderts - keineswegs Kitsch, für sich genommen jedes durchaus sehenswert - in der damals üblichen "engen Hängung", in der sie die pompösen Gemälde sich gegenseitig erschlagen. Die Sackgasse, in der sich die etablierte Kultur in späten 19., frühern 20. Jahrhundert verrannt hatte.
Und als absoluter Kontrast: das in seiner Schlichtheit nicht zu überbietende "schwarze Quadrat". Tabula rasa. Neuanfang.

Gemälde, Installation, Skulpturen und Videofilme von fast 50 Künstlern gruppieren sich um das "schwarze Quadrat". Darunter (ich schreibe die Namen einfach mal ab) zahlreiche Werke von Malewitsch und seinen Zeitgenossen wie El Lissitzky oder Olga Rosanowa. Den großen Anteil an der Ausstellung haben Gegenwartskünstler: Richard Serras Stahlskulpturen, Carl Andres minimalistische Bodenarbeiten, Wandobjekte von Donald Judd oder Kompositionen von Imi Knoebel.
Alles Erben des "Schwarzen Quadrates". Jeder Werk für sich respektabel. Und doch drängt sich für mich jedenfall, der Eindruck auf, dass "die Moderne" auf ihre Weise ähnlich verrannt und erstarrt ist wie die akademische Kunst vor 100 Jahren. Irgendwie paßt die moderne Kunst gut zu Powerpoint-Präsentationen und Säulendiagrammen.
Die Rebellen sind tot. Es leben die ängstlich Angepassten. Ein Grund mehr, Kunsthallendirektor Hubertus Gaßner und dem Künstler Gregor Schneider Beifall zu zollen.

Freiheit wird aus Mut gemacht!

Samstag, 14. April 2007

Allergien einfach fortimpfen

Eine neue Hoffnung für die vielen von Pollenallegie und Ärgerem geplagten Mitmenschen: Neue Impfstoffe versprechen rasche Hilfe für Allergiker, die zum Beispiel an Heuschnupfen leiden.

Allergie-Impfungen mit aus Allergenen (allegieauslösenden Proteinen) bestehenden Vakzinen (Impfstoffen) sind an sich nichts Neues - allerdings ist das bisherige Verfahren aufwändig, langwierig und manchmal quälend. Die Vakzine müssen über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren verabreicht werden, wobei die Menge der enthaltenen Allergene kontinuierlich erhöht wird. Dies hat zur Folge, dass im Immunsystem immer weniger T2-Helferzellen (TH2) aktiv sind und im Gegenzug die Aktivität der T1-Helferzellen (TH1) gesteigert wird. Während T2-Zellen allergische Reaktionen auslösen, stimulileren T1-Zellen die Produktion von Antikörpern. Da es jedoch bisher unmöglich war, die Allergene in den Zellen an die richtige Position zu bringen, brauchte man große Menge Vakzine - und viel Zeit.

Nun haben Forscher vom Swiss Institute of Allergy and Asthma Research in Davon Impfstoffe vorgestellt, die Allergiker in wenigen Wochen heilen sollen. Die Gruppe um den Immunologen Reto Cameri hat die Effektivität der Vakzine erheblich verbessert, indem er soganannte Modular Antigen Translocating Molecules (MAT) entwickelte. Sie ermöglichen es, die Allergene in den Zellen genau dort zu plazieren, wo sie eine Reaktion auslösen. Dadurch wird, laut Cameri, nur noch ein Hunderstel der bisher üblichen Dosis benötig, und die Immunisierung tritt viel schneller ein.
Bisher haben die Forscher Impfstoffe gegen Hausstaubmilben, Pollen, Katzenhaare und Bienengift entwickelt. Tests an Zellen von allergischen Menschen zeigen, dass die MAT-Vakzine eine starke Immunreaktion auslösen.

Quellen: bild der wissenschaft, Heft 5 / 2007 (bdw)

Jean Pütz: Impfstoffe machen Allergien den Garaus

Wie hat MZB es geschafft, Bestseller-Autorin zu werden?

Anknüfend an einen Beitrag bei Volkmar: Marion Zimmer Bradley - was ich an ihr auszusetzen habe.
Anfang der 80 Jahre machte ein Fantasy-Roman weltweit Furore:
"Die Nebel von Avalon" von Marion Zimmer Bradley (im Szene-Jargon meistens MZB abgekürzt). Obwohl mein Urteil über diesen Roman nicht ganz so vernichtend ist wie Volkmars, stimme ich ihm darin zu, dass "Die Nebel" alles andere als ein literarisches Meisterwerk ist. Weder stilistisch, noch vom Spannungsaufbau her, noch von den Personenschilderungen ragt das Buch, MZBs Ambitionen zum Trotz, über das übliche Fantasy-Niveau heraus. Besonders störend - aus meiner Sicht - sind ihre wortreichen Passagen, in denen das Seelenleben der Protagonisten ausgebreitet wird, ohne dass ihre Motive dadurch klaren oder die Personen glaubwürdiger würden, die zähe Handlungsschilderung, und unlogische Handlungen - z. B. scheint der einzige Grund für die Gralssuche der zu sein, dass zu einem Arthusroman nun mal eine Gralsuche gehört.

Womit sich die Frage stellt, wieso MZB es ausgerechnet mit diesen Roman schaffte, weltweite und sogar von der Kritik beachtete Bestsellerautorin zu werden. Es kommt nicht nur auf den Inhalt oder den Stil an, ob ein Buch ein Erfolg wird.

Der Erfolg von MZB mit "The Mists of Avalon" ist geradezu ein Mustrnbeispiel, wie es das "richtige" Buch zum "richtigen" Zeitpunkt und über den "richtigen" Agenten und Verlag schaffte.
  1. MZB hatte einen sehr guten literarischen Agenten, nämlich Lester del Rey, der selber erfolgreicher Science-Fiction Autor war, die "Del Ray"-Taschenbücher (SF & Fantasy) herausgab, und mit allen Herausgebern, den meisten Autoren und fast allen Kritikern im SF/Fantasy-Sektor gut bekannt war.
  2. Sie hatte - dank ihrer "Darkover-Romane" - nicht nur bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad, sondern auch eine regelrechte Fan-Szene, ein "Fandom". Diese Fan lasen einfach alles, was aus MZBs Schreibmaschine floss, damit war ein Teil der Startauflage praktisch schon verkauft - und die Mundpropaganda gesichtert.
  3. Der Roman spricht heimliche Wünsche, vor allem Sex- und Machtphantasien an - und das ohne wie z. B. Conan als "sexistisch" oder "reaktionär" denunzierbar zu sein oder gar in Pornoverdacht zu geraten.
  4. MZB veröffentlichte "Mists of Avalon" auf dem Höhepunkt der bisher größten Fantasy-Welle Anfang der 1980er Jahre. Zu dieser Zeit verkauften sich noch erheblich schlechtere Fantasy-Romane wie geschnitten Brot.
  5. In der Esoterik-Szene wurden zu dieser Zeit gerade die Kelten entdeckt.
  6. Sie griff eine alte, unzählige Mal nacherzählte, und deshalb etablierte Themtik aus einer ungewöhnlichen Perspektive auf.
  7. Die Wirkung des neuen Blickwinkels war besonders stark, weil sie die stark patriarchalische Artus-Sage aus weiblicher Sicht aufgriff. Das sicherte schon einige Pluspunkte bei den FeministInnen.
  8. Ausserdem gab es um 1980 eine Diskussion um den geringen Frauananteil in der Genre-Literatur: "Wo stecken bloß die weiblichen Scienc Fiction / Fantasy / Horror-SchreiberInnen?" - Um 1980 waren das tatsächlich noch relativ wenige, MZB hatte also einen "Frauenbonus".
  9. Historische Romane - und "Avalon" wurde von vielen Rezensenten fälschlicherweise dafür gehalten - werden stärker beachtet als Fantasy-Romane. MZB spielte unbeabsichtigt in der falschen, aber angeseheneren, Liga.
  10. Kleine Skandale sind gut für den Verkauf. Die Themen "Inzest", "Ehehelfer", "ritueller Sex" und "positiv geschildertes Heidentum" sorgten im eher prüden Medienklima der USA für die gewünschte Diskussion. Das Buch profitierte von der alten Faustregel: "Die Schmöcker, die im Kirchenblatt verissen werden, muss man unbedingt lesen!"
  11. Die bescheidene stilistischen Fähigkeiten MZBs förderte eher noch ihre Beliebtheit bei jungen Lesern. Dasselbe gilt für den reichlich vorhandenen Kitsch - vor allem weibliche Teenager mögen so etwas offensichtlich.
  12. Im Gegensatz zu vielen anderen Fantasy-Autoren überforderte MZB nicht die Denkgewohnheiten auch intellektuell schlicht gestrickter Leser: Ihre "Religion der Großen Mutter" ist im Grunde genommen eine Mischung aus alternativem Christentum und (mit Zuckerwasser?) auf "Genusstärke" abgeschwächtes Wicca.
    Ungewohnte Konzepte wie Pantheismus, Animismus, Polytheismus usw. kommen nicht vor - der "Liebe Gott" ist halt eine Frau, sonst ändert sich nicht viel.
Es gibt noch mehr Gründe für MZBs Erfolg, aber das wären die wichtigsten. Eine ähnliche Liste ließe sich auch bei anderen Bestsellern finden.
Letzten Endes ist ein Roman eine Ware wie ein paar Schuhe - Qualität allein ist für den Erfolg nicht entscheidend.

Wobei ich mir völlig darüber im Klaren bin, dass es für die Literatur veheerend ist, wenn gute Verkäuflichkeit das einzige Kriterium ist, das darüber entscheidet, ob ein Buch überhaupt erscheint.

Freitag, 13. April 2007

"Ariosophische Bauten" zwischen Schonkaffee und Atlantis

Im ersten Teil von Der Backstein-Expressionismus und der völkische Okkultismus widmete ich mich Architekten des Backstein-Expressionismus, die mehr oder weniger tief in das völkisch-esoterische Denken verstrickt waren. Es gibt aber auch Bauten, die gewissermaßen gebaute Ariosophie sind. Zu ihnen gehört ausgerechnet "Bremens gute Stube", der Touristenmagnet Böttcherstaße

In der Bremer Innenstadt hatte der "Kaffee-Baron" und Mäzen Ludwig Roselius in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die heruntergekommenen Gebäude einer ganze Straße, der Böttcherstraße, aufgekauft und nach seinen völkischen Ideen neu aufbauen lassen. Roselius' hatte nicht nur Marketing-Talent für Kaffee HAG und Kaba, sondern auch für völkisches Karma. Ein "Haus Atlantis" war dabei dem "Andenken der arisch-germanischen Vorfahren" gewidmet und enthielt eine ständige Außstellung "Väterkunde". Mit Prä- und frühhistorischen Ausstellungsstücken wollte Roselius hier die Theorie der "atlantischen Germanen" und die Überlegenheit ihrer Kultur, die er als "Urkultur" aller Hochzivilisationen sah, belegen.

Es ist nicht schwer, den zumeist wuchtig-einschüchternden Momentalbauten des "Dritten Reiches" die dahinterstehende menschenverachtende Ideologie anzusehen. Bei der Bötcherstraße ist das anders: die Häuser sind verspielt und originell, die Architektur hat "menschliches Maß", sie wirken teilweise ausgesprochen gemütlich. Auch ich muß mir eingestehen, dass mich die expressionistische "Fantasy-Architektur" dieser Häuser sehr anspricht.
Schon über dem Eingang hängt ein 1936 angebrachtes, vergoldetes Relief namens „Der Lichtträger“ von Bernhard Hoetger. Die wenigsten Bewunder dieser vielfotographierten Plastik wissen, dass sie Adolf Hitler gewidmet war - und zwar als versöhnliche Geste des überzeugten Hitler-Anhängers Roselius und des trotz Anfeindungen treuen NSDAP-Mitgliedes Hoetger an den "Führer" - nachdem dieser Roselius' völkischen Okkultismus scharf kritisiert hatte. Bremer, die das wissen, nennen das Relief deshalb manchmal "den Schleimträger" oder "goldener Mann ohne Rückgrat".

Auch wenn Hitler die "Böttcherstraßenkultur" ablehnte und die Straße später sogar als "entartete Kunst" galt, so war sie zum Zeitpunkt ihrer Neugestaltung in den 20er und frühen 30er Jahren Teil der völkisch-esoterischen Suche nach dem "versunkenen Reich". Hoetger schuf seinem Baumeister Ludwig Roselius eine von völkisch-"germanische" Ideen inspirierte Architektur. ""Ein Versuch, deutsch zu denken", mit dem Konzept"aus Verfall und Schmutz ein reines und starkes Deutschland entstehen" zu lassen. Ein Umstand, der bis heute in Bremen gern unter den Teppich gekehrt wird, wohl um die Besucher der "guten Stube Bremens" nicht mit Ambivalenzen vor den Kopf zu stoßen. Ideologisch "saubere" Kulturdenkmale auf der einen, "betroffen machende" Mahnmale auf der anderen Seite sind eben besser für den Fremdenverkehr.

Die ganze Problematik um die Böttcherstraße drückt sich gleichsam konzentriert in der runenverzierten Wotanskulptur von Hoetger, die die ursprüngliche Fassade des "Haus Atlantis" beherrschte:
Haus Atlantis, alte Fassade
Die Skulptur stellt Wotan (bzw. Odin) dar, wie er neun Tage und Nächte am Weltenbaum Yggdrasil hängt. Die Bildsprache, in der dieses heidnische Thema behandelt wird, ist aber eindeutig die christlicher Kruzifixe. Wie ein Absender der zugrundeliegende ariosophischen Ideologie wirken die Runen: sie entstammen dem ahistorischen "Armanenfurthork" Guido "von" Lists.
Bei der Rekonstruktion des im Krieg stark beschädigten "Haus Atlantis" wurde eine völlig andere Fassade vorgesetzt. Sozusagen "Verdrängung in Stein".
Von allen Häusern der Böttcherstraße druckt das "Haus Atlantis" die völkisch-esoterische Lehre ohnehin am deutlichsten aus. Das Art-Deco-Treppenhaus, zugleich modern in seiner Stahl Glas und Betonbauweise wie märchenhaft-bizarr in seine "Unterwasser"-Anmutung, führt in den Himmelssaal mit seiner parabelförmigen Bundglas-Decke, dessen Wände ursprünglich mit den Namen der großen "deutschen Tatmenschen" von Arminius bis Adolf Hitler versehen waren.

Das Problem bei den Böttcherstraßenhäuser ist, dass sie genau in das Konzept der "Neuen Rechten" passen: sie sind völkisch, nationalistisch, "Blut- und Boden"-orientiert – aber sie sind nicht "hitleristisch", und haben sogar einen "Persilschein", weil sie "unter Adolf" als "entartete Kunst" verpönt waren.

Was dagegen hilft? Vor allem erst mal drei Dinge: Aufklärung, Aufklärung und Aufklärung! Es hülfe auch sehr, wenn endlich eine kulturelle Sichtweise entstünde, die Ambivalenzen besser erträgt als die gegenwärtig in Deutschland übliche. Denn eine (gut gemeinte) Verpönung der Böttcherstraße als "Völkischer Kitsch" macht sie für Rechtsextremisten erst recht attraktiv.
In der Böttcherstraße ließe sich hervorragend illustrieren, dass es trotz moderner Ästhetik oft nur ein Schritt zum rassistischen Überlegenheitswahn der Nazis war.
Leicht gesagt: auch ich tue mich allzu schwer, Ambivalenzen zu ertragen: als politischer Mensch und überzeugter Demokrat bedauere ich es zu tiefst, dass die Chance, die teilzerstörte Böttcherstraße nach dem Krieg nicht zu restaurieren, sondern durch Neubauten zu ersetzen, nicht genutzt wurde. Als Freund der "klassischen Moderne" und vor allem des Expressionismus würde ich es dagengegen sehr bedauern, gäbe es diese Häuser nicht mehr.

(In Vorbereitung: Exkurs 1 - Ludwig Roselius und seine "nordisch-völkische" Ideologie
Exkurs 2 - Bernhard Hoetger - ariosophischer bauender Bildhauer )

Ergänzend:
Böttcherstraße: Der Weg nach Atlantis führt zu den Barbaren (Mit einer Abbildung des Reliefs "Der Lichtbringer".)

radio bremen: Böttcherstraße.

Artikel von 2005 aus der "taz", die eine auf den ersten Blick überraschende Verbindung zwischen Hoetger, der Böttcherstraße und Joseph Beuys herstellt: Bitte ein Beuys

Ebenfalls aus der taz, von 2001: Das Moor und die Moderne
Worpswede und Böttcherstraße zählen zu Bremens dicksten touristischen Pfunden. Zudem liefern beide Orte hervorragendes Anschauungsmaterial für die Affinität expressionistischer Künstler zur NS-Ideologie.
Die "offizielle" Bötcherstraßen-Website: Die Bötcherstraße zu Bremen.

Buch zum Thema:
Arn Strohmeyer: Der gebaute Mythos. Das Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße. Ein deutsches Mißverständnis, Donat-Verlag, Bremen 1993, ISBN 3-924444-67-6

Donnerstag, 12. April 2007

"Ich werde immer etwas Lustiges sagen, auch unter den entsetzlichsten Umständen"

Gestern erlag der amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut im Alter von 84 Jahren seinen schweren Kopfverletzungen, die er sich bei einem Sturz zugezogen hatte.
Seine Spezialität waren sarkastisch-schwarzhumorige, extrem kritische, oft aber auch bewußt triviale Kurzgeschichten, Dramen und Romane. Damit wird man normalerweise nicht berühmt, schon gar nicht, wenn man hauptsächlich Science Fiction schreibt.

Sein verdienter Ruhm gründet sich auf den genialen Roman "Schlachthof 5": Die teils autobiographisch gefärbte, teils phantatisch-"psychedelische" Geschichte des US-Kriegsgefangenen Billy Pilgrim, der in die Wirren der Bombardierung Dresdens gerät.
Sie erschien auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges und machte Vonnegut zum Idol der US-amerikanischen Gegenkultur.

Es gibt viele gefährliche und problematische Wege, an die Bombadierung Dresdens 1945 zu erinnern.
Zum Beispiel die "deutsche Erinnerungskultur" im Stile der "Dresden" Fernseh-Schmonzette und in der "offizieller Gedenkveranstaltungen": eine Mischung aus Selbstmitleid, Verdrängung, Schuldprojektion, verpackt in Sentimentät, die mit echter Trauer nichts zu tun hat.
Oder - noch schlimmer - die Aufrechen- , Vergleichs-, Relativierungs- und Verharmlosungskultur eines lange Zeit bei Deutschen höchst populären deutsche Vernichtungskriegs nicht "nur" von Rechtextremisten, sondern auch in "der Mitte der Gesellschaft": "Die anderen haben aber auch - guck mal nach Dresden ´45 ..."
Oder - weniger schlimm, aber gründlich verquast - die "antideutsche" Position: "Keine Träne um Dresden" oder sehr "deutsch" in der Argumentation: "Über 80% der Deutschen waren für Hitler - es traf also keine Unschuldigen".

Eine angemessene Reaktion ist schwarzer Humor. So schwarz, dass man beim Lachen zugleich entsetzt in Tränen der Wut und Trauer losbrüllen möchte.
Wie der Humor von Kurt Vonnegut in seinen Dresden Roman "Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzug". Vonnegut erlebte die Zerstörung Dresdens als kriegsgefangener US-Soldat:
Dresden war die erste wirklich schöne Stadt, die ich gesehen habe. Ich hatte keine Ahnung, daß es so etwas überhaupt gibt. Und ich hatte sie kaum gesehen, da hatte man sie schon zerstört. Nebenbei gesagt: Die Deutschen scheren sich einen Dreck um die Zerstörung dieser oder irgendeiner anderen Stadt. Es ist ganz schön komisch, daß ich mir darüber Gedanken gemacht habe, während es ihnen völlig wurscht ist. Ich glaube, es macht ihnen nichts aus, alles wieder neu aufzubauen.
Aus einem Interview mit Charles Pratt, in: Gestalter der Zukunft, Hohenheim, 1982
(Vonnegut war immer wieder durch die in seine Augen erstaunliche Verdrängungsleistung der Nachkriegsdeutschen und ihrem Unwillen zur nicht-selbstmitleidigigen Reflexion erstaunt. Man sollte "Schlachthof 5" und "Die Unfähigkeit zu Trauern" des Ehepaars Mitscherlich in einem Schuber anbieten.)

Der Mensch sei letztlich unfähig, sein Tun zu begreifen und aus der Geschichte zu lernen, so eine seiner Thesen. Was ihm weder den bissigen Humor noch die die Lust am Disput nahm: In Romanen, Kurzgeschichten und Essays zeigte sich der Freidenker und Religionsskeptiker immer wieder als brillanter Sozialkritiker. Zuletzt machte er als scharfzüngiger Kritiker der Bush-Regierung von sich reden.

Mittwoch, 11. April 2007

"Ungleichheit fördert Gewalt" - nicht ganz überraschend ...

... aber ganz gut, es noch einmal von wissenschaftlicher Seite bestätigt zu bekommen.
Pressemitteilung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: Ungleichheit fördert Gewalt.

In dem grade erschienenen Buch "Sozialer Wandel und Gewaltkriminalität. Deutschland, England und Schweden im Vergleich, 1950-2000" sind die Ergebnisse eines gleichnamigen Projektes zusammengefasst. Die beiden Soziologen Helmut Thome und Christoph Birkel stellen darin fest, dass die Gewaltkriminalität in Deutschland, England und Schweden wie in fast allen ökonomisch hoch entwickelten Ländern in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts deutlich angestiegen ist, nachdem sich seit Beginn der Neuzeit die individuelle Gewaltanwendung stark rückläufig entwickelt hatte.

Allerdings taugen ihre Ergebnisse wohl nicht als Propaganda-Futter für kontroll-besessene Politiker - obwohl auch sie der Ansicht sind, dass die derzeit stabilen oder sinkenden Raten bei einigen wichtigen Arten von Gewaltverbrechen (z.B. Raub) nur bedingt Anlass zur Entwarnung seien. Bis in die 1990er Jahre hätte es einen erheblichen Anstieg gegeben und vor dem Hintergrund dieses hohen Niveaus müsse man die erfreuliche Entwicklung der letzten Jahre sehen. (Die Freunde polizeistaatlicher "Lösungen" und des "harten Durchgreifens" neigen bekanntlich dazu, den Rückgang überhaupt nicht wahrzunehmen.)

Wenn Thome feststellt: "Der ökonomische und soziale Strukturwandel hat zum Anstieg der Gewaltkriminalität wesentlich beigetragen" und klagt: "Ökonomischer Erfolg zählte mehr und mehr, die soziale Ungleichheit wurde größer, gemeinschaftsbildende Milieus lösten sich auf und alte Wertorientierungen wurden in Frage gestellt", dann klingt das allerdings verdächtig nach den konservativ-"linken" Feuilleton-Litaneien, nach denen im Zweifel immer die Globalisierung, der Abbau des Primats der Polikt gegenüber der Wirtschaft und die Vereinzelung des Menschen am zunehmenden Egoismus schuld sei, der dann zwangläufig kriminell machen würde.

Vielleicht trügt dieser Eindruck, denn Thome und Birkel wählten einen differenzierten Erklärungsansatz für den Anstieg der Gewaltkriminalität, der an Emile Durkheim anknüft. Eine gängige These macht die "die Individualisierung" für den Anstieg der Gewaltkriminalität verantwortlich; die Autoren unterscheiden hingegen zwischen einem (pazifizierenden) "kooperativen" und einem (gewaltaffinen) "desintegrativen" Individualismus.

"Das von uns entwickelte Erklärungsschema ist beim Verständnis nicht nur des Anstiegs der Gewaltkriminalität in der Vergangenheit, sondern auch von aktuellen Entwicklungen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Sozialpolitik und Wirtschaft hilfreich und erlaubt es, ihre gesellschaftlichen Folgen einzuschätzen", erläutert Christoph Birkel. So sei die aktuell diskutierte Verbesserung der öffentlichen Kinderbetreuung als eine Stärkung des "kooperativen Individualismus" zu interpretieren und als solche dem sozialen Zusammenhalt förderlich. (Wobei mir nicht ganz klar ist, ob er das erzieherisch, bezogen auf die Kinder, meint, oder darauf, dass Eltern sich mit ihren Problemen nicht allein gelassen fühlen.)
"Weitere Verschärfungen der Zumutbarkeitsregelungen und Kontrollen für Empfänger von Arbeitslosengeld II würden hingegen die gesellschaftliche Entwicklungstendenz in Richtung eines 'desintegrativen Individualismus' beschleunigen und wären mit hohen Nebenkosten in Form von unmittelbaren Kontrollkosten, aber zum Beispiel auch einer Verringerung des sozialen Kapitals verbunden."

Die Autoren sind sich einig: Um die Bereitschaft zur Gewaltkriminalität zu senken, müssten Solidarstrukturen neu aufgebaut werden. "Wir benötigen kooperative Strukturen. Aber natürlich ist es nicht nur die Aufgabe des Staates, sie zu schaffen. Bürger aller sozialer Schichten müssen sich dafür engagieren."

Ich bin der Ansicht, dass die notwendigen neuen kooperativen Strukturen nicht nur "nicht allein" Aufgabe des Staates sind, sondern dass sie ergänzend, alternativ und oft sogar gegen "den Staat" aufgebaut werden müssen. Zum Beispiel: mehr Angebote (!) zur Kinderbetreuung, aber bitte ohne staatlich kontrollierte Zurichtung der Kinder und ohne obrigkeitsstaatliche Eingriffe in die Erziehung. Es muß auch immer Alternativen zu staatlichen und quasi-staatlichen Krippen, Kindergärten, Kindertagesstätten geben - so viele, wie möglich und mit so viel Selbstverwaltung und Mitbestimmung der Elten wie möglich.

Wie man Intoleranz herstellt

Regelmäßige Geniesser meines Senfs wissen es längst: ich gehöre nicht zu jenen, die meinen, dass das Klima des Anpassungsdrucks und der Angst vor und der Intoleranz gegenüber "Außerseitern", das wir in den letzten Jahren beobachten, Zufall, naturgegeben oder "Schuld" der Außenseiter bzw. Minderheiten sei. Wenn ich auch gern einräume, dass es Minderheiten innerhalb von Minderheiten gibt, die kräftig daran arbeiten, dass die Mehrheitsgesellschaft diesen Minderheiten mißtraut. Die islamische Minderheit ist dafür nur ein Beispiel.

Ich bin immer wieder verblüfft, mit welcher Frechheit Meinungen und Vermutungen als Fakten und Wahrheiten herausposaunt werden. Vor allem dann, wenn es um Außenseiter, Minderheiten oder auch nur Exentriker geht. Und nicht nur in den viel gescholtenen Mainstream-Medien.

Es ist der einfache Mechanismus: Erst kommt ein "Äh - was macht der denn da?", dann "Darf der denn das?", dann "Wenn das jeder täte....", schließlich "So geht das aber nicht!" Unabhängig übrigens von jeder Rechtslage.
Ein harmloses Beispiel: vor einigen Jahren machte ich mit ein paar Freunde auf einer sandigen Waldlichtung ein Grill-Feuer - und zwar in einer selbstgebauten Blech-Feuerschale und weitab von aller brennbaren Vegetation. Einig Passanten holten die Polizei - denn: siehe oben! Die Polizei kam, sah sich um - und fand nichts Ordnungswidriges an unserem Verhalten: so, wie wie das machten, war Feuermachen erlaubt.
Was besagte Passanten nicht verstehen konnten. Es gibt kein einziges Argument dagegen. Aber irgendetwas muss schließlich doch dagegen möglich sein!

Ein Mittel, um "Abweichler" zu "Außenseitern" zu stempeln, kennt man schon aus dem Kindergarten: Den Gruppendruck. Grade unter Kindern kann der grausam sei. Am grausamsten - und am einfachsten zu manipulieren - ist er allerdings unter Jugendlichen.
Jungens Menschen, noch ohne gefestigtes Selbstvertrauen, ist es extrem unangenehmen, sich in ihrer Peer-Gruppe - ihrer Clique, ihrer Klasse, ihrer Freizeitgruppe oder was auch immer - lächerlich zu machen und verspottet zu werden. Dieser Spott gegen "Abweichler" - was beim "falschen" Kleidungsstil anfängt - ist aber ist genau der Angriff, mit dem eher unsicher und gehemmt vorgeprägte Kinder und Jugendliche ihre Position verteidigen. Unter lauter "Lesemuffeln" fühlt sich ein wegen seiner Leseschwäche unsicherer Schüler stark, wenn er einen in der großen Pause lesenden Mitschüler als "Streber" denunziert: Der unsichere Schüler münzt so sein Unterlegenheitsgefühl in "Stärke" bzw. Meinungsführerschaft um.

Unter Erwachsenen ist dieses Spiel nicht so offensichtlich. Aber es läuft täglich ab. So gut, dass ich manchmal den Verdacht habe, solche Schulhofmechnanismen würden zum "heimlichen Lehrplan" unseres Bildungssystems gehören.

Wer sich Dinge traut, die erlaubt sind, die sich andere aber, aus welchen Gründe auch immer, nicht trauen, auch wenn sie vielleicht gerne wollten, der findet sich schnell in der Position des angefeindeten Außenseiters wieder.

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