"Ariosophische Bauten" zwischen Schonkaffee und Atlantis

Im ersten Teil von Der Backstein-Expressionismus und der völkische Okkultismus widmete ich mich Architekten des Backstein-Expressionismus, die mehr oder weniger tief in das völkisch-esoterische Denken verstrickt waren. Es gibt aber auch Bauten, die gewissermaßen gebaute Ariosophie sind. Zu ihnen gehört ausgerechnet "Bremens gute Stube", der Touristenmagnet Böttcherstaße

In der Bremer Innenstadt hatte der "Kaffee-Baron" und Mäzen Ludwig Roselius in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die heruntergekommenen Gebäude einer ganze Straße, der Böttcherstraße, aufgekauft und nach seinen völkischen Ideen neu aufbauen lassen. Roselius' hatte nicht nur Marketing-Talent für Kaffee HAG und Kaba, sondern auch für völkisches Karma. Ein "Haus Atlantis" war dabei dem "Andenken der arisch-germanischen Vorfahren" gewidmet und enthielt eine ständige Außstellung "Väterkunde". Mit Prä- und frühhistorischen Ausstellungsstücken wollte Roselius hier die Theorie der "atlantischen Germanen" und die Überlegenheit ihrer Kultur, die er als "Urkultur" aller Hochzivilisationen sah, belegen.

Es ist nicht schwer, den zumeist wuchtig-einschüchternden Momentalbauten des "Dritten Reiches" die dahinterstehende menschenverachtende Ideologie anzusehen. Bei der Bötcherstraße ist das anders: die Häuser sind verspielt und originell, die Architektur hat "menschliches Maß", sie wirken teilweise ausgesprochen gemütlich. Auch ich muß mir eingestehen, dass mich die expressionistische "Fantasy-Architektur" dieser Häuser sehr anspricht.
Schon über dem Eingang hängt ein 1936 angebrachtes, vergoldetes Relief namens „Der Lichtträger“ von Bernhard Hoetger. Die wenigsten Bewunder dieser vielfotographierten Plastik wissen, dass sie Adolf Hitler gewidmet war - und zwar als versöhnliche Geste des überzeugten Hitler-Anhängers Roselius und des trotz Anfeindungen treuen NSDAP-Mitgliedes Hoetger an den "Führer" - nachdem dieser Roselius' völkischen Okkultismus scharf kritisiert hatte. Bremer, die das wissen, nennen das Relief deshalb manchmal "den Schleimträger" oder "goldener Mann ohne Rückgrat".

Auch wenn Hitler die "Böttcherstraßenkultur" ablehnte und die Straße später sogar als "entartete Kunst" galt, so war sie zum Zeitpunkt ihrer Neugestaltung in den 20er und frühen 30er Jahren Teil der völkisch-esoterischen Suche nach dem "versunkenen Reich". Hoetger schuf seinem Baumeister Ludwig Roselius eine von völkisch-"germanische" Ideen inspirierte Architektur. ""Ein Versuch, deutsch zu denken", mit dem Konzept"aus Verfall und Schmutz ein reines und starkes Deutschland entstehen" zu lassen. Ein Umstand, der bis heute in Bremen gern unter den Teppich gekehrt wird, wohl um die Besucher der "guten Stube Bremens" nicht mit Ambivalenzen vor den Kopf zu stoßen. Ideologisch "saubere" Kulturdenkmale auf der einen, "betroffen machende" Mahnmale auf der anderen Seite sind eben besser für den Fremdenverkehr.

Die ganze Problematik um die Böttcherstraße drückt sich gleichsam konzentriert in der runenverzierten Wotanskulptur von Hoetger, die die ursprüngliche Fassade des "Haus Atlantis" beherrschte:
Haus Atlantis, alte Fassade
Die Skulptur stellt Wotan (bzw. Odin) dar, wie er neun Tage und Nächte am Weltenbaum Yggdrasil hängt. Die Bildsprache, in der dieses heidnische Thema behandelt wird, ist aber eindeutig die christlicher Kruzifixe. Wie ein Absender der zugrundeliegende ariosophischen Ideologie wirken die Runen: sie entstammen dem ahistorischen "Armanenfurthork" Guido "von" Lists.
Bei der Rekonstruktion des im Krieg stark beschädigten "Haus Atlantis" wurde eine völlig andere Fassade vorgesetzt. Sozusagen "Verdrängung in Stein".
Von allen Häusern der Böttcherstraße druckt das "Haus Atlantis" die völkisch-esoterische Lehre ohnehin am deutlichsten aus. Das Art-Deco-Treppenhaus, zugleich modern in seiner Stahl Glas und Betonbauweise wie märchenhaft-bizarr in seine "Unterwasser"-Anmutung, führt in den Himmelssaal mit seiner parabelförmigen Bundglas-Decke, dessen Wände ursprünglich mit den Namen der großen "deutschen Tatmenschen" von Arminius bis Adolf Hitler versehen waren.

Das Problem bei den Böttcherstraßenhäuser ist, dass sie genau in das Konzept der "Neuen Rechten" passen: sie sind völkisch, nationalistisch, "Blut- und Boden"-orientiert – aber sie sind nicht "hitleristisch", und haben sogar einen "Persilschein", weil sie "unter Adolf" als "entartete Kunst" verpönt waren.

Was dagegen hilft? Vor allem erst mal drei Dinge: Aufklärung, Aufklärung und Aufklärung! Es hülfe auch sehr, wenn endlich eine kulturelle Sichtweise entstünde, die Ambivalenzen besser erträgt als die gegenwärtig in Deutschland übliche. Denn eine (gut gemeinte) Verpönung der Böttcherstraße als "Völkischer Kitsch" macht sie für Rechtsextremisten erst recht attraktiv.
In der Böttcherstraße ließe sich hervorragend illustrieren, dass es trotz moderner Ästhetik oft nur ein Schritt zum rassistischen Überlegenheitswahn der Nazis war.
Leicht gesagt: auch ich tue mich allzu schwer, Ambivalenzen zu ertragen: als politischer Mensch und überzeugter Demokrat bedauere ich es zu tiefst, dass die Chance, die teilzerstörte Böttcherstraße nach dem Krieg nicht zu restaurieren, sondern durch Neubauten zu ersetzen, nicht genutzt wurde. Als Freund der "klassischen Moderne" und vor allem des Expressionismus würde ich es dagengegen sehr bedauern, gäbe es diese Häuser nicht mehr.

(In Vorbereitung: Exkurs 1 - Ludwig Roselius und seine "nordisch-völkische" Ideologie
Exkurs 2 - Bernhard Hoetger - ariosophischer bauender Bildhauer )

Ergänzend:
Böttcherstraße: Der Weg nach Atlantis führt zu den Barbaren (Mit einer Abbildung des Reliefs "Der Lichtbringer".)

radio bremen: Böttcherstraße.

Artikel von 2005 aus der "taz", die eine auf den ersten Blick überraschende Verbindung zwischen Hoetger, der Böttcherstraße und Joseph Beuys herstellt: Bitte ein Beuys

Ebenfalls aus der taz, von 2001: Das Moor und die Moderne
Worpswede und Böttcherstraße zählen zu Bremens dicksten touristischen Pfunden. Zudem liefern beide Orte hervorragendes Anschauungsmaterial für die Affinität expressionistischer Künstler zur NS-Ideologie.
Die "offizielle" Bötcherstraßen-Website: Die Bötcherstraße zu Bremen.

Buch zum Thema:
Arn Strohmeyer: Der gebaute Mythos. Das Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße. Ein deutsches Mißverständnis, Donat-Verlag, Bremen 1993, ISBN 3-924444-67-6
Marek Möhling (Gast) - 20. Apr, 16:26

Schönes Thema, danke für die Recherche

Ein abwegiger Gedanke: die Böttcherstraße ist eines der wenigen Zeugnisse dafür , dass sogar der Faschismus Kunst hervorbringen konnte, was sonst nur in Italien -mit Mussolinis Deckung- geschah. Futurismus, Vortizismus, Expressionismus - das Spiel mit Gewalt, Nihilismus oder eben Runenmystik ist abstoßend, aber nicht frei von dekadentem Charme. Wenn ich gelegentlich in Bremen bin, muss ich mir mindestens einmal eine Prise Backsteine reinpfeifen, ähnlich geht es mir im Gelände der Esposizione Universale Roma - z.T. wurde dort gebaut, wie de Chirico gemalt hat.

Trotz Kunstgewerbes, Touris meinesgleichen und verdächtig wohlgestalteter goldene Männer: Hoetger war kein uninspirierter Stümper, und wer mit Backsteinen baut, muss sich schon anstrengen, um menschliches Maß zu verfehlen. Ich frage mich, ob die Bremer Pfeffersäcke das Publikum, speziell das internationale, nicht unterschätzen: eine lautere Darstellung der Entstehungsgeschichte wäre nicht nur geboten, sondern auch ein zusätzliches, sehr interessantes Element.

MMarheinecke - 21. Apr, 08:59

Ich schätze Hoetger als Künstler und Baumeister sehr

Weniger schätze ich den Geist, aus dem heraus er einige seiner Werke schuf.
Es sind wohl weniger die "Bremer Pfeffersäcke" (sprich: die gesellschaftlich tonangebenden Großkaufleute) als die bremischen Tourismusmanager, die die Geschichte der Böttcherstraße "schönen". Wobei sie, wie andere Tourismusmanager auch, ihr Publikum systematisch unterschätzen: beim Lesen von Fremdenverkehrs-Broschüren habe ich regelmäßig den Eindruck, die anvisierte Zielgruppe hätte die Lebenserfahrung und den Bildungstand eines nicht sonderlich aufgeweckten 9-jährigen. (Es gibt unter dem Label "Jetlag travel" einige zwechfellerschütternde Parodien auf schönfärberische Reiseführer - und übrigens auch auf dumme Touristen-Vorurteile: Molwanien z. B. ist ein (fiktives) Land, das sich aus überzeichneten abfälligen Ost-Europa-Klischees und Horrorurlaubs-Stories Marke "Bild" zusammensetzt - und das im Tourimus-Marketing-Jubeldeutsch verfasst ist.)
Was den Umgang mit dem leidigen Thema "Nazi-Vergangenheit" betrifft, ist die "Böttcherstraße" sozusagen überall - jedenfalls in Deutschland und Österreich

In einem muß ich Dir wiedersprechen: wer mit Backsteinen baut, braucht sich offensichtlich nicht groß anzustrengen, um das menschliche Maß zu verfehlen. Es gibt hier in Hamburg gar nicht mal so wenige düstere Backstein-Mietskasernen. Es gibt kaum etwas deprimierenderes als eine Straßenschlucht zwischen zwei wenig gegliederten Hausfassaden mit kleinen "Loch-Fenstern" aus dunklem Backstein.

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