Samstag, 22. Januar 2011

Alltagsrassismus und die Wichtigkeit des "N-Wortes"

Um es von vornherein klar zu stellen: Der Begriff "Neger" ist und bleibt eine rassistische Beleidigung.
Warum?
Der wichtigste Punkt: Weil fast alle dunkelhäutigen Menschen es für eine schwere Beleidigung halten, so genannt zu werden.

Um einem gängigen "Gegenargument" zuvor zu kommen: Das ist nicht damit gleichzusetzten, dass die meisten Deutschen nicht gerne "Boche" oder "Moff" genannt werden. Denn obwohl ich keine Schuld an den Verbrechen Deutscher - an in diesem Falle Franzosen oder Niederländer - habe, weiß ich, dass z. B. die Naziverbrechen von einer großen Mehrheit der damaligen Deutschen befürwortet oder wenigstens hingenommen wurden. Dass heißt: Es ist psychologisch mehr als verständlich, wenn auch ein heutiger Franzose, Niederländer, Norwegen "die Deutschen" verabscheut - und einem Polen, einen Russe, einem Ukrainer nehme ich es nicht übel, wenn er mich ganz persönlich nicht mag, allein aus dem Grund, weil ich nun einmal ein Deutscher bin. Bei Juden, Sinti, Roma akzeptiere ich auch offenen Hass. Nicht, weil ich es mag, gehasst zu werden. Oder weil ich mich in einer "Sack und Asche"-Demutshaltung gefalle - die kommt übrigens gar nicht gut an. Vom "Schuldkult", von denen deutsche (und "alldeutsche, sprich österreichische) Nationalisten gerne quatschen, hat das erst recht nichts zu tun. Weil das nichts, aber auch gar nichts mit "Schuld" zu tun hat. Sondern mit Gefühlen, mit Einfühlung und Respekt für die Gefühle anderer, und vor allem: mit historischem Bewusstsein.
Noch etwas anderes ist, wenn z. B. ein Österreicher mich "Piefke" nennt. Schlimmstenfalls mag er die Deutschen nicht - Geschmacksurteil. Normalerweise ist das aber Scherzhaft gemeint. Aber "Neger" hat einen so üblen Beiklang, dass ich es geschmacklos respektlos und wiederum beleidigend finde, einem Schwarzen, der über so einen Scherz nicht lachen kann und sich schwer beleidigt fühlt, "Humorlosigkeit" vorzuwerfen.

Im Falle "Neger" wird eine über die Hautfarbe konstruirete Gruppe von Menschen, die oft nichts gemeinsam hat, als eben diese Hautfarbe, und die heute noch spürbar benachteiligt wird, von durch nichts als die Farbe ihrer Haut Privilegierten beleidigt. Das ist der Unterschied!

"Neger" ist, auch wenn es ursprünglich nur Menschen mit sehr dunkler Hautfarbe beschrieb ("negro" = "schwarz"), durch Jahrhunderte der Sklaverei, des Kolonialismus, der systematischen Benachteiligung "Nichtweißer", und des Sklaverei, Kolonialherrschaft und Benachteiligung rechtfertigen Rassismus, so eng mit übelsten rassistischen Zuschreibungen verbunden, dass es eben nicht neutral gebraucht werden kann.
Das ist übrigens der Unterschied zu im Rahmen von "politisch korrekten" Sprachregelungen verpönten Völkerbezeichnungen wie "Eskimo" oder Hautfarbenbezeichnungen wie "Mulatte". Die können beleidigend gemeint sein, müssen es aber nicht.
Eine noch heute gängige rassistische Zuschreibung, die mit dem Wort "Neger" verbunden ist, ist die der Triebhaftigkeit. ("Der Neger schnackselt halt gern!" - und ist daher an der erschreckenden AIDS-Epidemie in südlichen Afrika "selber Schuld".) Es ist ohnehin unübersehbar, wie sehr Diskriminierung bis hin zum offenem Hass mit Sex und Sexualrepression verknüft sind. Schwule und Lesben können davon ein Lied singen!

Es wird auch heute immer wieder gerne – unter Zuhilfenahme für für wissenschaftlich gehaltenen Thesen - darauf hingewiesen, dass "Negern“ bestimmte Eigenschaften eben "angeboren" seien. Der "Klassiker": "von Natur aus weniger intelligent als Weiße".

Mit dem Wort "Neger" ist außer dem Rassismus - die "Neger" seien den "Weißen" unterlegen - Viktimisierung, die Darstellung als Opfer bzw. als schwach und, oft "gut gemeinte", Bevormundung und Infantilisierung verbunden. Wen ich "Neger" nenne, nehme ich nicht ernst.
Es fällt mir auch immer wieder auf: Texte, in denen das Wort "Neger" "unbefangen" und nicht distanzierend verwendet wird, sind auch sonst meistens rassistisch, sogar dann, wenn das N-Wort in "scherzhafter" Form verwendet wird.

Soweit das.
Anderseits: Vor einigen Tagen ging ein Beschluss, dass Wort "Nigger" (noch mal um einige Umdrehungen heftiger als "Neger") aus Mark Twains Huckleberry Finn. Wohl gemerkt war Twain Antirassitist, das Buch hat eine gegen Rassismus gerichtete Tendenz und Twain wusste, warum er seinem Ich-Erzähler das Wort "Nigger" in den Mund legte: die Gesellschaft im (heute gern verklärten) "Alten Süden" der USA war zum Erbrechen rassistisch. Wenn man das "N-Wort" weg lässt, verfälscht und verniedlicht man die Aussage Twains über die allgemein übliche rassistische Mentalität.

Dann gibt es noch etwas, was ich "Negerkuss-Antirassismus" nenne. Einen demonstrativen Antirassismus, bei den es gar nicht so wichtig ist, ob Schwarze Rassismus ausgesetzt sind, sondern im Vordergrund steht, dass man selbst sich schön antirassistisch fühlen kann. Sicherlich ist "Negerkuss" ein dummes Wort. Aber es ist ein Nebenproblem. Es wäre schön, wenn Rassismus in Deutschland nur noch mit "Negerküssen", "Zigeunerschnitzel" und dergleichen zu tun hätte. ("Negerkuss" ist schließlich kein Schimpfwort, wie "Negermusik", sondern beschreibt eine sehr leckere Sache.)

Fast sieht es wie eine bewusste Ablenkung davon aus, wie schlimm es in Wirklichkeit aus sieht.

Die Wirklichkeit, die sieht z. B. so aus: Wer nichts hat kann auch mehr bezahlen. Ganz normaler Behördenrassismus in Deutschland. Oder so: Kampf dem europäischen Grenzregime! Um Europa keine Mauer, Bleiberecht für alle und auf Dauer! Verhindert Abschiebungen, zeigt Zivilcourage! (Überhaupt ist Che's Warblog eine Fundgrube für Menschen, die sich für Rassismus und die Folgen wirklich interessieren.)
Die Reaktion des "Mainstreams" der Medien auf Rassismus ist wegsehen, vertuschen, nicht wahrhaben wollen!

Zurück zum N-Wort. Im deutschen Sprachraum gibt es erst in den den letzten Jahrzehnten ein Bewusstsein dafür, dass der Begriff "Neger" rassistisch und beleidigend ist. Laut Wikpedia finden sich in deutschen Wörterbüchern erst ab den 1970er Jahren Hinweise auf eine abwertende oder diskriminierende Konnotation des Begriffs. Das allgemeine Sprachgefühl hinkt dem noch nach. Zu jemanden, der aus dem Urlaub tief gebräunt nach Hause kommt, zu sagen: "Wow, Du bist ja schwarz wie ein Neger!" dürfte in den meisten Fällen nicht beleidigend gemeint sein.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 6721 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren