Freitag, 30. April 2010

Medizinjournalismus: Manipulieren für einen guten Zweck?

Die Warnungen vor Hautkrebs zum Anfang der warmen Jahreszeit gehören seit Jahren genau so zum jährlichen medizinjournalistischen Ritual wie die Zecken. Während im Falle der Warnungen vor "dieses Jahr besonders zahlreichen Zecken" (egal, ob der Winter kalt oder mild, trocken oder feucht, kurz oder lang war) und der angeblich "immer größer werdenden Gefahr der FSME" die Nähe zu interessierten Pharmaunternehmen mit den Händen zu greifen ist: Frühlingserwachen der Zecken-Experten (stationäre Aufnahme), stehen hinter den Hautkrebswarnungen keine offensichtlichen wirtschaftlichen Interessen - mit Früherkennung ohne großen apparativen Aufwand lässt sich längst nicht so viel verdienen, wie mit (meist überflüssigen, hin und wieder gefährlichen) FSME-Impfungen.

Trotzdem haben Meldungen wie diese (Zahl der Hautkrebsfälle steigt rasant an. Jedes Jahr erkranken 195 000 Deutsche an Hautkrebs) einen unangenehmen Beigeschmack. Darauf, dass die alarmierenden Zahlen nicht zuletzt auf eine verstärkte Diagnostik zurückzuführen sind, und daher in gewisser Weise ein gutes Zeichen sind, bloggte ich schon mehrmals: Was jeder weiß ..., “Todesurteil für UV-süchtige Teenager“ und Noch eine Horror-Prognose .... Die an sich nahe liegende gute Nachricht - " Hautkrebs wird heute meist schon im frühen Stadium entdeckt" - scheint kaum Nachrichtenwert zu haben.
Interessante Daten und Fakten über den mit Abstand gefährlichsten Hautkrebs, das maligne Melanoms der Haut, dem "schwarze Hautkrebs", erfährt man auf der Website des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen e. V. Zahlen, Daten, Fakten - Malignes Melanom der Haut. Es ist nicht ganz einfach, diese nüchternen Fakten - die jedem Hautarzt bekannt sein sollten - mit den alarmistischen Behauptungen in Einklang zu bringen.
Wobei der Alarmismus nicht einmal vor Lügen haltmacht: Letztes Jahr hieß es im Rahmen der allfrühjährlichen Hautkrebs-Warnsaison:
Untersuchungen haben gezeigt, dass jede zweite 14-Jährige einmal pro Woche ins Sonnenstudio geht. Eine laut Stockfleth bedenkliche Zahl: Denn je öfter ein Mensch seit frühester Kindheit der Sonnenbestrahlung ausgesetzt war, umso ist höher sein Hautkrebsrisiko.
Hautkrebs: Kein Solarium für Jugendliche.
Prof. Eggert Stockfleth ist Leiter des Hauttumor-Centrums am Universitätsklinikum Charité in Berlin. Sein Wort hat also Gewicht. Auf welche Untersuchungen sich seine Behauptung stützt, dass "jede zweite 14-Jährige einmal pro Woche ins Sonnenstudio" ginge, wüsste ich gerne. Es müsste, wenn das wahr wäre, sehr viel mehr auch im Winter auffällig gebräunte Teenager geben, als mir das bisher aufgefallen wäre.
Nach einer schon etwas älteren Umfrage des IJF Instituts für Jugendforschung (11/2005) benutzten etwa 7 Prozent der Jugendlichen in Deutschland bis einschließlich 18 Jahren mindestens einmal im Monat eine Sonnenbank. Auf diese Umfrage stützt sich auch der Solarien-Fachverbandes "photomed": Wie nutzen Kinder und Jugendliche das Solarium?. Wenn man als "regelmäßige Nutzung" sinnvollerweise "Einmal pro Woche" definieren würde, ergäben sich in den Altersgruppen 13-16 Jahren überhaupt keine statistisch darstellbare Nutzung.
Auch aus einer neuere Umfrage des Forschungszentrum Jülich (in Auszügen auf der Website der Fachzeitschrift "BMC Dermatology" A population-based survey on tanning bed use in Germany) lässt nichts auf einen massenhaften Solariumsgebrauch durch Teenager schließen. Die Solarienverbände haben auch in eigenen Untersuchungen festgestellt, dass Jugendliche unter 18 nur 3,5 Prozent der Solarien-Kunden ausmachten - weshalb die Solarien-Lobby kaum Widerstand gegen das 2009 verabschiedete "Solariengesetz" (Gesetz zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung) leistete, dessen wichtigste Bestimmung das Solarienverbot für Jugendliche unter 18 Jahren ist: Die paar minderjährigen Kunden wären einem möglichen Imageschaden durch den Vorwurf, der "Asitoasterbranche" sei die Gesundheit schützbedürftiger Jugendlicher schnuppe, vermute ich, nicht wert gewesen.

Auch zum Thema "Lügen und Medizinjournalismus" gehört, dass "photomed" anscheinend jede Meldung darüber, wie wichtig das "Sonnenvitamin" D3 für die Gesundheit ist, als Argument für den Sonnenbankbesuch ausschlachtet. Allerdings sind die wirtschaftlichen Interessen, die künstliche Besonnung als "gesund" zu verkaufen, in diesem Fall offensichtlich.

Wie auch immer die konkreten Motive hinter den Hautkrebs-Alarmmeldungen in jedem Frühling aussehen, sie passen in die allgemeinen Tendenz, die Ursachen gefährlicher Krankheiten am Lebensstil des Einzelnen festzumachen - der Kranke ist also "selber Schuld" an seinem Leiden.
Dass die simple Gleichung: "Mehr Sonne = mehr schwarzer Hautkrebs" nicht stimmt, geht aus dem europäischen Vergleich hervor:
Die meisten malignen Melanome werden in Europa in für Männer in Schweden und Dänemark diagnostiziert, für Frauen in Dänemark, Österreich und Schweden. Ähnlich wie in Europa insgesamt zeigt sich auch ein leichtes Nord-Süd-Gefälle innerhalb Deutschlands. Im Vergleich zu den deutschen Werten sehr niedrige Erkrankungsraten treten für beide Geschlechter in Griechenland auf.
Der BVDD vermutet, dass das mit der Hautpigmentierung der jeweiligen Bevölkerung zusammenhängt, also salopp gesagt: der "typische" Grieche wird schneller braun als der "typische" Däne und bekommt daher weniger Hautkrebs. Allerdings ist in Griechenland die "Sonnengesamtbelastung" aber auch sehr viel größer als in Dänemark.
Als Risikofaktoren gelten eine große Anzahl von Pigmentmalen (Nävi), vor allen solche mit unregelmäßiger Form, ein heller Hauttyp und eine genetische Disposition (bei familiär gehäuftem Auftreten).
Obwohl bisher keine Dosis-Wirkungs-Beziehung bestimmt werden konnte, scheint intensive Sonnenexposition oder Exposition gegenüber künstlicher UV-Strahlung, insbesondere in der Kindheit, die Entstehung der Erkrankung zu begünstigen. Andere Faktoren, etwa bestimmte Chemikalien, Medikamente oder der Einfluss von Schwangerschaften, werden sehr kontrovers diskutiert.

Es wäre, im Sinne der Gesundheitsaufklärung, gar nicht so schlecht, wenn dieser unsichere Erkenntnisstand allgemein bekannt wäre.

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