Freitag, 8. August 2008

Wieso gibt es das Sommerloch?

Der vorangegangen Beitrag wirft die Frage auf, wieso eigentlich jedes Jahr das "Sommerloch" mit den dazugehörigen Themen aufreißt. Denn die klassische Erklärung, es sei eine "nachrichtenarme Zeit" stimmt nicht.

Dennoch ist dieser Ansatz nicht ganz falsch. Sieht man sich eine typische deutsche Tageszeitung an, fällt auf, dass sich im Resort "Politik" auffallend viele Artikel sich parteipolitischen Machtkämpfen widmen. Wenn der Bundestag Sommerpause macht, fehlt Journalisten, die sich auf Machtkampfberichterstattung und "Hofberichterstattung" (spöttische Bezeichnung für distanzlose Regierungspropaganda) spezialisiert haben, der Stoff. Die Folge des "Berliner Sommerlochs" ist das "politische Sommertheather" (Machtkämpfe auf "Nebenkriegsschauplätzen" finden Beachtung). Leider führt das "Sommerloch" selten dazu, dass umstrittene Gesetzesinitiativen, die bevorzugt kurz vor der Sommerpause oder dem Weihnachtsurlaub abgehandelt werden, die angemessene kritische Öffentlichkeit finden. Im Schatten des Sommerlochs.
Was für das Politikresort zutrifft, trifft weitgehend auch auf den Sportteil zu: Sommerpause in den oberen Fußball- und Handball-Ligen bedeutet, wenn nicht gerade Fußball-EM oder Olympische Spiele sind, viel Platz für "exotische" Sportarten, Spekulationen um mögliche Mannschaftswechsel und reichlich "Personalien".

Es gibt aber auch einen anderen Grund, wieso in der zweiten Sommerhälfte die "Silly season" (alberne Jahreszeit) ausbricht.
Ein bekanntes Phänomen: bestimmte, meist anspruchsvolle, Arbeiten bleiben in der Ferienzeit oft einfach liegen, obwohl diese Arbeiten theoretisch durchaus von der verbleibenden Belegschaft erledigt werden könnten. Das liegt oft daran, dass bei knapper Personaldecke (im öffentlichen Dienst, einst als "Wasserkopf" gescholten, inzwischen die Regel, ebenso in weiten Bereichen der "freien Wirtschaft") und hoher Spezialisierung nur wenige Fachleute ausfallen müssen, bis einfach niemand mehr da ist, der die anstehende Arbeit machen könnte. Herr A. ist im Urlaub, Frau B. krank - und schon kommt niemand mehr mit dem LAN-Server zurecht. Hinzu kommt, dass es in jeder Belegschaft "informelle" Hierarchien und Arbeitsabläufe gibt, während Urlaubsvertretungsregelungen nur die "offiziellen" Hierachien und Abläufe berücksichtigen. Es gibt z. B. Schlüsselpersonen, die bei Entscheidungen ungern übergangen werden. ("Damit warten wir besser, bis Herr C. aus dem Urlaub zurück ist, sonst mosert er wieder ´rum, welchen Mist wir verzapft hätten.")
Nun sind Redaktionen in der letzten Jahren erheblich personell ausgedünnt worden, was schon im "Normalbetrieb" dazu führt, dass nur noch selten gründlich recherchiert wird und ein großer Teil der Arbeit an Volontären und Praktikanten hängen bleibt.
Dass führt beinahe zwangläufig dazu, dass Meldungen noch weniger geprüft werden, als außerhalb der Urlaubszeit.
Ein weiterer Effekt: Dünne Personaldecke bedeutet meistens auch dünne Nerven - die "Restbelegschaft" fühlt sich oft ständig überfordert.

Dünne Nachrichtenlage im Politikressort und urlaubsbedingt dünne Kontrollen und dünne Nerven - das sind ideale Bedingungen, um gezielt Themen zu placieren. Diese Möglichkeit wird gern von Lobbyisten genutzt - es ist kein Zufall, dass das Thema "demographische Zeitbombe" so oft das Sommerloch füllt.

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