Dienstag, 10. Juni 2008

Entlarvend: Bischof verbietet einem Querschnittgelähmten die kirchliche Trauung

Skandale wirken manchmal entlarvend. Zum Beispiel der, dass ein italienischer Bischof einem Querschnittgelähmten die kirchliche Trauung verbietet.
Es war schon alles vorbereitet für die Hochzeit von Renzo und Lucia, beide 25, da hatte Renzo einen schweren Autounfall. Zwei Monate ist das her, der Mann aus Viterbo bei Rom ist querschnittgelähmt und impotent, nun will der Bischof von Viterbo, Lorenzo Chiarinelli, dem Paar die kirchliche Trauung untersagen. Seine Begründung: Die katholische Ehe sei auf Nachkommenschaft ausgerichtet, und dazu sei der Mann nun einmal nicht mehr in der Lage.
Weiterlesen auf Tagesspiegel.de : Romeo und Julia von Viterbo.

Die harte Haltung Bischof Chiarinellis mag ein Einzelfall sein und selbst unter katholischen Kirchenrechtlern umstritten - sie gründet sich aber auf geltendes Kirchenrecht, und zwar nicht das aus finsterer ferner Vergangenheit, sondern auf das kirchliche Gesetzbuch, den "Codex Juris Canonici" von 1983. Im Kanon 1084 des Gesetzbuches steht, dass "der Ehebund von Mann und Frau hingeordnet ist auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft" und dass die Verbindung ansonsten "aus ihrem Wesen heraus ungültig" ist. Damit das Sakrament der Ehe gestiftet werden kann, manövrieren sich einsichtigere katholische Geistliche in solchen Fällen um das Kirchenrecht herum. Chiarnelli lehnt diese kleinen Tricksereien offensichtlich ab - und entlarvt so das offizielle katholische Ehe- und Familenbild als menschenfeindlich.

Für ebenfalls menschenfeindlich halte ich den Kern einer Rede, die Bischof Fürst am 4. Juni beim Mediziner-Forum "Der Gläserne Mensch" in Ravensburg zum Thema "Designerbaby - Entwicklung in unserer Gesellschaft und die Würde des Menschen" hielt:
Designerbaby: Bischof Fürst warnt vor Machbarkeitswahn mit Folgen Auf den ersten Blick möchte ich als Humanist dem Bischof zustimmen, denn es verletzt die Würde des Menschen, wenn Menschen instrumentalisiert, verdinglicht, zum "Humanfaktor" oder "Menschenmaterial" reduziert werden. Aber Fürst wählt ausgerechnet den Fall "Molly Nash" als Beispiel: Ein sechsjähriges Mädchen aus dem US-Bundesstaat Colorado litt an angeborener Blutarmut und benötigte eine Knochenmarkspende um zu überleben. Da weder die Eltern noch Verwandte als Spender infrage kamen, ließen die Eltern ein Dutzend Eizellen künstlich befruchten und die Embryos untersuchen - einer erwies sich tatsächlich als geeigneter Knochmarksspender. Molly wurde durch die Spende ihres so gezeugten kleinen Bruders Adam wieder gesund.

Aus meiner Sicht ist das im Prinzip zwar eine "Verdinglichung" eines Menschen als Mittel zum Zweck, aber nach Lage der Dinge handelten die verzweifelten Eltern nicht gegen die Menschenwürde des kleinen Adam.
Es stimmt, er hat seinen "Zweck" erfüllt: Molly ist geheilt. Sie hat nicht nur überlebt, sie ist gesund. Und ihr Bruder ist nicht umgekommen, wurde nicht als "unerwünscht" ausgestoßen und ist auch nicht in die Besenkammer verbannt worden. Er ist ein vollwertiges Mitglied der Familie, geliebt und beschützt durch seine Eltern und durch seine große Schwester, die ihm ihr junges Leben verdankt.
Bischof Fürst sieht das anders, grundsätzlicher, lebensfremder:
Aber ist der Preis nicht zu hoch, wenn Kinder wie Adam Nash zum Gebrauchsgegenstand gemacht werden, zum ‘Medikamentenschrank auf zwei Beinen’? Denn, erinnern wir uns: Adam verdankt seine Existenz nur seinen Blutwerten. Für sich selbst scheint er keine Lebensberechtigung zu haben. (...) Denn dieser Adam ist nicht um seiner selbst willen wichtig, Menschenwürde wird vertauscht durch Materialwert.
Wenn ich der Vater von Adam wäre, dann würde ich mir diese Frechheit nicht gefallen lassen!

Wohlgemerkt: ich bestreite gar nicht, dass die Prä-Implantations-Diagnostik (PID) ethisch problematisch sein kann (mit den "überzähligen" Embryonen, die bei einen In-Vitro Befruchtung entstehen, habe ich, im Gegensatz zur katholischen Kirche und zum deutschen Gesetzgeber, keine Probleme, schon weil die meisten natürlich gezeugten Embryonen sich erst gar nicht in der Gebärmutterschleimhaut einnisten - siehe hierzu mein Beitrag: Wie hältst Du es mit den Stammzellen?). Ich bin auch völlig einer Meinung mit Fürst, wenn er feststellt, dass die Ökonomie nicht die moralische Grundrichtung bestimmen dürfe - und ich bin sogar bei ihm, wenn er Erich Fromm zitiert: "Wenn der Mensch sich in ein Ding verwandelt, wird er krank, ob er es weiß oder nicht."

Wenn er aber sagt:
Eine letzte Verfügung über uns selbst haben wir weder am Anfang noch am Ende unseres Lebens. Dies zu respektieren bedeutet überhaupt keinen Verzicht auf medizinisch-therapeutisches Handeln, sondern lässt dies erst wirklich menschlich und hilfreich sein.
- dann stellt er meines Erachtens eine theologisch begründete moralische Forderung - nämlich die, dass sich der Mensch gefälligst aus der Zeugung herauszuhalten hätte (was bekanntlich bis zur Ablehnung von Kondomen geht) wie aus dem Tod (womit Suizid und Töten auf Verlangen dem Mord moralisch gleichgestellt werden) - über die Möglichkeit, Leiden zu vermindern. Damit diese wenig menschenfreundliche Moraltheologie als "Verteidigung der Menschenwürde" erscheint, werden gern die Schreckensbilder "Euthanasie"-Morde der Nazis und "Züchtung des perfekten Menschen" an die Wand gemalt - so als ob die Möglichkeit des Missbrauchs die des Gebrauchs ausschlösse.

Um den Kreis zum Eheverbot zu schließen: Es geht um eine beileibe nicht auf die katholische Kirche beschränkte Moral, in der Sex nur dann keine "Sünde" ist, wenn dabei (zumindest im Prinzip) Kinder gezeugt werden können. Wenn ich bösartig wäre, würde ich auch das "Verdinglichung von Menschen" nennen.

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