Sonntag, 8. Juni 2008

Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme - heute: Quo Vadis?

Quo vadis? (Originaltitel: Quo Vadis, dt.: „Wohin gehst du?“) ist ein "klassischer" Monumentalfilm aus dem Jahre 1951. Das bedeutet: der Film hat beachtliche Schauwerte in Form üppiger Ausstattung und tausender Komparsen. Der Film entstand nicht in Hollywood, sondern in der Cinecittà in der Nähe von Rom - teils aus Kostengründen, aber auch, um eine authentische Landschaft und in einigen Szenen sogar authentische altrömische Bauten einbeziehen zu können. Die Kulissen und Requisiten wurden noch Jahre später für zahlreiche "Sandalenfilme", aber auch für Filmklassiker wie "Ben Hur" genutzt.
Im Unterschied zu zahlreichen anderen monumentalen Antikenfilmen, von den billiger gemachter Sandalenfilmen gar nicht zu reden, hatte "Quo Vadis?" den Anspruch eine "Botschaft" zu haben. Das Filmdrehbuch basiert auf dem Roman "Quo Vadis?" des Nobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz, dessen Titelgebung wiederum die christliche Überlieferung von der Begegnung Christi und seinem Jünger Simon Petrus vor den Toren Roms (Quo vadis?) aufgreift.

Womit sich dem aufmerksamen Leser dieses Blogs zwei Fragen stellen: Warum ist "Quo Vadis?" ein doofer Film? Und was macht ihn trotzdem gut?

Der Roman und sein historischer Hintergrund
Henryk Stienkiewicz' historischer Roman "Quo Vadis?" war schon kurz nach seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1895 ein Bestseller.
Der Roman erzählt die Liebesgeschichte zwischen dem jungen Patrizier Marcus Vinicius und Callina, genannt Lygia, einer Königstochter vom Volk der Lygier, die als Geisel nach Rom kam und die Christin ist. Allmählich geraten die Liebenden in den Strudel der Ereignisse um die Christenverfolgungen im Jahr 64 unter Nero. Die meisten Protagonisten im Roman sind, bis auf Vinicius, Lygia und den bärenstarken Ursus, historisch.
Die "Gut-Böse"-Verteilung ist für einen Roman dieses literarischen Ranges ungewöhnlich klar: "die Guten" sind die Christen, vor allem Lygia und die gerade in Rom weilenden Apostel Petrus und Paulus. Die "Bösen" sind Nero, Poppaea Sabina und Tigellinus. Einen "guten Kern" haben Petronius (im Roman "Kanzler", realhistorisch Senator und Autor des Romans Satyricon) und der Ex-General Plautius und dessen Ehefrau Pomponia, die im Roman Lygias Adoptiveltern sind.
Aulus Plautius und Pomponia waren, entgegen der Darstellung im Roman, keine christlichen Märtyrer, wahrscheinlich noch nicht einmal Christen. Pomponia Graecina wurde im Jahre 57 u. Z. wegen "fremden Aberglaubens" angeklagt, aber von einem Familiengericht für unschuldig befunden. Sienkiewicz interpretiert das in dem Sinne, dass Pomponia Christin gewesen wäre.

Nach damaligem Verständnis war der Roman historisch im Großen und Ganzen korrekt. Die sehr stark prochristliche und stark moralisierende Haltung entsprach dem damaligen Zeitgeschmack. Insgesamt wirkt der Roman auf mich trotz seiner drastischen Gewaltdarstellungen sehr "spätviktorianisch".
Oft wird behauptet, dass das "rebellische" Element des Romans daher stamme, dass Polen, die Heimat des Autors, zwischen Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn geteilt war, was angesichts der Thematik des Romans, dem Widerstand einer religiösen, nicht einer nationalen, Minderheit, ziemlich an den Haaren herbeigezogen ist. Hätte Stienkiewicz einen Schlüsselroman auf das unterdrückte Polen schreiben wollen, hätte er in der altrömische Geschichte leicht deutlichere Parallelen finden können. Wirklich "polnisch" wirkt auf mich, dass Stienkiewicz sich die frühen Christen wie frühe fromme Katholiken vorstellte und dass die lygische Prinzessin Lygia aller historischen Wahrscheinlichkeit zum Trotz Christin ist - die Lugier oder Lygier waren eine ostgermanische Stammesgruppe mit wahrscheinlich keltischen Wurzeln, deren Siedlungsgebiet teilweise im heutigen Polen lag - Stienkiewicz sah Lygia als eine Art "Urpolin". Einschub: Dass er sie zugleich als "Germanin" sah ist für einen polnischen Nationalisten um 1900 weniger erstaunlich, als es nach dem deutschen Vernichtungskrieg gegen Polen und der daraus resultierenden (m. E. realpolitisch alternativlosen) zwangsweisen Umsiedlung der Deutschen aus dem heutigen Westpolen anmuten mag. 1895 gab es noch polnische Nationalisten, die auf ihre deutschen Vorfahren und deutsche Nationalisten, die auf ihre polnische Abkunft stolz waren. Sehr bezeichnend finde ich auch, dass der Roman mit einem Verweis auf den künftigen Sieg des (katholischen) Christentums endet.

Sienkiewicz' Darstellung des Kaisers Nero (mit vollem Namen Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus, von 54 bis 68 Princeps und Imperator des des Römischen Reiches) prägte das Nerobild des 20. Jahrhunderts: Nero als größenwahnsinniger eitler Tyrann, der sich wenig um sein Volk kümmerte, und Spiele mit bis dahin unerreichter Grausamkeit aufführen ließ. Nero als verrückter Herrscher mit (im klinischen Sinne) psychotischen Zügen. Nero, der große Feind der frühen Christen. Nero, der Rom anzünden ließ und über die Flammen sentimentale Gedichte schrieb.
Aus heutiger Sicht gelten die Quellen Stienkiewicz', die "Annalen“ des Tacitus und die Kaiserbiographien Suetons, vor allem hinsichtlich der Schilderungen des Kaisers Nero als parteiisch und unzuverlässig.
Heute gilt als gesichert, dass Nero nicht Urheber des großen Brandes Roms war, ob er ein Christenverfolger war, ist sehr umstritten. Die Christenverfolgung unter Nero war auf Rom beschränkt - wenn sie überhaupt mehr war als eine Reihe von Lynchmorde gegen "menschenfeindliche Weltuntergangs-Sektierer", als die die frühen Christen vielen Römern galten. Stienkiewicz überschätzte die gesellschaftliche Bedeutung des frühen Christentums. Er nimmt die altkirchliche Legende, nach der die Paulus und Petrus unter Nero in Rom hingerichtet worden sind, ernst, obwohl Paulus nach einem längeren förmlichen Prozess und Petrus zu einem späteren Zeitpunkt hingerichtet wurde. Abgesehen davon waren Petrus und Paulus eher Rivalen als Freunde.
Henryk Sienkewicz war ein erzkatholischer polnischer Nationalist - und das merkt man seinem Roman auch an.

Der Film - und warum er "doof" ist
Der Film ist von der Handlung her einigermaßen werkgetreu - einigermaßen. Die größte Freiheit gegenüber dem Roman ist, dass Nero am Ende des Filmes stirbt. Im Roman wie in der historischen Wirklichkeit beging er erst vier Jahre nach den gezeigten Ereignissen Selbstmord. Der Film vergröbert das holzschnittartige "Gut-Böse"-Schema des Buches noch weiter: grundsätzlich alle Christen, denen man habhaft werden konnten, werden eingesperrt und hingerichtet, auch Aulus Plautius, der immerhin Senator war und als römischer Bürger unbedingt das Recht auf einen fairen Prozess gehabt hätte. Im Roman von Sienkiewicz wird, anders als im Film, abgesehen von einigen Protagonisten, nicht deutlich gesagt, wer zu den Christen gehört und wer nicht.
Die Zeitspanne, in der der Film spielt, wirkt stark komprimiert. Man bekommt beim Ansehen des Films den Eindruck, dass sich alle Geschehnisse innerhalb einiger Wochen, allenfalls Monate, abspielen. In Wirklichkeit vergingen vom Zeitpunkt des Britannienfeldzuges (61 u. Z.) bis zum Brand Roms drei Jahre - bis zum Tod Neros sogar sieben Jahre.
Störender als die zahlreichen kleinen und großen historischen Fehler des Films ist der selbst für Hollywood-Produktionen der 50er Jahre großzügig aufgetragenen Kitsch. In einigen Dialogszenen ist das Pathos geradezu unerträglich, einige gewollt bedeutungsschwere Worte fällen in Situationen, in denen selbst fromme Christen allenfalls noch "gottverdammt nochmal" sagen würden.
Eine weitere Quelle unfreiwilliger Komik ist durch den "Movie Production Code" verordnete außerordentliche Prüderie, mit der ein dekadentes und ausschweifendes Rom dargestellt werden musste. Es ist schon ein hartes Stück Regiearbeit, eine Orgie zu veranschaulichen, wenn nicht einmal ein Bauchnabel entblößt werden darf. Das "gewagte" Kostüm der Poppaea entspricht vielleicht auch deshalb eher der Mode des Jahres 1952 als der des Jahres 64. Seltsam unwirklich wirken die Bauten - was weniger den Unzulänglichkeiten des damaligen Kulissenbaus, als der fixen Idee, dass das alte Rom eine Stadt aus sauberem weißem Marmor gewesen wäre, geschuldet ist.
Quo Vadis
Es stimmt sicherlich, dass Kitsch, hohles Pathos und freizügiger Umgang mit historischen Tatsachen nun mal zum Antikenfilm gehören wie Säulen und Sandalen. "Quo Vadis" hinterlässt aber auch wegen seiner moralischen Botschaft einen unangenehmen Nachgeschmack. Zu den Bildern der durch die Straßen Rom paradierender Legionäre heißt es einführend aus dem "Off": "Das kaiserliche Rom ist der Mittelpunkt des Imperiums, ist unumstrittene Herrin der Welt. Aber mit dieser Machtfülle kommt unausweichlich die Korruption".
Das Rom Neros wirkt wie eine totalitäre Diktatur, getragen von einer Pyramide aus Gewalt und Korruption, aus menschlichem Elend und Sklaverei. Nur der humanitären Idee des Christentums könne es gelingen, dieses System in seinen Grundfesten zu erschüttern.

Dass nur sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Parallelen vom Film-Rom zu Nazideutschland beabsichtigt sind, ist anzunehmen. Ursprünglich hatte MGM als Regisseur John Huston vorgesehen. Huston hatte die Absicht Nero als eine Art antiken Hitler darzustellen und sein Vorgehen gegen die Christen mit der Judenverfolgung im 3.Reich zu vergleichen. Auch wenn letztes Endes Mervyn LeRoy Regie führte und die allzu platte Parabel fallen gelassen wurde, sind einige Einstellung unverkennbar von Nazi-Wochenschauen inspiriert. Aber vieles, was an diesem Film äußerlich "faschistisch" anmutet, ist es eigentlich nicht, denn die italienischen Faschisten und nach ihrem Vorbild auch die Nazis plünderten gern den Fundus der römischen Antike, angefangen beim Gruß (zackiges Heben des rechten Armes). (Dass Nero den strammen Gruß seiner Truppen höchst lässig mit krummem Arm erwiderte, war allerdings ein Einfall des Schauspielers Peter Ustinov, weil eine imitierte Hitler-Gestik in diesem Moment einfach passte - nicht nur als Anspielung, sondern auch als komisches Moment - in Falle Hitler ungewollt komisch. In den meisten Szenen vermied Ustinov aus gutem Grund die Hitler-Imitation.)
"Quo Vadis" zeichnet aber auch deshalb das Bild eines allmächtigen und willkürlichen Staates, um das Christentum als Idee zu präsentieren, die das "Unmögliche" schaffen kann. Das Kreuz, heißt es im Film, werde die römischen Adler auf den Standarten ersetzen. Nun ist es reine Legende, dass Konstantins "Bekenntnis zum Christentum" den Charakter des Römischen Reiches als Machtstaat grundlegend geändert hätte - was sich wirklich bei der "Konstantinischen Wende" wendete, war das Christentum: weg vom Pazifismus und dem Gleichheitsgedanken des Frühchristentum, hin zum Segnen von Waffen, zur intoleranten "Staatskirche" und sogar zur Rechtfertigung von Sklaverei.
Wie auch immer: Wegen des scharf gezeichneten "Gut-Böse" Schemas des Filmes und der plakative Botschaft vom stets siegreichen Christentum wirkt "Quo Vadis?" wie ein mit reichlich Zuckerguß versehener Propagandafilm: Der "wahre Glaube" setzt sich gegen alle Verfolgungen des heidnischen Unrechtsregimes durch. Am Ende steht die Bekehrung.
Wegen der Kombination aus Sentimentalität, hohlem Pathos und grob gestrickter Religionspropaganda ist "Quo Vadis?", wenn man mich fragt, ein richtig "doofer" Film.

Warum ist "Quo Vadis" aber dennoch "gut"?
Der Film ist aus einem einzigen Grund "gut-doof" statt einfach nur "doof": Peter Ustinov als Nero.
Ustinov machte das schauspielerisch Beste, was sich aus der Rolle des als verrückten, skrupellosen und dekadenten Herrschers angelegten Neros machen ließ. Er überzeichnete seinen Nero zur Karikatur, und schaffte es dabei, dass selbst so bizarre Drehbucheinfälle wie die Tränenvase nicht albern wirken. Ustinovs Nero ist die überzeugende Darstellung eines Mächtigen, der den Kontakt zur Wirklichkeit und jede Fähigkeit, Kritik zu ertragen, längst verloren hat, in einer größenwahnsinnigen Traumwelt lebt, aber nach wie vor über uneingeschränkte Macht verfügt, und vor dem fast alle, auch wider bessere Wissens, kuschen und stiefellecken. Die Szene, in der er als völlig "durchgeknallter" Kaiser das brennende Rom besingt, ist zwar historisch falsch - aber auch eine der besten Karikaturen des menschenverachtenden Herrschers. Auch wenn Nero ebenso wenig das brennende Rom besang, wie Hitler mit der Weltkugel Ball spielte wie Chaplin in "Der große Diktator", wird in beiden Fällen deutlich, wie autoritäre Persönlichkeiten im Machtrausch "ticken": in ihrer Regression nehmen sie geradezu kleinkindhafte Charakterzüge an.
Ustinov meinte später, auf seine Rolle in "Quo Vadis" angesprochen, dass es das große Problem mit den Politikern sei, dass sie nicht zweifelten - und wer keine Zweifel hätte, schlicht verrückt sei. In seiner Rolle als "Nero" machte er diese normalerweise verborgene Verrückheit des keine Zweifel kennenden Politikers sichtbar.
Von den weiteren Akteuren bleibt eigentlich nur Leo Genn als Petronius in halbwegs guter Erinnerung, während selbst anerkannte Schauspieler wie Robert Taylor, Deborah Kerr und andere weit hinter ihren darstellerischen Fähigkeiten blieben und hölzern pathetische und langatmige Dialoge aufsagten, also dramaturgisch sinnlos verschlissen wurden.

Für Peter Ustinov markierte die Rolle des Nero den Beginn einer glanzvollen internationalen Karriere. Dabei hatte MGM trotz überzeugender Probeaufnahmen lange gezögert, ihm den Part zu geben. Doch das Argument, er sei zu jung, widerlegte Ustinov intelligent und geistreich mit dem historischen Faktum: "Wenn Sie noch länger warten, bin ich zu alt." Ustinov war zu Beginn der Dreharbeiten 30, der echte Nero starb mit 31 Jahren.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 6730 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren