Mittwoch, 21. Mai 2008

Antifaschistische Gedanken, angeregt von einem Wikingerschiff

Vor gut fünf Monaten schrieb ich am Ende meines Blog-Beitrags: Ich bin nun stolzer Besitzer eines Wikingerschiffs:
Mehr zu meinem Wikingerschiff, wenn das Modell fertiggestellt ist. Womit ich es nicht eilig habe, denn als "Malvorlage" taugt es schon im halbfertigen Zustand.
wikingerschiff-02

Ich löse dieses Versprechen hiermit ein. Allerdings soll hier nicht vom Bau meines Modells die Rede sein - wen das interessiert, den Verweise ich auf meinen ipernity-Account Wikingerschiff, wo auch einige Fotos mit Erläuterungen zu finden sind.

An und für sich sollten die Wikinger und das, was mit ihnen zusammenhängt, unproblematisch sein. Es gibt zahlreiche Wikingermärkte. Fernseh-Dokumentationen und neuere populäre Sachbücher stellen sowohl das Klischee vom plündernden Barbaren wie das Klischee von den freudig in den Tod gehenden stahlharten "Edelkriegern" richtig. "Wikingerschiffe" von Playmobil oder Lego finden sich in zahllosen Kinderzimmern. "Hägar der Schreckliche" und der gar nicht schreckliche schlaue Wikingerjunge "Wickie" und der klassische, kein Klischee auslassende, Monumentalfilm "Die Wikinger" (mit dem herrlich pathetischen Kirk Douglas in der Hauptrolle) bestimmen das popkulturelle Image der Wikinger weitaus mehr als der düstere Wikingerkult der Nazis.

Sollte man meinen. Allerdings hindert das die modernen Nacheiferer der alten Nazis nicht daran, sich gern und im großen Umfang der Wikingersymbolik zu bedienen: Wikinger sind so schön "nordisch", "reinrassige Nordgermanen", herrlich barbarisch, verkörpern "Opferbereitschaft" und "Faustrecht" und waren angeblich so, wie Nazischläger gerne wären. Tatsächlich beziehen sich manche Neonazis positiv auf das (negativ gemeinte) Klischee von den saufenden und raufenden barbarischen Plünderern und kombinieren es mit dem hochglanzpoliertem "Edelkriegerklischee" und den "Wagneropergermanen" der alten Nazis. Gern wird in diesen Kreisen die Heldenfigur "Wikinger" mit einer rassistischen Komponente angereichert, die den historischen Wikingern völlig fremd gewesen sein dürfte. Dass das hinten und vorne nicht zusammenpasst und mit der historischen Realität etwa so viel zu tun hat wie "Conan der Barbar" scheint den Neonazi der Normalausführung nicht zu stören. (Es gibt allerdings auch Neonazis und vor allem "Neurechte", deren Wikingerbild nicht so grob zusammengezimmert ist - ihre genaue Kenntnis der historischen Gegebenheiten hindert sie nicht daran, einer braunen Weltanschauung anzuhängen.)
Aber auch für den kühl kalkulierenden rechtsextremen Polit-Strategen ist die Wikingersymbolik für Propagandazwecke schlechthin ideal. Sie erlaubt es einerseits an die populäre internationale Ästhetik von Fantasy- und Abenteuer-Comics, -Filmen, -Computerspielen und -Buchcovern anzuknüpfen, dabei aber zugleich auch "traditionsbewußt", "germanisch", "ahnenstolz" und "völkisch" zu sein. Man kann mit Wikingersymbolik bequem im kulturellen Mainstream mitschwimmen und trotzdem "bei Bedarf" sehr provokativ wirken. Der Slogan "Odin statt Jesus" ist rechtsaußen nicht etwa so beliebt, weil es dort so schrecklich viele Neuheiden gäbe, sondern weil er zuverlässig provoziert, zudem gut in ein Weltbild passt, in dem alles Üble "irgendwie" jüdisch und alles "Jüdische" (einschließlich Christentum) irgendwie übel ist - und der dennoch nicht verboten werden kann.

Einer der Gründe, weshalb es den Braunhäutige hassenden inwändig Braunen so leicht fällt, die Wikingersymbolik für sich "kulturell zu besetzen" ist meines Erachtens in der Art der "Auseinandersetzung mit Neonazis" zu suchen, wie sie die meisten Massenmedien hierzulande praktizieren. (Siehe: "Noch ein" Internetprojekt "gegen Nazis".)
Die (fast immer falsche) Grundannahme ist, dass Nazis "vom Rand der Gesellschaft" stammen, Aussenseiter seien und folglich erfolgreich ausgegrenzt werden könnten. Die Misserfolge der Anti-Nazi-Programme sind nicht zuletzt auf diese falsche Prämisse zurückzuführen. Hier sei nur kurz erwähnt, dass der Radikalismus alten wie der neuen Nazis ein "Radikalismus der Mitte" ist, der populäre Vorurteile, Klischees, Ideologiebruchstücke, Ängste, Sündenböcke und "Patentlösungen" konsequent bis zum Äußersten treibt. Aber diese Möglichkeiten - "Nazis kommen aus der Mitte der Gesellschaft" bzw. "Nazidenke beruht auf Mainstream-Denke" - sind unangenehm - und ziehen unangenehme Fragen wie z. B. die nach der deutschen Einwanderungspolitik, der "Festung Europa" und der Asylpraxis nach sich - in weiterer Konsequenz auch Fragen nach bürgerrechtsfeindlicher Gesetzgebung und Abbau demokratischer Rechte und nach autoritären Strukturen.
Wenn man aber "die Nazis" fälschlicherweise bizarren Subkulturen zuordnet, sich andererseits vor Nazis ängstigt, dann rücken die Merkmale, an der man die Angehörigen dieser Subkulturen identifizieren kann, stärker in den Vordergrund, als es von der Sache her angebracht wäre. Aus diesem Denken erklärt sich z. B. die lange Zeit vorherrschende Tendenz, Skinheads pauschal "ins rechte Eck" zu stellen.
Zuverlässig erkennt man einen Nazi dann, wen er den Mund aufmacht und über Politik spricht. Wenn ich besorgten Eltern, die fürchten, ihre Kinder würden "im braunen Sumpf" stecken, einen Tipp geben kann, denn den, sich mal mit ihren Sprösslingen ganz locker und ohne schnelle Vorwürfe und bohrende Fragen über Politik, Zeitgeschichte und Demokratieverständnis zu unterhalten. Das klappt allerdings nur dann, wenn die Eltern nicht, wie so oft, viele der tendenziell rassistischen, nationalistischen, völkischen, autoritären usw. Ansichten teilen - und überhaupt die Bereitschaft vorhanden ist, sich ganz ruhig mit den eigenen Teenager-Kindern über heikle Themen zu unterhalten.

Da ist es doch einfacher und bequemer, nach T-Shirts mit Runen und Wikingermotiven Ausschau zu halten. Das selbe Prinzip, nach dem Eltern "prüfen" können, ob ihre Kinder etwa in die Fänge einer Sekte geraten sind oder Drogen nehmen würden - Prinzip "heimliche Überwachung". Aber da selbst Bundesminister so denken, oder auch Arbeitgeber, ist es nicht erstaunlich, dass die Suche nach "verdächtigen Gegenständen" und "auffälligen Verhaltensweisen" auch bei Eltern und Erziehern populär ist.

Bemerkung zum Schiffsmodell: Als ich diesen Bausatz kaufte, da machte der Verkäufer mir gegenüber den schlechten Scherz: "Aber nur gegen Ariernachweis". Inzwischen bin ich mir sicher, dass es wirklich nur ein gar nicht witziger Witz war.
Was mir aber auffiel, war, dass Kunden, die sich z. B. für Bausätze für Modelle von deutschen Panzern aus dem 2. Weltkrieg interessierten, nicht mit ähnlichen Witzeleien bedacht wurden.

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