"Noch ein" Internetprojekt "gegen Nazis"

Die meisten werden es schon mitbekommen haben: es gibt (wieder mal) ein neues Internetprojekt gegen unsere inwändig braunen "Freunde", dieses Mal von der "Zeit": netz-gegen-nazis.com

Burkhard Schröder (ja, schon wieder der) stellt dazu in der "Jungle World" einiges klar und einige notwendige Fragen:
Wer über und »gegen Rechts« etwas publiziert, kann nicht einfach alle vorhandenen Meinungen unkommentiert aneinanderreihen und wie einen Gemischtwarenladen aufbereiten. Das genau macht netz-gegen-nazis.com. Fragen, die den politischen Mainstream irritieren könnten, werden weggelassen: Sind die deutsche Einwanderungspolitik, die Abschottung der »Festung Europa« und das über Jahrzehnte völkische Staats­bürgerschaftsrecht die Basis für rassistische Vorurteile und den unsäglichen Diskurs über »Ausländer« und »Ausländerfeindlichkeit«? Ist die Praxis der Asylgesetzgebung menschenverachtend, und hat sie ähnlich viele Menschenleben gekostet wie rassistische Angriffe von Neonazis? Wie viele anerkannte nationale Minderheiten gibt es in Deutschland – und was ist eine Nation? Warum haben die bisherigen Internet-Projekte »gegen Rechts« keinen messbaren politischen Erfolg, sind sie gar gescheitert?
Den ganzen Text gibt es hier: Nutzlos gegen Rechts - lesenswert!

Ich habe auch so meinen Erfahrungen mit Websites "Gegen Rechts" und diversen Aufklärungsbroschüren. Nicht alle sind erfreulich. Ein beinahe durchgängiges Merkmal ist, dass sie der Symbolik viel Raum geben. Damit meine ich nicht die tabellarischen Übersichten über von Rechtsextremisten verwendete Symbole und Codes - auch wenn auch hier manches fragwürdig ist. Sondern den Hang zu symbolischen Handlungen, zum "Zeichen setzen", zu Lichterketten und zu sicher ehrlichen, aber im Grunde nichtssagenden persönlichen Bekenntnissen - und allzu oft zu politisch sinnlosen Verbotsforderungen.

Manchmal gehen Symbole und symbolische Handlungen Hand in Hand -und an der Realität am "rechten Rand" meilenweit vorbei.
Zur Erläuterung mal ein Ausschnitt aus einem Interview, dass Annika Eckel von der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus" Welt Online gab: Wie Nazis sich schick machen. (Der Fairness halber sei gesagt: Vieles, was Frau Eckel in diesem Interview anspricht, ist im Sinne der Aufklärung über "pseudo-linke" Neo-Nazi-Dresscodes nützlich und richtig.)
Im zitierte Absatz geht es übrigens um die Modemarke "Thor Steinar":
Eckel: Auf Pullis sind etwa Runen oder Wikingerschiffe abgebildet. Die Marke spielt aber auch direkt auf nationalsozialistische Symbolwelten an. Es wird etwa eine Kollektion namens Nordmark verkauft. Das war der Name eines SS-Arbeitserziehungslagers in der Nähe von Kiel. Es gibt T-Shirts mit dem Aufdruck "Heia Safari", dem Marschlied des deutschen Afrikacorps während des Zweiten Weltkriegs. Thor Steinar produziert auch Mützen und T-Shirts, auf denen "Ultima Thule" steht. Das ist der Name einer rechtsextremen Band, spielt aber auch auf den Untergang eines nordischen Reiches an. Dem Mythos zufolge sind die Überlebenden die Gründer der germanischen Rasse.
Ungeachtet dessen, dass ich wegen der zynischen Geschäftsidee und den mutmaßlichen Verbindungen zwischen "Thor Steinar" / Mediatex und der rechtsextremen Szene vom Kauf dieser nicht ganz billigen Klamotten abrate: Frau Eckel geht (tatsächlicher oder vermuteter) BÖSER Symbolik auf TS-Textilien nach; wobei ihre Interpretationen wie selbstverständlich davon ausgehen, dass diese Symbole nur den "Eingeweihten" verständliche "Nazi-Codes" seien.
Mal im Detail: Trotz des Faibles mancher Nazis für alles "Nordische" sind Runen an sich keine Nazissymbole, Wikingerschiffe erst recht nicht. Dass "Nordmark" auch der Name eines Arbeitserziehungslagers bei Kiel war, dürfte den meisten heutigen Nazis unbekannt sein, für den Symbolwert ist es außerdem unerheblich. Wenn ein moderner Nazi darauf anspringt, dann, weil der Begriff "Nordmark" zwar keine Nazi-Wortschöpfung ist, aber dem "typischen" Nazi-Jargon entspricht. "Heia Safari" wurde bestimmt auch im Afrika-Corps gesungen, stammt aber aus der deutschen Kolonialzeit. Der Begriff selbst wird noch heute gern in der Afrika-Touristik verwendet. (Als erheblich zynischer empfinde ich übrigens ein "TS"-Shirt mit der Aufschrift "Südseekreuzfahrt" und einer Graphik mit einen Schiff hinter Palmen. Beim näheren Hinsehen entpuppt sich das Schiff als waffenstarrender Kreuzer der Kaiserlich Deutschen Marine.) "Ultima Thule" ist u. A. der Name einer schwedischen Vikingrock-Band, die zwar wegen ihrer (ehemaligen) Geschäftsbeziehungen zu Bert Karlsson, einem rechtsgerichteten Politiker und Eigentümer eines Musiklabels vielen schwedischen Antifaschisten suspekt ist, aber von den Texten und der Symbolik her nicht als "Neonazi-Band" bezeichnet werden kann. "Ultima Thule" , das "äußerste Thule", ist eine Allegorie für den "hohen Norden", ein Bezug zur rechtsextremen "Thule-Gesellschaft" oder dem "neurechten" "Thule-Seminar" ist keineswegs zwingend. Auf den "Untergang eines nordischen Reiches" spielt es es nicht an.

Alles in allem taugen Runen, Wikingerschiff, "Heia Safari" oder "Ultima-Thule" noch nicht einmal als Indizien für eine "rechtsextreme Gesinnung". ("Nordmark" eventuell schon, aber aus anderem Grunde als dem, den Frau Eckel nennt.)

Ach, noch etwas:
WELT ONLINE: Auf einer Protestversammlung gegen den Thor-Steinar-Laden in Mitte kam der Vorschlag auf, es den Rechten nachzumachen. Normale Leute sollten einfach Nazi-Kleider kaufen, dann machten die Symbole keinen Sinn mehr. Was halten Sie davon?

Eckel: Das hilft leider nicht. Man muss unbedingt verhindern, dass so ein Laden wie Tønsberg Teil des Mainstreams wird. Also die Anwohner haben Recht mit ihrem Aufruf: "Keine Geschäfte mit Nazis".
Die Nazi-Kultur ist "Teil des Mainstreams" und zwar von Anfang an, oder wir Burks es ausdrückt: Neonazis sind ein Symptom für den Zustand der gesellschaftlichen Mitte, mehr nicht. Trotzdem ist die Aktion der Anwohner sehr zu begrüßen, weil sie sich "realweltlich" und nicht nur "symbolisch" gegen Nazis richtet.
Von der Idee, Klamotten eines "Nazilabels" zu kaufen, halte ich wenig, sehr viel aber davon, Symbole nicht einfach "den Nazis" zu überlassen.

Nachtrag: Auf diesen "Tipp gegen Tricks" vom mdr hat mich ein Freund aufmerksam gemacht (danke Klaus!):
Wikinger und Runen
Im Gegensatz dazu dürften T-Shirts mit Wikingern oder Runen ein relativ sicheres Zeichen für Sympathien mit rechtem Gedankengut darstellen. Diese T-Shirts sind nicht einfach im Laden erhältlich. Man muss sie bei Versandfirmen bestellen, die nicht im Telefonbuch stehen, sondern ihre Werbung in Zeitschriften der rechten Szene schalten, ihre Produkte einzig im Internet anbieten oder die Kleidung auf Konzerten verkaufen.
Mein Kind im braunen Sumpf…was tun???
Wirr-Licht - 21. Mai, 09:07

skepsis

ja, wieder eine aktion gegen rechts. und aller wahrscheinlichkeit wird sie wieder nicht zu feststellbaren resultaten führen, sondern ist nur gewissensberuhigung für die, die ohnehin in ihren köpfen andere farben als kackbraun tragen.

schade finde ich, das, wie so oft, das "heidentum", esoterik et cetera in die nähe der braunen socken gerückt wird, aber von der pseudowissenschaftlichen sicht (darwin, eugenik....) oder gar von christlichem nationalismus (einige freikirchen, bspw, oder auch historisch die deutschchristen) kaum die rede ist.

naja, brennende kreuze findet man halt selten, hierzuland. doch, sagen wir, eine gewisse feindlichkeit gegenüber z.B. "moscheenbau" ist auch aus dem lager des gekreuzigten zu hören.

postscriptum: ich hab nix gegen christen! finde die ausrichtung der ZEIT in dieser beziehung aber einseitig.

MMarheinecke - 21. Mai, 10:15

Du hast recht, bis auf eine Kleinigkeit

denn der gute Charles Darwin war kein Pseudowissenschaftler und der "Darwinismus" (besser: die darwinsche Evolutionstheorie) weit davon entfernt, pseudowissenschaftlich zu sein. Mir ist schon klar, dass Du wahrscheinlich den Sozialdarwinismus meinst, oder "Rassentheorien", die sich auf die Lehren Darwins berufen.
Und so leid es mir manchmal tut: auch unter weltanschaulich stramm "braunen" Biologen gab und gibt es gute Wissenschaftler.
Selbst Eugenik ist an und für sich keine Pseudowissenschaft. Aber das führt vielleicht zu weit.
Die Kleinigkeit, die mich stört, heißt "Pauschalisierung". Es gibt leider Nazi-Heiden, Nazi-Esoteriker, aber nur eine Minderheit unter Heiden und Esoteriker sind Nazis. Die Rolle, die Pseudowissenschaft, aber leider auch (entsprechend zurechtinterpretierte) "echte" Wissenschaft für rechtsextreme Ideologie spielt, ist nicht zu unterschätzen - aber es ist schlichte Ideologie, wenn z. B. gläubige Christen mit spitzem Finger auf die bösen Darwinisten zeigen und ihnen "Ausschwitz" anlasten.

Bei "brennenden Kreuzen" mußte ich übrigens sofort an den Ku Klux Klan denken - rechtsextreme Rassisten, die zugleich "fromme Christen" sind.
Wirr-Licht - 21. Mai, 11:12

völlig richtig

evolutionstheorie et cetera sind keine pseudowissenschaften -

ich meinte die "braune uminterpretation" des wissenschaftlichen konzepts. ich meine die fatal amoralischen folgerungen, welche aus wissenschaftlich korrekten thesen gezogen werden.

beispielsweise sozialdarwinismus, welcher (unter anderem) nicht berücksichtigt, das eine der stärken der menschheit halt eben kooperation, und nicht konkurrenz ist. was zum überleben des kooperierenden, und nicht des kämpfenden führt.

und werner von braun war ein klasse wissenschaftler, dennoch ein "mittäter", im besten falle, bspw.

die anspielung auf den klan war schon so gemeint, wie sie verstanden wurde. ich mag nicht jedesmal die judenverfolgung durch die deutschordensritter als beispielgreuel verwenden. ist ja auch schon lange her.
Björn (Gast) - 21. Mai, 10:18

Im Gegensatz dazu dürften T-Shirts mit Wikingern oder Runen ein relativ sicheres Zeichen für Sympathien mit rechtem Gedankengut darstellen. Diese T-Shirts sind nicht einfach im Laden erhältlich.

Und die Frühindoktrination rechter Gruppen schlägt sich dann in solchen T-Shirt-Motiven nieder.

MMarheinecke - 21. Mai, 10:43

*lol* konsequent zuende gedacht, läuft der mdr-Tipp wirklich darauf hinaus.
Magda - 22. Mai, 21:22

Sehr hilfreiche Überlegungen

Das sind sehr interessante Überlegung, die beängstigend einleuchten. Ich beschäftige mich - aus verschiedenen Gründen - mit den neonazistischen Umtrieben und den rechtsradikalen Schlägern in Ostdeutschland. Ich komme selbst aus Ostberlin. Natürlich, ist es wichtig und dringend, dagegen vorzugehen, aber andererseits habe ich andauernd das Gefühl, als habe die Skandalisierung dieser Vorfälle und die Fokussierung der Medien darauf auch die Funktion, abzulenken von Strukturen und Denkweisen, die in der Mitte der Gesellschaft vorhanden sind. Damit will ich die Probleme und die Gewalt nicht negieren, aber mir ist andauernd unbehaglich aus Gründen, die in Deinem Beitrag eine Rolle spielen. Es "beruhigt" mich irgendwie, dass diese Debatte doch breit geführt wird.
Magda

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