Dienstag, 20. Mai 2008

"Noch ein" Internetprojekt "gegen Nazis"

Die meisten werden es schon mitbekommen haben: es gibt (wieder mal) ein neues Internetprojekt gegen unsere inwändig braunen "Freunde", dieses Mal von der "Zeit": netz-gegen-nazis.com

Burkhard Schröder (ja, schon wieder der) stellt dazu in der "Jungle World" einiges klar und einige notwendige Fragen:
Wer über und »gegen Rechts« etwas publiziert, kann nicht einfach alle vorhandenen Meinungen unkommentiert aneinanderreihen und wie einen Gemischtwarenladen aufbereiten. Das genau macht netz-gegen-nazis.com. Fragen, die den politischen Mainstream irritieren könnten, werden weggelassen: Sind die deutsche Einwanderungspolitik, die Abschottung der »Festung Europa« und das über Jahrzehnte völkische Staats­bürgerschaftsrecht die Basis für rassistische Vorurteile und den unsäglichen Diskurs über »Ausländer« und »Ausländerfeindlichkeit«? Ist die Praxis der Asylgesetzgebung menschenverachtend, und hat sie ähnlich viele Menschenleben gekostet wie rassistische Angriffe von Neonazis? Wie viele anerkannte nationale Minderheiten gibt es in Deutschland – und was ist eine Nation? Warum haben die bisherigen Internet-Projekte »gegen Rechts« keinen messbaren politischen Erfolg, sind sie gar gescheitert?
Den ganzen Text gibt es hier: Nutzlos gegen Rechts - lesenswert!

Ich habe auch so meinen Erfahrungen mit Websites "Gegen Rechts" und diversen Aufklärungsbroschüren. Nicht alle sind erfreulich. Ein beinahe durchgängiges Merkmal ist, dass sie der Symbolik viel Raum geben. Damit meine ich nicht die tabellarischen Übersichten über von Rechtsextremisten verwendete Symbole und Codes - auch wenn auch hier manches fragwürdig ist. Sondern den Hang zu symbolischen Handlungen, zum "Zeichen setzen", zu Lichterketten und zu sicher ehrlichen, aber im Grunde nichtssagenden persönlichen Bekenntnissen - und allzu oft zu politisch sinnlosen Verbotsforderungen.

Manchmal gehen Symbole und symbolische Handlungen Hand in Hand -und an der Realität am "rechten Rand" meilenweit vorbei.
Zur Erläuterung mal ein Ausschnitt aus einem Interview, dass Annika Eckel von der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus" Welt Online gab: Wie Nazis sich schick machen. (Der Fairness halber sei gesagt: Vieles, was Frau Eckel in diesem Interview anspricht, ist im Sinne der Aufklärung über "pseudo-linke" Neo-Nazi-Dresscodes nützlich und richtig.)
Im zitierte Absatz geht es übrigens um die Modemarke "Thor Steinar":
Eckel: Auf Pullis sind etwa Runen oder Wikingerschiffe abgebildet. Die Marke spielt aber auch direkt auf nationalsozialistische Symbolwelten an. Es wird etwa eine Kollektion namens Nordmark verkauft. Das war der Name eines SS-Arbeitserziehungslagers in der Nähe von Kiel. Es gibt T-Shirts mit dem Aufdruck "Heia Safari", dem Marschlied des deutschen Afrikacorps während des Zweiten Weltkriegs. Thor Steinar produziert auch Mützen und T-Shirts, auf denen "Ultima Thule" steht. Das ist der Name einer rechtsextremen Band, spielt aber auch auf den Untergang eines nordischen Reiches an. Dem Mythos zufolge sind die Überlebenden die Gründer der germanischen Rasse.
Ungeachtet dessen, dass ich wegen der zynischen Geschäftsidee und den mutmaßlichen Verbindungen zwischen "Thor Steinar" / Mediatex und der rechtsextremen Szene vom Kauf dieser nicht ganz billigen Klamotten abrate: Frau Eckel geht (tatsächlicher oder vermuteter) BÖSER Symbolik auf TS-Textilien nach; wobei ihre Interpretationen wie selbstverständlich davon ausgehen, dass diese Symbole nur den "Eingeweihten" verständliche "Nazi-Codes" seien.
Mal im Detail: Trotz des Faibles mancher Nazis für alles "Nordische" sind Runen an sich keine Nazissymbole, Wikingerschiffe erst recht nicht. Dass "Nordmark" auch der Name eines Arbeitserziehungslagers bei Kiel war, dürfte den meisten heutigen Nazis unbekannt sein, für den Symbolwert ist es außerdem unerheblich. Wenn ein moderner Nazi darauf anspringt, dann, weil der Begriff "Nordmark" zwar keine Nazi-Wortschöpfung ist, aber dem "typischen" Nazi-Jargon entspricht. "Heia Safari" wurde bestimmt auch im Afrika-Corps gesungen, stammt aber aus der deutschen Kolonialzeit. Der Begriff selbst wird noch heute gern in der Afrika-Touristik verwendet. (Als erheblich zynischer empfinde ich übrigens ein "TS"-Shirt mit der Aufschrift "Südseekreuzfahrt" und einer Graphik mit einen Schiff hinter Palmen. Beim näheren Hinsehen entpuppt sich das Schiff als waffenstarrender Kreuzer der Kaiserlich Deutschen Marine.) "Ultima Thule" ist u. A. der Name einer schwedischen Vikingrock-Band, die zwar wegen ihrer (ehemaligen) Geschäftsbeziehungen zu Bert Karlsson, einem rechtsgerichteten Politiker und Eigentümer eines Musiklabels vielen schwedischen Antifaschisten suspekt ist, aber von den Texten und der Symbolik her nicht als "Neonazi-Band" bezeichnet werden kann. "Ultima Thule" , das "äußerste Thule", ist eine Allegorie für den "hohen Norden", ein Bezug zur rechtsextremen "Thule-Gesellschaft" oder dem "neurechten" "Thule-Seminar" ist keineswegs zwingend. Auf den "Untergang eines nordischen Reiches" spielt es es nicht an.

Alles in allem taugen Runen, Wikingerschiff, "Heia Safari" oder "Ultima-Thule" noch nicht einmal als Indizien für eine "rechtsextreme Gesinnung". ("Nordmark" eventuell schon, aber aus anderem Grunde als dem, den Frau Eckel nennt.)

Ach, noch etwas:
WELT ONLINE: Auf einer Protestversammlung gegen den Thor-Steinar-Laden in Mitte kam der Vorschlag auf, es den Rechten nachzumachen. Normale Leute sollten einfach Nazi-Kleider kaufen, dann machten die Symbole keinen Sinn mehr. Was halten Sie davon?

Eckel: Das hilft leider nicht. Man muss unbedingt verhindern, dass so ein Laden wie Tønsberg Teil des Mainstreams wird. Also die Anwohner haben Recht mit ihrem Aufruf: "Keine Geschäfte mit Nazis".
Die Nazi-Kultur ist "Teil des Mainstreams" und zwar von Anfang an, oder wir Burks es ausdrückt: Neonazis sind ein Symptom für den Zustand der gesellschaftlichen Mitte, mehr nicht. Trotzdem ist die Aktion der Anwohner sehr zu begrüßen, weil sie sich "realweltlich" und nicht nur "symbolisch" gegen Nazis richtet.
Von der Idee, Klamotten eines "Nazilabels" zu kaufen, halte ich wenig, sehr viel aber davon, Symbole nicht einfach "den Nazis" zu überlassen.

Nachtrag: Auf diesen "Tipp gegen Tricks" vom mdr hat mich ein Freund aufmerksam gemacht (danke Klaus!):
Wikinger und Runen
Im Gegensatz dazu dürften T-Shirts mit Wikingern oder Runen ein relativ sicheres Zeichen für Sympathien mit rechtem Gedankengut darstellen. Diese T-Shirts sind nicht einfach im Laden erhältlich. Man muss sie bei Versandfirmen bestellen, die nicht im Telefonbuch stehen, sondern ihre Werbung in Zeitschriften der rechten Szene schalten, ihre Produkte einzig im Internet anbieten oder die Kleidung auf Konzerten verkaufen.
Mein Kind im braunen Sumpf…was tun???

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