Freitag, 18. April 2008

Warum mir "Tierrechte" suspekt sind

Obwohl ich mich dem Motto: "Die Frage ist nicht: können sie denken? oder: können sie sprechen? sondern: können sie leiden?" des Vereins "Menschen für Tierrechte" anschließen kann, gilt das sicher nicht für das Konzept "Tierrechte".

Ich schrieb vor gut zwei Jahren über Tierschutz und Tierrechte und die Organisation PeTA:
Um mögliche Missverständnisse zu vermeiden: Engagement für mehr Tierschutz ist bitter notwendig. Nach wie vor bestehen (grade in der deutschen Landwirtschaft) Tierhaltungsmethoden, die jeder Moral und jedem Mitgefühl Hohn sprechen. Engagement für die Erhaltung wildlebender Tiere und ihrer Lebensräume ist auch kein sentimentales Hobby, sondern Kernbestandteil des Umweltschutzes.
PETA geht es nach eigenen Angaben nicht um Tierschutz, sondern um Tierrechte. Womit nicht etwa das "Recht" auf nicht-quälerische Haltung gemeint ist. ("Recht" in Anführung, da Tiere keine Rechtssubjekte sind. Auch wenn meine Katze gerne auf "ihre Rechte" pocht.) PETA-Sprecher verkünden eine fragwürdige Ideologie, die Menschen und Tieren gleiche Rechte zubilligt. "Es gibt keinen Grund zu glauben, dass ein menschliches Wesen besondere Rechte hat," erklärte PETA-Gründerin und Vorsitzende Ingrid Newkirk. Von ihr stammt die Aussage: "Die Menschheit ist wie ein Krebsgeschwür gewachsen. Wir sind der größte Pesthauch auf diesem Planeten." Meiner Ansicht nach zeugt das mehr von Menschenhass als von Tierliebe.
Dieser Einschätzung bin ich treu geblieben - auch wenn ich heute den Link auf die "Achse des Guten" nicht mehr so leichthin setzen würde und meine Katze nicht mehr lebt. (Ich habe sie töten lassen, als sie an einem offensichtlich schmerzhaften und auf Antibiotika nicht ansprechendem schweren Abszess litt. Wohl gemerkt, ich vermeide den Euphemismus "einschläfern lassen". Als mein Bruder und ich sie im Wald beerdigt hatten, meinte mein Bruder, dass wir aller Wahrscheinlichkeit nach kein so schönes und würdevolles Grab erhalten würden. Ein seltsamer und paradoxer Gedanke.)

Nun ist "Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V." nicht PeTA und von der Überspanntheit, dem Fanatismus und der Heuchelei, den diese Organisation meiner Ansicht nach auszeichnet, offensichtlich ein gutes Stück weit entfernt.
Dennoch ist mir nicht ganz wohl bei dem Gedanken, welche Konsequenzen die "Tierrechts"-Ideologie hätte, würde sie jemals in die Tat umgesetzt. Das hat zum Teil ganz lebenspraktische Gründe: ich weiß, dass wichtige Gebiete der medizinischen Forschung auf Tierversuche angewiesen sind. Und obwohl ich weiß, dass um ein Kilogramm Fleisch zu produzieren, rechnerisch sieben Kilo Getreide benötigt werden, halte ich von einer veganen Lebensweise, die auch von "Menschen für Tierrechte" propagiert wird, nichts. Denn diese Betrachtung unterstellt, dass das Tierfutter alternativ für die menschliche Ernährung hätte genutzt werden können, was auf Getreide oder Soja zutrifft, nicht jedoch z. B. auf Gras.

Jeremy Bentham, von dem das Motto: "Die Frage ist nicht: können sie denken? oder: können sie sprechen? sondern: können sie leiden?" stammt, und der als einer der frühesten Tierrechtler gilt, ist meiner Ansicht nach ein Musterbeispiel dafür, wie "Aufklärung" tatsächlich dialektisch in "Barbarei" umkippen kann. (Frei nach "Horkdorno".) Jedenfalls denkt man bei seinem Namen heute weniger an Tierrechte, auch nicht an die Menschenrechte, deren unermüdlicher Anwalt er zeitlebens war, sondern an das Konzept des Panopticons. Dieses Gefängnis, in dem im Prinzip jeder Gefangene zu jeder Zeit unbemerkt beobachtet werden könnte, war von Bentham als Schritt zur Humanisierung des Strafvollzuges gedacht. Er hoffte, dass sich zu jeder Zeit alle Insassen regelkonform verhalten würden, da sie jederzeit davon ausgehen müssten, beobachtet zu werden. Das Verlockende am Panopticon ist, dass es zu einer massiven Kostensenkung im Gefängnis- und Fabrikwesen führt, denn das Verhältnis zwischen effektiv geleisteter Überwachungsarbeit und erzeugter Angst, beobachtet zu werden, ist sehr effizient. Auch für von Ängsten gebeutelte Sicherheitsexperten und Innenpolitiker stellt das Prinzip "tugendhaftes Verhalten und totale Sicherheit durch permanente Angst, bei Regelverstoß erwischt zu werden" eine "süße Droge" dar, die sie alle Menschen- und Bürgerrechte missachten lässt.

Dem klassischen Utililtarismus Benthams und seines wichtigsten Schülers, John Stuart Mill, liegt eine Ethik zugrunde, die allzu leicht ins "barbarische" umkippen kann: das "Prinzip des größten Glücks“ ("Maximum-Happiness-Principle"), vor allem in seine mathematisierten Form: Um zu beurteilen, ob eine Handlung Leid oder Glück nach sich zieht, wird sozusagen alles entstehende Einzelglück addiert, und davon das entstehende Einzelleid abgezogen, der Saldo ergibt den Gesamtnutzen der Handlung. Das Glück und Leid jedes Menschen besitzt gemäß dieser Ethik das gleiche Gewicht - was regelmäßig zu ethisch-logischen Kurzschlüssen wie: "das Leben eines Einzelnen hat gegenüber dem Leben der Vielen kein Gewicht" führt. Kein Wunder, dass massenmordende Diktatoren wie Mao oder Stalin gern utilitaristisch argumentierten - bzw. utilitaristische Motive für Massenmorde vorschoben.
Eine weitere Gefahren liegt darin, dass Glück (oder auch nur Zufriedenheit) und Leid sich nicht messen lassen - die Gefahr liegt u. A. in der Zwangsbeglückung. Bezieht man, wie es Bentham tat, auch nichtmenschliche Lebewesen in das "Prinzip des größten Glücks“ ein, dann sind die Konsequenzen nicht selten "unmenschlich" - die meisten Tiere wären über das Aussterben der Menschheit vermutlich glücklich. Meines Wissens gehen aber nur wenige Tierrechtler so weit, dass sie Menschenrechte auf Tiere - und zwar alle Tiere übertragen würden.
Aber selbst die moralische Forderung, dass das Leben aller Tiere zu respektieren sei, würde zum Tod unzähliger Menschen führen: Nagetiere, vor allem Ratten und Mäuse, sowie Heuschrecken und andere Insekten sind buchstäblich Nahrungskonkurrenten des Menschen, ohne jede "Schädlingsbekämpfung" würde ein großer Teil der Ernten ausfallen. Abgesehen davon halte ich ethische/moralische Debatten darum, ob man z. B. Katzen gezielt gegen Hausmäuse einsetzen dürfe, für einigermaßen hirnrissig.

Die Erfahrung lehrt, dass Menschen, die versuchen, neue moralische Maßstäbe zu setzen, dabei oft die alten vergessen und unversehens bei einer eiskalten Unmoral landen.
In den Normen eine tierrechtsorientierten Moral ist beispielsweise ein Wissenschaftler, der lebensrettende Medikamente an Tieren testet, ein Verbrecher. Ob diese Haltung, wie bei PeTA, in menschenfeindlichen Fanatismus umschlägt, hängt allein von der Integrität und dem Gewissen der einzelnen Tierrechtler ab.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 6744 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren