"What is in a name?" oder: das Unterbewußtsein bombt mit

Würzburg. Über diese Stadt gäbe es viel zu sagen und Einiges zu lästern: Wo fängt der Norden an?. Für einen der Faktoren, die mich in Würzburg (im Gegensatz zu anderen Orten Mainfrankens) so unbehaglich fühlen ließen, können die Würzburger nichts: Dafür, dass die Würzburger Altstadt unwirklich-unecht wirkt. Denn Würzburgs "malerische Altstadt" ist fast völlig Nachbau. Weil, im Unterschied zu vielen anderen deutsche Altstädten, nach Sprengbomben und Brandbomben, nachdem der Feuersturm aus Mangel an brennbarem Material endlich erlosch, von "Wiederaufbau" oder auch "Rekonstruktion" keine Rede mehr sein konnte: Den Angriff vom 16. März überstanden in der Altstadt nur sechs Häuser an der Juliuspromenade und ein Haus in der Büttnergasse, alle wiesen erhebliche Brandschäden auf. Darüber, wie viele Häuser noch "wiederaufbauwürdig" waren, habe ich nichts gefunden - nach den Fotos der Würzburger Innenstadt nach dem Angriff zu urteilen, können es nicht allzu viele gewesen sein. Nach Dresden und Pforzheim war Würzburg die meistzerstörte Stadt Deutschlands. Und anders als in Dresden konzentrieren sich die Zerstörungen auf ein vergleichsweise kleines Areal. Wie Hoimar von Ditfurth in seinen Erinnerungen schrieb, gruppierten sich in Würzburg Anfang der 1950er Jahre weitgehend intakte Stadtteile um einen ausgebrannten schwarzen Kern, in dem die Stadtverwaltung, weil dort sowieso niemand mehr wohnte, gar keine Straßenbeleuchtung aufgestellt hatte.
Und in allzu vielen Fällen sind die "wiederaufgebauten" Häuser leider eine schlechte Kopie. Zum Glück lies man sich beim de facto Neubau der zu 98 % zerstörten Würzburger Residenz mehr Zeit (der Aufbau dauerte bis 1987). Das berühmte Treppenhaus mit den Fresken Tiepolos überstand dank einige glücklicher Umstände die Bombennacht - und dank eines umsichtigen
amerikanischer Kunstschutzoffizier, David Skilton, der (noch vor der deutschen Kapitulation!) für eine sofortige provisorische Abdeckung mit Zeltplanen sorgte und darauf hin ein Notdach errichten lies, das bereits ein halbes Jahr nach der Zerstörung die erhaltenen Gewölbe wieder überdeckte. Wozu, wie Vergleiche zeigen, 1945 für einen dieser lästigen "Eggheads", der sich anmaßten, sich wertvolles militärisches Material für irgendwelche alten Schuppen unter den Nagel zu reißen, Einiges an Zivilcourage und Beharrlichkeit gehörte.

Vieles zur Bombardierung Würzburgs am 16. März 1945 steht in der Wikipedia:
Würzburgs Bombardierung. Was nicht darin steht ist, warum Würzburg zerstört wurde.

Auch wenn einige "Antideutsche" das gerne anders sehen wollen: Der verheerende Bombenangriff auf Würzburg am 16. März 1945 war sinnlos und diente keinem strategischen Zweck. Dass den tapferen Männern der Royal Airforce Bomber Group No. 5 keine Verwürfe zu machen sind, gestehe ich ihnen aber ohne Zögern zu. Damals war, angesichts des ebenso offenkundig sinnlosen wie hartnäckigen deutschen Widerstand, unter alliierten Soldaten die Meinung weit verbreitet, der Krieg sei erst dann vorbei, wenn man auch den letzten Deutschen "unschädlich" gemacht hätte. Bei den ungefähr 5000 Menschen, die bei diesem Angriff umkamen, darf man nicht vergessen, dass es keine Luftschutzbunker gab (außer für den Gauleiter Otto Hellmuth ). Außerdem zeigt z. B. das Beispiel von Halle an der Saale, dass Städte, deren Stadtkommandanten gegenüber alliierten Truppen kapitulierten, vom Flächenbombardement verschont bleiben. Weil Würzburg auf der Liste der Ziele für Flächenbombardements eine geringe Priorität einnahm, hätte sich schon eine vorsichtige Kontaktaufnahme wahrscheinlich zugunsten der Stadt ausgewirkt.

Aber wieso um alles in der Welt wurde Würzburg am 8. Februar 1945 an 10. Stelle in die neu ergänzte Liste für "filler targets" aufgenommen und erhielt einen "fishcode" als für Flächenbombardements geeignete deutsche Stadt? Warum wurde, auch nachdem die strategisch bedeutsamen Ziele schon von den Amerikaner "erledigt" worden waren, ein volles Bombergeschwader, das auch noch als Elitegeschwader galt, gegen die Würzburger Innenstadt eingesetzt? Schließlich war Würzburg auch kein Ort mit hohem "Symbolwert", weder für Nazideutschland noch für die Alliierten.

Oder etwa doch?

Oft entschied reine Psychologie darüber, was "gebombt" wurde und was nicht. Rothenburg ob der Tauber geriet trotz seine als "kulturell unersetzlich" eingestuften Altstadt deshalb auf die "filler list" (Liste der Ersatzziele, die bombadiert wurden, wenn das eigentliche Ziel wegen Schlechtwetter oder massiver Gegenwehr nicht angegriffen werden konnte), weil bekannt war, dass die NSDAP dort vor 1933 besonders viele Wähler hatte und weil die Stadt in der Nazi-Propaganda ständig präsent war. Am 31. März 1945 wurden etwa 40 % der original erhaltenen Bausubstanz Rothenburgs durch den Angriff einer Staffel der 386. Bombardement Group der US-Luftwaffe beschädigt oder zerstört. Der Bombenangriff galt eigentlich einem Öllager im oberfränkischen Ebrach, dass wegen Vernebelung nicht angegriffen werden konnte.
Es ist der persönlichen Intervention des Leiter der Abteilung für Zivilangelegenheiten (engl. Civil Affairs Division) im Pentagon und späteren Hochkommisars der US-Besatzungszone, John Jay McCloy, beim zuständigen General Devers zu verdanken, dass das geplante Artilleriebombardement unterblieb. Andere "potenzielle Widerstandsnester" wurden in dieser Phase des Krieges ohne mit der Wimper zu zucken "plattgemacht". Das makaberste Beispiel: Am 10. April begann der amerikanische Artilleriebeschuss gegen das fränkische Dorf Ulsenheim. Normalerweise wurden spätestens in dieser Phase die weißen Flaggen gehisst - aber weil statt dessen deutsche Truppen als "Verstärkung" eintrafen, wurde das Dorf am 12. April durch ein amerikanisches Fliegergeschwader mit Phosphorbomben buchstäblich eingeäschert. Kein "Kriegsverbrechen", sondern eine psychologisch verständliche Reaktion. Die wirklichen "Mörder Ulsenheims" trugen deutsche Uniformen, und zwar nicht nur die der SS! (Ein SS-Mann, endlich auf dem Rückzug, hinterlies eine letzte Rechtfertigung: "Ich hab zu Hause auch nix mehr, da kommt es auf so ein lumpertes Frankendorf auch nicht mehr an". Quelle: Sonntagsblatt Bayern.) Auch auf Gollhofen und Herrnberchtheim kam es solchen "Helden" nicht mehr an, auf Hellmitzheim und Nenzenheim, Dornheim, Aub, Weigenheim: Ein Dorf nach dem anderen ging "dank" der "bis zum letzten Blutstropfen" sinnlos weiterkämpfen wollenden, immer noch "Führergläubigen" in Flammen auf.

Aber Würzburg hatte weder einen herausragenden Rang in der NS-Propaganda, noch war es ein potenzielles "Widerstandsnest", noch eine markante "Nazi-Hochburg". Aber es gab einen anderen, brutal zufälligen, aber zutiefst menschlichen, allzu-menschlichen, Grund für die alliierten Bomberpiloten, das Wort "Würzburg" nur mit hasserfülltem Unterton auszusprechen:
Der Physiker Freeman Dyson, im 2. Weltkrieg wissenschaftlicher Mitarbeiter beim britischen Bomberkommando, schrieb 1979 in seinen Erinnerungen "Disturbing the Universe" (dt. "Innenansichten"):
Ich verbrachte die letzten Monate, die der Krieg in Europa noch dauerte, weiter damit, mein Bestes zu tun, die Bomber sicher von ihren Einsätzen zurückzubringen. Doch im Verlauf der Wochen wurde es immer deutlicher, dass unsere Bombardierungen eine sinnlose Verschwendung menschlichen Lebens waren. Vier Wochen nach Dresden griffen wir die alte Bischofsstadt Würzburg an und zerstörten im bischöflichen Palais eine der schönsten Tiepolo-Decken Europas. Die Zerstörung von Würzburg erfüllte die Bomberbesatzungen mit besonderer Genugtuung, weil die tödlichen deutschen Zielsuch-Radars auch Würzburg-Radars genannt wurden. Niemand hatte sich die Mühe genommen, die Männer darüber aufzuklären, dass die Stadt ungefähr gleichviel mit diesen Radarsystemen zu tun hatte wie unsere Bisschofstadt Winchester mit der Winchesterbüchse.
(Hervorhebung von mir.)
Zum Glück irrte sich Dyson hinsichtlich der Tiepolo-Decken. Nachzutragen bleibt: Jeder Zweite der britischen Bomber kehrte nicht heim, insgesamt kamen 55.000 Flieger bei den Angriffen auf Deutschland um. Das Bomberkommando war der Truppenteil mit den prozentual meisten Gefallenen der britischen Streitkräfte. Aus diesem Grund gilt der Luftwaffen-Marschall Arthur "Bomber" Harris längst nicht bei allen Veteranen des "Strategic Bombing Command" der R.A.F. als Held.
Dyson gehörte zu einer Forschungsgruppe, die die Überlebenschancen der Besatzungen verbessern sollte - und deren Vorschläge frustrierend oft "von oben" abgelehnt wurden.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass schon die Auswahl der möglichen Ziele unbewusst vom Hass gegen das Würzburg-Radar beeinflusst wurde.
Karan - 2. Jul, 13:42

Gute Güte! Das mit dem Radar habe ich nicht gewußt; es klingt tatsächlich plausibel, könnte zumindest ein Aspekt für den Angriff gewesen sein.

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