Umwelt

Dienstag, 18. April 2006

Wie viele starben durch "Tschernobyl"?

In allen 20 Jahren, die seit der Katastrophe im AKW Tschernobyl vergangen sind, gibt es eine Konstante: Es herrscht völlige Verwirrung über die Anzahl der Strahlentoten. Während die IAEA und mit ihr die WHO von insgesamt 4.000 zusätzlichen Krebstoten durch den Reaktorunfall ausgehen, kursieren nach wie vor Schätzungen, die auf 140.000 Tote kommen.
Greenpeace rechnet mit 90.000 Todesopfern durch Tschernobyl

Das ist an sich kein Wunder. Es gibt nämlich zweierlei Wirkungen von radioaktiven Strahlungen: die deterministischen bzw. akuten und die stochastischen bzw. chronischen. Die deterministische Wirkungen sind jene, die sich sicher Einstellen, wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden, vor allem Verbrennungen und das als "Strahlenkrankheit" bekannte Syndrom. Sie treten innerhalb von Minuten bis zu Tagen nach der Strahlenwirkung auf. Beim Unfall von Tschernobyl starben "nur" 28 Menschen an dieser akuten Strahlenwirkung: im Wesendlichen das dienstuende Reaktorpersonal und einige Katastrophenhelfer der ersten Stunde.

Ganz anders sieht es bei den stochastischen Wirkungen aus, bei Genmutationen, bösartigen Tumoren, Leukämie, und Mißbildungen an Neugeborenen. Für sie gibt es im Prinzip keine Schwellenwerte. Es sind zufällige Wirkungen, bei denen sich im Einzelfall nicht feststellen läßt, ob sie aufgrund der zusätzlichen Strahlung durch den Tschernobyl-Unfall, durch andere künstliche Strahlenquellen (Röntgen, Fallout von Kernwaffenversuchen usw.), natürliche Strahlung, aus anderen Gründen oder "spontan", ohne äußere Ursachen, auftreten. Allein mit epidemiologischen Erhebungen an großen Bevölkerungsgruppen läßt sich Abschätzen, wie viele zusätzliche Schäden durch den Unfall auftraten.

In einige Fällen ist das Ergebnis relativ eindeutig. In den besonders betroffenen Gebieten der Ukraine und Weißrusslands gab es eine dramatische Zunahme der Fälle von Schilddrüsenkrebs, vor allem bei Kindern. In den ersten 10 Jahren nach Tschernobyl wurden mehr als 600 Fälle bei Kindern behandelt, eine fast 100-fache Zunahme. Bei anderen Krebserkrankungen ist das Ergebnis nicht so eindeutig, z. B. bei der Leukämie. So gab es in der hochbelasteten Gomel-Region in den ersten acht Jahren nach dem Unfall 103 Leukamiefälle, in den acht Jahren vor dem Unfall genau 100 Fälle. Es wäre naiv, zu behaupten, es hätte durch die zusätzliche Strahlenbelastung drei zusätzliche Leukämiefälle gegeben. Wegen der natürlichen Schwankungsbreite könnten es auch zwei oder 10 sein - oder es könnte theoretisch sogar einen Rückgang gegeben haben. Beweisen läßt sich das nicht!

In stark belasteten Regionen sind die epidemiologischen Daten anscheinend eindeutig, z. B. stieg in der bereits erwähnten Gomel-Region die Gesamtzahl der Krebserkrankungen in den Jahren 1990 - 2000 um 58 % an. (Alllerdings ist auch diese Zahl mit Vorsicht zu genießen, denn medizinische Untersuchungen waren "auf dem platten Land" vor der Katastrophe nicht gerade häufig, während es nacher aufwändige Reihenuntersuchungen gab, so dass die "Vorher-" und die "Nachher"-Zahlen nicht wirklich vergleichbar sind.)

Hingegen ist in allen weniger stark oder nur schwach belasteten Regionen - z. B. in Deutschland - ein Anstieg der Krebshäufigkeit oder der Krebssterblichkeit nicht nachweisbar. Das heißt, es kann gut sein, dass es bei uns überhaupt keine zusätztlichen Krebstoten durch Tschernobyl gibt - aber theoretisch könnten es auch hunderte sein, die einfach in den Schwankungen der Statistik untergehen.

Deshalb sind alle Angaben darüber, wieviele Menschen bereits infolge der Tschernobyl-Katastrophe gestorben sind und wie viele Menschen insgesamt deshalb sterben werden, grobe Schätzungen, die auf ganz bestimmten Voraussetzungen aufbauen. Die Angaben der IAEA (4000 Tote unter der am meisten belasteten Bevölkerungsgruppe) sind ebenso "seriös" wie Studien, die von 10.000 oder 25.000 Toten ausgehen. Jediglich Horrorzahlen von hunderttausenden Toten können wohl ausgeschlossen werden.

Kommentar in der taz: Tschernobyl-Tote, wie es gerade gefällt

"Tschernobyl" ist mehr als kühle StatistiK. Ein sehr bewegender und teilweise überraschender Bericht aus der Sperrzone um das havarierte AKW in der "Zeit": Es gibt ein Leben nach Tschernobyl

Montag, 17. April 2006

Leukämie und Mini-Atombomben (Letzter Teil)

Teil 1
Teil 2
Teil 3

In den vorangegangenen Teilen habe ich dargelegt, wieso ich die Hypothese, dass im GKSS-Forschungszentrum heimlich an "Mini-Nukes", kompakten Atombomben, gearbeitet wurde, für eine absurde Verschwörungstheorie halte. Dennoch bleiben eine Reihe Fragen offen.

In einem Kommentar zum ersten Teil dieser "Serie" hatte ich angemerkt, dass die Hypothese, das Partikel sog. Alpha-Strahler für die Leukämien verantwortlich wären, dadurch erhärtet werden könnte, das in der Region um die GKSS und das KKK (Kernkraftwerk Krümmel) auch vermehrt kindlicher Lungenkrebs (sehr selten!) und Leber-, Darm- und Knochenkrebs (ferner Nieren- und Blasenkrebs) vorkommen müßten.

Ich meinte auch, das entsprechende Recherchen die Möglichkeiten eines schlichten "Senfbloggers" überschreiten würden.

Das stimmt zum Glück nicht ganz, da es entsprechende Angaben im deutschen Kinderkrebsregister gibt. Sicher kann ein Einblick in dieses Register nur einen ersten Eindruck vermitteln, aber immerhin stellt dieser Eindruck Einiges klar. Von 1990 bis 2005 wurden dem Deutschen Kinderkrebsregister aus der Samtgemeinde Elbmarsch und aus Geesthacht 15 Leukämie-Erkrankungen gemeldet. Das stimmt mit den in der Presse genannten 17 Fällen perfekt überein, denn ein Kind erkrankte erst 2006, und in einem Fall (in Geesthacht) war ein junger Erwachsener betroffen. Legt man die bundesdurchschnittliche Erkrankungsrate zugrunde, wären in diesem Zeitraum etwa 5 statt 15 Erkrankungsfälle zu erwarten gewesen. (Der "Erwartungswert" für die Region wären 0,21 Fälle pro Jahr.) Die Erkrankungsrate ist sehr ungewöhlich, allerdings nicht so signifikant, dass eine rein zufällige Häufung ausgeschlossen werden kann. Andere Krebsformen - einschließlich der von mir aufgeführten - kommen laut Kinderkrebsregister in der Region um die GKSS nicht häufiger vor als im deutschen Durchschnitt.

Nicht nachvollziehen kann ich, wie Hajo Dieckmann, ehemaliges Mitglied der schleswig-holsteinischen Leukämiekommission, zu seiner Behauptung kam: "Legt man den weltweiten Durchschnitt zugrunde, dürften in einer derart kleinen Bevölkerungsgruppe eigentlich nur alle 60 Jahre jemand diese Krankheit bekommen".
Es gibt nämlich keine auch nur halbwegs zuverlässige weltweite Leukämie-Statistik, der weltweite Durchschnitt ist also reine Mutmaßung. Außerdem legt Dieckman eine sehr kleine Bevölkerungsgruppe, nämlich die der Gemeinde Tespe zugrunde (3.996 Einwohner am 31.12.2005, laut statistischem Landesamt Niedersachsen). Für eine statistisch brauchbare epidemiologische "Stichprobe" sind das zuwenig. (Selbst die etwas über 40.000 Menschen in Geesthacht und in der Samtgemeinde Elbmarsch sind, bei der Seltenheit der kindlichen Leukämie, eine "knappe" Stichprobe für verläßliche Aussagen.)

Bleibt die Frage nach den Micro-Globuli, den Mikrosphären, den radioaktiven "Kügelchen". Es gibt sie ohne Zweifel. Und sie enthalten auch die z. B. von der Arge PhAM beobachteten Isotope.
Auch das die neuen Untersuchung an der Sacharov-Umweltuniversität in Minsk, der zufolge die Isotopenzusammensetzung eindeutig künstlich ist, bringen keine wirklich neuen Erkenntnisse. Allerdings fällt auf, dass die Gesamtaktivität der angeblichen Kernbrennstoff-Partikel relativ gering ist - "frische" Kernbrennstoffe wäre deutlich stärker aktiv, erst recht "benutzte" Partikel aus einem laufenden Reaktor. Am ehesten wären die Kügelchen als "schwach aktiver radioaktiver Abfall" zu klassifizieren.

Was geschah am 12. September 1986? Soviel ist sicher: damals wurde eine deutlich erhöhte Betaaktivität bei regelmäßigen Messungen der GKSS in Obermarschacht festgestellt. Am gleichen Tag wurden im Kernkraftwerk Krümmel erhöhte Aktivitäten in der Fortluft gemessen (die Geräte für die Zuluft-Messungen wurden erst ein Jahr später installiert). Kleine Anfrage Antwort Die Meßwerte - bis zu 10 Bq/m³ Luft - wären bei einem Reaktorunfall oder einen Unfall mit nuklearen Sprengstoffen in weniger als 200 Meter Entfernung aber bei weitem höher gewesen.

Es gab tatsächlich einen Brand auf dem (damals) zwischen der GKSS und dem KKK gelegenen, frei zugänglichen Gelände. Ein "Großbrand" kann es nicht gewesen sein, dagegen spricht das Alter der dort noch vorhandenen Bäume. Die Spuren sprechen für einen kleinen Wald- bzw. Unterholzbrand.

Fazit: die GKSS ist, was mögliche vertuschte Unfälle mit radioaktiven Abfällen angeht, nicht aus dem Schneider. Allerdings beruht die Annahme, es hätte am 12. September 1986 einen schweren Unfall gegeben, nicht zuletzt auf Messungen der GKSS selbst.
Aber nicht nur ein Unfall bei "geheimer Atomwaffenentwicklung", sondern auch einer bei der Entwicklung / Erprobung eines neuen Reaktortyps kann meines Erachtens ausgeschlossen werden.

Damit stellt sich die Frage nach der Motivation der 6 "ausgestiegenen" Mitglieder der Untersuchungskommision und ihrer Anhänger. Was treibt sie dazu, hinter den ungeklärten Leukämiefällen und den vermeindlich geheimnisvollen "Kügelchen" eine ungeheuerliche Verschwörung zu vermuten?
Eine mögliche Antwort gab die "Zeit" 2004: Die Spaltung:
Nicht Eigeninteressen, aber Voreingenommenheit könnte es schließlich auch bei der Gruppe um Wassermann geben. Ihre Mitglieder sind engagierte Atomkraftgegner. Sie verstehen sich als Wissenschaftler für die Bürger, sie haben Studien spendenfinanziert in Angriff genommen. Sie haben eine demokratische Kultur des Misstrauens ausgeprägt; über Jahrzehnte waren sie oft mit abgeschotteten Bürokratien und Firmen konfrontiert und mit Kollegen, die sie von vornherein als »Außenseiterwissenschaftler« diskriminierten. Auch die schleswig-holsteinische Landesregierung habe immer wieder Informationen erst bröckchenweise zugegeben oder Messungen verhindert, kritisieren sie. Aber inzwischen scheinen sie, der Kommunikation kaum zuträglich, überall Verdacht zu schöpfen. »Wenn unsere Beamten nicht sofort stramm standen«, sagt Wilfried Voigt, »dann wurden sie gleich beschimpft, sie seien an Aufklärung nicht interessiert.«

Samstag, 8. April 2006

Leukämie und Mini-Atombomben (Teil 3)

Teil 1
Teil 2

Der Anstoß dafür, dass die Behauptung, bei der GKSS wären sog. Mini-Nukes entwickelt worden, von Teilen der atomkritischen Öffentlichkeit ernst genommen wird, war der Eklat in der schleswig-holsteinischen Untersuchungkommision vom 2. November 2004.
Der NDR berichtete damals:
Sechs von neun Mitgliedern der schleswig-holsteinischen Kommission legen die Arbeit aus Protest gegen eine angebliche Verschleierungspolitik der rot-grünen Landesregierung nieder. Die Forscher werfen der Koalition vor, die Arbeit der Kommission zu behindern, weil ihr die Erkenntnisse nicht gefallen. Sie erklären, dass das Kernkraftwerk Krümmel zwar als Mitverursacher der Leukämien in Frage kommt. Leukämierelevante Umgebungskontaminationen sollen jedoch von geheim gehaltenen und illegalen kerntechnischen Experimenten an der nahe gelegenen Forschungseinrichtung GKSS stammen.
In der Folge spekulierten selbst seriöse Medien, z. B. die Süddeutsche Zeitung, offen über geheime Atomwaffenprojekte.

Was sind eigentlich "Mini Nukes"? Wie sähe ein hypothetisches geheimes Entwicklungslabor aus? Und - wäre das GKSS ein möglicher Ort für solch ein Labor.

"Mini-Nukes" sind ganz allgemein Kernwaffen mit einer Sprengkraft, die schwächer ist als 5000 Tonnen des konventionellen Standard-Sprengstoffs TNT. Oder kurz: Atombomben unter 5 Kilotonnen TNT.
Schon Ende der 50er Jahren gab es entsprechende Waffen, wie den W-54-Gefechtskopf, der nur 23 Kilogramm wog und eine Sprengkraft von etwa 1 kT hatte.
Offensichtlich meinte Edmund Lengfelder, ehemaliges Mitglied der schleswig-holsteinischen Leukämiekommission, nicht solche vergleichsweise "normalen" Atomwaffen. Ausgehend von den um Geesthacht gefundenen radioaktiven Kügelchen, die er als PAC identifizierte, behauptete er: Solche Kügelchen könne man benutzen, um nukleare Mini-Explosionen herbeizuführen. Dazu müßten sie mit Lasern beschossen werden, so dass eine Fusionsreaktion in Gang komme. Damit könnten Atombomben von wesentlich kleinerer Abmessung als bisher gebaut werden – sogar als Handgranaten.
So, wie sie hier steht, ist diese Behauptung allerdings Unsinn, wie ich bereits darlegte. Was allerdings tatsächlich diskutiert wird, sind Ultra-Mini-Nukes von erheblich weniger als 1 kT TNT und Ausmaßen der viel zitierten "Handkofferbombe". Das Problem liegt einerseits in der für eine nukleare Explosion benötigten kritischen Masse: bei Uran 235 beträgt sie ca. 50 kg, bei Plutonium 239 immerhin noch 10 kg. Durch Kombination einer starken Kompression des Spaltmaterials und eines Neutronenreflektors kann die kritische Masse für Pu 239 auf etwa 1 kg herabgesetzt werden. Das Gesamtgewicht eines solchen Sprengsatzes ist jedoch wegen des aufwendigen chemischen Zündsatzes relativ hoch - leicht genug für eine Artillerie-Granate, aber zu schwer und zu groß für den Aktenkoffer oder den Rucksack eines Infanteristen. Noch kleinere kritische Massen als Pu 239 haben Californium 251 (9 kg), Americium 242m (9 kg) und Curium 247 (7 kg). Diese Isotope werden deshalb als mögliche Bestandteile von "Micro Nukes" diskutiert.
Etwas ganz anderes, aber in der GKSS-Diskussion oft mit den auf Kernspaltung beruhenden "Mini Nukes" zusammengewürfelt, ist die Trägheitseinschluß-Fusion, Inertial Confinement Fusion, abgekürzt ICF, auch "Laserfusion" genannt. Hierbei wird ein "Pallet" aus fusionierbarem Material (z. B. Tritium) mit Laser- oder Partikelstrahlen so stark erhitzt und komprimiert, dass es zur Kernfusion kommt. Salopp formuliert wäre das eine Folge von Mikro-Wasserstoffbomben in einem Reaktorgefäß. Wäre, denn soweit öffentlich bekannt ist, gibt es noch keinen funktionstüchtigen Trägheitsfusions-Reaktor. Für militärische Zwecke, auch in Richtung "Mikro-Nuke", ist die Trägheitseinschlußfusion ebenfalls interessant, denn man braucht sich nicht mehr um "kritischen Massen" zu kümmern. Man kann leicht über das Internet recherchieren, dass eine Fülle von Literatur über ICF im Kontext militärischer Projekte gibt - (Allerdings nur die Information, dass es solche Literatur gibt, die Literatur selbst steht verständlicherweise nicht online.)

Das Problem bei der "ICF-Bombe" ist: Wie bekommt man einen Hochenergie-Laser (im Megajoule-Bereich) und seine Energiequelle so klein, dass er in eine kompakte Bombe passt oder, naheliegender, wie kann man ein "Pallet" aus der Entfernung mit einem Laser oder Partikelstrahl zünden?
Die Gemeinsamkeit der Kernspaltungs- und der Kernfusions- "Mini Nuke": in beiden Fällen kommen "Kügelchen" zur Anwendung. Nur sind sie in einem Fall aus spaltbarem Material, im anderen Fall aus fusionierbarem Material (bzw. sind mit solchem gefüllt).

"Fusions-Fissions-Kügelchen" als angeblicher Bestandteil einer "militärisch nutzbaren Hybridtechnik aus Kernfusion und Kernspaltung zum Einsatz in kleinen Atomwaffen" werden, nach Angaben von Sebastian Pflugbeil, in einer Studie des DDR Ministeriums für Staatsicherheit aus dem Jahr 1987 mit dem Titel "Kleinkernladungen (Mininukes)", erwähnt. Diese Studie liegt mir nicht vor. Die Mitteilung der IPPNW über sie macht auf mich einen reichlich verwirrten Eindruck. (In Grau Zone)

Wie sähe ein hypothetisches Entwicklungslabor für Mininukes aus?
Sebastian Pflugbeil von den Internationalen Ärzten gegen den Atomkrieg (IPPNW) betont, dass die Experimente mit Mininukes "keine Testgebiete, keine tiefen Bohrlöcher" benötigen. "Weil ›nur‹ wissenschaftliche Gerätschaften und sehr geringe Mengen von Spaltstoff gebraucht werden, ist zu befürchten, daß auf dieser Ebene gegenwärtig das größte Problem bezüglich der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen besteht."

Für den Test einer Mini-Nuke - immerhin einer Explosion in der Größenordnung einiger hundert Kilo TNT - ist durchaus ein Testgebiete und ein Bohrloch erforderlich. Allerdings können die Dimensionen relativ bescheiden sein, und die durchaus leicht registrierbare Explosion könnte als "konventionelle Sprengung" getarnt werden. (Dem engen Netz der Seismometer sowohl der IAEA wie denen der Erdbebenforscher entgeht buchstäblich nichts, was wesendlich größer ist als ein Böller.)
Für den Bau, sprich die reine Montage, einer Kernspaltungs-Mininuke braucht man mindestens eine "heiße Zelle" mit Abschirmung, Manipulatoren usw. Dafür ist ein relativ großes Gebäude (oder eine relativ große unterirdische Anlage) erforderlich. In den Ausmaßen eines leicht verbergbaren "Kellerlabors" ist eine "heiße Zelle" jedenfalls nicht zu verwirklichen.
Forscht man auf dem Gebiet der Trägheitseinschlußfusion, braucht man einen Hochenergielaser oder eine Hochenergie-Partikelquelle, z. B. einen Teilchenbeschleuniger. Nach derzeitigem Stand der Technik ist beides nicht im "Garagenmaßstab" zu haben.

Wichtig ist, wie bei jeder Form der Geheimforschung: Die Anlagen müssen allen unbefugten Blicken konsequent verborgen bleiben.

Würde die GKSS diese Voraussetzungen erfüllen? An der GKSS gibt es tatsächlich "heiße Zellen", d. h. hier könnten theoretisch Atomwaffen montiert werden. Als Testgebiet für noch so kleine Atombomben käme das Gelände wohl nicht in Frage. Es gäbe keine Möglichkeit eine schwere Explosion "wegzuerklären". (Ein Steinbruch oder ein Bergwerk, notfalls auf ein Truppenübungsplatz wäre da schon nützlich, ein argwöhnisch beobachtetes AKW in unmittelbarer Nachbarschaft wohl nicht.)

Mit einer anderen erforderlichen Voraussetzung, nämlich der Geheimhaltung der Anlagen, sieht und sah es bei der GKSS eher mau aus. Der Werkschutz entspricht dem bei Industrieanlagen üblichen, der Zaun um das Gelände ist ein Maschendrahtzaun, der von einfachem Stacheldraht gekrönt wird.
Eine lückenlose Kameraüberwachung gab es nach meinen Beobachtungen in den 80er Jahren nicht. Wenn gerade keine Werkschutz-Streife in der Nähe war, stellte der Zaun kein ernsthaftes Hindernis dar. (Ich gebe zu, ich habe der Versuchung nicht widerstehen können, das seinerzeit einmal selbst auszuprobieren. War damals allerdings auch 20 Jahre beweglicher ...) Der Bereich um das Reaktorgebäude, in dem auch die heißen Zellen untergebracht waren, war mit einem weiteren Zaun und einem weiteren Wachlokal (und nervösen Wachhunden) gesichert, es gab auch Überwachungskameras. Allerdings: im Vergleich mit der bei "wichtigen" militärischen Anlagen üblichen Schutz gegen unbefugte Eindringlinge (oder dem "ziviler" Auftragnehmer für sensible Militärtechnik, wie z. B. bei der Schiffbauhalle für Militärschiffe der Werft Blohm + Voss) war (und ist) die Zugangsicherung bei der GKSS ein Witz.
Bei der GKSS arbeiteten damals 650 Beschäftigte, heute sind es sogar mehr. Hinzu kommen Mitarbeiter von Fremdfirmen (die GKSS arbeitet intensiv mit der Industrie zusammen), Studenten und zahlreiche Besuchergruppen. Zum Reaktorgebäude hat nur ein Teil der Belegschaft unbegleitet Zugang; ich gehörte dazu. Auch im Reaktorgebäude war kein Bereich völlig "off Limits", nach vorheriger Erlaubnis (die mir problemlos gewährt wurde) konnte ich sogar den Reaktorraum (mit den damals zwei beeindruckend intensiv blau leuchtenden "Swimmingpool"-Reaktoren) im laufernden Betrieb besichtigen, ebenso den Sicherheitsbereich mit den "heißen Zellen". Auch Besucher wurden regelmäßig durch diese Bereiche geführt.
Auch für andere Bereiche, Gebäude und Einrichtungen auf dem GKSS Gelände galt, dass eigentlich nichts völlig "off limit" war - Offenheit war ein durchgängiges Prinzip. Das Gesprächsklima unter der Belegschaft war ebenfalls offen, ähnlich wie an universitären Einrichtungen; es gab auch etliche engagierte Atomkraftgegner am GKSS. Wobei nur den allerkleinste Teil des GKSS direkt oder indirekt mit "Kernenergie" zu tun hatte, obwohl das GKSS damals im Umgangston noch gern "die Kernenergie" genannt wurde. (O-Ton im Werksbus: "Wie lange arbeitest du schon bei der Kernenergie als Taucher?" Der Taucher arbeitete im Bereich "Unterwassertechnik", damals ein Schwerpunkt der GKSS.)

Der langen Rede kurzer Sinn: Wenn es an der GKSS geheime Anlagen gab, dann müssten sie wohl unterirdisch angelegt gewesen sein. Dafür gäbe es allerdings besser geeignete Standorte, z. B. "sowieso" streng bewachte militärische Anlagen, alternativ, im Sinne einer möglichst guten Tarnung, auch völlig "unverdächtige" zivile Industrieanlagen. Das GKSS ist zu schlecht abgeschirmt, zu anfällig für "undichte Stellen", zu stark beobachtet (auch von der IAEA) und wegen der allgemein bekannten nuklearen Anlagen zu "verdächtig" für geheime Atomwaffenforschung.

In den Berichten über einen Brand am 12. September 1986, als im KKW Krümmel stark erhöhte Radioaktivität gemessen wurde, ist von eine Brandherd zwischen GKSS-Gelände und KKK die Rede. Brandspuren an Bäumen gibt es wirklich, die Stelle befindet sich in einem Geländeteil, der heute innerhalb des GKSS-Zaunes liegt. Das ist aber kein Hindernis, Mitgliedern einer örtlichen Anti-Atom-Gruppe gelang es, durch ein in den Zaun geschnittenes Loch einzudringen. Außerdem können GKSS-Mitarbeiter diesen Geländeteil ohne Probleme betreten.
Von einen durch Brand zerstörten oder zumindest stark beschädigten Gebäude, von dem auch Gerüchte umgingen, kann keine Rede sein. Alte Fliesen, Installationreste, Mauerreste usw. gibt es auf dem Gelände und in seine Umgebung reichlich, sie stammen von der ehemaligen Munitionsfabrik Krümmel.

Fazit: Es spricht meines Erachtens nichts dafür, dass am GKSS Mini-Nukes entwickelt wurden. Das schließ natürlich theoretische Forschungsarbeiten, oder Entwicklung von Bestandteilen von Waffentechnologie nicht aus - allerdings einen Unfall mit einer "Mini-Nuke" (oder an einem weiteren, geheimen, Reaktor).

Teil 4

Mittwoch, 5. April 2006

Leukämie und Mini-Atombomben (Teil 2)

(Erster Teil)
Vorbemerkung
Ich behaupte nicht, dass "Bloggen" sehr viel mit "professionellem" investigativen Journalismus zu tun hätte - schon die Recherchemöglichkeiten sind arg beschränkt, selbst im Vergleich zu einer Lokalzeitung. Wenn man als Blogger überhaupt recherchieren will (ich will auch nicht in jedem Fall). Obwohl ich mich diesem besonderen Fall durchaus persönlich bei der GKSS umsehen kann. Ich kenne Leute, die damals bei der GKSS arbeiteten, einige sogar im Bereich "Strahlenschutz". Und mir steht, außer dem Internet und den öffentlichen Büchereien noch die Staatsbibliothek zur Verfügung. Das heißt, ich kann mich erst mal gründlich schlau machen, ehe ich schreibe.

Genau das habe ich getan. Ich wußte z. B. nicht, was es mit den ominösen PAC (oder pac) auf sich hat. Oder ich wußte es nur aus einer Quelle - der ARGE PhAM und jenen, die sich auf ihre Ergebnisse berufen. Wurden überhaupt PAC-Kügelchen in der Elbmarsch gefunden?
Schon vor 2000 wurde über PAC-Funde berichtet. Der Bericht des von der damaligen Schleswig-Holsteiner Landesregierung beauftragten Sachverständigen ist auch heute noch sehr aufschlußreich: Behauptete Befunde von Kernbrennstoffpartikeln in der Umgebung von KKK / GKSS

Interessant ist z. B. die Darstellung eines Störfalls in einer "heißen Zelle" des GKSS im Jahre 1983, der zwar keineswegs vertuscht wurde (er war z. B. mir damals bekannt), der aber relativ wenig Aufsehen erregte - wohl, weil die in die Umwelt gelangte Aktivität mit 1 600 Mega Bq radioaktiven Jods 131 und 8 000 Mega Bq radioaktiven Edelgasen recht gering war. (Das führte zu einer Belastung von ca. 5 Bq pro kg Gras (Frischsubstanz) bei einigen Proben in der Umgebung - nach "Tschernobyl" waren es z. B. 250 Bq pro Kg Gras.)

Die ARGE PhAM behauptete, dass gemäß Interatomberichten am GKSS mit PACs gearbeitet wurde. Der Sachverständigen-Bericht weist - m. E. schlüssig - nach, dass die ARGE PhAM falsch und sinnentstellend zitiert hat.

Außerdem wird bemängelt, dass die Darstellung der ARGE PhAM unscharf und schwer verständlich sind und das es an Darlegungstiefe fehlt.
Fast alle journalistische Darstellungen, um was es bei den angeblich gefundenen PAC eigentlich geht, leiden darunter, dass höchst unterschiedliche Begriffe fast beliebig durcheinander geworfen werden - Fusion mit Kernspaltung, Mini-Atombomben mit Versuchsreaktoren, Thorium-Brennelemente mit PAC usw., bis überhaupt nicht mehr klar ist, was den was ist (auch ich habe mich durch diese Verwirrung verwirren lassen).
Im Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) Hamm-Uetrop wurden z. B. keine pac-Brennstoffe verwendet, jedoch tennisballgroße Brennelement-Kugeln aus Graphit, in denen das Spaltmaterial ain Form von Körnchen aus Uran 235 (primärem Brennstoff) und Thorium 232 (aus dem im Betrieb spaltbares Uran 233 "erbrütet" wird) vorliegt. (siehe auch: wikipedia Hochtemperaturreaktor).

Aufschlußreich und gut lesbar ist auch der Untersuchungsbericht der Staatsanwaltschaft Lübeck zu angeblichen Kernbrennstoffpartikeln in der Elbmarsch - Bewertung durch die Atomaufsicht.

Andererseits ist klar, dass tatsächlich Partikel aus radioaktivem Material im Umkreis um das GKSS gefunden wurden. Das darin die namengebenden Elemente Plutonium, Americium und Curium (pac) vorkommen, könnte tatsächlich darauf hinweisen, das die Partikel pac oder Bruchstücke von pac sind. Andererseits wurden auch Thorium 232 und verschiedene Uranisotope darin gefunden - Elemente, die nicht für pac, sondern für THTR-Brennelemente typisch wären. Und das ebenfalls lt. ARGE phAM nachgewiese Tritium, Lithium und Bor machen weder im Zusammenhang mit pac noch mit THTR-Brennstoffen Sinn.

Für mich liegt der Schluß nahe, dass die gefundenen und auch im Fernsehen gezeigten Kügelchen gar keine PAC sind - sondern, salopp formuliert, "irgendein radioaktiver Dreck".

Etwas länger, aber interessant, von der Strahlenschutzkommision: Bewertung von Messungen der ARGE PhAM zur Radioaktivität in der Elbmarsch

Die Existenz der u. A. im Hausstaub gefundenen radioaktiven Kügelchen wude übrigens von der GKSS nicht bestritten. Sie hat selbst Untersuchungen an diesen Kügelchen vorgenommen.

Leider stehen die Untersuchungsberichte der ARGE PhAM (offensichtlich) nicht online.

Teil 3

Montag, 3. April 2006

Leukämie und Mini-Atombomben

Gestern (am Sonntag, dem 2. April 2006), typischerweise zu später Stunde (23:30) lief auf dem ZDF die Sendung "Und niemand weiß warum - Leukämietod in der Elbmarsch". (Bericht über die ZDF-Sendung in der Frankfurter Allgemeinen online: Der vertuschte Skandal)
Eine - mit Abstrichen - gute Dokumentation über den "Leukämiecluster" in der Elbmarsch und einen möglichen vertuschten nuklearen Unfall im nahen GKSS-Forschungszentrum (und nicht etwa im AKW Krümmel, wie die FR fälschlicherweise meint).
Zwei der Abstriche gleich vorweg: die GKSS betreibt zwar einen kleinen Reaktor für Materialuntersuchungen, ist aber mitnichten ein "Kernforschungszentrum", wie im Bericht beschrieben - und sie war auch vor 20 Jahren kein "Kernforschungszentrum" mehr. Wikipedia: GKSS Forschungszentrum. Offizielle Website: GKSS Forschungszentrum. Artikel im Anti-Atom-Lexikon: GKSS

Während meines Studiums in den 80er Jahren arbeitete ich zeitweilig als Praktikant und studentische Hilfskraft am GKSS. Ich wage nicht zu behaupten, dass ich das GKSS wirklich kennen würde, allerdings denke ich, dass ich einige Vermutungen aus eigenem Erleben falsifizieren kann. Z. B. wurde in der Dokumentation ein Krater zwischen dem Gelände der GKSS und dem KKK (Kernkraftwerk Krümmel) gezeigt, mit "auffallend jungem Baumwuchs", Das wurde als Indiz für eine Explosion oder einen Brand, den Augenzeugen dort beobachtet haben wollen, gewertet. Aus eigener Anschauung kann ich mit Sicherheit sagen: der besagte tiefe Krater war schon vor 1986 dort. Er stammt nämlich aus dem Jahr 1944 oder 1945, als die dort befindlichen Bunker der Sprengstofffabrik Krümmel von den Briten zunächst mit überschweren Bomben "geknackt" und nach der deutschen Kapitulation entgültig durch Sprengung zerstört wurden. Der Baumbestand ist zwar jung, aber die Bäume waren, wenn auch kleiner, schon in den 80er dort. Übrigens wurde damals die wild wuchernde Vegatation teilweise ganz regulär gerodet, im Rahmen der Bauerschließung für mögliche Erweiterungsbauten (die zum Teil sogar tatsächlich gebaut wurden). Diese "Veränderungen" dann mittels Satellitenbild als "Beweis" für einen vertuschten Großunfall darzustellen erinnert mich leider ein wenig an "BILD"-Journalismus.

Von den beiden Augenzeugen, die ein ganz merkwürdiges Feuer, das wegen seiner merkwürdigen Farben wohl kein Feuer war, bei der GKSS gesehen haben wollen, halte ich auch wenig. Beinahe jede Woche meldete sich in den 80ern irgend jemand, der irgend etwas "Komisches" bei der GKSS oder dem AKW Krümmel gesehen haben wollte. Keine Nebelschwade, kein "mysteriöserweise" gefällter Baum, kein "komischer" LKW und kein neues Warnlicht entging damals den argwöhnischen Blicken. Ich habe selbst "live" miterlebt, auf welch lächerliche Weise ein durch die Lokalpresse gehender "Strahlenskandal" zustande kam. Aber lassen wir solche Anekdoten beiseite, denn zum "Anti-Atom-Aktivisten-Bashing" besteht wirklich kein Grund.

Zu den Hintergründen: In der Elbmarsch östlich von Hamburg und nördlich von Lüneburg sind seit etwa 1990 auffällig viele Kinder an Leukämie erkrankt - bis heute 17 Fälle, bisher sechs endete tötlich. Kindliche Leukämie ist normalerweise eine extrem seltene Erkrankung. Um diese Vorfälle zu klären, hatte die damalige rot-grüne Landesregierung in Kiel seit Ende der 1990er Jahre eine Komission aus namhaften Fachleuten eingesetzt und mehrere aufwändige Gutachten in Auftrag gegeben. Im Mittelpunkt stand dabei ein möglicher Zusammenhang mit dem nahen Atomkraftwerk Krümmel und dem benachbarten GKSS-Forschungszentrum.
Einen Zusammenhang zwischen den Leukämie-Erkrankungen und dem AKW Krümmel oder dem GKSS konnte keine der Studien finden, auch nicht die des als atomkritisch bekannten Darmstädter Öko-Institutes. Dennoch:alle gängigen Erklärungen für die Leukämien (Benzol, Pestizide usw.) können ebenfalls ausgeschlossen werden. Das führte zu der beunruhigenden Annahme, dass es einen vertuschten schweren nuklearen Unfall gegeben habe muß. Tatsächlich gibt es Indizien, die auf einen Unfall bei der GKSS hinweisen könnte, z. B. deutlich erhöhte Meßwerte für Radioaktivität in der Luft bei der Meßstelle des benachbarten AKWs Krümmel.
Eine sehr gute Darstellung der Problematik gab eine Sendung des Deutschlandfunks vom 14.08.2005, deren Manuskript auch online gestellt wurde: Die Leukämiekinder von Krümmel

Die Möglichkeit, dass am 12. September 1986 einen Unfall gegeben haben könnte, bei dem erhebliche Mengen radioaktiven Matrials freigesetzt wurden, ist nicht von der Hand zu weisen. Leider wird in Teilen der "atomkritischen Öffentlichkeit" (ansatzweise auch im ZDF-Beitrag) aus einem möglichen Atommüllunfall aus Leichtsinn / Schlamperei (mit deutlichen Parallelen zu Vorfällen in der experimentelle WAA Hanau) eine ziemlich gewagte ganz große Verschwörungstheorie:

1986 hätte es einen vertuschten Unfall bei im GKSS-Forschungszentrum gegeben hat - und zwar nicht im kleinen Forschungsreaktor der GKSS oder in der auf dem GKSS-Gelände liegenden Sammelstelle für radioaktive Abfälle, sondern bei illegalen Forschungen an sog. Mini-Nukes.

Den Atomwaffensperrvertrag eindeutig brechende ultra geheime Atomwaffenforschung bei einem auf große Offenheit bedachten Forschungszentrum, das sich in erster Linie mit Materialforschung, Umweltforschung, Meerestechnik u. Ä. beschäftigt - das entbehrt nicht einer gewissen Kühnheit. Auch wenn es einen kleinen Reaktor betreibt (1986 waren es noch zwei), es dort ein Sammellager für radioaktive Abfälle gibt und die GKSS früher mal den Atomfrachter "Otto Hahn" betrieben hatte.

2004 hatte eine Forschergruppe namens Arge PhAM bei Stichproben rund um Krümmel nach eigenen Angaben sog. PAC im Boden gefunden. In den Mikrokügelchen, erklärt Arge PhAM, fänden sich Radionuklide wie Plutonium, Americium oder Curium, aber auch leichte Elemente wie Lithium oder Bor. PAC sind winzige Kügelchen aus Uran- und Thorium-Oxiden. Solche Kügelchen wurden u.a. zur Verwendung im Hochtemperaturreaktor THTR Hamm-Uentrop entwickelt. PAC spielt auch bei der Entwicklung sog. Mini-Nukes eine Rolle. Allerdings: ob das, was die PhAM gefunden hat wirklich PAC sind, ist durchaus zweifelhaft. (Auch nach den Mikroskopaufnahmen im ZDF). Mischoxide aus angereichertem Uran und Thorium wären typisch für Hochtemperaturreaktoren. Die Arge PhAM sah jedenfalls in den Funden einen Hinweis auf illegale Atomwaffenentwicklung bei der GKSS.

Am 31. März hielt die Gesellschaft für Strahlenschutz (GfS), die Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch und die Organisation Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) eine Pressekonferenz ab, in der sie ihre Untersuchungsergebnisse vorstellte. Sowohl Folgen des Tschernobyl-Unglücks als auch natürliche Strahlenquellen oder Atomwaffentests kämen als Ursachen nicht in Frage, sagte Prof. Inge Schmitz-Feuerhake von der Gesellschaft für Strahlenforschung. In den neuen Bodenproben hätten sich "Kügelchen" (die oben genannten PAC) mit angereichertem Uran und große Mengen verschiedener Thoriumisotope in nicht natürlicher Zusammensetzung befunden. Die erhöhte Thoriumkonzentration könne die Erkrankungen verursacht haben. Etwas rätselhaft ist ihre Aussage: "Wir vermuten, dass ein Brennstoff getestet wurde, der die Spaltung und die Fusion in sich vereinen sollte".

Brennstoffe für die Kernspaltung sind die spaltbaren Isotope extrem schwere Elemente, wie Uran, Plutonium, Thorium oder Americium. Für die Kernfusion kommen nur sehr leichte Elemente, wie die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium oder das Helium-Isotop Helium 3 infrage. Lithium, wie es dem Vernehmen nach den Partikeln gefunden wurde, ist ein Material, aus dem Tritium "erbrütet" werden kann. Bor, wie es auch in den "Kügelchen" vorkommen soll, ist hingegen ein "Neutronengift", das eine nukleare Kettenreaktion - egal, ob Fusion oder Spaltung - praktisch ausschließen würde. Bor ist deshalb ein typischer Bestandteil von Kontrollstäben für Kernreaktoren. In einem Brennelement macht es wenig Sinn. Aber in "zusammengeschmolzenem Atommüll" könnte man Bor durchaus finden.
Vermutlich meint Prof. Feuerhake, dass die PAC Teil eines experimentellen Reaktors gewesen seien, in dem sowohl Spaltungs- wie Fusionsprozesse ablaufen. Ein Beispiel wäre die Wasserstoffbombe: eine Kernspaltungreaktion, nämlich eine explodierende Plutonium-Bombe, dient als "Zünder" für die erheblich stärkere Fusionsreaktion. Sie sagte eindeutig: "Es ging um geheime kerntechnische Experimente" (und nicht "nur" um einen Unfall mit Atommüll). Womit sie der seit Jahren grassierenden Atomwaffen-Verschwörungstheorie recht nahe kommt.

Eindeutig auch die Aussagen des Landtagsabgeordneten Uwe Harden (SPD): "Es wurde ein Atomunfall mit weitreichender Kontamination vertuscht".

Einige Pressestimmen:
taz: Hinweis auf Leukämie durch Atomunfall

Saar Echo: Boden um Geesthacht hochradioaktiv verseucht (Was im übrigen nicht der Fall ist! In diesem Zusamenhang suggerierte übrigens der ZDF-Bericht - vielleicht aus Unkenntnis - schlimmere Zustände, als sie - schlimm genug! - wohl wirklich sind.)

Ein ausgesprochen "kämpferischer" Artikel im "Neuen Deutschland":
Gab es 1986 einen Atomunfall in Geesthacht?

Noch "kämpferischer" und m. E. verschwörungstheoretischer - die "Junge Welt": Mininukes und Leukämie

Um es noch einmal zu betonen: ich habe auch keine Antwort auf die Frage, wieso sich die Fälle kindlicher Leukämie in der Elbmarsch häufen. Dass es einen vertuschten schweren Unfall im AKW Krümmel gegeben hat, halte ich für so gut wie ausgeschlossen - dazu waren die Untersuchungen zu gewissenhaft. Einen Unfall bei der GKSS - etwa bei der Untersuchung von Brennelementen aus dem Hochtemperaturreaktor Hamm-Uetrop - hingegen kann ich nicht ausschließen. Ich sehe aber keinen, aber auch wirklich keinen Grund, anzunehmen, dass bei der GKSS im nennenswerten Umfang Kernwaffenforschung betrieben wurde.

In den folgenden Tagen werde ich mich kritisch mit der Mini-Nuke-Theorie auseinandersetzen. Dabei stütze ich mich auf die auf den ersten Blick "solide" wirkende Gesamtdarstellung bei anti atom aktuell: Grauzone.

2. Teil

Donnerstag, 9. März 2006

Feuer frei auf den Naturschutz

Arme Kormorane! Erst die Vogelgrippe - und jetzt schießwütige Fischer, die dank des Kieler Umweltministeriums freies Feuer haben.
In Schleswig-Holstein geht es den Kormoranen an den Kragen. Die schwarzen Tauchvögel dürfen künftig in unbegrenzter Zahl und ohne förmliche Genehmigung geschossen werden. Das gestattet eine neue Kormoran-Verordnung, die das CDU/SPD-Kabinett gestern in Kiel trotz aller Proteste verabschiedete. Naturschützer fürchten, daß die Fischfresser im Norden erneut aussterben.
Hamburger Abendblatt: Kiel gibt Kormorane zum Abschuß frei

Wohl gemerkt: Der Kormoran ist ein unter EU-Artenschutz stehender Vogel!
Das ist kein Ausreißer, denn das Schleswig-Holsteiner Umweltministerium legt die Axt an den Naturschutz. Hierzu wieder das "Hamburger Abendblatt":
Kiel - Die schleswig-holsteinische Regierung will den Naturschutz schleifen. Das schwarz-rote Kabinett stimmte gestern dem Entwurf eines neuen Landesnaturschutzgesetzes (LNG) zu, mit dem viele Öko-Standards gesenkt oder gestrichen werden. Erklärtes Ziel der Reform ist, den "Wirtschaftsstandort zu stärken". Die SPD-Fraktion nannte den Entwurf "mangelhaft" und will Änderungen durchsetzen. Kritik übten auch Grüne und der SSW: "Der Entwurf ist mit der Axt geschrieben und wird tiefe Schneisen in den Naturschutz schlagen."
Weiter:Kiel stutzt Naturschutz

Freitag, 17. Februar 2006

Schmilzt Grönland oder nicht?

Mehrere Medien berichten heute über eine alarmierende Entwicklung im Klimawandel, z. B. die netzeitung: Grönlands Gletscher fließen schneller oder wissenschaft.de Grönlands Gletscher geben Gas.
Der Gletscherfluss auf dem grönländischen Festland hat sich beschleunigt. Die Gletscher im Süden Grönlands kalben häufiger und entlassen etwa doppelt so viel Eis ins Meer wie noch vor fünf Jahren. Der vorausgesagte Anstieg des Meeresspiegels aufgrund der globalen Erwärmung könnte demnach deutlich unterschätzt worden sein.
Im - scheinbaren - Widerspruch hierzu veröffentlichten Ende
letzten Jahres norwegische Forscher einen Bericht, dass der Eispanzer Grönlands wächst
Greenland's ice cap has thickened slightly in recent years despite wide predictions of a thaw triggered by global warming. Recent growth in the interior regions of the Greenland Ice Sheet is reported by a Norwegian-led team of climate scientists. The growth is estimated to be about 6 cm per year during the study period, 1992-2003.
Quelle: Recent ice sheet growth in the interior of Greenland
Details zur Satelliten-Untersuchung hier: ERS altimeter survey shows growth of Greenland Ice Sheet interior

Der scheinbare Widerspruch ergibt sich daraus, dass die Studie der Universität Kansas den Gletscherfluß im Süden Grönlands untersuchte, die norwegische Studie hingegen ganz Grönland.

Im Süden Grönlands liegen die Temperaturen im Sommer über dem Gefrierpunkt. Wird es, wie in der letzten Jahren, in Südgrönland wärmer, dauert die frostfreie Periode am Rande des Inlandeises länger, es schmilzt tendenziell mehr Eis ab. Hier sind die Gletscher tatsächlich auf dem Rückzug.
Weiter nördlich und weiter im Inneren des Inlandeise steigt die Temperatur niemals über den Gefrierpunkt. Ob die Jahreshöchsttemperatur dort -15 oder -12 Grad beträgt, ist für die Eisschmelze irrelevant.
Gleichzeitig haben die Niederschläge zugenommen. Es fällt mehr Schnee, weshalb die Gletscher dort wachsen und - aufgrund des durch die Eismassen anwachsenden Drucks - die Fließgeschwindigkeit des Eises zunimmt. (Eine Zunahme der Fließgeschwindigkeit deutet also nicht zwangsläufig auf "Abschmelzen" hin.)

Mittwoch, 25. Januar 2006

Im Wald nichts Neues

Die Meldung (hier von Umweltschutz-News) klingt vertraut:
Waldzustandsbericht 2005 vorgestellt: dem deutschen Wald geht es nicht gut

Eine seit gut 20 Jahren bekannte Tatsache wird dabei leider übersehen: Der Waldzustandsbericht sagt über den Zustand des Waldes herzlich wenig aus. Er ersteht, indem die sogenannte Kronenverlichtung der Bäume in vorgefasste Kategorien eingeteilt wird. Ein Problem dabei ist, dass Bäume aus natürlichen Gründen bis zu 70 Prozent weniger Blätter oder Nadeln in der Krone aufweisen können, ohne das der Baum wirklich krank ist. Die Belaubung bzw. Benadelung kann hauptsächlich witterungsbedingt von Jahr zu Jahr stark schwanken.
Dass der Wald kränkelt, stimmt, dass er sozusagen im Sterben liegt, stimmt nicht.

Weil sich diese Meldungen und die politischen Forderungen (mit geringfügigen Nuancen) mit jedem Waldzustandsbericht wiederholen, mag es erlaubt sein, einen langen und informativen "Zeit"-Artikel aus dem Jahr 2004 zum Thema zu verlinken:
Chronik einer Panik
Er stammt von Günter Keil, einem Forstwissenschaftler, der von von 1990 bis zu seiner Pensionierung 2002 im Bundesforschungsministerium die Waldschadens- und Waldökosystemforschung betreute.
Zum bis heute gebräuchlichen Verfahren der Waldschadenserfassung schrieb er:
Die erste bundesweite Erhebung von 1984 zeigte jedoch unerwartete Wirkung. Ihr böse aussehender Befund wirkte in der Öffentlichkeit wie ein Paukenschlag. Zu spät bemerkte die Regierung, dass dieses Verfahren nicht nur ungenau war. Viel schlimmer: Es lieferte systematisch viel zu hohe Zahlen über angebliche Schäden. Die Kritik der Wissenschaftler erwies sich als nur zu berechtigt. Aber der Versuch, nun – wie geplant – ein besseres Verfahren einzuführen, stieß auf vehemente Proteste der Umweltverbände und Medien, die darin den Versuch der Politik witterten, »den sterbenden Wald gesundzulügen«. Die Regierung kapitulierte, erhob die provisorische Blatt-Nadel-Verlust-Methode zum Regelverfahren – und entließ unliebsame kritische Forstwissenschaftler aus dem BML-Expertenkreis. Seither liefert das Ministerium Jahr für Jahr einen Bericht ab, der das stets traurige Ergebnis aller Blatt- und Nadel-Verlust-Zahlen zusammenfasste.

Freitag, 20. Januar 2006

Klimakatastrophe - zum Aussuchen

Die Klimaerwärmung schlägt wieder voll zu! Aus der Arktis werden Wärmerekorde gemeldet:
Auf Spitzbergen haben Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (Awi) die höchsten Januar-Temperaturen seit 15 Jahren gemessen.
->Netzzeitung:Wärmerekord in der Arktis

Anderseits herrscht in Osteuropa Rekord-Frost:
Bis zum Abend soll es mancherorts sogar bis zu 37 Grad kalt werden.
...Die Extremkälte soll noch bis Ende Januar andauern. Im Umland der nördlichen Millionenstadt St. Petersburg ordneten die Behörden bei Temperaturen von bis zu minus 40 Grad in den meisten Schulen kältefrei an. Selbst im relativ milden Süden Russlands sanken die Temperaturen am Ufer der Wolga auf minus 30 Grad.
->
Handelsblatt: Moskau friert bei -37 Grad


Übrigens ist der Januar bei uns bisher völlig im normalen Bereich.

Nachtrag:
Dieser Beitrag ist eine Ergänzung zu:
Von der Abschaffung des schönen Wetters

Faszinierend auch immer wieder die Kommentare, die praktisch jedes Wettereignis - egal, ob es besonders warm oder kalt, trocken oder nass ist - mit der Klimaerwärmung in Verbindung bringen. Denn kurzfristige und regionale "Ausreißer", wobei kurzfristig durchaus "mehrere Jahre" bedeuten kann, gab und gibt es immer wieder.
Nur langjährige Vergleiche von Klimadaten aus aller Welt erlauben Aussagen darüber, ob es tatsächlich wärmer wird.

Hierzu ->Metoswiss: Extreme Warmwinter
Normal ist nur der stete Wechsel
Zunächst ist festzuhalten, dass der vermeintlich "normale" Zustand nicht existiert. Normal bedeutet das Mittel der sich folgenden Episoden mit kälteren und wärmeren, schneereicheren und schneeärmeren Winter. Das Klima pendelt also um den sogenannten "Normalzustand", welcher jedoch eine rein statistische Konstruktion, aber keinesfalls eine Konstante der Natur ist. Wir erleben das Norm-Klima in Form der einzelnen Abweichungen. Und gerade das Winterklima wird von der Natur seit jeher mit besonderer Virtuosität variiert.
Wie das Wetter gerade an verschiedenen Orten in aller Welt aussieht, kann man dank Internet jederzeit nachsehen, z. B. hier
->: Wetteronline Da finden sich, bei hinreichend langer Suche, bestimmt allerlei "alarmierende" Wetterereignisse.

Mittwoch, 30. November 2005

Biokraftstoff ist schlecht für den Regenwald

Möglicherweise stellen die demnächt in Kraft tretenden EU-Vorschriften zur Beimischung von "Biosprit" aus Pflanzenöl zum Autokraftstoff eine Gefahr für Indonesiens und Brasiliens Urwälder dar, weil ein großer Teil der benötigten "Biomasse" auf gerodeten Regenwaldflächen angebaut wird. :(
THE drive for "green energy" in the developed world is having the perverse effect of encouraging the destruction of tropical rainforests. From the orang-utan reserves of Borneo to the Brazilian Amazon, virgin forest is being razed to grow palm oil and soybeans to fuel cars and power stations in Europe and North America. And surging prices are likely to accelerate the destruction
Bisher stammte der größte Teil des "Biodiesels" aus heimischen Raps-Anbau, aber das könnte sich leider bald ändern:
Until recently, Europe's small market in biofuels was dominated by home-grown rapeseed (canola) oil. But surging demand from the food market has raised the price of rapeseed oil too. This has led fuel manufacturers to opt for palm and soya oil instead. Palm oil prices jumped 10 per cent in September alone, and are predicted to rise 20 per cent next year, while global demand for biofuels is now rising at 25 per cent a year.
Der ganze Artikel von Fred Pearce im New Scientist:
Forests paying the price for biofuels

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