Leukämie und Mini-Atombomben (Letzter Teil)

Teil 1
Teil 2
Teil 3

In den vorangegangenen Teilen habe ich dargelegt, wieso ich die Hypothese, dass im GKSS-Forschungszentrum heimlich an "Mini-Nukes", kompakten Atombomben, gearbeitet wurde, für eine absurde Verschwörungstheorie halte. Dennoch bleiben eine Reihe Fragen offen.

In einem Kommentar zum ersten Teil dieser "Serie" hatte ich angemerkt, dass die Hypothese, das Partikel sog. Alpha-Strahler für die Leukämien verantwortlich wären, dadurch erhärtet werden könnte, das in der Region um die GKSS und das KKK (Kernkraftwerk Krümmel) auch vermehrt kindlicher Lungenkrebs (sehr selten!) und Leber-, Darm- und Knochenkrebs (ferner Nieren- und Blasenkrebs) vorkommen müßten.

Ich meinte auch, das entsprechende Recherchen die Möglichkeiten eines schlichten "Senfbloggers" überschreiten würden.

Das stimmt zum Glück nicht ganz, da es entsprechende Angaben im deutschen Kinderkrebsregister gibt. Sicher kann ein Einblick in dieses Register nur einen ersten Eindruck vermitteln, aber immerhin stellt dieser Eindruck Einiges klar. Von 1990 bis 2005 wurden dem Deutschen Kinderkrebsregister aus der Samtgemeinde Elbmarsch und aus Geesthacht 15 Leukämie-Erkrankungen gemeldet. Das stimmt mit den in der Presse genannten 17 Fällen perfekt überein, denn ein Kind erkrankte erst 2006, und in einem Fall (in Geesthacht) war ein junger Erwachsener betroffen. Legt man die bundesdurchschnittliche Erkrankungsrate zugrunde, wären in diesem Zeitraum etwa 5 statt 15 Erkrankungsfälle zu erwarten gewesen. (Der "Erwartungswert" für die Region wären 0,21 Fälle pro Jahr.) Die Erkrankungsrate ist sehr ungewöhlich, allerdings nicht so signifikant, dass eine rein zufällige Häufung ausgeschlossen werden kann. Andere Krebsformen - einschließlich der von mir aufgeführten - kommen laut Kinderkrebsregister in der Region um die GKSS nicht häufiger vor als im deutschen Durchschnitt.

Nicht nachvollziehen kann ich, wie Hajo Dieckmann, ehemaliges Mitglied der schleswig-holsteinischen Leukämiekommission, zu seiner Behauptung kam: "Legt man den weltweiten Durchschnitt zugrunde, dürften in einer derart kleinen Bevölkerungsgruppe eigentlich nur alle 60 Jahre jemand diese Krankheit bekommen".
Es gibt nämlich keine auch nur halbwegs zuverlässige weltweite Leukämie-Statistik, der weltweite Durchschnitt ist also reine Mutmaßung. Außerdem legt Dieckman eine sehr kleine Bevölkerungsgruppe, nämlich die der Gemeinde Tespe zugrunde (3.996 Einwohner am 31.12.2005, laut statistischem Landesamt Niedersachsen). Für eine statistisch brauchbare epidemiologische "Stichprobe" sind das zuwenig. (Selbst die etwas über 40.000 Menschen in Geesthacht und in der Samtgemeinde Elbmarsch sind, bei der Seltenheit der kindlichen Leukämie, eine "knappe" Stichprobe für verläßliche Aussagen.)

Bleibt die Frage nach den Micro-Globuli, den Mikrosphären, den radioaktiven "Kügelchen". Es gibt sie ohne Zweifel. Und sie enthalten auch die z. B. von der Arge PhAM beobachteten Isotope.
Auch das die neuen Untersuchung an der Sacharov-Umweltuniversität in Minsk, der zufolge die Isotopenzusammensetzung eindeutig künstlich ist, bringen keine wirklich neuen Erkenntnisse. Allerdings fällt auf, dass die Gesamtaktivität der angeblichen Kernbrennstoff-Partikel relativ gering ist - "frische" Kernbrennstoffe wäre deutlich stärker aktiv, erst recht "benutzte" Partikel aus einem laufenden Reaktor. Am ehesten wären die Kügelchen als "schwach aktiver radioaktiver Abfall" zu klassifizieren.

Was geschah am 12. September 1986? Soviel ist sicher: damals wurde eine deutlich erhöhte Betaaktivität bei regelmäßigen Messungen der GKSS in Obermarschacht festgestellt. Am gleichen Tag wurden im Kernkraftwerk Krümmel erhöhte Aktivitäten in der Fortluft gemessen (die Geräte für die Zuluft-Messungen wurden erst ein Jahr später installiert). Kleine Anfrage Antwort Die Meßwerte - bis zu 10 Bq/m³ Luft - wären bei einem Reaktorunfall oder einen Unfall mit nuklearen Sprengstoffen in weniger als 200 Meter Entfernung aber bei weitem höher gewesen.

Es gab tatsächlich einen Brand auf dem (damals) zwischen der GKSS und dem KKK gelegenen, frei zugänglichen Gelände. Ein "Großbrand" kann es nicht gewesen sein, dagegen spricht das Alter der dort noch vorhandenen Bäume. Die Spuren sprechen für einen kleinen Wald- bzw. Unterholzbrand.

Fazit: die GKSS ist, was mögliche vertuschte Unfälle mit radioaktiven Abfällen angeht, nicht aus dem Schneider. Allerdings beruht die Annahme, es hätte am 12. September 1986 einen schweren Unfall gegeben, nicht zuletzt auf Messungen der GKSS selbst.
Aber nicht nur ein Unfall bei "geheimer Atomwaffenentwicklung", sondern auch einer bei der Entwicklung / Erprobung eines neuen Reaktortyps kann meines Erachtens ausgeschlossen werden.

Damit stellt sich die Frage nach der Motivation der 6 "ausgestiegenen" Mitglieder der Untersuchungskommision und ihrer Anhänger. Was treibt sie dazu, hinter den ungeklärten Leukämiefällen und den vermeindlich geheimnisvollen "Kügelchen" eine ungeheuerliche Verschwörung zu vermuten?
Eine mögliche Antwort gab die "Zeit" 2004: Die Spaltung:
Nicht Eigeninteressen, aber Voreingenommenheit könnte es schließlich auch bei der Gruppe um Wassermann geben. Ihre Mitglieder sind engagierte Atomkraftgegner. Sie verstehen sich als Wissenschaftler für die Bürger, sie haben Studien spendenfinanziert in Angriff genommen. Sie haben eine demokratische Kultur des Misstrauens ausgeprägt; über Jahrzehnte waren sie oft mit abgeschotteten Bürokratien und Firmen konfrontiert und mit Kollegen, die sie von vornherein als »Außenseiterwissenschaftler« diskriminierten. Auch die schleswig-holsteinische Landesregierung habe immer wieder Informationen erst bröckchenweise zugegeben oder Messungen verhindert, kritisieren sie. Aber inzwischen scheinen sie, der Kommunikation kaum zuträglich, überall Verdacht zu schöpfen. »Wenn unsere Beamten nicht sofort stramm standen«, sagt Wilfried Voigt, »dann wurden sie gleich beschimpft, sie seien an Aufklärung nicht interessiert.«

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