Einsparen und Symbol-Steuern

Es muss bekanntlich gespart werden - koste es, was es wolle! Wobei gern "vergessen" wird, wie die horrenden Staatsschulden zustanden kamen Bankenrettung macht aus Irland einen Pleitekandidat (telepolis) und dass der strikte Sparkurs auf die Dauer teuer kommen könnte: Geldpolitik: Wie die US-Notenbank die Deflation fürchten lernt (FTD).

Gern eingespart wird auf allen Ebenen bei der Kultur. Der Fall der beschlossenen Schließung des Altonaer Museums ist nur eines von zahllosen Beispielen von "schmerzvollen Einschnitten" in den Kulturetat. Was sich auch aus der (erworbenen) Tunnelblick-Mentalität und Selbstdenkunfähigkeit der "Ölprinzen", die ja einen wachsenden Teil unserer "Entscheider" in Politik und Wirtschaft ausmachen, resultiert: Kultur ist nun einmal nicht produktiv. Einige wenige Bereiche der Kulturindustrie sind, im privaten Sektor, eventuell profitabel, aber für den öffentlichen Bereich ist Kultur nur ein unproduktiver Kostenfaktor. Allenfalls einige prestigträchtige Image-Projekte sind staatsbetriebswirtschaftlich verantwortbar.

Das Prinzip, nach dem gekürzt wird, ist einfach: da, wo am wenigsten Widerstand zu erwarten ist.
Wer sich aber nicht nur gut wehren kann, sondern sogar in der Lage ist, zu erpressen, dem wird gegeben. Finanzpolitik kann ja so einfach sein - fast wie im Gangsterfilm.
Genau so ist es auf der Einnahmenseite. Man muss sich nur einmal die Einkommensteuersätze ansehen - oder die abgeschaffte Vermögenssteuer.
Aber das weiß ohnehin jeder - bis auf die, die es nicht wissen wollen.

Wie aber sieht das auf der Ebene der stets klammen Kommunen aus? Höhere Gewerbesteuern? Vertreib zuverlässig Investoren.
Größeren Anteil an Landes- und Bundessteuern? Land und erst recht Bund sitzen rein machttechnisch gesehen, am längeren Hebel.
Phantasie ist gefragt, wie sich Steuern und Gebühren so gestalten lassen, dass die Mehrheit des Wahlvolkes entweder meint, sie beträfen sie nicht - oder, noch besser, beträfen die, die es sowieso nicht besser verdient hätten.
Also führt man, wie in Hamburg vorgesehen, und in Österreich schon praktiziert, eine Kostenbeteiligung bei leichten Verkehrsunfällen ein: die Unfallverursacher zahlen 40 Euro pro Polizeieinsatz. Kostenfrei kommt die Polizei nur noch bei Verkehrsunfällen mit Verletzten oder bei Unfallflucht. Jedenfalls vorerst.
Oder man führt, wie in den bekannte Kurorten Köln, Weimar und demnächst auch Hamburg, eine verpflichtende Kurtaxe ein. Die Taxe in Höhe von etwa fünf Prozent wird für Übernachtungen in den Hotels erhoben. Die Einheimischen sind nicht betroffen - optimale Einnahmequelle! Jedenfalls, wenn die Realität der Übernachtungen sich daran hält.

Populär sind auch symbolträchtige Steuern - auf Dinge, die der Volksgesundheit schaden. Leider hat eine Kommune ja keine Möglichkeit, z. B. eine Abgabe auf ungesunde Lebensmittel einzuführen. Außerdem gäbe das bloß Ärger mit diversen starken Lobbys.
Aber wie wäre es z. B. mit einer Sonderabgabe auf Solarien?
Essener Stadtrat beschließt "Bräunungssteuer"
Besitzer von gewerblich betriebenen Solarien, Sonnenbänken und ähnlichem sollen monatlich 20 Euro pro Gerät an die Stadt zahlen. Natürlich ist das auch gut für die Gesundheit der dummen Bürger, die ja nicht wissen, was für sie gut ist:
"Neben der Einnahmeerzielung hat diese Steuer jedoch auch den Zweck, aus Gründen der Volksgesundheit die Anzahl der in Essen betriebenen Geräte zu begrenzen."

Der Bund der Steuerzahler (übrigens auch eine Interessenvertretung - nicht aller Steuerzahler, sondern der gut Verdienenden, die an einem "schlanker Staat" und niedrige Steuersätze interessiert sind - notfalls auf Kosten des Sozialstaates), also der BdS, hat sich gegen die Steuer ausgesprochen. Und er hat recht, denn: "Bei einem voraussichtlichen Aufkommen von 150.000 Euro pro Jahr trägt die neue Steuer nur unwesentlich zur Haushaltskonsolidierung bei."
Wenn die Steuereinahmen überhaupt so groß sind - im Ruhrgebiet liegen die Städte bekanntlich dicht an dicht.

Aber sie hat Symbolkraft: Wir tun was! Wir tun sogar was für die Gesundheit! Und wenn der "Photomed Bundesfachverband Solarien und Besonnung" angekündigt, Klage einzureichen, wenn die Steuer beschlossen wird - soll er doch. Außerdem ist er eine eher schwache Lobby. Da es um die Gesundheit geht, bleiben wir moralischer Sieger! Popularität!
Die Frage, ob UV-Bestrahlung vielleicht auch positive gesundheitliche Wirkungen hat, verdrängen wir besser.


Zu diesem Thema gab es neulich in der 3Sat "Kulturzeit" einen netten, unterhaltsamen Beitrag, über den sich "Photomed" freuen
dürfte. Jedenfalls freuen würde, wenn er weniger ironisch wäre:



Stammt übrigens aus der Reihe Die zehn Verbote - womit wir fast wieder beim neuen Puritanismus wären.

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