Politisches

Donnerstag, 31. Mai 2012

Waffensupermarkt

Quelle: Amnesty International

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Samstag, 18. Februar 2012

Gedanken anläßlich des Scheiterns eines Vollzeit-Karrieristen

Sven Scholz bloggte schon über einen Monat vor dessen (längst überfälligen) Rücktritt das nötigste und wichtigste zu Wulff. Zentral ist Svens Feststellung, dass es in dieser Affäre - wie auch vielen andere Affären - keine "gute" und keine "böse" Seite gibt, und schon gar nicht, dass dadurch, dass eine Seite (z. B. die BILD-"Zeitung") moralisch falsch handelt, die andere Seite (z. B. Ex-Bundespräsident Wulff) moralisch aufgewertet wird.

In unserer Familie gibt es eine quasi stehende Redensart von der "wulffschen Krankheit". Das bezieht sich auf die Familie meiner Großmutter väterlicherseits, die vor ihrer Hochzeit den in Norddeutschland nicht gerade seltene Familienname "Wulff" trug. Auf Details möchte ich nicht eingehen, gemeint ist eine (angebliche) familiäre Häufung schwerer psychischer Störungen in der besagten Familie Wulff. Allerdings sind sie so unterschiedlicher Art, dass sich daraus z. B. keine erbliche Neigung etwa zur Schizophrenie ableiten ließe, und viele der angeblich "verrückten" Wulffs wären, nach heutigen Maßstäben, allenfalls exzentrisch, aber nicht "verrückt" im Sinne einer psychischen Störung. Auf dem Dorf, vor 70 oder mehr Jahren, wurde das aber anders gesehen: wer sich anders als "normal" verhielt oder auch nur "komische Ansichten" hatte, und dabei nicht dumm war, die (meistens) oder der (seltener) war eben "irrsinnig", "krank im Kopf".
Ich komme darauf, weil mir der Spruch, ich, mein Bruder, mein Vater, mein Onkel usw. hätten "die wulffsche Krankheit" seit eh und je vertraut ist. Eine universell anwendbare "Erklärung" für alle Verhaltensweisen, die irgendwie irritierend sind, nicht ins Weltbild und familiäre Selbstbild passen. Gewissermaßen die Familenausgabe der (gesamtgesellschaftlichen) Tendenz, Verhaltensweisen zu pathologisieren (bekanntestes Beispiel: die Behauptung, "Homosexualität" sei krankhaft).

Nun gibt es kaum jemanden, der Ex-Präsident Wulff für "Krank" erklärt. Der Mechanismus der Pathologisierung wird ganz "oben", anders als "unten" oder "draußen" (außerhalb einer als kuschelig gedachten "Mitte der Gesellschaft", wo sich all die "anständigen" und "normalen" Menschen aufhalten), nur selten eingesetzt.

Von seinen Unterstützern wurde dagegen, geradezu gebetsmühlenartig, die "Normalität" des Wulffschen Verhaltens betont, und auch viele seiner Gegner, die aus einer auf die Mailbox gesprochenen Peinlichkeit eine Bedrohung der Pressefreiheit konstruierten, äußerten Verständnis.

Nach den Maßstäben einer konservativen, "provinziellen", stark religiös geprägten Moral, der Moral des Milieus, aus dem der Ex-Präsident und Ex-Ministerpräsident angeblich (oder doch wirklich?) stammt, wäre Wulff im Grunde ein Kleinkrimineller, jemand, der sich schäbig und rücksichtslos egoistisch verhält, aber dem das Format für eine wirkliche "Schurkerei" fehlt, weil er dafür dann doch zu schlicht gestrickt ist.
Aus diesem engstirnigen und engherzigen Milieu kommen jene, die Wulffs Mentalität für "normal" halten, jedenfalls nicht.

"Normal" und für ethisch vertretbar wird es von einem Menschenschlag gehalten, der in der deutschen Politik, den deutschen Chefetagen, den deutschen Medien beinahe flächendeckend anzutreffen ist, und den Svens Bruder Jens so treffend beschrieb: den Karriereplaner.
[…] Wir kennen die schon aus unserer Schulzeit und die waren genau die Mitschüler, die sich immer mit dem System gut gestellt haben. Die genau hingeschaut haben, wer ihnen nutzen kann und die immer versucht haben, sich mit denen zu verbrüdern, damit sie ihnen bei den Hausaufgaben und Referaten helfen oder besser, sie ihnen gleich fertig erstellen im Tausch mit meistens materiellen Vorteilen und Gefallen. Insgesamt kamen diese Mitschüler relativ konservativ rüber, allerdings täuschte das - Konservativ waren nur ihre Ansichten zu Frauen und Beziehungen (denn wenn man Frauen aus der Karrieregleichung lässt hat man gleich schon viel weniger Konkurrenz) und ihre Ablehnung von jeder und jedem anderen, der auch nur den Ansatz einer Nonkonformität zu ihrem recht einfachen Wertekanon zeigte.

Die Einfachheit des Kanons war aber wichtig, denn sie war Grundlage für ihren Lebensentwurf. Der Mittelpunkt dieses Lebensentwurfes bildete und bildet die “Karriere”. […]”
Wulffs Mentalität der Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung ist nur unter bestimmten Leuten "ganz normal" - die leider (noch) auch "bestimmende Leute" sind.

Es war nur seiner Ungeschicklichkeit - und dem Streben der Presse, allen voran der BILD, den Kopf eines Bundespräsidenten als Jagdtrophäe an der Wand hängen zu haben - zu verdanken, dass ausgerechnet die kleinen Gaunereien des (real machtlosen) Bundespräsidenten ans Licht kamen - und nicht die mutmaßlich größeren anderer, real wichtigerer, Politiker, Wirtschaftsführer und Meinungsmacher, die auch zur "Generation Karriereplan" gehören.

Es gibt nur einen einzigen erfreulichen Aspekt an der sich seit Monaten dahinziehende Affäre. Man kann Christian Wulff wirklich dankbar sein, dass er es jedem, der es sehen wollte, über Wochen und Monate vorführte, wie ein Durchschnitts-Politiker der Bauart "Karriereplaner" so tickt und funktioniert. Der Mann ist weder dumm noch naiv, aber sein Wertekanon ist von bestürzenden Schlichtheit.

Karrierreplaner wie Wulff sind opportunistisch, aus anderen Gründen, aber mit einem ähnlichen Ergebnis, aus dem die klassischen autoritären Persönlichkeiten ihr Mäntelchen nach dem Wind drehen. Mittäter und Mitmacher.
Echte kriminelle Energie haben diese Vollzeit-Karrieristen mit dem chronisch guten Gewissen, da bin ich ausnahmsweise einmal der gleichen Ansicht wie konservative Spießer, aber nicht.
Die haben dafür andere. Als Amtsträger erkennt man sie daran, dass auch schlimmste Affären spurlos an ihnen abperlen, dass sie sich alles erlauben und damit durchkommen. Unsere Bundeskanzlerin Merkel würde ich durchaus zu diesem Typ Politiker zählen, noch deutlicher ist dieser Charakterzug beim Finanzminister (und mögliche Bundespräsidentenkandidaten) Wolfgang Schäuble, in der Wirtschaft ist der scheidende Vorstandsvorsitzende der Deutsche Bank, Joseph Ackermann, ein klassisches Beispiel eines "Teflon-Charakters" mit krimineller Energie.

Sonntag, 20. November 2011

Wo sind die Wurzeln des "Rechtsterrorismus"?

Ein Problem ist der weit verbreitete "niederschwellige" Rassismus. Den gibt es nicht nur in Deutschland, aber eben auch.
Ein weiteres Problem liegt in der tief in der deutschen Mentalität verankerten Neigung, autoritäre Gesinnung mit autoritären Mitteln bekämpfen zu wollen.
Wie Maritta Tkalec in einem Leitartikel in der FR schrieb:
Behördliche Akte können die Gesellschaft weder von Fremden- noch von Deutschenhassern säubern, weder von Dünkel noch von Hochmut, weder von Minderwertigkeitskomplexen noch von Neid oder Missgunst befreien. Solche Probleme liegen so tief im Alltag, dass die Politik darüber schweigt. Sie hat keine Lösung. Auch Journalisten haben keine. Man müsste die Mehrheit der Bevölkerung, Wähler aller Parteien, ächten.
Es ist zwar keine exklusiv deutsche Gefahr: Was gerade in Ungarn abläuft, von unseren Medien "übersehen", von unseren Politikern verdrängt, ist echt übel. Was in Ungarn passiert - dass Antidemokraten ganz demokratisch an die Macht kommen - droht IMO auch in anderen europäischen Staaten, darunter auch Deutschland.
Eine gern verdrängte, aber beim näheren Hinsehen nicht übersehbare Wahrheit spricht Mely Kiyak ebenfalls in der FR aus
Ein Drittel der Bürger denkt, dass Ausländer hier nicht hergehören. Das braucht die NPD gar nicht erst zu fordern.
Liebe rechtsextreme Mitbürger!

Die nicht etwa latente, sondern manifeste Xenophobie (wörtlich: Gastangst) vieler Deutsche ist zusammen mit der tief verwurzelten autoritären Gesinnung eine brandgefähliche Mischung; es ist der Stoff, aus dem das bisher größte und grausamste Verbrechen der Menschheitsgeschichte war - und dies üble Mischung ist in unserer Gesellschaft nach wie vor wirksam.
Der rechte Terror ist meines Erachtens zwar auch die Folge eines fehlenden personellen Bruchs mit dem NS-Regime - die erste Generation der bundesdeutschen Geheimdienste war mit überzeugten Nazis besetzt, und das bestimmt die Struktur diese Dienste bis heute.
Aber entscheidend ist, dass sich in den Untergrund abgetauchte Nazi-Mörder "wie die Fische im Wasser" bewegen konnten, und offenkundig mit Symphatisanten in Polizei, Verfassungsschutz, Politik, Medien - und auch bei den "einfachen Leuten" - rechnen können.

Nicht zu übersehen ist die Rolle der Medien, auch von "Qualitätsmedien", die den Hass auf Einwander und Minderheiten ganz "elegant" schüren. Ein Beispiel aus der "Welt" (gefunden von Stefan Steinhäuser):
Kein EU-Land hat mehr Ausländer als Deutschland
Zur Hasspropaganda - anders kann und mag ich es nicht nennen, liebe "Welt"-Redakteure - zeigt dieser Artikel ein Bild, dass
eine eine Frau mit Kopftuch in einer Menschenmenge fokussiert.
Übrigens steht im gleichen Artikel, dass Deutschland mit 8,8 Prozent Ausländeranteil eigentlich nur auf Platz 10 des EU-Rankings steht.
Die "Spitzenreiterposition" kommt nur zustande, wenn man die absoluten Zahlen nimmt! Klar, dass in einem großen, bevölkerungsreiches Land mehr "Ausländer" leben, als in einem kleinen.
Nebenbei: dass es in Deutschland so viele "Ausländer" im Vergleich z. B. zu Frankreich oder Großbritannien gibt, liegt einzig am deutschen Staatsbürgerschaftsrecht, das immer noch Einbürgerungen sehr erschwert.

Samstag, 15. Oktober 2011

Was die "Piraten" von den "frühen Grünen" unterscheidet

Ich gebe es ja zu: ich bin einer jener heute "alten Säcke", die gern von ihrer politisch wilden Jugend erzählen. Wobei ich zugeben muss, dass ich alles andere als "wild" war. Und entgegen einiger Legenden waren auch die GRÜNEN damals, in den 1980ern, halb so wild. Unter den eher zahmen Grünlingen war ich wohl einer der zahmsten ...

Es gibt viele Parallelen zwischen den 80er-Grünen und den heutigen "Piraten". Spätestens nach dem für viele überraschenden Erfolg der Piratenpartei bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen merken das sogar die sonst in dieser Hinsicht eher verschnarchten etablierten Medien.

Bei allen Gemeinsamkeiten - Basisdemokratie, Herkunft aus einer Protestbewegung, angebliche "ein-Punkte-Partei", die schnell ein Vollparteiprogramm entwickelt, die zeitweilige Gefahr, von "Rechtsaußen" unterwandert zu werden, usw. - und selbstverständlich sind auch die "Piraten" gegen AKWs, für regenerative Energiequellen, für mehr Umweltschutz usw. - fällt mir ein gravierender Unterschied auf.

Nein, ich meine nicht den noch ziemlich geringen Frauenanteil bei den "Piraten". Das ändert sich ja bereits. Ich meine einen grundlegenden strukturellen Unterschied.

Die "Piraten" sind fast durchweg neophil.

Die GRÜNEN waren größtenteils neophob (und sind sich, so viel sich bei den GRÜNEN geändert hat, in dieser Hinsicht treu geblieben).

"Neophil" bedeutet: das "Neue liebend". Das heißt nicht, das Menschen mit neophilen Neigungen immer allem hinterherlaufen, was gerade "neu", "in" oder nur "modisch" sind. Man kann Neophile auch nicht einfach als "fortschrittsgläubig" bezeichnen, und auch "progressiv" trifft es nicht ganz.
Nein, Neophile mögen den Wandel. Sie sind experimentierfreudig, begrüßen im Großen und Ganzen technischen und sozialen Fortschritt - wenn es in ihren Augen wirklich Fortschritt ist. Und sie schwärmen meistens für moderne Technik. Nachtrag: Neophile sind neugierig. Tatsächlich ist Neugier das typische Merkmal der Neophilen.
Natürlich sehen auch die mögliche Gefahren, auch solche, die mit moderner Technik verbunden sind, aber sie sehen sie eher in einem Missbrauch technischer oder organisatorischer Möglichkeiten, als in der Technik selbst.
Es kann aber sein, dass extreme Neophilie in Unrast, und in Lust auf Veränderung der Veränderung willen umkippt. Die Dosis macht das Gift.

"Neophob" bedeutet: das "Neue fürchtend". Das ist nicht unbedingt das selbe wie konservativ. Um den Unterschied zu verdeutlichen: Konservativ wäre eine Aussage wie:
"Die Familie hat sich als Institution und Keimzelle der Gesellschaft bewährt, deshalb wäre es falsch, sie infrage zu stellen, und deshalb sollten Familien unterstützt werden".
Neophob wäre die Aussage:
"Es gibt keine brauchbare Alternative zur Familie, wie sie nun einmal ist. Alle Versuche, die hergebrachte Kernfamilie mit Vater, Mutter und Kindern durch andere Modelle, von der Patchwork-Familie über die Homo-Ehe mit Adaptionsrecht bis zu 'Kommunen' zu ersetzen, sind gefährlich und daher entschieden abzulehnen. "
Neophobie kann anderseits eine Überlebenstatik sein - es gibt Situtationen, in denen Neugier tödlich sein kann und Angst vor Veränderung Schutz. Auch hier gilt: es ist eine Frage der Dosis. die war und ist bei den GRÜNEN und ihrem Umfeld allerdings schon verdammt hoch.
Ich wähle bewusst das Thema "Familie und Lebenspartnerschaft" als Beispiel, weil die GRÜNEN auf diesem Gebiet gerade nicht neophob sind oder waren.
Extrem neophob waren viele, sehr viele "Altgrüne" auf dem Gebiet der Technik. Geradezu legendär und aus heutiger Sicht lächerlich sind die Ängste, die sich für viele Grüne mit Computern verbanden - nicht nur wegen des möglichem Missbrauchs, nicht nur wegen der Auswirkungen der Elektronischen Datenverarbeitung (EDV), wie man es damals allgemein nannte, auf den Arbeitsmarkt, sondern an und für sich. Zwar waren auch damals unter den Grünen jene "Extrem-Ökos", die auf mein Eingeständnis, ich hätte mir einen PC gekauft, etwa so reagierten, als hätte ich einen kleinen Kernreaktor im Keller, eher die Ausnahme, aber die Beschlüsse der GAL (Grün-Alternative-Liste in Hamburg), für die Bürgerschaftsfraktion keine Computer nutzen zu wollen, kamen nicht von ungefähr.
Ein Überrest diese Haltung zeigte der Berliner GRÜNEN-Bundestagsabgeordnete Ströbele vor einigen Jahren, als er von Schüler-Reportern gefragt wurde, ob er einen Computer hätte, und er antworte: "Leider ja".
Selbst beim keineswegs technikfeindlichen und im Prinzip sogar computerfreundlichen "ökolinken" Flügel gab es Aussage wie, dass drei Technologien an sich menschenfeindlich und daher kompromisslos abzulehnen seien: Atomtechnologie, Gentechnologie und Raumfahrt.
Besonders bizarr wurde es manchmal, wenn die Rede auf regenerative, oder, wie es damals genannt wurde, alternative Energiequellen kam. Ich erinnere mich lebhaft an eine Diskussion über Photovoltaik, in der mein Gesprächspartner mir "bewies", dass immer mehr Energie für die Produktion der Solarzellen aufgewendet werden müsse, als diese Zellen jemals in ihrer Lebenszeit erzeugen könnten - und zwar "grundsätzlich". Grundlegende Verbesserungen in Wirkungsgrad und Lebensdauer schloss er aus.
Solche "Argumente" gegen Photovoltaik kannte ich sonst nur von glühenden Atomstromfans.
Noch bizarrer, wenn auch nicht in der GRÜNEN-Partei selbst angesiedelt, war eine kleine Broschüre über den Selbstbau von kleinen Windkraftwerken. Seltsam war nur, dass die AutorInnen der Broschüre behaupteten, auf Dinge wie Wirkungsgrad käme es nicht an, das sei das beschränkte Denken von Fachidioten, die nicht in alten Ölfässern (einem der Materialien, aus dem die Eigenbau-Windrotoren bestanden) denken würden. Anders gesagt: es herrschte eine starke Vorliebe für "mittlere Technologie", als Gegensatz zur "undurchschaubaren" Hochtechnologie und "das menschliche Maß übersteigenden" Großtechnik. Manchmal kam es mir so vor, als ob für manche "High-Tech" schon bei einer Fahrrad-Gangschaltung anfing.
Typisch war damals eine Wahlkampf-Aussage wie: "Wir müssen zurück zu einer ökologisch orientierten Wirtschaftsordnung", worauf sich sofort die Frage gestellt hätte, wann und wo es schon mal eine "ökologisch orientierte Wirtschaftsordnung" gegeben hätte, etwa in der Altsteinzeit? Eine ökologische Wirtschaftsordnung auf mehr als Wildbeuterniveau ist etwas noch nie Dagewesenes in der Menschheitsgeschichte. Aber vor so viel Neuem scheinen viele Menschen, vor allem in Deutschland, Angst zu haben.
Aber auch ich stellte die Frage nicht, denn ich wollte zwar nicht zurück zu vormodernen Produktionsweisen, stellte aber die implizite Behauptung, früher, in vorindustriellen Zeiten hätte es nicht nur keine nennenswerte Umweltverschmutzung gegeben, sondern wäre auch das ökologische Bewusstsein ausgeprägter gewesen, nicht in Frage.

Genug der Anekdoten aus der Zeit, als die GRÜNEN noch "grün" waren, und ich zur Minderheit der technikaffinien "Grünlinge" gehörte. Die Neophobie beschränkte sich nämlich nicht nur auf Technik, nur fiel sie da besonders auf. Ich behaupte, auch wenn ich bei den GRÜNEN nur dabei, aber nicht mittendrin war, dass die GRÜNEN damals mehrheitlich in Veränderungen, dem Unbekannten, Gefahren sahen. Politisch äußerte sich das z. B. in der damals weit verbreiteten Ansicht, im Interesse des Friedens müsse der "Ostblock" - die von der UdSSR beherrschten "real-sozialistischen" Teile der Welt - unbedingt erhalten werden, jeder Wandel würde zu Instabilität führen und damit den Krieg unausweichlich machen. Nicht, dass die GRÜNEN damals z. B. die DDR, so wie sie war, für ideal gehalten hätte - sie sollte natürlich unweltfreundlicher und vielleicht sogar demokratischer werden - aber das politische und wirtschaftliche System an sich sollte, des lieben Friedens wegen, nicht angetastet werden.
Diese Haltung war übrigens ein wesentlicher Grund dafür, wieso die GRÜNEN nach der deutschen Vereinigung im "Osten" so schwer Fuß fassen konnten, selbst nach der Fusion mit der Ex-DDR Bürgerrechtsbewegung "Bündnis 90". Die GRÜNEN galten als "Wessipartei", die sie voll und ganz auf "Westinteressen" eingestellt hätte und denen die Probleme "der im Osten" völlig egal wären.

Ich will nicht behaupten, dass die GRÜNEN nicht viel zum Besseren bewegt hätten. Sie war eine Partei, deren Zeit gekommen war, die es einfach geben musste. Sie war mir auch lange Zeit - sogar bis zur zweiten Legislaturperiode der rot-grünen Koalition, also über Joschka Fischers Zustimmung zur deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg und am Afghanistan-Krieg hinweg - die mit Abstand sympathischste Partei, auch wenn ich kein Mitglied mehr war.

Aber ihre tief sitzenden Neophobie in wichtigen Feldern der Politik machte sie auf die Dauer zur in mancher Hinsicht konservativsten Partei in der deutschen Parteilandschaft. Nicht nur im Sinne von "wertekonservativ" wohlgemerkt, sondern im Sinne von "bürgerlich-konservativ". Oder, wie es Jutta Ditfurth schon vor über 20 Jahren auf ihrer drastische Art ausdrückte: Ökospiesser.

Ich hoffe, dass bei den "Piraten" ihre Neophilie nicht eines Tages ebenso verhängnisvoll werden wird, wie die Neophobie der GRÜNEN.

Mittwoch, 28. September 2011

Die Wurzeln des "Krieges gegen Drogen"

"Genau so wie die Drogengesetze", fügte er hinzu. "Über Nacht wurden hundertausende harmlose Junkies zu Kriminellen; und wie? Durch Kongreßbeschluß, damals, 1927. Zehn Jahre später, 1937, wurden alle Grasraucher über Nacht zu zu Kriminellen ... durch Kongreßbeschluß. Und als die Gesetzesvorlagen mal unterzeichnet waren, wurden sie wirklich zu Kriminellen. Die Gewehre bewiesen es. Geh mal vor den Gewehren entlang, mit 'nem Joint in der Hand, und weigere dich stehenzubleiben, wenn sie dich rufen. Ihre Imagination wird innerhalb einer Sekunde zu deiner Realität."
Robert Shea / Robert A. Wilson: Illuminatus!

Dass der "War on Drugs", den praktische alle Staaten der Erde seit Jahrzehnten mit enormen Aufwand führen, nicht zu gewinnen ist, ist keine neue Erkenntnis. Es ist auch nicht so, dass er eine US-amerikanische Angelegenheit wäre, auch wenn die martialische Formulierungen eines "Krieges" tatsächlich von einem US-Präsidenten stammt, und die Anti-Drogen-Politik seitens der USA mit besonderem Aufwand verfolgt wird. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die Erkenntnis, der Anti-Drogen-Krieg sei nicht zu gewinnen, gerade in den USA besonders deutlich ausgesprochen wird: Jimmy Carter sieht "War on Drugs" gescheitert. In Europa, vor allem in Deutschland, sind die Töne leiser, die Strafverfolgung "dezenter", die Strafen in der Regel weniger hart. Aber das Ziel, eine Drogenprohibition durchzusetzen, ist das selbe. Die Besonderheit der USA liegt darin, dass sie die größte Volkswirtschaft der Erde sind - das heißt, die Drogenpolitik der USA wirkt sich automatisch auch auf "den Rest der Welt" aus, während z. B. die harte Prohibition vieler islamischer Staaten kaum "Fernwirkung" hat. Eine weitere Besonderheit der USA nach dem 2. Weltkrieg war ihre interventionistische Außenpolitik - Staaten, die eine andere Drogenpolitik als die USA verfolgen, müssen mit wirtschaftlichen Nachteilen, unter Umständen auch mit militärischem Druck rechnen. (Das soll keine deutsch-arroganter Seitenhieb gegen "die bösen Amis" sein - die europäischen Staaten, einschließlich Deutschlands, sind ebenfalls Interventionisten mit dem Hang, sich in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Allerdings mit weniger Machtmitteln.)

Nun ist Alkohol ebenfalls eine Droge, und zwar eine ziemlich gefährliche. Man kann auch nicht behaupten, dass eine Politik der Alkoholprohibition keine Probleme lösen würde. Beispielweise ging die Zahl der Leberzirrhosen während der Alkoholprohibition in den USA 1919-1933 deutlich zurück.
Man kann auch nicht behaupten, dass eine kleine, puritanische Minderheit einer trinkfreudigen Mehrheit ihre Maßstäbe aufgedrückt hätten. Die Prohibition war durchaus populär: schon vor 1916 führten 23 US-Staaten die Prohibition ein, 17 davon durch Volksabstimmung.
Dabei half ein bekannter gruppendynamischer Effekt den "Trockenen" (Befürworter eines Alkoholverbotes): die wenigsten Menschen gehören gern zu einer verachteten Minderheit. Ihre Bereitschaft, sich öffentlich zu ihrer Meinung zu bekennen, hängt in bestimmten Fällen von dem ab, was sie als (vermeintliche) "Mehrheitsmeinung" wahrnehmen. Im Falle der Prohibitionsgesetze hatten die "Trockenen", salopp gesagt, die bessere Presse. Hinzu kommt, dass in der US-Gesellschaft puritanische Moralvorstellungen (auch wenn sie nicht geteilt werden) hohes Prestige genießen.
Prohibition versprach und verspricht einfache Lösungen für komplizierte gesellschaftliche Probleme - und kann diese Versprechen, anders als andere "Patentlösungen", zumindest teilweise und vordergründig einlösen. Daher ist Prohibition eine beliebte Forderung populistischer Politiker. Besonders, wenn es nicht um eine "etablierte" Droge wie Alkohol, sondern im "Minderheitendrogen" geht.

Eine bekannte "Nebenwirkung" der Prohibition ist der Anstieg der Kriminalität. In den meisten Fällen bleibt es dabei bei Kleinkriminalität - Schwarzbrennen und -brauen, Schmuggel in überschaubarem Umfang. Aufgrund dieser Erfahrungen schienen die "kriminogenen" Auswirkungen der Prohibition in den USA hinnehmbar zu sein.
Es kam anders. Unter den Bedingungen der USA in den 1920er Jahren war die Prohibition praktisch ein Gesetz zur Förderung der organisierten Kriminalität. Die Mafia und andere Gangstersyndikate erwirtschafteten in dieser Zeit (geduldet durch die zum Teil bestochenen, zum Teil andere Interessen verfolgenden, oft nur einfach gleichgültigen) Behörden riesige Gewinne. Gangsterbosse wie Johnny Torrio oder Al Capone bauten sich eine Untergrund-Alkohol-Industrie samt Vertriebsnetz auf - ein profitables Geschäft, da das Verbot es ermöglichte, vielfach höhere Preise für Alkohol zu verlangen, als in "nassen" Zeiten.
Um die Kontrolle dieser lukrativen Schwarzmärkte lieferten sich rivalisierende Banden in Chicago oder New York fast täglich Schießereien. Die Kriminalität stieg schon im Jahr 1921 um 24% gegenüber dem Vorjahr.
Auch wenn die USA die Prohibition 1933 wieder abschafften, wirken die Spätfolgen bis heute nach. Die Strukturen des organisierten Verbrechens suchten nach dem Ende der Prohibition nach neuen Geschäftsfeldern - die "Syndikate" stiegen auf nach wie vor illegale Drogen um.
Ein zweiter struktureller Effekt: der riesige Staatsapparat, der zur Bekämpfung von Alkoholschmuggel errichtet worden war, suchte sich ein neues Beschäftigungsfeld. Er wurde auf die Bekämpfung der bis dahin noch legalen Cannabis-Produkte umgestellt. Die Prohibition einer "Mehrheitsdroge" wurde durch die Prohibition einer "Minderheitendroge" abgelöst. (Hierzu schrieb ich 2007 etwas: 70 Jahre Marihuana-Verbot in den USA - ein fragwürdiges Jubiläum.) Einer der Wurzeln des "Krieges gegen Drogen" ist in der Tat die Alkohol-Prohibition in den USA.

Einer der Gründe, wieso die USA die Bekämpfung der Drogenkriminalität zum "Krieg" ausweiteten, dürfte, wie einst die Alkohol-Prohibition, letzten Endes religiösen Ursachen haben. Im Falle der islamischen Länder mit Drogenprohibition ist die religiöse Begründung eindeutig. In Falle der USA vermutet z. B. Peter Michael Lingens, der ehemalige Herausgeber des österreichischen Nachrichtenmagazins "Profil", dass christlich-konservative Kreise in den USA via UN der der "Drogenkrieg" der ganzen Welt aufgezwungen hätten. Drogenmissbrauch: Sind die USA für die Rauschgiftkriminalität verantwortlich?
In den USA ist es nicht möglich, gegen die christlich-konservativen Kreise Politik zu machen. Für das Konzept eines "Krieges" gegen die Drogen ist sicherlich auch das Selbstbild der religiösen Rechten als gottgefällige, rechtschaffene und patriotische Bürger, die sich als "Mitte" der Gesellschaft fühlen, ausschlaggebend. Aus diesem Weltbild heraus sind Drogen "unamerikanisch", etwas, was von Neueinwanderer "eingeschleppt" wird. Ansatzweise ist das auch bei uns zu beobachten, zum Beispiel werden Schwarze auch in Deutschland häufiger durch die Polizei auf Drogen kontrolliert, als Weiße.

Ist der "Krieg gegen die Drogen" wirklich "alternativlos", wie oft behauptet wird?

Länder mit einer weniger strikten Gesetzeslage - wie Portugal, die Niederlande und Australien — haben nicht den explosionsartigen Anstieg des Drogenkonsums beobachten müssen, der von den Befürwortern des Drogenkriegs prophezeit wurde. Stattdessen wurde dort sowohl ein wesentlicher Rückgang von drogenbedingten Verbrechen festgestellt, als auch niedrigere Abhängigkeitsraten und weniger Todesfälle.

Fraglich bleibt, ob ein solcher Strategiewechsel politisch überall durchsetzbar wäre. Nicht nur in den USA, sondern auch (und vielleicht gerade) in Deutschland werden moralische und juristische Argumente gern absichtlich verwechselt - gelten Drogenkonsumenten als "moralisch verkommen", kann ein Politiker, der hartes Durchgreifen fordert, damit im Wahlkampf punkten.
Der Puritanismus mit seinen religiös begründeten harten moralischen Forderungen ist hierzulande längst nicht so stark wie in den USA. Dafür ist in Europa, vor allem auch in Deutschland, die Vorstellung gängig, man könnte gegen gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten mit gesetzgeberischen und polizeilichen Mitteln "vorbeugen". "Suchtprävention" mit Zwangsmaßnahmen, auch gegen die Junkies.

Ein weiteres Problem sind die im "Krieg gegen Drogen" geschaffenen Strukturen. Das sind einerseits Behörden bzw. deren Leiter, die um ihre Existenzberechtigung oder doch wenigstens um ihre "Wichtigkeit" (die sich in der Höhe des Budgets misst) bangen.
Auf der anderen Seite steht die internationale Drogenmafia, die sich den Ausfall ihrer "Geschäftsbasis" nicht kampflos gefallen lassen würde. Bei aller Skepsis gegen Verschwörungstheorien: es liegt im Geschäftsinteresse der organisierten Kriminalität, dass Drogen auch weiterhin illegal bleiben. Daher halte ich es für durchaus möglich, dass so manche "Kampf-den-Drogen-Initiative" insgeheim von den "Drogenbaronen" "gesponsort" wird.

Montag, 4. Juli 2011

Alternativwelt - und: Alternativen in einer Welt

Nachricht aus einer Alternativwelt:
Heute, am 4. Juli 2011, verstarb im gesegneten Alter von 98 Jahren Seine Majestät Otto, Kaiser von Österreich und König von Ungarn, Ehrenpräsident der Zentraleuropäischen Union, in seinem Privathaus im Pöcking am Starnberger See im Königreich Bayern. "Er ist friedlich eingeschlafen", sagte die Sprecherin des Hofes. Sein ältester Sohn Karl, der schon seit 2007 als Regent die öffentlichen Aufgaben des Staatsoberhauptes übernommen hatte, wird als Kaiser Karl II. König Karl V. die Nachfolge des greisen Monarchen antreten.
Kaiser und König Otto herrschte seit seiner offiziellen Thronbesteigung im Jahre 1930 und war damit über 81 Jahre Staatsoberhaupt Österreich-Ungarns. Obwohl ihn die 1917 verabschiedete Verfassung einer lediglich repräsentative Rolle zuwies, war Otto eine treibende Kraft der paneuropäischen Bewegung, ja, er verkörperte geradezu das Prinzip des Vielvölkerstaates, der "Einheit in Verschiedenheit". Ohne ihn, als Symbolfigur und eloquenten Fürsprecher, wäre die Neubegründung des alten Österreichisch-Ungarischen Gemeinwesen als moderner Bundesstaat schwer vorstellbar gewesen; auch die Gründung zunächst der Konföderation mit dem Deutschen Reich, ab 1954 dann des Bundesstaates der Zentraleuropäischen Union, sowie die Aussöhnung mit Frankreich und dem 1918 neu gegründeten Polen, fand in ihm stets einen Fürsprecher.
Freilich war seine Majestät auch ein tief im katholischen Christentum verorteter Konservativer, was durchaus zu Spannungen mit dem protestantischen Preußen führte. Seine Vorstellung eines neuen "Heiligen Römischen Reiches" wurde selbst von wohlwollenden politischen Köpfen in den letzten Jahrzehnten seiner langen Regentschaft belächelt; von der politischen Linken und Zentraleuropäern moslemischen Glaubens sogar heftig angefeindet.
Soweit der Bericht aus einer glücklicherer Alternativwelt, in der es den 1. und 2. Weltkrieg nie gab, Österreich-Ungarn und Deutschland auf friedlichem Wege zu demokratischen Bundesstaaten (mit parlamentarischem Monarchie nach britischem, niederländischem und skandinavischem Muster) reformiert wurden, und schließlich ein europäischer Bundesstaat, der nur aus historischen Gründen nicht "Vereinigte Staaten von Europa" heißt, entstand. Eine Welt, in der Hitler immer ein radikaler, aber einflussloser Provinzpolitiker geblieben wäre, eine Welt ohne Vernichtungskrieg und ohne industriellen Massenmord an Millionen Juden, "Fremdrassigen", Schwulen, Behinderten und willkürlich zu "Volksfeinden" Erklärten.
Eine alternative Welt, die ich schon deshalb für die "Bessere" halten würde. Auch wenn mir, als überzeugtem Republikaner, Monarchien, auch parlamentarische, zuwider sind, und ein Europa, das nicht zuletzt auf die "gemeinsamen Werte des Christentums" gegründet wäre, vielleicht ein Staatswesen wäre, aus dem ich lieber auswandern würde.

Es kann vermutet werden, dass Otto von Habsburg unter diesen Umständen ein "guter Monarch" gewesen wäre, denn bei einem nur durch die Kraft seiner Persönlichkeit wirkenden Staatsoberhaupt ohne reale Machtbefugnisse hätten sich die erzkonservativen Ansichten des realweltlichen CSU-Politikers nur wenig ausgewirkt.

Immerhin: er war, zusammen mit dem ungarischen Staatsminister und Reformer Imre Pozsgay, Schirmherr und Initiator des Paneuropäischen Picknicks am 19. August 1989. ein Meilenstein bei Überwindung des "Eisernen Vorhangs". Das wiegt - vielleicht - einige dumme bis rassistische Äußerungen, ein gerüttelt Maß an "Homophobie" traditionell-katholischer Bauart und einige Interviews für die "neurechte" Postille "Junge Freiheit" auf. Vielleicht. In der Realwelt war er nun einmal aktiver Politiker, und kein zur Zurückhaltung bei politischen Äußerungen angehaltener Monarch.

Übrigens - nimmt man die Kaiserproklamation von Kaiser Franz I. vom 11. August 1804 wörtlich, dann wäre Dr. Otto Habsburg-Lothringen, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, bis zur Abdankung in Form der Loyalitätserklärung gegenüber der Republik Österreich von 1961, nicht nur Erzherzog von Österreich, sondern Kaiser von Österreich gewesen!
In der Kaiserproklamation hieß es nämlich, dass von nun an das Oberhaupt des Hauses Österreich den Titel eines Kaisers von Österreich tragen sollte. Da die Proklamation gleichzeitig ausführt, dass sich durch die Annahme des Kaisertitels in den Verfassungen des Verbandes der Erbländer nichts ändere, ja es ausdrücklich vermeidet, den Verband der habsburgischen Erbländer als "Kaiserreich" zu bezeichnen, sagt es, dass der Kaisertitel der besondere Titel des Oberhauptes der habsburgischen Familie wäre.
Daraus folgt, dass das jeweilige Oberhaupt den Titel "Kaiser" tragen könnte, gleichgültig, wo und ob es regiert.

Berücksichtigt man den enormen symbolischen Gehalt des Titels "Kaiser", der Otto von Habsburg nach dieser monarchistischen Lesart war, und die im Vergleich zum fast bedeutungslos gewordenen ehemaligen deutschen Kaiserhaus Hohenzollern nach wie vor politisch und gesellschaftlich einflussreiche Familie Habsburg, dann wird vielleicht auch heute noch verständlich, wieso es auch nach der Loyalitätserklärung in Österreich zur "Habsburger-Krise 1961-1966" kommen konnte.

Samstag, 21. Mai 2011

Es sind keine Zufälle!

Wie langjährigen Lesern meines Blogs bekannt sein dürfte, habe ich für "Verschwörungstheorien" nichts übrig.
Das heißt aber noch lange nicht, dass ich Vorfälle wie diese: Tödlicher Schuss im Jobcenter (Süddeutsche.de) für eine reine Verkettung unglücklicher Umstände halten würde.
Es gab schon viele Fälle, denen Jobcenter-"Kunden" durchdrehten und gewalttätig wurden bzw. "amokliefen". Tatsächlich wundert es mich eher, wie wenig eigentlich in Jobcentern passiert.
Polizisten, die auf fatale Weise falsch reagieren - hätte die Angreiferin nicht anders gestoppt werden können, als mit einem tödlichen Schuss? - gibt es auch nicht gerade selten.
Wobei: unter Umständen könnte es sogar verständlich sein, dass die Polizistin geschossen hat. Nicht bestreiten will ich, dass die Situation war für den angegriffenen Polizisten gefährlich war.
Der Skandal ist, dass die Situation überhaupt so weit eskalieren konnte. (Und damit fordere ich jetzt nicht, dass Jobcenter-“Kunden“ künftig einem Sicherheits-Check im Flughafen-Stil unterworfen werden sollten – dieser Vorschlag kommt garantiert.) Leider überaus typisch war der Grund des Streites. Die Nigerianerin wollte eine Barauszahlung, der Sachbearbeiter bestand auf einer Überweisung. Eine gesetzlich zulässige Barauszahlung hätte die Situation deeskaliert - es ging um ganze 50 Euro - und vermutlich ein Menschenleben gerettet.
Ich verstehe auch nicht, warum die Polizisten auf die Angabe der Personalien bestanden, nachdem die Frau ausgerastet war, denn die Identität der Frau war im Jobcenter bekannt. Ja, ich weiß, solche Fragen sind reine Routine. Allerdings dachte ich bisher, dass Polizisten eigentlich wissen müssten, dass sie mit solchen Fragen einen Menschen, der buchstäblich von Sinnen ist, nur in die Enge treiben und die Rage geradezu anheizen.

Das Problem liegt in der Struktur des Betriebes "Jobcenter". Und zwar nicht beim kleinen Sachbearbeiter. Sondern auf der politischen Ebene. Und im (auch nicht vom Himmel gefallenen) gesellschaftlichem Klima.

Genau da liegt sich auch hier: Ausländerbehörde: “Ich mache dich alle, du russisches Schwein!”. Klar, es sind die Beamten und Angestellten, die Flüchtlinge bedrohten, beleidigten und nötigten. Und die juristische Schuld liegt voll und ganz und auch zurecht bei ihnen.
Aber wieso kommen kleine Sachbearbeiter überhaupt auf die Idee, solche Methoden anzuwenden - und offensichtlich für legitim zu halten? Ein möglicher Hinweis: ein Opfer gibt an, in der Befragung als "Asylbetrüger" beschimpft worden zu sein.

Zu wünschen wäre eine Diskussion über Amtsfehler und falsche Reaktionsmuster, über fehlende Deeskalation und gefährliche Klischees.

Aber was erwarte ich, wenn sogar die deutsche Bundeskanzlerin sich mit rechtspopulistische Behauptungen über die Faulheit von Südeuropäern, von denen sie weiß, dass sie nicht stimmen, profiliert?

Montag, 16. Mai 2011

Immer noch der "Sozialismus der dummen Kerle"

Die Ruhrbarone stießen mit ihrem Bericht über ein antisemitisches Flugblatt auf einem Server der Duisburger Linkspartei eine, meiner Ansicht nach lange überfällige Diskussion an: "Linkssein" - also eine politische Haltung, die an und für sich Nationalismus oder gar Faschismus strikt entgegengesetzt sein sollte - schützt nicht vor Antisemitismus.
Vor kurzem folgte bei den Ruhrbaronen ein interessanter Debattenbeitrag: LAL Shalom: Antisemitismus, Antiamerikanismus und die LinkeDer Landesarbeitskreis Shalom der Linksjugend sagt darin:
Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiver Antikapitalismus sind keine Alleinstellungsmerkmale einer bestimmten politischen Richtung, sondern in der gesamten Gesellschaft verbreitete Geisteskrankheiten, deren Symptome zwar vielfältig sind und sich immer auch, man verzeihe uns die blöde Phrase, “ein Stück weit” nach dem Weltbild der befallenen Person richten, jedoch immer die gleiche Wahnvorstellung vermitteln: ein Unvolk parasitärer, global agierender Wesenheiten, das für sich die Weltherrschaft beanspruche und unschuldige Völker ihres Blutes, ihres Bodens und ihrer Reichtümer beraube.
Die Bezeichnung "Geisteskrankheit" für die aufgezählten Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist grundfalsch, denn erstens kann ein psychisch Kranker für seine Krankheit nichts - Antisemiten usw. hingegen sind für ihre Ansichten selbst verantwortlich - und zweitens ist ein Begriff wie "Geisteskranker" für Antisemiten z. B. den "Heuschrecken" für eine bestimmte Form von Kapitalisten unangenehm nahe: es ist eine Metapher individueller Pathologie, die dazu verführen könnte, die Analyse des gesellschaftlichen Missstandes aus den Augen zu verlieren.

Abgesehen davon halte ich es für sehr wichtig, dass der LAK Shalom
in klaren Worten darstellt, was Begriffserklärung: Regressiver Antikapitalismus aus ausdrücklich sozialistischem Blickwinkel.

Die LAK Shalom spricht eine offenkundige, aber auch offenkundig wahre, Erkenntnis aus, die allerdings, nicht nur von "Linken" sehr ungern ausgesprochen wird:
Das größte Problem der Linken also, wie schon angedeutet, ist ihr manichäisches Weltbild. Gut und Böse sind klar definiert, und da alles, was das Gute tut, gut sein muss und alles, was das Böse tut, böse, kann vom Guten nichts Böses und vom Bösen nichts Gutes ausgehen.
Der Ausdruck"der Linken" lässt sich mühelos gegen die andere Überzeugungen z. B. "der Konservativen", "der Umweltschützer", "der Marktwirtschaftler", "der Vertreter westlicher Werte" usw. und vor allem, und da kommt der Manichäismus her, "der Christen" - aber auch "der Heiden" - austauschen.

Natürlich liefert die LAK Shalom keine tiefgreifende Analyse des Antisemitismus und verwandter Phänomene, was von einem Arbeitskreis einen Jugendorganisation einer Partei auch nicht zu viel erwartet wäre.

Das weit verbreitete manichäistische Denken zieht allerdings Beifall von der falschen Seite nach sich, der dann auch schon in den Kommentaren auftaucht. Wer die "Linken", in der es uneingestandenen Antisemitismus gibt (den gibt es übrigens in allen deutschen Parteien), z. B. mit der NPD gleichsetzt, für die Antisemitismus und regressive Kapitalismuskritik unverzichtbare weltanschauliche Grundlagen sind, hat gar nichts begriffen.
Auch rationale Kapitalismuskritik wird gern unter Antisemitismusverdacht gestellt, was meiner Ansicht nach nicht immer rein taktische Gründe, im Sinne einer "Antisemitismuskeule" hat. Manichäistisches Denken macht es eben einfach, der Gegenseite Schuld zuzuweisen, und sich selbst nicht für die eigenen Fehler und auch die eigene Mittelmäßigkeit verantwortlich zu fühlen. Deshalb ist es ja auch so beliebt.

Donnerstag, 12. Mai 2011

Wovor haben die dänischen Rechtspopulisten Angst?

Zumindest im Norden Deutschlands sorgte diese Nachricht für Verwunderung, in der deutsch-dänischen Grenzregion sogar für Entsetzen: Dänemark will Grenzen wieder kontrollieren (FAZ.net). Worauf die dänische Regierung mit Beschwichtigung reagiert: Dänemark spricht von "viel Lärm um nichts" (Stern.de).

In das freundliche Dänen-Bild vieler Deutscher (auch meinem - ich bin bestimmt nicht frei von starken positiven Vorurteile gegenüber dem nördlichen Nachbarland) will so eine harte Maßnahme nicht so recht passen.
Verglichen mit Deutschland geht die dänische Meinungsfreiheit ziemlich weit - Verbote "verfassungsfeindlicher Symbole" oder "Volksverhetzung" als Offizialdelikt gibt es dort nicht. Gerade Touristen fällt die "dänische Lockerheit" auf, "die Dänen" wirken gelassen, tolerant, pragmatisch und "hyggelig" (gemütlich, freundlich).
Es gibt auch kleine, aber entscheidende Mentalitätsunterschiede, die dazu führen, dass Deutsche die "Nordländer" in einem vielleicht manchmal zu freundlichem Licht sehen. Meine schwedischen Bekannten erwähnen gerne, dass es bei ihnen, anders als in Deutschland, nicht üblich ist, sich bei Streitereien mit hochrotem Kopf anzupöbeln. Das mag zum Teil ein schwedisches Vorurteil sein, und ich erlebe Dänen in der Regel als weniger reserviert und distanziert als die Schweden, aber ein Körnchen Wahrheit steckt schon darin: die "nordische" Streitkultur ist zurückhaltender, was nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass sehr wohl Streitereien gibt.
Außerdem ist die "Stichprobe" der Dänen, die einem deutschen Touristen über den Weg laufen, verzerrt: in den Touristengegenden an der Küste ist man verständlicherweise über möglichst viele deutsche Urlauber froh. Einige Kilometer landein ist die Interessenlage schon ganz anders: von "den Deutschen" hat man dort nichts, außer Ärger darüber, dass die Touristen aus dem Süden die Straßen überlasten, sich an Stränden und andere Ausflugszielen unerträglich breit machen, keine Rücksicht nähmen usw. usw. . In einigen Gegenden Jütlands sind außerdem die "billigen Arbeitskräfte" aus dem (im Vergleich) Niedriglohnland Deutschland gefürchtet.
"Die Deutschen" sind aber bestimmt nicht die Ausländer, die in Dänemark am meisten unter Vorurteilen und Vorbehalten zu leiden haben. Wie bei uns trifft es "fremdartig" aussehende Menschen und Einwanderer und Besucher aus islamisch geprägten Kulturkreisen am härtesten. Meines Erachtens gibt es in Dänemark zwar nicht mehr, aber auch nicht weniger, "Fremdenfeindlichkeit", Rassismus und Minderheitenhass als in Deutschland.

Was bringt "die Dänen" zu so einer Entscheidung? Der dänische Finanzminister Claus Hjort Frederiksen sagt, Ziel der neuen Kontrollen sei es, "die zunehmende grenzüberschreitende Kriminalität" zu bekämpfen. Justizminister Lars Barfoed sagte, es ginge vor allem um Einreisende aus Osteuropa. Es sind Begründungen, die in deutschen Ohren sattsam bekannt klingen.

Die Wiedereinführung der Grenzkontrollen ist Teil einer politischen Vereinbarung (man kann auch sagen: eines hochpolitischen Kuhhandels) zwischen der aus Venstre (Liberalen) und Konservativen gebildeten Minderheitsregierung und der als "rechtpopulistisch" geltenden Dansk Folkeparti. Die DF hatte ihre Zustimmung zu einer Rentenreform von den Grenzkontrollen abhängig gemacht. In der Vereinbarung wird eine permanente Präsenz von Beamten an der Grenze zu Deutschland festgelegt. Immerhin ist die DF drittstärkste Partei im Folketing, dem dänischen Parlament.

"Rechtspopulistisch" ist ein schillernder und unscharfer Begriff, In Deutschland würde sich eine Partei wie die DF vielleicht "Nationalkonservativ" nennen. Mit aller Vorsicht, die bei solchen Vergleichen angebracht ist, erinnert mich die "Dansk Folkeparti" stark an den rechten Flügel der CSU oder den "harten schwarzen Kern" der hessischen CDU, was die betonte Nähe zum Christentum, allerdings auch das im Vergleich zu "Neokonservativen" und "Neoliberalen" sozialere Profil und, eher äußerlich, die Vorliebe für Tradition und für das Folkloristische angeht. Eher an die "Pro"-Parteien erinnert hingegen die scharfe Islamfeindlichkeit, außerdem ist die DF europafeindlich.
Die Dansk Folkeparti tritt, wie für "rechte" Parteien üblich, für strenge Ausländergesetze ein, und wegen ihrer Funktion als unentbehrliche und manchmal betont wankelmütige Mehrheitsbeschafferin erreichte sie es, dass die Ausländergesetzgebung in Dänemark massiv verschärft wurde.

Die DF machte 2005 den "drohenden" EU-Beitritt der Türkei erfolgreich zum Wahlkampfthema und schlug dabei schrill anti-islamische Töne an. Vor der Folketingswahl 2007 wurden die nationalistischen und anti-islamischen Züge der DF noch deutlicher,
sie setzte sich für offen diskriminierende Gesetze und Regelungen ein: Unter anderem forderte sie, dass das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Raum verboten werden sollte (ungeachtet der Tatsachen, dass Kopftücher in manchen Gegenden Dänemarks zur traditionellen Tracht gehören, und die DF sich sonst gern mit dem Hochhalten von Tradition und Folklore schmückt). Gebetsräume für muslimische Mitarbeiter in dänischen Firmen und Halal-Fleisch in Kindergärten sollten, ginge es nach den Wahlkampfaussagen der DF, auch abgeschafft bzw. gesetzlich verboten werden.
Offensichtlich kamen die schrillen Töne beim Wähler an, und ebenso offensichtlich ist, dass sich die Danske Folkeparti im beginnenden Wahlkampf für die Folketingwahlen im Herbst zu profilieren versucht.

Die DF selbst sieht sich als "Partei des Zentrums", was eine Parallele mit der Selbsteinschätzung der CSU als "Partei der Mitte" ist. (Auch die "Pro"-Parteien und die österreichische FPÖ sehen sich, wenn man Parteifunktionäre fragt, in der politischen Mitte.) Was soziologisch gesehen gar nicht so falsch ist: solche Partei finden ihre Anhänger nicht unter gesellschaftlichen Außenseitern oder unter "abgehängten Modernisierungsverlierern", wie es manchmal heißt, sondern unter sich etabliert fühlenden Menschen, von der unteren Mittelschicht an aufwärts.

Offensichtlich ist, dass die Danske Folkeparti weit verbreitete Ängste bedient und fördert. Die meisten dieser Ängste gibt es auch bei uns, und es gab sogar einmal eine deutsche Partei, die (Hamburger) PRO alias "Schill-Partei, die sich neben der CSU stark am Vorbild der Dansk Folkeparti aus dem nicht allzu weit entfernten Dänemark orientierte.
Der DF in die Hände spielt, dass es seit Jahren ziemlich widerliche Pressekampagnen gegen die "rückständigen" Moslems gibt. (Wobei die weltweit Wellen schlagende "Mohammed-Karrikaturen"-Aktion der Jyllands-Posten bei weitem nicht die schlimmste Aktion war. Ich gestehe ihr sogar zu, "gut gemeint" (oft das Gegenteil von "gut gemacht") gewesen zu sein.)
Ähnliche Kampagnen gab es aber auch in Deutschland, und zwar nicht nur in der BILD, sondern auch z. B. im "Spiegel".

Die Wähler der DF sorgen sich, wie sehr viele Dänen (und auch sehr viele Deutsche) um die Zukunft ihres Sozialstaates. Wie auch in Deutschland führt das zur (von Medien und Politikern bis weit in die "Mitte" geförderten) Angst vor "ungezügelter Zuwanderung in die Sozialsysteme und die Kriminalität".
Eine weitere Angst, die es auch in Deutschland gibt, ist die Angst vor dem "europäischen Superstaat" und der Verlust der nationalen Souveränität - die angesichts erheblicher Demokratie-Defizite auf EU-Ebene meiner Ansicht teilweise nachvollziehbar sind.
Zuwanderern wird oft nicht zugetraut, dass sie das dänische Wertesytem übernehmen und sich den sozialen Normen anpassen könnten. Dieses kulturelle Vorurteil gilt manchmal schon für Deutsche, mitunter sogar für Schweden. Erst recht gilt es für Einwanderer aus außereuropäischen Ländern, vor allem Moslems.

Es gibt aber auch Unterschiede zu deutschen "Rechtpopulisten". Die Hochburgen der Danske Folkeparti liegen im ländlichen Raum, vor allem im ländlichen Jütland. Hier spielt die bereits erwähnte "Jyllands-Posten" eine große Rolle: Das Blatt stellt sich vor allem gegen die traditionell tolerante Haltung "Kopenhagens" in gesellschaftspolitischen Fragen.
Aus der Sicht mancher Leserbrief- und Forenschreiber in der Online-Kommunity der JP ist die dänische Hauptstadt eine Brutstätte der Einwanderkriminalität - und hoffnungslos überfremdet.
Bei der Debatte um die Grenzkontrollen wurde aber auch deutlich, dass es eine noch viel schlimmer Stadt gibt, bedrohlich nahe an der dänischen Südgrenze, nur gut zwei Autostunden von der Idylle Jütlands entfernt, in der es nicht nur Millionen rücksichtsloser Deutscher, sondern auch ganze Stadtteile, mit mehr Einwohnern als die größten Städte Jütlands, voller Türken, Araber und sonstiger Musels gibt. Eine Hochburg der Kriminalität (unter anderem daran erkennbar, dass so viele deutsche Krimis in Hamburg spielen), der losen Sitten, des Drogenhandels und des ungehemmten Linksradikalismus!
(Bevor man sich über die "dänischen Provinzler" abfällig amüsiert: solche Vorurteile gegen Hamburg habe ich auch schon von Deutschen gehört.)
Die Probleme mit deutschen Arbeitskräften, die für eine geringere Bezahlung als dänische Kollegen arbeiten, habe ich bereits erwähnt. Das ist in etwa vergleichbar mit der Angst in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen vor den "polnischen Billigarbeitern". Da Dänemark ein kleines Land ist, gibt es diese Angst nicht nur im Grenzgebiet.

Trotz einiger Besonderheiten - zu denen auch die wichtige Rolle, die Fragen der nationalen kulturellen Identität in Dänemark im Vergleich zu Deutschland einnehmen, gehört - sind "dänische Verhältnisse" auch in anderen Staaten Europas gar nicht so unwahrscheinlich. Man stelle sich nur einmal vor, im deutschen Bundestag säße eine rechtspopulistische Partei, vielleicht vom Schlage der glücklicherweise verblichenen "Schill-Partei", und die Regierung Merkel wäre darauf angewiesen, sich von den "Rechten" tolerieren zu lassen.
Ich gehe jeder Wette ein, dass wir kurz über lang Ausländergesetze vom "dänischen Zuschnitt", wenn nicht noch schärfer, hätten - und diese Gesetze bei einer soliden Mehrheit der Deutschen populär sein könnten.
Dass das bei österreichischen Regierungen mit FPÖ-Beteiligung nicht in diesem Ausmaß geschah, liegt daran, dass eine Partei, die eine Minderheitsregierung toleriert, ein größeres Erpressungspotenzial hat als eine Koalitionspartei. Sie wird zwar zwar quantitativ weniger von ihren politischen Zielen durchbringen als eine koalierende Partei, aber die wenigen Gesetze, die eine erpresserisch eingestellte Mehrheitsbeschafferpartei durchbringt, können dicke Kröten sein, die die Regierungspartei nur äußerst ungern schluckt.

Die die geplante Wiedereinführung der dänischen Grenzkontrollen wird in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Minderheitenparteien im deutsch-dänischen Grenzland, des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) und der Schleswigsche Partei (SP), scharf kritisiert: SP und SSW: Grenzkontrollen sind »unverantwortlich« (Nordschleswiger.dk)
»Der Alltag der Menschen im Grenzland wird erschwert, um einer politisch geschürten Angst vor Kriminellen gerecht zu werden. Das ist unverantwortlich«, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der SP-Vorsitzenden Marit Jessen Rüdiger und des SSW-Vorsitzenden Flemming Meyer.
»Sicherheitsmäßig gibt es keine vernünftige Begründung für eine derartige Ausweitung der Grenzkontrollen«, befinden die Grenzland-Politiker.
Weiter heißt es: »Der Grenzraum wird bereits heute durch eine Schleierfahndung von Polizei- und Zollbehörden engmaschig und weiträumig überwacht. Deshalb ist es absolut überflüssig, dass die dänische Regierung künftig wieder feste Zollkontrollen an den Grenzübergängen einrichten will. Der einzige Grund für diese Überwachung ist, dass die Regierung die Stimmen der DF braucht, um ihr Haushaltskonsolidierungspaket zu beschließen.«
Dem ist wenig hinzuzufügen.

Sonntag, 10. April 2011

Politsprech im Orbit - die "Raumfahrtstrategie" der deutschen Bundesregierung

Anlässlich des 50 Jubiläums des ersten bemannten Raumflugs sah ich mir auch mal an, was Deutschland so im All vor hat - das Raumfahrt-Programm der deutschen Bundesregierung. Da sprachliches Aufbrezeln spätestens seit dem nach eigenen Angaben mit "Bild, Bams und Glotze" regierenden "Medienkanzler" Gerhard Schröder zum Regierungsgeschäft gehört, ist es kein schlichtes "Programm", sondern natürlich eine "Stategie":
Raumfahrtstrategie der Bundesregierung (2010).

Nüchtern ökonomisch betrachtet ist an dem Programm wenig auszusetzen. (Auch wenn ich einiges daran auszusetzen hätte, aber ich denke zugegebenermaßen gern über die nüchterne Ökonomie heraus.) Es ist ein klassisches Programm zur Technologieförderung, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es fördert Projekte, die eine "high-tech"-orientierte Industrienation unterstützen muss, wenn sie, was das eingestandene Ziel der Bundesregierung ist, weiterhin eine überaus erfolgreiche Exportnation bleiben will. (Ob das Ziel, weiterhin kräftige Außenhandelsüberschüsse zu erwirtschaften, überhaupt sinnvoll ist, lasse ich mal außen vor.)
Egal mit welcher Begründung: das, was die Bundesregierung gefördert sehen will, ist allemal vernünftig. Telekommunikation, Robotik, Navigation, Katastrophen-Warnung und -Überwachung (Desaster Monitoring), Erdbeobachtung und Umweltschutz. Alles notwendig, alles vernünftig. (Dass die Bundesregierung auch weniger vernünftige Satelliten-Anwendungen, nämlich solche für militärische Zwecke, fördert, lasse ich ebenfalls mal außen vor.)

Alles schön und gut, aber wo bleibt die Grundlagenforschung? Das, was an der Raumfahrt wirklich "spannend" und mehr als reine Nutzanwendung ist, die Erforschung des Weltalls? Die Raumsonden, Forschungssatelliten, Weltraumteleskope? Es gibt sie, immerhin, und Deutschland will im Rahmen der ESA eine unbemannte Mondmission immerhin weiter prüfen, aber die Raumforschung geht irgendwie ziemlich unter. Jedenfalls im Vergleich zu den langen Ausführungen, wie man mit Raumfahrt ein Geschäft machen kann. Ehe nun der Eindruck entsteht, das Programm sei arg konservativ und vom Geist kleinkarierten Krämerseelen durchdrungen: auf einem Gebiet wird tatsächlich Pionierleistung gefordert, jedenfalls kann man die Aussagen zur künstlichen Intelligenz so verstehen. Der Aussage, dass "intelligente Roboter die Zukunft der Raumfahrt nachhaltig verändern" werden, kann ich nur zustimmen, auch wenn ich nicht so recht begreife, was das Adjektiv "nachhaltig" in diesem Zusammenhang soll. Ich hätte es gestrichen. Klar ist, dass die Autoren dieser "Strategie" Adjektive wie "nachhaltig", "effektiv", "effizient", "innovativ" , "global" und "umweltbewusst" offensichtlich lieben. Mit der "Raumfahrtstrategie" lässt sich vortrefflich Buzzword-Bingo spielen. Der Begriff "nachhaltig" stammt, zur Erinnerung, aus der Forstwirtschaft, und bedeutet, dass nicht mehr Holz geschlagen wird als nachwachsen kann. Entsprechend: "nachhaltige Landwirtschaft", "nachhaltige Fischerei" usw. - aber so etwas wie "nachhaltige Veränderung" ist Geschwurbel.
Natürlich darf auch der "Klimawandel" nicht fehlen, und zwar nicht nur dort, wo er hingehört (Erdbeobachtung usw.), sondern überall, wo er halbwegs plausibel eingebaut werden kann. Es gilt auch für diese "Strategie": Wäre die Bundesrepublik Deutschland mit Taten auch nur halb so eifrig wie mit Worten, es wäre viel für das Weltklima gewonnen.
Was auch auffällt: es fehlen Langzeitprojekte, etwa neue Raumtransportsysteme oder neue Antriebe.
Es ist offensichtlich tatsächlich so, wie ein ESA-Manager es vor einige Jahren ausdrückte: die Deutschen fördern nur Projekte, die in spätestens vier Jahren "marktreif" sind.

Da wir gerade ein halbes Jahrhundert bemannte Raumfahrt feiern: Wie hält es die Bundesregierung damit? Schließlich ist Deutschland (und damit der deutsche Steuerzahler) an der ISS beteiligt, betreibt also bemannte Raumfahrt.
Wie leider nicht anders zu erwarten, fehlt ein klares "Ja", und auch zu einem klaren "Nein" konnte sich die Bundesregierung letztes Jahr nicht durchringen:
Die westliche Welt muss die Fähigkeiten zur bemannten Raumfahrt behalten, solange robotische Systeme bei Aufgaben im All die menschliche Präsenz nicht vollständig ersetzen können. Wir werden darüber mit unseren Partnern in Europa, Amerika und Japan im Gespräch bleiben.
Immerhin könnte man daraus ableiten, dass die Bundesregierung die bemannte Raumfahrt für ein Auslaufmodell hält, aber wirklich klar sagt sie es nicht, denn es ist keineswegs ausgemacht, dass es in absehbarer Zukunft Roboter mit starker künstlicher Intelligenz, die selbstständig forschen und auf unvorhergesehene Ereignisse einfallsreich reagieren könnten, geben wird, so wie es keineswegs ausgemacht ist, dass Deutschland sich überhaupt an Raumfahrtprojekten beteiligen wird, die starke KI erfordern würden. Für Satelliten in der Erdumlaufbahn reicht schwache KI aus - ist kreatives Denken gefragt, kann die Bodenstation angerufen werden.

Oder, was man diese und ähnliche "Strategiepapiere" auch interpretieren könnte, hält die Bundesregierung generell kreatives Denken für überflüssig.

Diese "Raumfahrtstrategíe" ist, wie vieles in der deutschen Politik, von Angst bestimmt. Nicht der Angst vor konkreten Gefahren (Stichwort: Atomkraftwerke) oder einer diffusen "Technikangst", sondern aus Angst vor inhaltlich bestimmten politischen Auseinandersetzungen. Mit anwendungsnaher Technologieförderung kann die Bundesregierung nichts verkehrt machen, während die Lobby für langfristige oder gar zweckfreie Forschung schwach ist.
Angst hat man offensichtlich vor der zur Zeit relevantesten Oppositionspartei, den "Grünen" - daher ist in der "Raumfahrtstrategie" wohl so viel von "Umweltschutz" die Rede. Vor dem Vorwurf der Geldverschwendung scheint sie besonders viel Angst zu haben, denn das Papier liest sich streckenweise wie eine Verteidigungsschrift gegen einen Vorwurf, den - auf diesem Gebiet ! - niemand der Bundesregierung ernsthaft macht.

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