Spiritualität (und Religiosität)
Vor einige Tagen machte Joy eine wichtige Anmerkung: Der Unterschied von Spiritualität und Religion würde eigentlich nie deutlich genug gemacht.
Das stimmt. Ich weise zwar oft darauf hin, dass Spiritualität und Religion nicht dasselbe sind, aber wirklich definiert habe ich das bisher nicht.
Ganz einfach ist das nicht, denn der Gebrauch der Worte "Religion" und "Spiritualität" ist alles andere als einheitlich.
Theologen - vor allem der christlich-konservativen Richtung - setzen Religiosität und Spiritualität oft gleich oder sind der Ansicht, dass Spiritualität etwas sei, was sich aus der Religiosität ergäbe. In diesem Verständnis ist Spiritualität etwa gleichbedeutend mit Frömmigkeit.
Anderseits wird Spiritualität aus psychologischer Sicht oft als mehr oder minder bewusste Beschäftigung mit Sinn- und Wertfragen des Daseins gesehen. Damit wäre jeder über die alltägliche Notwendigkeiten, Triebbefriedigung und simple Zerstreuung hinausdenkender und hinausempfindender Mensch spirituell - einschließlich materialistischer Philosophen. Etwa üblicher ist es, als "spirituell" alles zu sehen, was sich auf eine immaterielle, nicht sinnlich fassbare Wirklichkeit (Gott, Götter, Wesenheiten, Geister, "Kräfte" usw.) bezieht, die dennoch erfahr- oder erahnbar wäre. Das Problem bei dieser Sichtweise ist, dass damit auch "Sinnangebote", die oberflächlich, leicht konsumierbar und inhaltlich weitgehend beliebig sind, unter Spiritualität fallen - einer "Spiritualität", wie sie vor allem in der Esoterik-Szene, aber auch unter "Feiertagschristen" gepflegt wird.
Das ruft wiederum - so sicher wie das "Amen" in der Kirche - die "Verteidiger des Glaubens" auf den Plan, die eine "Wohlfühl-Spritualität" heftig kritisieren, die an Gott - und damit "der Verantwortung vor Gott" und damit wiederum an "Moral" - nicht wirklich interessiert sei. Eine unverbindliche Spiritualität, die einfach nur "gut tut wie der frisch gebrühte Kaffee am Morgen", wie es vor gut zwei Jahren in einem ziemlich alarmistischen Artikel aus katholischer Sicht in der "Rheinischen Post" stand: Was glaubt, wer nicht glaubt.
Womit wir wieder bei der Ansicht wären, dass Spiritualität (jedenfalls "echte" und "ernsthafte") sich aus der frommen Religionsausübung ergäbe.
Hinzu kommt noch, dass die Begriffe "Religiosität" und "Spiritualität" vor allem in der englischen Alltagsprache oft synonym gebraucht werden.
Eine sehr brauchbare und nachvollziehbare Definition von "Spiritualität" und "Religion" fand ich in dem Buch Gott, Gene und Gehirn vom Wissenschaftsjournalisten Rüdiger Vaas und dem Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume. (In ihrer Einführung sprechen die Autoren übrigens über "Götter, Gene und Gehirne", was ich als Polytheist natürlich begrüße.)
Die beiden Autoren legen Wert darauf, dass Religiosität und Spiritualität gerade in der empirischen und evolutionären Religionsforschung zunehmend unterschieden würden, und widmeten dieser Unterscheidung daher ein ganzes Kapitel.
Religiosität ist das Verhalten von Menschen gegenüber "übernatürlichen" (im Sinne von naturwissenschaftlich nicht verifizierbar oder falsifizierbare) Akteuren wie Ahnen, Geister, Göttern, Gott. Damit greifen Vaas und Blume auf eine schon von Charles Darwin in seiner "Abstammung des Menschen" von 1871 formulierte Definition zurück. Die relevante Existenz von Ahnen, Geistern, Göttern, Bodhisatvas, Gott (u.a.) wird hierbei angenommen und wirkt sich auf die inneren Erfahrungen und das Verhalten aus. Dabei treten biologische Veranlagung und kulturelle Traditionen in Wechselwirkung.
Religiosität, verstanden als Verhalten zu "übernatürlichen" Akteuren ist gemäß Vaas/Blume (und ich stimme da völlig mit ihnen überein) nicht identisch mit dem Monotheismus. Ahnen, Tier-, Natur- und Menschengeister, die Götter der polytheistischen Religionen, Heilige, Bodhisatvas, aber auch geglaubte Kontakt-Außerirdische werden als wirkmächtige und ggf. rituell zu beeinflussende Personalitäten geglaubt, ohne dass sich deren Existenz verifizieren oder falsifizieren ließe. Dieser Hinweis ist wichtig, da sowohl Religionsverteidiger wie Religionskritiker oft dazu neigen, sich Religionsbegriffe je nach Vorliebe zurechtzubasteln.
Spiritualität beschreiben Vaas und Blume, nachdem sie darauf hinwiesen, dass sich in der interdisziplinären Evolutionsforschung zur Spiritualität ein Konsens herausgebildet hätte, so:
Spiritualität sei die Fähigkeit zu Transzendenzerfahrungen, biologisch unterschiedlich stark veranlagt und kulturell ausprägbar. Unter Transzendenzerfahrung sind hierbei Erweiterungserfahrungen zu verstehen: Die Betreffenden erfahren sich als Teil eines "größeren Ganzen", in dem "keine Grenzen mehr sind", ja, "alles als Eines" erkannt werde. Etwas weniger anspruchsvoll: Spiritualität beschreibt das Verhalten zu "außeralltäglichen" Erfahrungen, wie Entgrenzungs- und Alleinheitserfahrungen, Visionen etc..
Dabei gäbe es Menschen, die sich als tief religiös verstehen, ohne jemals spirituelle Erfahrungen gesucht zu haben und andere, die sehr spirituell orientiert sind, ohne religiös zu sein.
Erste, aber noch vorläufige Befunde z.B. unter Kirchenmitgliedern und auch Pfarrern deuten sogar auf eine Glockenverteilung der Spiritualität hin. Im Buch wird ein 20-Fragen-Ausschnitt des TCI-Tests von Robert Cloninger vorgestellt, den Blume und Vaas z.B. bei (evangelischen) Pfarrerseminaren testeten. Dabei kam tatsächlich eine Glockenkurve heraus - oft lag eine gewisse oder auch stärkere Spiritualität vor, selten eine völlige Abkehr oder aber massive Ausprägung.
Demnach kann sehr wenig Spiritualität ein Hinderungsgrund für religiöse Vergemeinschaftung sein - weil das Ritual, der Gottesdienst ggf. "stumm" bleiben. Das ist es vermutlich, was Max Weber meinte, als er sagte, er sei "religiös unmusikalisch": es fehlt einfach der Sinn fürs Transzendente. .
Umgekehrt kann auch eine sehr ausgeprägte Spiritualität ein Grund sein, sich keiner Religionsgemeinschaft anzuschließen. Intensive, individuelle Spiritualität lässt sich nur schwer in einen gemeinschaftlichen und lehramtlichen Rahmen einpassen. Die großen christliche Kirchen tun sich mit Mystikern und Charismatikern in der Regel sehr schwer. Der Umgang der Religion mit Spiritualität schwankt zwischen Verfolgung und Integration (z.B. in Form kontemplative Orden). Traditionen wie dem Buddhismus fällt die Integration in der Regel leichter. Monotheistische Traditionen stehen dabei vor dem Problem, dass "zuviel" All-Einheit die Gottheit in einem Pantheismus auflöst und damit ihrer Majestät und Handlungsrelevanz entkleidet.
Blume vermutet, dass der religionshistorische Umgang mit Spiritualität ebenfalls die Annahme einer Glockenverteilung untermauert.
Das ist im Grunde nicht überraschend. Bemerkenswert erscheint mir aber, dass genetische und neurobiologische Befunde darauf hindeuteten, dass es zwar Verschränkung, nicht aber eine Gleichsetzung religiöser und spiritueller Veranlagungen gäbe.
Mir ist bei solchen Forschungsergebnissen nicht ganz wohl, denn die Gefahr ist, dass die Folgerungen aus evolutionsbiologischen, genetischen, und neurobiologischen Erkenntnissen in eine biologistische Ideologie umkippen, ist groß. Sogar daran beteiligte Wissenschaftler neigen zu voreiligen und weltanschaulich befangenen Schlüssen. Noch größer ist die Gefahr, dass z. B. Rassisten und Möchtegern-Sozialingenieure sich auf "objektive biologische Erkenntnisse" berufen, wenn sie ihre Ideologie verbreiten. Vaas und Blume jedenfalls maßen sich erfreulicherweise keine vorschnellen und eindeutigen Antworten an.
Ich halte die von Vaas / Blume angeführte Definition von Spiritualität nicht nur für brauchbar und sinnvoll; ihr wissenschaftlich-nüchterner Begriff von Spiritualität stimmt völlig mit meinen Erfahrungen überein.
Künstler sind meistens sehr spirituell - auch wenn sie überzeugte Atheisten sind. Ich gehe so weit, zu behaupten, dass Kunst, die diesem Namen verdient, eine spirituelle Tätigkeit ist: In dem Moment, in dem so etwas wenig Fassbares wie Inspiration oder Intuition ins Spiel kommt, ist der schöpferische Prozess spirituell.
Zwischen Inspiration und kreativem Schaffen besteht ein ähnliches Verhältnis wie zwischen Spiritualität und Religion. Zwischen beidem gibt es einen Zusammenhang, der allerdings nicht zwingend ist. Nicht jeder, der Inspiriert ist, schafft großartige Kunstwerke oder geniale Erfindungen - und nicht jeder Künstler und Erfinder ist inspiriert.
Dennoch bin ich der Ansicht, dass es ohne Inspiration keine wirkliche Kreativität gibt - auch wenn kreatives Schaffen, wofür Einiges spricht, tatsächlich zu 99 % Transpiration und nur zu 1 % Inspiration ist, "ganz ohne" geht es nicht - jedenfalls dann nicht, wenn das Endergebnis in irgend einer Weise originell sein soll.
Hingegen scheinen mir sehr religiöse, "fromme", Menschen, vor allem Fundamentalisten, oft auffallend phantasielos und "unkreativ" zu sein.
Spirituelle Praktiken sind nicht immer an Religiosität, geschweige denn eine konkrete Religion gebunden. Gute Beispiele dafür sind Yoga und Zen-Meditation. Sonst hätten sie den indischen bzw. ostasiatischen Kulturraum niemals verlassen können. Es ist z. B. auch möglich, dass gregorianische Gesänge außerhalb eines christlichen Kontextes "funktionieren". (Mit fällt leider kein besseres Wort ein.)
Eine weitere spirituelle Praxis, die nicht an eine konkrete Religion gebunden ist, ist der Schamanismus - so etwas wie eine "schamanische Religion" gibt es einfach nicht. Ein Schamane (ich meine jetzt einen "echten" Schamanen aus einer traditionellen Stammeskultur) kann in der Praxis z. B. Polytheist, Buddhist, Hindu, Christ, Agnostiker oder sogar Moslem sein.
Nach meiner Erfahrung - und der Erfahrung von Menschen, die spirituelle Erlebnisse, etwa "Visionen", mystische Gipfelerlebnisse usw. hatte, ist "starke Spiritualität" nicht etwas, worauf man abzielt, sondern etwas, was einem zustößt.
Das Ziel der Spiritualität - wen es denn ein erkennbares Ziel gibt - ist meiner Ansicht nach keine Selbstoptimierung.
Das steht im Widerspruch zu vielen Angeboten auf dem "spirituellen Supermarkt". Aber der Drang, spirituelle Erfahrungen mindestens zur "Selbstverwirklichung" oder ganz direkt zur "Verbesserung der eigenen (auch beruflichen) Leistungsfähigkeit" nutzbar zu machen, wird von außen, von einer leistungsorientierten Gesellschaft, in der die Vorstellung, jeder sei "seines Glückes Schmied", prägend ist, angestoßen.
Stellt sich die Frage, ob Spiritualität nicht einen religiösen (im weiteren Sinne, also nicht auf quasi-kirchliche Religion bezogenen) Halt braucht, um wirklich vollständig funktionieren zu können.
Diese Frage kann ich nur für mich selbst beantworten: für meine Spiritualität ist das nur teilweise richtig. Ich wäre auch spirituell, wenn ich Agnostiker wäre - tatsächlich war das einige Zeit bei mir der Fall - und noch länger versuchte ich, agnostisch zu sein.
(Linktipp für an Religionswissenschaft im Zusammenhang mit Evolution Interessierte: das SciLogs Blog von Dr. Michael Blume: Natur des Glaubens.)
Das stimmt. Ich weise zwar oft darauf hin, dass Spiritualität und Religion nicht dasselbe sind, aber wirklich definiert habe ich das bisher nicht.
Ganz einfach ist das nicht, denn der Gebrauch der Worte "Religion" und "Spiritualität" ist alles andere als einheitlich.
Theologen - vor allem der christlich-konservativen Richtung - setzen Religiosität und Spiritualität oft gleich oder sind der Ansicht, dass Spiritualität etwas sei, was sich aus der Religiosität ergäbe. In diesem Verständnis ist Spiritualität etwa gleichbedeutend mit Frömmigkeit.
Anderseits wird Spiritualität aus psychologischer Sicht oft als mehr oder minder bewusste Beschäftigung mit Sinn- und Wertfragen des Daseins gesehen. Damit wäre jeder über die alltägliche Notwendigkeiten, Triebbefriedigung und simple Zerstreuung hinausdenkender und hinausempfindender Mensch spirituell - einschließlich materialistischer Philosophen. Etwa üblicher ist es, als "spirituell" alles zu sehen, was sich auf eine immaterielle, nicht sinnlich fassbare Wirklichkeit (Gott, Götter, Wesenheiten, Geister, "Kräfte" usw.) bezieht, die dennoch erfahr- oder erahnbar wäre. Das Problem bei dieser Sichtweise ist, dass damit auch "Sinnangebote", die oberflächlich, leicht konsumierbar und inhaltlich weitgehend beliebig sind, unter Spiritualität fallen - einer "Spiritualität", wie sie vor allem in der Esoterik-Szene, aber auch unter "Feiertagschristen" gepflegt wird.
Das ruft wiederum - so sicher wie das "Amen" in der Kirche - die "Verteidiger des Glaubens" auf den Plan, die eine "Wohlfühl-Spritualität" heftig kritisieren, die an Gott - und damit "der Verantwortung vor Gott" und damit wiederum an "Moral" - nicht wirklich interessiert sei. Eine unverbindliche Spiritualität, die einfach nur "gut tut wie der frisch gebrühte Kaffee am Morgen", wie es vor gut zwei Jahren in einem ziemlich alarmistischen Artikel aus katholischer Sicht in der "Rheinischen Post" stand: Was glaubt, wer nicht glaubt.
Womit wir wieder bei der Ansicht wären, dass Spiritualität (jedenfalls "echte" und "ernsthafte") sich aus der frommen Religionsausübung ergäbe.
Hinzu kommt noch, dass die Begriffe "Religiosität" und "Spiritualität" vor allem in der englischen Alltagsprache oft synonym gebraucht werden.
Eine sehr brauchbare und nachvollziehbare Definition von "Spiritualität" und "Religion" fand ich in dem Buch Gott, Gene und Gehirn vom Wissenschaftsjournalisten Rüdiger Vaas und dem Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume. (In ihrer Einführung sprechen die Autoren übrigens über "Götter, Gene und Gehirne", was ich als Polytheist natürlich begrüße.)
Die beiden Autoren legen Wert darauf, dass Religiosität und Spiritualität gerade in der empirischen und evolutionären Religionsforschung zunehmend unterschieden würden, und widmeten dieser Unterscheidung daher ein ganzes Kapitel.
Religiosität ist das Verhalten von Menschen gegenüber "übernatürlichen" (im Sinne von naturwissenschaftlich nicht verifizierbar oder falsifizierbare) Akteuren wie Ahnen, Geister, Göttern, Gott. Damit greifen Vaas und Blume auf eine schon von Charles Darwin in seiner "Abstammung des Menschen" von 1871 formulierte Definition zurück. Die relevante Existenz von Ahnen, Geistern, Göttern, Bodhisatvas, Gott (u.a.) wird hierbei angenommen und wirkt sich auf die inneren Erfahrungen und das Verhalten aus. Dabei treten biologische Veranlagung und kulturelle Traditionen in Wechselwirkung.
Religiosität, verstanden als Verhalten zu "übernatürlichen" Akteuren ist gemäß Vaas/Blume (und ich stimme da völlig mit ihnen überein) nicht identisch mit dem Monotheismus. Ahnen, Tier-, Natur- und Menschengeister, die Götter der polytheistischen Religionen, Heilige, Bodhisatvas, aber auch geglaubte Kontakt-Außerirdische werden als wirkmächtige und ggf. rituell zu beeinflussende Personalitäten geglaubt, ohne dass sich deren Existenz verifizieren oder falsifizieren ließe. Dieser Hinweis ist wichtig, da sowohl Religionsverteidiger wie Religionskritiker oft dazu neigen, sich Religionsbegriffe je nach Vorliebe zurechtzubasteln.
Spiritualität beschreiben Vaas und Blume, nachdem sie darauf hinwiesen, dass sich in der interdisziplinären Evolutionsforschung zur Spiritualität ein Konsens herausgebildet hätte, so:
Spiritualität sei die Fähigkeit zu Transzendenzerfahrungen, biologisch unterschiedlich stark veranlagt und kulturell ausprägbar. Unter Transzendenzerfahrung sind hierbei Erweiterungserfahrungen zu verstehen: Die Betreffenden erfahren sich als Teil eines "größeren Ganzen", in dem "keine Grenzen mehr sind", ja, "alles als Eines" erkannt werde. Etwas weniger anspruchsvoll: Spiritualität beschreibt das Verhalten zu "außeralltäglichen" Erfahrungen, wie Entgrenzungs- und Alleinheitserfahrungen, Visionen etc..
Dabei gäbe es Menschen, die sich als tief religiös verstehen, ohne jemals spirituelle Erfahrungen gesucht zu haben und andere, die sehr spirituell orientiert sind, ohne religiös zu sein.
Erste, aber noch vorläufige Befunde z.B. unter Kirchenmitgliedern und auch Pfarrern deuten sogar auf eine Glockenverteilung der Spiritualität hin. Im Buch wird ein 20-Fragen-Ausschnitt des TCI-Tests von Robert Cloninger vorgestellt, den Blume und Vaas z.B. bei (evangelischen) Pfarrerseminaren testeten. Dabei kam tatsächlich eine Glockenkurve heraus - oft lag eine gewisse oder auch stärkere Spiritualität vor, selten eine völlige Abkehr oder aber massive Ausprägung.
Demnach kann sehr wenig Spiritualität ein Hinderungsgrund für religiöse Vergemeinschaftung sein - weil das Ritual, der Gottesdienst ggf. "stumm" bleiben. Das ist es vermutlich, was Max Weber meinte, als er sagte, er sei "religiös unmusikalisch": es fehlt einfach der Sinn fürs Transzendente. .
Umgekehrt kann auch eine sehr ausgeprägte Spiritualität ein Grund sein, sich keiner Religionsgemeinschaft anzuschließen. Intensive, individuelle Spiritualität lässt sich nur schwer in einen gemeinschaftlichen und lehramtlichen Rahmen einpassen. Die großen christliche Kirchen tun sich mit Mystikern und Charismatikern in der Regel sehr schwer. Der Umgang der Religion mit Spiritualität schwankt zwischen Verfolgung und Integration (z.B. in Form kontemplative Orden). Traditionen wie dem Buddhismus fällt die Integration in der Regel leichter. Monotheistische Traditionen stehen dabei vor dem Problem, dass "zuviel" All-Einheit die Gottheit in einem Pantheismus auflöst und damit ihrer Majestät und Handlungsrelevanz entkleidet.
Blume vermutet, dass der religionshistorische Umgang mit Spiritualität ebenfalls die Annahme einer Glockenverteilung untermauert.
Das ist im Grunde nicht überraschend. Bemerkenswert erscheint mir aber, dass genetische und neurobiologische Befunde darauf hindeuteten, dass es zwar Verschränkung, nicht aber eine Gleichsetzung religiöser und spiritueller Veranlagungen gäbe.
Mir ist bei solchen Forschungsergebnissen nicht ganz wohl, denn die Gefahr ist, dass die Folgerungen aus evolutionsbiologischen, genetischen, und neurobiologischen Erkenntnissen in eine biologistische Ideologie umkippen, ist groß. Sogar daran beteiligte Wissenschaftler neigen zu voreiligen und weltanschaulich befangenen Schlüssen. Noch größer ist die Gefahr, dass z. B. Rassisten und Möchtegern-Sozialingenieure sich auf "objektive biologische Erkenntnisse" berufen, wenn sie ihre Ideologie verbreiten. Vaas und Blume jedenfalls maßen sich erfreulicherweise keine vorschnellen und eindeutigen Antworten an.
Ich halte die von Vaas / Blume angeführte Definition von Spiritualität nicht nur für brauchbar und sinnvoll; ihr wissenschaftlich-nüchterner Begriff von Spiritualität stimmt völlig mit meinen Erfahrungen überein.
Künstler sind meistens sehr spirituell - auch wenn sie überzeugte Atheisten sind. Ich gehe so weit, zu behaupten, dass Kunst, die diesem Namen verdient, eine spirituelle Tätigkeit ist: In dem Moment, in dem so etwas wenig Fassbares wie Inspiration oder Intuition ins Spiel kommt, ist der schöpferische Prozess spirituell.
Zwischen Inspiration und kreativem Schaffen besteht ein ähnliches Verhältnis wie zwischen Spiritualität und Religion. Zwischen beidem gibt es einen Zusammenhang, der allerdings nicht zwingend ist. Nicht jeder, der Inspiriert ist, schafft großartige Kunstwerke oder geniale Erfindungen - und nicht jeder Künstler und Erfinder ist inspiriert.
Dennoch bin ich der Ansicht, dass es ohne Inspiration keine wirkliche Kreativität gibt - auch wenn kreatives Schaffen, wofür Einiges spricht, tatsächlich zu 99 % Transpiration und nur zu 1 % Inspiration ist, "ganz ohne" geht es nicht - jedenfalls dann nicht, wenn das Endergebnis in irgend einer Weise originell sein soll.
Hingegen scheinen mir sehr religiöse, "fromme", Menschen, vor allem Fundamentalisten, oft auffallend phantasielos und "unkreativ" zu sein.
Spirituelle Praktiken sind nicht immer an Religiosität, geschweige denn eine konkrete Religion gebunden. Gute Beispiele dafür sind Yoga und Zen-Meditation. Sonst hätten sie den indischen bzw. ostasiatischen Kulturraum niemals verlassen können. Es ist z. B. auch möglich, dass gregorianische Gesänge außerhalb eines christlichen Kontextes "funktionieren". (Mit fällt leider kein besseres Wort ein.)
Eine weitere spirituelle Praxis, die nicht an eine konkrete Religion gebunden ist, ist der Schamanismus - so etwas wie eine "schamanische Religion" gibt es einfach nicht. Ein Schamane (ich meine jetzt einen "echten" Schamanen aus einer traditionellen Stammeskultur) kann in der Praxis z. B. Polytheist, Buddhist, Hindu, Christ, Agnostiker oder sogar Moslem sein.
Nach meiner Erfahrung - und der Erfahrung von Menschen, die spirituelle Erlebnisse, etwa "Visionen", mystische Gipfelerlebnisse usw. hatte, ist "starke Spiritualität" nicht etwas, worauf man abzielt, sondern etwas, was einem zustößt.
Das Ziel der Spiritualität - wen es denn ein erkennbares Ziel gibt - ist meiner Ansicht nach keine Selbstoptimierung.
Das steht im Widerspruch zu vielen Angeboten auf dem "spirituellen Supermarkt". Aber der Drang, spirituelle Erfahrungen mindestens zur "Selbstverwirklichung" oder ganz direkt zur "Verbesserung der eigenen (auch beruflichen) Leistungsfähigkeit" nutzbar zu machen, wird von außen, von einer leistungsorientierten Gesellschaft, in der die Vorstellung, jeder sei "seines Glückes Schmied", prägend ist, angestoßen.
Stellt sich die Frage, ob Spiritualität nicht einen religiösen (im weiteren Sinne, also nicht auf quasi-kirchliche Religion bezogenen) Halt braucht, um wirklich vollständig funktionieren zu können.
Diese Frage kann ich nur für mich selbst beantworten: für meine Spiritualität ist das nur teilweise richtig. Ich wäre auch spirituell, wenn ich Agnostiker wäre - tatsächlich war das einige Zeit bei mir der Fall - und noch länger versuchte ich, agnostisch zu sein.
(Linktipp für an Religionswissenschaft im Zusammenhang mit Evolution Interessierte: das SciLogs Blog von Dr. Michael Blume: Natur des Glaubens.)
MMarheinecke - Sonntag, 5. September 2010
Eins kapier ich immer nicht: Wieso sieht man irgendwelche wissenschaftlichen Neuro-Entdeckungen im automatischen Widerspruch zur persönlichen Erfahrung von irgendwas Göttlichem? Als Mensch hat man nun mal nur Wahrnehmung, und davon nur die eigene. Es kann doch nicht angehen, Wahrhaftigkeiten dadurch zu diskreditieren, dass sie wer wahrnimmt. :-) Mit dem Argument könnte man gleich das ganze Universum für nichtig erklären: weil sich alle Welt niederschlägt in irgendwelchen neurologisch messbaren Fünkchen o.ä. Hab ich mir vielleicht das Universum ausgedacht, weil mein Hirn messbar darauf reagiert? Ist mein - ebenso messbarer - Schmerz nur private Einbildung, weil mich ein Messer piekt? Bin ich der Urheber der Liebe, wenn ich sie spüre? Nee nee, tut mir leid, Leute: Dafür, dass all das was ich so wahrnehme, nur meine persönliche irrige Einbildung sein soll - dafür wär mir das Ergebnis dann doch zu öd geraten. VORSTELLEN könnte ich mir allemal was Besseres. :-))))
Die Wissenschaftler behaupten, es gäbe einen Stern namens Sirius - also dieses Lichtpünktchen, sagen sie, sei mehr als ein solches. Ich glaube ihnen. Aber ich kapier nicht, wieso DIESER nette Glaube meiner persönlichen Erfahrung (die weißgott ;-) niemand zu teilen braucht) im Wege stehen soll, dass z.B. "Odin" was ganz anderes sein kann als z.B. das Gegröhl angetrunkener Dumpfbacken.
Es mag ja sein, dass nicht alles existiert, worauf mein Hirn inwendig reagiert (vom Herz ganz zu schwelgen). Aber der Tatbestand, DASS mein Hirn reagiert, kann allein kein Beweis sein für die Nichtexistenz von irgendwas. Dann gäb´s nämlich wirklich GAR NIX. Und nur wenn DAS der Fall sein sollte - dann is´ alles wurscht. Weil dann is eh nix. Und das glaub ich nicht. Es fühlt sich anders an - es fühlt sich sozusagen zu sehr an. Ich denke: es ist was, weil ich fühle. Nun: ob ich bin, weil ich denke - darüber müsste ich doch noch mal nachdenken. Was hier zu weit führte... ;-) In diesem Sinne:
gute Nacht. Apropos. Ich glaube, dass die Nacht mit einem Morgen endet - und der könnte der Beginn eines neuen Tages sein. Nur ein Glaube. Braucht ja niemand zu teilen. Aber mir stellt sich das so dar. Und ich glaube sogar, dass ich nicht allein bin damit.
:-) Jetzt aber heia! :-)
Die die das meinen
Wenns ihnen dann immernoch wehtut gibts so kleine Reagiereindämmer nahmens "starke Schmerzmittel". Die sollten sie dann einwerfen und den Vorgang nochmal widerholen. Wenn alles geklappt hat können sie jetzt grinsen das sie sich nicht mehr so viel Wand einbilden und den Vorgang nochmal wiederholen.
Falls sie es jetzt noch schaffen sich vor einen Spiegel zu begeben, können sies mal versuchen da reinztuschauen und sich dann überlegen, wie sie das Hirn dazu kriegen können, nicht derart zu reagieren, daß sie meinen, daß ihr Gesicht so hässlich blutig ausieht. Gewonnen hat, wer sein Hirn dazu gebracht hat, das alles nicht mehr "wahrzunehmen". Das nennt man Transzendenz. Manche nennen es auch unromantisch, und im Materiellen verhaftet, "tiefe Bewußtlosigkeit" aber das sind auch nur die, die tatsächlich sich einbilden, da wär echt ne Wand und nicht nur eine neurologische Reaktion in ihrem Hirn.
Nightingale, so, wo Du es karrikierst, denkt IMO kein Wissenschaftler
Übrigens gilt eine früher sehr weit verbreitete Richtung der Psychologie, der Behaviorismus, als weitgehend überholt. Der Behaviorismus kümmert sich um "innerseelische Vorgänge" wie Bewusstsein oder subjektives Erleben schlicht nicht und geht davon aus, dass das Verhalten von Menschen und Tieren mit den Methoden der Naturwissenschaft untersucht werden kann. Das war kein kompletter Holzweg - die behavioristische Lerntheorie hat sich z. B. praktisch bewährt, vor allem da, wo es ums "Stoffpauken" geht, und die moderne Verhaltenstherapie hätte es ohne behavioristische Ansätze nie gegeben - aber insgesamt gilt diese Verhalten auf Reiz-Reaktionsschemata zurückführende Theorie als widerlegt.
Das Problem ist aber, dass der Behaviorismus so schön "einfach" ist, weshalb sich das simple "Knopfdruck"-Menschenmodell unter Meinungsmultiplikatoren (Journalismus, Public Relation, aber auch Sachbüchern, Selbstoptimierungskursen usw.) wie unter Entscheidern (weil es so effizient ist bzw. dem Effizienzdenken entspricht) hartnäckig hält.
Die neurobiologische Forschung ist zur Zeit einfach "in": sie ist - scheinbar - objektiver und effizienter als andere Ansätze, sie ist spektakulär (wichtig für Journalisten!), sie liefert - scheinbar - simple Erklärungen. Das teilt sie mit der Genforschung, wo gerne von einem "Trinker-Gen", "Intelligenz-Gen", "Homosexuellen-Gen" oder, von lautsprecherischen Keine-Ahnung-aber-mitreden-Wollern, "Juden-Gen" geredet wird.
Das Paradoxe an der neurobiologischen Forschung ist ja, dass unsaubere und windigen Studien ob ihrer spektakulären Ergebnisse meist leichter der Weg in die breite Öffentlichkeit finden, als seriöse, aber eben weniger spektakuläre Untersuchungen.
Bedanke Dich lieber bei Michael Blume und Rüdiger Vaas
Diese Auffassung teil er interessanterweise mit dem z. Z. populärstem (oder berüchtigsten, wie man's nimmt) "Neuen Atheisten", dem Evolutionsbiologen Richard Dawkins.
Die Ursache für dieses Missverständnis liegt ganz tief in der abendländischen Geistesgeschichte.
Feuerbach und Freud "entlarvten" den religiösen Glauben an Gott (Götter usw.) als Wunschdenken. Aber daraus, dass ich mir etwas wünsche und ich es gern hätte, dass es sich so verhält, folgt nicht, dass es das Gewünschte nicht gäbe, oder dass meine Vorstellung von den Vorgängen falsch sei. Eine bekannte Denkfalle für "Skeptiker".
Dann wäre da noch der tief verwurzelte "Körper-Geist"-Dualismus. Der hatte zu den Tagen René Descartes seine Berechtigung: indem er die "Seele" zum "Descartschen Steuermann" einer "Fleischmaschine" namens "menschlicher Körper" machte, wich er dem Konflikt mit der christliche Lehre aus, weil sich die Naturwissenschaft in aller Ruhe über die "seelenlosen Dinge" (einschließlich des menschlichen Körpers) hermachen konnte, ohne von Theologen bzw. Dogmatikern behelligt zu werden. (Gallieo geriet ja nicht deshalb mit der katholischen Kirche in Konflikt, weil er die heliozentrische Theorie vertreten hätte - als reine "Theorie für richtige astronomische Berechnungen" wurde die akzeptiert - , sondern weil er - nach damaliger Auffassung - den Rahmen dessen, was ein Naturforscher behaupten darf, überschritten hätte, indem er ein neues Modell "für die Welt als Ganzes" postulierte.)
Als der "Körper-Geist-Dualismus" im 19. Jahrhundert überwunden wurde, fiel vielen Gegnern dieser Annahme nichts besseres ein, als ein "materialistischer Monismus" - "Gedanken" und "Gefühle" sind nichts als Körperfunktionen.
Im Großen und Ganzen kreisen die Diskurse in der "westlichen Welt" nach wie vor um den Menschen als "von einem Gespenst bewohnten biologischem Roboter" und einem "biologischen Roboter ohne Gespenst". Ich bin zwar der Ansicht, dass das gespenstisch ist, aber da die konkurrierenden Ansätze alle nicht so mediengerecht / politikergerecht simpel sind, habe ich wenig Hoffnung, dass sich das mal ändert.
Das nehme ich an, obwohl die Verhaltensforschung, einschließlich der Neuro-Psychologie im Großen und Ganzen schon ganz woanders ist und die Frage nach dem cartesianischen Dualismus eine Frage ist, die vielleicht vor 150 Jahren mal aktuell gewesen war.