Göttliches Geflügel zum Jahresausklang

Während der Raunächte vermeide ich unnötigen Stress. Deshalb erspare ich mir auch (weitgehend) das Festtagsprogramm im Fernsehen - womit ich mir nicht nur zahllose langweilige Rückblicks- und Ausblickssendungen, Wiederholungen abgenudelter "Festtagsklassiker", sentimental-schnulziger "Volks"- "Musik"- Sendungen, in denen unschuldige Weihnachtslieder vor laufender Kamera brutal misshandelt und vergewaltigt werden, und heuchlerische Weihnachts- und Neujahrsansprachen erspare, sondern auch seichte Silvester-Shows und die sich Jahr um Jahr gleichenden obligatorischen Jahreswechselthemen.

David Harnasch vom "Cicero" hat sich, im Gegensatz zu mir, mutig dem medialen Festtagsmüll Weihnachtsprogramm gestellt. (Ja, der Job als Fernsehkritiker ist manchmal nicht einfach.) Dabei stieß er auf eine "Wissenschafts"-"journalistische" Sendung im ZDF, die es - unglaublich, aber wahr - tatsächlich schafft, "Gallileo-Mystery" auf Pro 7 im Niveau zu unterbieten. Gott weiß, ich will kein Engel sein.

Dass auch das ZDF auf der Esoterikwelle mitschwimmt, ist ebensowenig verwunderlich, wie dass es als (kirchennaher) Sender dabei die christlich-verbrämte "Engel"-Variante bevorzugt. Erstaunlich ist allenfalls, dass das im Rahmen einer "Wissenschafts"-Doku zu Engeln geschieht, die offensichtlich weitgehend auf "trockene" Wissenschaftlichkeit (Religionswissenschaft, Kulturgeschichte usw.) verzichtet und statt dessen einer geschäftstüchtigen Eso-Autorin, die mit ihren "Engelkarten" auch eine christentums-kompatible Tarot-Imitation schuf, als "Expertin" reichlich Raum zur Selbstdarstellung gibt.

Nehmen wir einmal an, ich würde als "Experte" in so einer Sendung auftauchen. Das ist so unrealistisch nicht - zum Beispiel erhielt ich im Sommer von der "Gallileo"-Redaktion eine Anfrage, ob ich als Experte für eine Sendung über Fakire zur Verfügung stünde. Ich lehnte mit dem Hinweis ab, dass ich zwar vor Jahren einmal einen Artikel über dieses Thema verfasst hätte, aber mein damals durch Literaturrecherche erworbenes Wissen nicht wesentlich über den Inhalt des Artikels hinausginge. Anders gesagt: Es wäre pure Hochstapelei, wenn ich mich als Experte für Fakire ausgeben würde. Meine einzige "Expertise" besteht darin, zu wissen, wo man was nachschlagen kann - also eine journalistische Grundfähigkeit.

Da ich bekanntlich böser Heide bin, und es nicht so mit den Engeln habe, hätte ich mich natürlich eher zum Thema "Fylgien" geäußert. Ich fürchte aber, dass ich, wenn ich tatsächlich sinngemäß die selben Formulierungen wie Alexa Kriele gebraucht hätte, als Beispiel dafür herhalten würde, was für ein bekloppter Schwachsinn von neugermanischen Spinnern geglaubt würde.
(Abgesehen davon wäre meine Fylgia ganz schön sauer auf mich gewesen breites Grinsen.)
Njörd (Gast) - 1. Jan, 12:29

Ich würde dem Harnasch nicht einfach glauben

Harnasch ist ein typischer Liberlala und hetzt gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehn. Ich habe die Sendung im Ganzen gesehen: in der Sendung kamen auch ein Biologe, ein Benediktinermönsch, ein Religionswissenschaftler und ein Historiker zu Wort. Diese Engel-Tante ist tatsache megapeinlich. Harnasch hat ihren Auftritt natürlich schön aus dem Zusammenhang gerissen.

MMarheinecke - 2. Jan, 16:33

Der zentrale Punkt: "Experten", die keine sind

Nein, ich verlasse mich beim Bloggen nicht allein auf Harnasch' Kritik: Ich habe mir die Sendung auf der ZDF-Mediathek angesehen.
Tatsächlich kamen auch echte Fachleute zu Wort, wie der Religionswissenschaftler Johann Hafner. Allerdings nahm die seriöse Auseinandersetzung mit dem Thema nur einen kleinen Teil der Sendung ein, der große "Rest" bestand aus (sorry) nichtssagendem Gewäsch und dem Auftritt von Pseudo-Experten.

Die ausführliche Eigenwerbung der "Engel-Dolmetscherin" / "Eso-Tante" Alexa Kriele war dabei nur das krasseste Beispiel für eine Pseudo-Expertin in dieser Sendung. Auch den Benediktinerpater Anselm Grün halte ich, obwohl ich seine Form des Engelglauben weitaus besser nachvollziehen kann, nicht für einen "Experten", sondern für einen "Engel"-Autoren, der sich ins Gespräch bringt, aber nur wenige Tatsachen zum Thema beizutragen hatte. Beim Thema "Engel" ist auch der auf seinem Gebiet sehr seriöse Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera kein echter Experte - denn aus Sicht der Naturwissenschaft lässt sich allenfalls sagen, dass sich das Phänomen "Engel" nicht mit naturwissenschaftlichen Mitteln fassen lässt. (Egal, ob man "Engel" z. B. als metaphysisches, als mythologisches oder als psychologisches Phänomen betrachtet - oder gar mit Marx knallhart-materialistisch als "Nebelbildung des Gehirns" - mit den Methoden der Evolutionsbiologie kommt man da nicht weit.) Folglich redete Kutschera nicht über Engel, sondern über Menschen mit Flügeln.
Yadgar (Gast) - 20. Mai, 19:17

Mönsch?

High!

> Benediktinermönsch

Ich vermute mal, du bist Rheinländer... willkommen im Club!

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