Man kann es nicht oft genug wiederholen ...

Es sind immer wieder die gleichen drei Lügen, um die jede Diskussion über die Probleme unseres Gesundheitswesens kreist:
  • Lüge 1: Es gibt eine Kostenexplosion im Gesundheitswesen.
  • Lüge 2: Deutschland hat zu hohe Lohnnebenkosten.
  • Lüge 3: Die Überalterung unserer Gesellschaft macht das Gesundheitswesen zunehmend unbezahlbar
In der FR-online, von Dr. med. Bernd Hontschik:
Diagnose: Propaganda
Köppnick - 14. Apr, 21:29

Dieselbe Argumentation gilt für das gesamte Sozialsystem, z.B. für die Rente.

Rayson (Gast) - 15. Apr, 20:40

Es ist immer etwas gefährlich für die eigene Glaubwürdigkeit, Thesen, die man mit halbgaren Argumenten meint entkräftet zu haben, als "Lügen" zu bezeichnen.

"Es gibt eine Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Falsch. Der Anteil der Kosten für das Gesundheitswesen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist seit Jahrzehnten konstant, schwankt gering um 10 Prozent."

Ja, aber doch nicht zufällig. Es gibt für den großen Teil der von der GKV bezahlten Leistungen seit Jahren feste Budgets. Das Budget von Krankenhäusern z.B. durfte in den letzten Jahren nur so um die 1% wachsen.

Das Wort "Kostenexplosion" ist sowieso der falsche Ansatz. Wenn man es ließe, gäbe es im Gesundheitswesen eine "Leistungsexplosion".

"sondern hauptsächlich wegen der Einnahmeeinbrüche durch die hohe Arbeitslosigkeit und unzureichende Lohnerhöhungen"

Da würde mich nur interessieren, ob dem Herrn Dr. med. Hontschik dieser Vulgärkeynesianismus im Medizinstudium beigebracht wurde.

"Seit Einführung des Gesundheitsfonds zu Beginn dieses Jahres ist dieses Argument besonders dreist, denn der Arbeitgeberbeitrag wurde auf 7 Prozent eingefroren. Jede Erhöhung geht ab sofort alleine zu Lasten der Arbeitnehmer."

Also wenn schon Vulgärkeynesianismus, dann richtig. Der Mann sollte sich bei Oskar Lafontaine erkundigen. Der würde ihn informieren, dass die Aufteilung von "Arbeitgeber-" und "Arbeitnehmeranteil" Schmonzes ist. Beides ist Lohnbestandteil, natürlich mit dem kleinen Unterschied, dass bei den Tarifverhandlungen nicht darüber, sondern über ein willkürliches Konstrukt in der Mitte der Lohnkosten, den "Bruttolohn" geredet wird. Es ist also auch wirklich kürbisegal, ob die Lohn"neben"kosten zu hoch sind oder nicht: Es kommt immer auf die gesamten Lohnkosten an.

"Die Überalterung unserer Gesellschaft macht das Gesundheitswesen zunehmend unbezahlbar. Falsch. Keine Talkshow ohne diesen Unfug, kein Gesundheitsexperte, der diese Karte nicht zieht. Richtig ist: Jeder Mensch verursacht den Löwenanteil der Gesundheitskosten seines Lebens fast immer im letzten Jahr vor seinem Tod."

Logischer Fehler entdeckt? Richtig: Wie hoch der Anteil der Gesundheitsausgaben eines Menschen in seinem letzten Lebensjahr gemessen an seinen Ausgaben im gesamten Leben ist, sagt nichts darüber aus, wie hoch diese Ausgaben insgesamt sind. Und auch ein "Löwenanteil" bleibt ein "Löwenanteil", wenn er sich von 80% auf 60% verringern würde...

Tatsache ist, dass der medizinische Fortschritt vielen Menschen ein längeres Leben ermöglicht, das aber nicht ohne Ausgaben für die erbrachten Leistungen.

"Unbezahlbar" ist im übrigen ein Wort, das ich nicht verwenden würde. Dass in einer immer älter werdenen Bevölkerung immer "mehr bezahlt" werden müsste, sollte aber klar sein.

Nightingale (Gast) - 15. Apr, 22:23

"Jeder Mensch verursacht den Löwenanteil der Gesundheitskosten seines Lebens fast immer im letzten Jahr vor seinem Tod."

Das kann ich bestätigen. Die Neuroleptika, an denen ich fast krepiert wär, kosteten ca. 600,- im Monat. Hätte mir die Krankenkasse das Geld, immerhin ca. 1800,-E, direkt in die Hand gedrückt, wär ich längst wieder gesund, denn das hätte die Folgen des ursprünglichen Traumas wesendlich besser gelindert und die Psychotherapie, die ich jetzt mache, wäre vermutlich auch kostengünstiger (weil kürzer) ausgefallen. Von den restlichen Folgekosten für die Krankenkasse garnicht zu reden.
Soviel zum Gesundheitswesen. Echt, das explodiert doch nicht?
Mist.
Nichtmal in den Ruin überaltern kann mans?
Menno, dann hätt ich mir das absetzen auch sparen können.
Ey ihr seid schlimmer als Neuroleptika, ihr raubt einem auch jede Illusion.
;-P
Köppnick - 16. Apr, 05:57

"Die Überalterung unserer Gesellschaft macht das Gesundheitswesen zunehmend unbezahlbar. Falsch. Keine Talkshow ohne diesen Unfug, kein Gesundheitsexperte, der diese Karte nicht zieht. Richtig ist: Jeder Mensch verursacht den Löwenanteil der Gesundheitskosten seines Lebens fast immer im letzten Jahr vor seinem Tod."

Logischer Fehler entdeckt? Richtig: Wie hoch der Anteil der Gesundheitsausgaben eines Menschen in seinem letzten Lebensjahr gemessen an seinen Ausgaben im gesamten Leben ist, sagt nichts darüber aus, wie hoch diese Ausgaben insgesamt sind. Und auch ein "Löwenanteil" bleibt ein "Löwenanteil", wenn er sich von 80% auf 60% verringern würde...


Rechenbeispiel: Wenn ein Mensch 61 Jahre alt wird, in den ersten 60 Jahren Kosten von 1 verursacht und im letzten 100, dann betragen die durchschnittlichen Kosten je Jahr 2,64. Wenn ein Mensch 101 Jahre alt wird, dann 1,99. Die relativen Kosten je Lebensjahr können beim Älterwerden der Menschen sogar sinken - wenn man dafür Sorge trägt, dass ältere Menschen auch produktiv sein dürfen.

Dazu zählt aber nicht nur die Erhöhung des Rentenalters, sondern vor allem, dass sich nicht fortlaufend Besserverdienende aus dem System verabschieden (Stichworte: Privatversicherung, Kappungsgrenzen für die Sozialversicherungssysteme) und dass Unternehmen dazu gezwungen werden, die Älteren tatsächlich auch zu beschäftigen und nicht auf Kosten der Allgemeinheit zu entsorgen.

Denn auch das ist statistisch nachweisbar: Wer Arbeit hat, produziert nur nicht bloß mehr Werte, sondern ist auch seltener krank. Die kausale Wechselwirkung zwischen Arbeit und Gesundheit geht nämlich in _beide_ Richtungen.

Gilt für alle Sozialsysteme, z.B. die Rente. Aber das schrieb ich ja bereits weiter oben.
Rayson (Gast) - 18. Apr, 15:11

Aus der Annahme, dass die meisten Kosten im letzten Lebensjahr verursacht werden, kann man leider nicht schließen, dass die Kosten der anderen Lebensjahre gleich verteilt seien. Ich empfehle den Besuch eines beliebigen Wartezimmers eines beliebigen Allgemeinarztes zu einer beliebigen Zeit...

"dass sich nicht fortlaufend Besserverdienende aus dem System verabschieden "

Selbst wenn man ein Freund solcher Zwangssysteme ist: Die meisten davon vergessen, dass die Melkkühe auch Kosten verursachen.

"dass Unternehmen dazu gezwungen werden, die Älteren tatsächlich auch zu beschäftigen und nicht auf Kosten der Allgemeinheit zu entsorgen"

Ein besseres Investitionsvermeidungs- und Wettbewerbsbeschränkungsprogramm könnte ich mir nicht vorstellen.

Aber: Put your money where your mouth is. Gründe ein Unternehmen, und stelle überwiegend Ältere ein.

Köppnick - 18. Apr, 16:19

Selbst wenn man ein Freund solcher Zwangssysteme ist
...
Gründe ein Unternehmen, und stelle überwiegend Ältere ein.


Aus gesellschaftlicher Sicht kann es zweckmäßig sein, Systeme aufrecht zu erhalten, die ein Teil der Bevölkerung als Zwangssysteme empfindet - weil es für die Gesellschaft insgesamt besser ist (vielleicht sogar kostengünstiger). Denn auf der Ebene der Politik ist das Wohlergehen der Wirtschaft oder der Besserverdienenden nur ein Kriterium und hoffentlich nicht das entscheidende.

Im Übrigen kann das Beschäftigen älterer Arbeitnehmer durchaus wirtschaftlich sein. BMW in Leipzig hat z.B. von Anfang an eine ausgewogene Beschäftigtenstruktur angestrebt. Das wirtschaftliche Kalkül ist auch sehr leicht verständlich: Auf diese Weise geht jedes Jahr ein gleich bleibender Prozentsatz an Arbeitnehmern in Rente. Entweder kann man dann problemlos den dann geringen personellen Ersatz einstellen und anlernen, oder man fährt auf eine sanfte Art die Zahl der Beschäftigten herunter. Der Krankenstand der Älteren ist übrigens dort nicht höher als der der Jüngeren. - Vielleicht ist deine Beobachtung aus den Wartezimmern nicht Ursache sondern Folge unserer Wirtschaftspolitik. - Nur so als Idee.

Ich habe gerade mal nachgerechnet, in meiner Firma beträgt das Durchschnittsalter etwa 44. Ist allerdings keine typische Firma, weil der Akademikeranteil bei 2/3 liegt. Das Durchschnittsalter in Deutschland liegt derzeit um die 41.

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