Plastikschamanen?

Ich gebe ohne Weiteres zu, dass ich Heide (und schlimmer noch: Neuheide der bösen, bösen "germanischen Richtung") bin. Ich gebe ferner zu, dass ich ab und an schamanisch "unterwegs" bin.
An und für sich erfordert so ein "Bekenntnis" keinen sonderlichen Mut. Jedenfalls für einen Menschen, der wie ich, nicht in einer kirchlichen Einrichtung arbeitet, oder z. B. im sensiblen Bereich der Erziehung / Sozialpädagogik tätig ist. Eine "Heidenverfolgung" existiert nur in der paranoiden Phantasie einiger Neuheiden, die sich offensichtlich in einer Opferrolle wohl fühlen - und in den Behauptungen rassistischer Vereinigungen wie der "Artgemeinschaft", die ungern zugeben, dass sie nicht wegen ihres Heidentums, sondern wegen ihres Rassismus im Verfassungsschutzbericht auftauchen.

Die meisten Vorwürfe gegen mein "Neuheidentum" lassen mich kalt. Aber nicht alle. Derzeit hadere ich - Julfrieden hin, Rauhnächte her - schwer mit dem Vorwurf, esoterischen "Plastikschamanismus" zu praktizieren. Denn diese Vorwürfen haben Substanz. Jedenfalls auf den ersten Blick.

Zur Erläuterung, was ich mit "Substanz" eines Vorwurfes meine, greife ich auf ein älteres Beispiel zum Thema "Neuheidentum" zurück, das nicht so ohne weiteres vom Tisch zu wischen ist:
Es gab zu keinem Zeitpunkt ein ›Neuheidentum‹, das emanzipatorisch gewesen wäre. Anders als die ›Öko-, Jugend- und Musikbewegung‹ ist das Wesen des ›Neuheidentums‹ mit seiner Irrationalität, seinen antihumanen Naturmythen, seinem germanischen Rassismus, seiner völkischen Schwärmerei, seinem Antisemitismus usw. per se antiemanzipatorisch und objektiv ein Baustein für faschistische Ideologien und Konzepte.
Jutta Ditfurth: Entspannt in die Barbarei - Esoterik, (Öko-) Faschismus und Biozentrismus (Konkret Literatur Verlag, 3. Auflage, 1996) S. 173

Dazu ist es vielleicht ganz wichtig zu wissen, dass Jutta Ditfurths Buch nicht nur einen heftigen Rundumschlag gegen die gesamte "Esoterik-Szene" und weite Teile der "Alternativ-Szene" enthält. Zwar ist Jutta Ditfurth äußerst polemisch und polarisierend, pauschalisiert stark, und eine gewisse ideologische Verbohrtheit ist ihr nicht abzusprechen. Aber Substanz haben ihre Urteile schon.
Sie warnte schon damals davor, dass eine faschistoide Bewegung, die in Deutschland regierungsfähig wäre, nicht von den offen auftretenden Neonazis und auch nicht von der Neuen Rechten getragen würde, sondern von der "verbürgerlichten" früheren Alternativ-Szene. Im Licht der seitdem erfolgten Entwicklung muss ich einräumen: wahrscheinlich hat sie damit recht. Ich fürchte auch, dass sie mit ihre Annahme, dass der nicht mehr selbstverantwortliche Mensch – geführt durch Natur, Götter, Führer oder inneres "Selbst" - die herrschenden (Ausbeutungs-)Verhältnisse akzeptiert oder sogar verstärkt, recht hat.
Gehe ich davon aus, wie sich die deutsche "Heidenszene" bis Mitte der 1990er Jahre nach außen präsentierte - und stelle ich in Rechnung, dass Jutta Ditfurth sich intensiv mit dem Problemkreis "Theosophie - Ariosophie" auseinandergesetzt hat, dann überrascht ihr harsches Urteil nicht. Es gibt und gab zwar Neuheiden, auf die es nicht zutrift - wahrscheinlich trifft ihre Aussage im vollem Umfang nur auf eine Minderheit der Neuheiden zu - aber diese Minderheit ist, anders als die relativ vielen "Blümchenheiden" und "Lamettahexen" politisch relevant. Organisationen wie der Armanenorden und erst recht die Artgemeinschaft sind gefährlich - und die Schanierfunktion jener "Unpolitischen", die unter dem gefährlichen Motto "Wir sind doch alle Heiden" rechtsextremen Personen und Positionen die Tür öffnen, ist nicht zu unterschätzen.
(Ich sehe die "Nornirs Ætt" durchaus als einen Versuch, Jutta Ditfurths Ansichten über das Neuheidentum in jedem Punkt Lügen zu strafen und dabei, trotz geringer Größe, so "politisch relevant" wie möglich zu sein.)

Zurück zum an mich gerichteten Vorwurf des "Plastikschamanismus". Der zentrale Punkt des an mich gerichteten Vorwurfes ist der, mich am "kulturellen Diebstahl" an traditionellen Stammeskulturen zu beteiligen - und das mittels einer "historischen Fiktion" zu bemänteln.
Ein “Plastikschamane” ist jemand, der zu Unrecht behauptet, in das schamanische Wissen einer Stammeskultur eingeweiht zu sein und aus dieser Amtsanmaßung Kapital schlägt.
So gesehen träfe der Vorwurf, ich würde "Plastikschamanismus" praktizieren, nicht zu. Zumal ich mich selbst nie "Schamane" nennen würde - und diejenigen, von denen ich schamanischen Praktiken erlerne, sich auch nicht "Schamanen" nennen.

Allerdings wird der Neoschamanismus oft als "plastikschamanisch" beargwöhnt - was angesichts dessen, was so alles in der Eso-Szene als "schamanisch" verkauft wird, nicht weiter erstaunlich ist. Auch der "Core Shamanism", auf den ich mich durchaus berufe, der auf gesichtetem ethnologischem Wissen beruht, und der sich nicht anmaßt, traditionelles "Stammeswissen" zu verbreiten, gilt manchen Kritikern als "plastikschamanisch".

Der Vorwurf des "kulturellen Diebstahls" mag in Einzelfällen zutreffen. Ganz gewiss im Falle jener "Natives", die sich die Naivität ihres Klientels zunutze machen und Traditionen verkaufen. Im Falle jener, die keine "Natives" sind, und auch nicht einen Teil dieser Kultur erlernten, sich aber als "Schamanen" ausgeben, sich in manchen Fällen sogar eine erfundene Biographie zulegen, um Geld auf Kosten einer fremden Kultur zu verdienen, halte ich die Bezeichnung "kultureller Betrug" für angemessener.

Im Falle des Neoschamanismus geht es nicht um "kulturellen Diebstahl" (oder auch "kulturelle Urheberrechtsverletzung"), sondern um "Kulturtransfer". Aus meiner Sicht sind auch Meditationstechniken, Schwitzhütten etc. kulturelle Errungenschaften. Und in der Geschichte der Menschheit ist es völlig normal, dass eine Kultur von einer anderen solche Errungenschaften übernimmt.
Hinter dem Vorwurf des "kulturellen Diebstahls" bzw. der "spirituellen Ausbeutung" steht die Vorstellung, dass schamanische Techniken nur den Angehörigen indigener Volksgruppen zukommt, verbunden mit Kritik an der "weißen Gesellschaft", die neben der jahrzehntelangen kolonialistischen und post-kolonialistischen Ausbeutung nun auch eine spirituelle Ausbeutung indigener Völker begonnen habe. Die Vorstellung einer "spirituellen Beraubung" mach meiner Ansicht nur dann Sinn, wenn man davon ausgeht, dass kulturelle Errungenschaften nur einem Volk oder Stamm zustehen. Tendenziell geht das schon in Richtung "völkisches Denken".

Der zweite Teil des Vorwurfs bezieht sich darauf, dass Seiðr von "uns" als "germanischer Schamanismus" dargestellt würde. Mit der Behauptung, dass "schon die alten Germanen" schamanisiert hätten, würden wir schamanistische Praktiken auch dort festzustellen, wo es sie nicht gäbe. Die Ausdehnung des Schamanismus auf die Germanen solle den Nachweis bewerkstelligen, dass man sich ja nur auf traditionellen Pfaden bewege und sich nicht etwa das Kulturgut anderer Völker aneigne.

Zu der Frage, ob es bei "den Germanen" Schamanismus gab, oder ob Seiðr schamanische Praktiken umfasste, kann ich nur sagen: ich weiß es nicht. Es gibt zwar typische schamanische Elemente in Mythologie, etwa den Weltenbaum Yggrasil, allerdings reicht das nicht für pauschale Aussagen wie "bei den Germanen (in welcher Region? Zu welcher Zeit?) gab es Schamanen" oder "von Schmanismus bei den Germanen kann keine Rede sein" aus.

Die Frage ist, in Hinblick auf die von mir praktizierte Form des "schamanischen Reisens" irrelevant - mir ist es egal, ob irgendwelche "Germanen" vor 1500 oder 2000 Jahren dergleichen praktizierten. Schon gar nicht benötige ich den Rückgriff auf "uralte eigene Traditionen", um meine schamanischen Praktiken zu rechtfertigen.

Das heißt, dass die Vorwürfe an mich zwar nicht aus der Luft gegriffen, also substanzlos, sind, aber auf mich - und Menschen, die auf die gleiche Weise mit dem Schamanismus umgehen wie ich - nicht zutreffen.
Sven (Gast) - 30. Dez, 12:54

Die Voraussetzung, das, was du tust, tatsächlich "kritisieren" oder gar "verurteilen" zu können war nur, dass du das, was du tust mit einem Begriff bezeichnet hast, der es jemandem ermöglichte, in kategorische Kontexte zu wechseln und damit das, was du tust letztlich umzudefinieren. Von "etwas, das du tust" über pars pro toto und geschickte Pauschalierung in "etwas kategorisches". Über das Kategorische nun kann man es mit anderen kategorischen Dingen verknüpfen (z.B. mit allgemeiner Esoterik-Kritik etc.). Und damit "das, was du tust" in Kontexte setzen, die mit dem was du tust nicht das Gerngste zu tun haben/hatten. Lass dich da nicht aufs Glatteis führen, nur weil offensichtlich jemand Bedeutungs- und Kontextebenen nicht auseinanderhalten kann.

Was heißt den schon "schamanisch"? Hier ist doch erstmal Begriffsdefinition gefordert: "Schamanismus" im Sinne der sibirischen Kutluren? Oder diverse - verschiedene - Techniken und Praktiken, die heute oft auch mit diesem Wort summiert werden?

Gab es "Schamanismus" im ersteren Sinne bei den Germanen? Eindeutig nein, denn sie waren nunmal Germanen und keine sibirischen Schamanen.

Gab es Techniken und Praktiken bei den Germanen, die vergleichbar mit denen z.B. von sibirischen Schamanen sind? Nicht Unwahrscheinlich, wenn man z.B. Trancetechniken (wenn ein Gott explizit für "Extase" zuständig ist kann man schonmal etwas Wahrscheinlichkeit ansetzen) und ein "mehrdimensionales" (wenn man das mal so nennen will) Weltbild und ähnliches berücksichtigt soie die Neigung der germanischen Kultur(en), sich von anderen Kulturen und deren Praktiken inspirieren zu lassen bis hin zur Integration ganzer Kulturteile (und ihrer Träger/Vertreter - etwas, das bekanntlich ziemlich das Gegenteil ist von dem, was Rassequassler und "Artreinheits"-Spinner vertreten, womit sie ja eben genau das Gegenteil von allem, was irgendwie "germanisch" zu nennen ist, predigen, aber wem erzähl' ich das :-D )

Somit: Wenn sich jemand dran aufhängt, dass eine Erfahrung mit dem Wort "schamanisch" bezeichnet wurde, weil dieser mit diesem Wort anderes assoziiert als z.B. du im Kontext der Verwendung dieses Wortes, magst du diesem Gegenüber den Gefallen (!) tun, und das Wort, das er nicht aus seinem Zusammenhang zu bekommen scheint einfach wegzulassen. Oder du nutzt es weiter in deinem Sinne und bestehst darauf, dass es in diesem Rahmen bleibt - und nicht mit dem Themenkomplex, dass den Gegenüber mit einem offensichtlich ziemlich ähnlich klingenden, aber etwas anders bedeutendem Wort zu haben scheint, verwechselt werden sollte.

Egal wie, das "Problem" hat da offensichtlich dein Gegenüber. Egal, ob du ihm nun dabei helfen willst oder nicht - es ist nicht dein Schuh, zieh ihn nicht dir an...

Wirr-Licht - 4. Jan, 10:45

schamanismus? was ist das?

die sache ist doch die: wo fängt schamanismus an, wo ists nur eine technikensammlung. wenn ich trance oder ekastase o.ä. betreibe, eine art naturreligösität lebe&denke, bin ich dann schon schamane? muss ich erst fliegenpilze oder peyote fressen? oder bin ich wirklich erst schamane, wenn ich mein nahtoderlebnis hatte und von einem amtierenden schamanen initiiert wurde?

deswegen würde ich das wort "schamanismus" nicht verwenden, es ist zu unscharf - es sei denn, man wäre wirklich initiierter und so. und könnte sich auf eine kulturtradition berufen, in der man zumindest gelebt hat. ich bin auch kein wicca, denn wicca würde voraussetzen, das ich zu deren "club" gehöre. obwohl ich wicc´ische tendenze habe. ich bin auch kein "dodecaist" oder sowas. das ist für mich halt eine "clubbezeichnung", eine art "orden"....

insofern ist plastik- oder core- schamanismus für mich einfach kein schamanismus, sondern eine technikensammlung. und ob man die technik nun "shaken", "seidr","disco" oder "derwischtanz" nennt, im endeffekt ists bewegungsinduzierte trance.
distelfliege - 30. Dez, 13:47

kultureller Diebstahl

..das gibt es für meine Begriffe sehr wohl - ohne daß es mit völkischem Denken zu tun hat.
Wie erklär ich das nun. Also, es ist z.b. bei amerikanischen Natives der Fall, daß diese rassistisch diskriminiert werden. Sie werden quasi zu einer "Rasse" konstruiert und dann anders behandelt als beispielsweise Weisse, und eine Komponente dieser Andersbehandlung ist, daß man als Weisse/r ihre Kultur und Versatzstücke daraus nehmen darf, ohne daß man die dafür vorgesehene Legitimation haben muss, daß man die Definitionsmacht für Dinge wie "Schwitzhütte", "Friedenspfeife" etc. sich anmasst ohne daß man darauf achtgeben muss, was eigentlich die Natives so für Definitionen dafür haben.
Das hat mit völkischer Kultur oder "reserviert für ein Volk" gar nix zu tun, sondern beim kulturellen Diebstahl geht es imho um eine Form rassistischer Unterdrückung. Deshalb ist es für mich auch undenkbar, daß z.b. eine weiße hegemoniale Kultur "bestohlen" werden könnte - da die marginalsierten Kulturen die als "Diebe" in Frage kämen, die dazu erforderliche Definitionsmacht nicht haben.

Ich hoffe, das wurde jetzt klar was ich meine. Die Erzählung, daß Protest gegen kulturellen Diebstahl aufgrund völkischen Denkens da sei, ist imho problematisch: Damit legitimiert man einerseits als Weisse/r eigene rassistische Praxen, und schiebt die Verantwortung dafür obendrein noch den Betroffenen/Opfern zu.

Es gibt durchaus Kulturtransfer, d.h. Menschen, die respektvoll und legitimiert diese Praktiken lernen und für ihre eigenen Lebensumfelder und ihre Kultur anpassen. Das heisst aber nicht, daß alles Kulturtransfer wäre, und daß die rassistischen Machtverhältnisse, vor deren Hintergrund jeglicher Kulturtransfer zwangsläufig stattfindet, gar nicht mehr existieren würden.

grütze
Distel

MMarheinecke - 30. Dez, 18:35

Von den Stammesgesellschaften aus gesehen, hast Du recht

Allerdings argumentiere ich gegen einen Europäer, der im Großen und Ganzen eurozentrisch denkt - in dem Sinne das "wir" "unsere eigene", "abendländische" Kultur hätten, die "Indianer" eben auch. Und gefälligst jeder bei seine "angestammten" Kultur zu bleiben hätte.

Vor dem von Dir beschriebenen Hintergrund der "kulturellen Deutungshoheit" - dass "Weiße" sich anmaßen, zu definieren, was eine "echte" indianische Schwitzhütte oder "Friedenspfeifenzerimonie" (besser: Heilige Pfeife) sei - wird auch die berühmte Kriegserklärung gegen die Ausbeutung der Spiritualität der Lakota aus dem Jahr 1993 verständlich - wobei ich in diesem Fall den Lakota nicht den Vorwurf mache, "völkisch" zu denken, auch wenn es durchaus "völkisch" oder sogar rassistisch denkende "Indianer" gibt.
Exkurs: Ich habe in einem amerikanischen Heidenforum sogar einen nach eigenen Angaben "reinrassigen" Lakota "getroffen", der eindeutig Neonazi - bekennender Hitler-Fan, Antisemit und Holocaust-Leugner - war. Es war schier unmöglich, ihm klar zu machen, dass auch er in der Terminologie der Nazi-Rassenquassler "Untermensch" wäre - vielleicht "über" den Juden und Schwarzen, aber weit "unter" nordischen Elitemenschen angesiedelt. Über das, was er für "Lakota-Spiritualität" hielt, konnte man nur den Kopf schütteln. Aber da er ja "reinrassig" war, durfte kein "Bleichgesicht" (ja, er schriebt tatsächlich "Paleface") seine offensichtlich aus tiefem Rassengedächtnis frei nach Guido List geschöpften Weisheiten in Frage stellen. Einzige Entschuldigung: der junge Mann hat den Rassismus der US-Gesellschaft kräftig am eigenen Leib gespürt. Und irgendwann mal mitbekommen, dass Heinrich Himmler Indianerfan gewesen sein soll - allerdings bezog Himmler sein Indianerbild direkt aus Karl May.

Im Zusammenhang von dem von mir angesprochenen Core-Schmanismus handelt es sich aus meiner Sicht tatsächlich um Kulturtransfer wär. Dass diese Transfer vor der Hintergrund der immer noch bestehenden rassistischen Machtverhältnisse problematisch sein kann, ist Menschen wie Harner oder Duerr voll bewusst.
distelfliege - 30. Dez, 19:12

Naja, ganz so optimistisch wie du sehe ich das nicht, daß Core-Schamanismus 100 pro keimfrei und weisswestig ist und Harner sich "voll bewusst" ist, was kulturelle Aneignung ist und die Problematik rassistischer Machtverhältnisse durchschaut.
Wenn ja, dann wär er ja wirklich ein Sonderfall bei uns Weissen.

Jetzt ma beiseite gegen wen du speziell argumentierst, (das kommt für mich eh nicht so raus, der Zusammenhang und was dem vorausging) - ich finde schon, man kann a la Coreschamanismus arbeiten. Man kann Kulturtransfer betreiben. Aber sicher nicht mit der Haltung, "Harner, Duerr, die sind sauber, Rassismus, jaja, ham wir durch, das Thema, Core-Schamanismus, das ist voll okay".
Das ist mir bischen zu sehr wegsehend/verdrängend. Persilscheinprinzip.
So etwa entsteht bei mir jetzt der Eindruck. Also, ich find dich wirklich cool und korrekt drauf, ich denke auch, du hast das nicht so gemeint wie das möglicherweise jetzt bei mir ankommt.
MMarheinecke - 31. Dez, 03:41

Persilscheindenken

Stimmt, da habe ich er mir - eben weil ich Duerr, Harner usw. im Großen und Ganzen vertraue - zu leicht gemacht.

Den persönlichen Kontext habe ich aus meinen Blogbeitrag aus Rücksicht auf denjeningen, mit dem ich mich über "Schamanismus" gezofft habe, herausgelassen. Wobei es mir leichter fällt, etwa einer Jutta Ditfurth gegenüber fair zu sein, als jemandem, den ich persönlich kenne. (Gut, ich habe mich mal mit der Jutta persönlich unterhalten, aber "kennen" ist was anderes.)

Das Problem mit dem Begriff "Schamanismus" sehe ich unter anderem darin, dass sehr verschiedene Kulturen mit durchaus verschiedene spirituellen Praktiken aufgrund einiger gemeinsamer Merkmale das Etikett "schamanisch" aufgepappt wird. Diese - eurozentrische - Sicht verwischt die Unterschiede der einzelnen Kulturen, in denen "Schamanismus" praktiziert wird. In der "wir modernen Westler sind die Größten" Sicht - hebt das Etikett "Schamanismus" einseitig die magischen, spirituellen Aspekte einer fremden Kultur hervor, betont damit die Andersartigkeit. Den "Core-Schamanismus" von Harner usw. könnte man als "Gegenposition" beschreiben: Schamanismus als universelles Phänomen, wobei schamanische Techniken erlernbar sind.
Das birgt in der Tat die Gefahr, dass ein unkritischer Neoschamanismus genau so zu einen verzerrten Bild führt und den "echten" Schamanen unrecht tut, wie die "traditionell-westliche" Sichtweise - also (unbeabsichtigt) rassistisch / kulturalistisch ist.
distelfliege - 31. Dez, 12:53

ah ok..

...ja, das ist ein interessanter Punkt mit der einseitigen Betonung von "schamanisch"..
Also, was den Core-Schamanismus angeht: Ich sehe das auch als universelles Phänomen und erlernbar. Aber momentan ist das nicht weltweit universell vorhanden, sondern im "Western" also hier z.b., ist halt auch viel gar nicht mehr da oder weggebrochen, und was wir jetzt wissen, und die Techniken stammen nun mal von Kulturen, die freiwillig, oder leider meist ungefragt oder unfreiwillig Entwicklungshilfe leiste(te)n. Also, selbst die Kerntechniken, die musste man ja irgendwo wieder ausbuddeln gehen. Und der weiße Westler mit Doktortitel geht doch so ungern als Bittsteller zu irgendeinem Bauerntrampel im Urwald... Nein, lieber als Forscher, und das was dort an Infos und Erfahrung rausspringt ist dann alles (c) Forscher... ;-)
Ich glaub ich hab mal früher zuviel Ethnologie studiert. *gg*
Wirr-Licht - 4. Jan, 10:50

kultureller diebstahl...

ist, finde ich, nicht "heilige pfeife rauchen" .... das hab´ich als teenager (mit diesen übergroßen kräuterzigaretten) auch gemacht. kulturdiebstahl ists, wenn man sich adlerfedern anklebt, nur noch mokkassins trägt und sich für "was besseres" als eine umgebung hält. und den leuten traumfänger für 3,50€ verkauft. oder karl may (modern: noah gordon) , der halt in seinen büchern zusammengestoppelte pseudo-indianer-oder-sonstiges-ethnien-kentnisse marktgerecht verwurstet.
Jari (Gast) - 3. Jan, 01:24

hm..

"Ich fürchte auch, dass sie mit ihre Annahme, dass der nicht mehr selbstverantwortliche Mensch – geführt durch Natur, Götter, Führer oder inneres "Selbst" - die herrschenden (Ausbeutungs-)Verhältnisse akzeptiert oder sogar verstärkt, recht hat."

Dem würde ich widersprechen. Zumindest würde ich es nicht auf alle neuheidnischen Strömungen pauschalisieren.
Was "primärreligösen Schamanismus" betrifft sehe ich diese Problematik auch nicht.
Ich hab vor ein paar Monaten mit Freunden Atanarjuat angesehen, und meine Freunde stutzten, dass am Ende die Verantwortlichen aus der Gemeinschaft verstoßen wurden, obwohl doch der unbekannte Schamane mit seinem Fluch das Gleichgewicht der Gemeinschaft gestört hat.
Und ich halte auch Selbstverantwortlichkeit für eine typisch germanische Tugend bzw. Teil des Ehrbegriffes. So konnten die späteren "Wikinger" bei Schwüren sich nicht auf Unzurechnungsfähigkeit durch Alkohol etc. berufen, sondern mussten um ihrer Ehre willen diese halten. (so Helgis Bruder der betrunken und von einer Zauberfrau beeinflusst schwört die Frau seines Bruders zu heiraten...)

Gruß, Jari

MMarheinecke - 3. Jan, 18:55

Die Ditfurth bezieht sich auf unsere Gesellschaft

und nicht etwa auf Stammesgesellschaften oder die Wikinger der Mittelalters.
Sie bezieht sich auch nicht auf spirituelle Gruppen mit emanzipatorischer Zielsetzung - von ökofeministischen Wicca bis zu so etwas wie der "Nornirs Ætt" - sondern auf die gesellschaftlichen Hauptströmungen. Und bezogen auf die hat sie leider wohl recht.
In unserer Gesellschaft werden wir sehr stark zu Verhaltensweisen genötigt, die unseren persönlichen Interessen stark widerstreben: "man" erwartet von uns, flexibel, leistungsbereit, konsumfreudig, angepasst, opferbereit zu sein. Als äußerer Druck ist das wahrlich nicht neues. Die Esoterik - und in geringerem Maße die etablierte Religion - trägt dazu bei, diesen äußeren Druck zu verinnerlichen. Wer "Karma" mit "da kar ma halt nix machen" übersetzt, wer sein "Schicksal" grundsätzlich freudig akzeptiert, wer Unglück als "Strafe" oder "karmische Lektion" begreift, wer im "positiven Denken" ein Mittel zur Karriereförderung sieht und in meditativer Entspannung ein Mittel, fit für mehr Leistung am Arbeitsplatz zu sein, der findet auf dem "spirituellen Supermarkt" ein reichhaltiges Angebot.
Jutta Ditfurth selbst sagt es so:
Höhere Mächte, (Natur-)Geister, Götter oder der Kosmos herrschen über dich, sagen die EsoterikerInnen. Ihre Selbstdarstellung in Broschüren und Zeitschriften erregt Übelkeit. Sie müssen »positives Denken« demonstrieren und knipsen eine Art Dauergrinsen an. Ihre Werte sind befreiungsfeindlich: Harmonie mit dem Kapital, das innere Selbst für den Egokult, die tiefen Geheimnisse der Schöpfung/Erde/Natur als Absage an jede Emanzipation und Rationalität.
Sie erkennt klar: Esoterik ist emanzipationsfeindlich, weil sie zum Verzicht auf eigenes Denken ermutigt.
Die Frage, ob es eine emanzipationfreundliche "Esoterik", oder etwa einen emanzipatorischen Buddhismus oder auch nur ein emanzipatorisches Christentum gäbe, stellt sich für sie gar nicht. Für das Neuheidentum hat sie die Frage für sich längst beantwortet - siehe oben: Neuheidentum ist grundsätzlich emanzipationsfeindlich.

Ihre Schwäche ist ihre zum Dogma erstarrte Konzeption von "Vernunft = Aufklärung = sozialistische Weltsicht = (gesellschaftlicher) Fortschritt", die sie dazu verleitet, Entwicklungen gleichzusetzen, die tatsächlich nicht in die gleiche Richtung verlaufen.
Sven (Gast) - 9. Jan, 19:06

Naja, dass die Frau immer alles pauschaliert und nie differenziert tut ihren Thesen halt nicht besonders gut, denn letztlich macht sie nix anderes wie das, was sie andern vorwirft, dadurch.

(wer Ironie findet darf sie behalten ;-))
Jari (Gast) - 6. Jan, 21:58

Ok, sehe ich ein. Ich muss zugeben mich mit antiemanzipatorischer Esoterik nicht groß auszukennen (wenn man von okkulten Rassenlehren absieht, die währen die Einzigen die mir einfielen. Schamanismus, Wicca und das nicht-braune Neuheidentum das ich so kennengelernt hab, ging da in eine vollkommen entgegengesetze Richtung.) Wenn ich aber an die Leute denke die diesen ganzen Eso-Ramsch kaufen (und die muss es ja tatsächlich geben), dann kann ich mir das gut vorstellen.

Trackback URL:
https://martinm.twoday.net/stories/5303305/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 6730 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren