Wie Schäuble wirklich denkt ...

... wird aus diesem Interview, das er der "taz" gab, erschreckend deutlich: Innenminister Schäuble über Grundrechte
"Ich schütze, ich gefährde sie nicht"
.

Besonders bemerkenswert erscheinen mir folgende Aussagen:
Ihren Kritikern macht Sorgen, dass die technischen Möglichkeiten der heutigen Sicherheitsorgane weit über die der Stasi hinausgehen...

Das ist doch Unsinn. Die Stasi hatte mehrere hunderttausend Mitarbeiter. Sie hat Menschen dazu gebracht, sich gegenseitig zu bespitzeln. Nicht einmal Ehegatten konnten einander trauen. Eltern mussten am Küchentisch darauf achten, was sie erzählen, damit ihre Kinder das nicht in der Schule ausplaudern. Das war eine Atmosphäre der Angst. Wer das mit der Bundesrepublik vergleicht, der diffamiert unsere Freiheitsordnung in einem Maße, wie wir es nicht zulassen dürfen. Wir haben nämlich in Deutschland schon einmal eine Freiheitsordnung durch verantwortungsloses und bösartiges Gerede derart diffamiert, dass am Ende die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft an die Macht kommen konnte.
Kommentar: Ich bestreite nicht, dass die heutigen Zustände in Deutschland noch weit von denen in der Stasi-überwachten DDR entfernt sind. Die Betonung liegt aber auf "noch" - denn das Misstrauen zwischen den Menschen, das Gefühl, darauf achten zu müssen, wer wem was sagen kann, hat eindeutig zugenommen.
Zum Geschichtsbild: die Weimarer Republik wurde in der Tat durch "bösartiges Gerede" diffamiert - vor allem seitens konservativer und reaktionärer Kreise. Sie ging allerdings nicht an der Kritik jener, der "Weimar" einfach nicht rechtstaatlich, demokratisch, offen genug war, zugrunde, nicht an den Tucholskys, Kästners, Ossietzkys!
Aber große Datensammlungen führen nun mal schnell zu Pannen bei sensiblen Informationen. Oder sehen sie das anders?

Das ist wahr. Es gibt diese Risiken. Alles in der Menschheitsgeschichte ist eben nicht nur Fortschritt, sondern birgt immer auch eine Gefahr. Wir haben das Telefonbuch bis vor kurzem noch als Alltagshilfe empfunden. Heute gilt es manchen wohl als riesige Datensammlung. Wollen wir deswegen auf die Vorzüge eines Telefonbuches verzichten? Das ist doch Maschinenstürmerei. Ich nehme den Datenschutz ernst, und damit er wirksamer realisiert werden kann, legt die Bundesregierung jetzt auch ein neues Gesetz vor.

Ein Telefonbuch lässt sich doch schwer mit Millionen Verbindungsdaten vergleichen. Die Frage ist doch, ob die Speicherung derart vieler Angaben nicht ein höheres Risiko darstellt als die Gefahren, vor denen Sie schützen wollen.

Das heißt, Sie wollen die Informationstechnologie ganz abschaffen?

Sie argumentieren sehr schwarz-weiß.

Ich bleibe nur in der Logik Ihrer Frage. Und wenn ich die weiterdenke, kann man nur zu diesem Schluss kommen.
Genau das ist es, was mir an Schäuble - und anderen, die so denken wir er - so unheimlich ist. Das dualistische Weltbild, in dem klar zwischen "gut" und "böse" geschieden wird. Wenn unser Staat "gut" ist - und ich bestreite gar nicht, dass er ein für seine Bürger besserer Staat ist, als die meisten Staaten dieser Erde, von früheren deutschen Staaten gar nicht zu reden - dann heißt das nicht, dass jeder, der diesen Staat kritisiert, damit "böse" ist, oder auch "nur" ein Gegner der bestehenden Gesellschaftsordnung wäre.

Umgekehrt wurde ich keine Sekunde lang bestreiten, dass Terrorismus "böse" ist, egal, von wem und zu welchen Zwecken. Kein Zweck "heiligt" dieses Mittel, der Mittel des Terrors verrät den Zweck!
Aber ich stimme Richard Rorty zu, wenn er im gedruckten Spiegel sagt schon 2004 in der "Zeit" (der "Spiegel" zitiert diesen Artikel) sagte :
"Der Verdacht, dass der Krieg gegen den Terrorismus gefährlicher ist als der Terrorismus selbst, erscheint mir völlig gerechtfertigt."
Schäuble hält es für logisch, dass aus dem Streben nach Datenschutz und Datensicherheit folgt, dass wir dann eben auf die "Informationstechnologie" ganz verzichten müssten. Das ist eben so "logisch", wie aus dem Streben nach mehr Sicherheit im Straßenverkehr folgt, dass man dann eben die Autos abschaffen müsste, oder aus der Vorstellung, Umweltschutz sei nur durch Verzicht auf industrielle Produktion möglich.

Da Schäuble im Interview versucht, die Bürgerrechtler in die linke Spinner-Ecke zu stecken, stellt sich die Frage, wie sich das mit seiner Vorliebe mit einer CDU-FDP-Koalition verträgt - jedenfalls, wenn man bei der dualistischen Logik bleibt.

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