Ein Naturschutz-Dilemma: Eingreifen zugunsten des Artenreichtums?

august08 016
(Heidekraut - Foto: MartinM)

Die typischen Heidelandschaften Norddeutschlands - etwa in der Lüneburger Heide - sind keine Naturlandschaften. Es sind Kultursteppen. Ursprünglich waren die sandigen Geestflächen bewaldet. Sie entstanden durch die großflächige Waldrodung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit - die Salinen Lüneburgs oder die Ziegelbrennereien auf der Holsteinischen Geest brauchten Unmengen an Feuerholz. Der Raubbau machte auch nicht vor jungen Bäumen halt. Auf den Sandflächen siedelten sich robuste Pionierpflanzen wie das Heidekraut an.
Es erfordert einigen Aufwand, um eine Heidelandschaft zu erhalten. Die Heidschnucken verbeißen junge Birke, Erlen und Kiefern - sonst würde da, wo heute noch Heide ist, in einigen Jahren ein junger Pionierwald stehen.

Ist dieser Eingriff in die Natur gerechtfertigt? Ohne die Eingriffe des Menschen sind Heidelandschaften kurzlebige Biotope, die da entstehen, wo auf sandigen Boden der ursprüngliche Wald etwa durch Waldbrände oder Sturmschäden gelichtet war, ein Übergangsstadium zum Pinierwald (aus schnell wachsenden, robusten Bäumen) zum Hochwald (auf den norddeutschen Sandböden ist das Buchenmischwald). Nun ist es aber so, dass es praktisch keine urwüchsige Wälder mehr gibt, entsprechend wenige natürliche Lichtungen und damit Heideflächen gibt es. Diese Heideflächen sind aber besonders artenreich, außer endemischen, an das Ökosystem Heidelandschaft gebundenen, Arten sind das Arten, die in intensiv bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen nicht überleben können.
So gesehen ist es also im Interesse des Naturschutzes, eine Kultursteppe künstlich zu erhalten.

Ein anderes Beispiel zeigt sich im Nationalpark Wattenmeer: In Nationalparks müssen menschliche Eingriffe so weit wie möglich vermieden werden. Durch das Verbot, Entwässerungsgräben in den Schutzzonen weiterhin offen zu halten, und durch das Verbot der Tierhaltung haben sich ehemals artenreiche (Kultur-)Landschaften oftmals in bloße "Schlickwiesen" verwandelt.

Die Salzwiese ist der natürliche Zustand der zeitweilig überfluteten Marsch, die an das bei Flut unter Wasser stehende Watt angrenzt.
Es gibt dabei drei Zonen:
  • Die artenarme Quellerzone, die bei Flut mehrere Stunden unter Wasser steht, un in der es ganze zwei Arten Blütenpflanzen gibt: das Salz-Schlickgras und der namengebende Queller.
  • Die Andelgraszone, die bei leicht erhöhten Wasserständen überflutet wird, und die schon einige Arten mehr aufweist: z. B. Strandsode, Stranddreizack oder Strandaster.
  • Und schließlich die Rotschwingelzone, die nur noch selten vom salzhaltigen Meerwasser erreicht wird, und die sehr artenreich ist.
Durch die Entwässerungsgräben fließt das Wasser nach der Überflutung schneller ab, es entstehen damit zusätzliche Lebensräume für die Pflanzen der Rotschwingelzone, der Artenreichtum der Salzwiese wird größer. Ohne die Entwässerung gewinnen die artenärmeren "Schlickwiesen" der Andelgras- und Quellerzone an Boden.

Hinzu kommt im Nationalpark ein weiteres Problem: es gibt keine wildlebenden Weidetiere mehr, und damit fehlt eine Komponente des ursprünglichen Ökosystems Marschland. Eine regelmäßig von Schafen abgegraste Wiese bieten mehr Arten Unterschlupf, als eine, auf der das Gras halbmeterhoch steht.

Ich denke, dass die Idealvorstellung der "unberührten Natur" unter mitteleuropäischen Verhältnissen in den meisten Fällen unrealistisch ist, und wie im Falle der Heideflächen ein "ökologischer Kompromiss" vor allem im Sinne des Artenschutzes sinnvoller ist.
Außerdem hadere ich mit einer Vorstellung von Naturschutz, die den Menschen als außerhalb der Natur befindlich, als reine "Störgröße", begreift.

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