Rechtsextreme Mittelaltergruppen?

Das Problem ist an sich nicht neu, und ist im weiten Komplex "Rechtsextremismus" eher ein Randproblem - aber ein überaus störendes. Nachdem es schon jahrelang in Mittelalter-Foren diskutiert wird (z. B. bei Tempus vivit!) ist es eher erstaunlich, dass es in der Presse erst jetzt Thema wurde- in der taz: Der Nazi im Kettenhemd - und deutlich polemischer auf telepolis: Die wollen doch nur spielen.

Konkreter Anlass dafür, dass die Diskussion nicht länger auf die "Mittelalterszene" beschränkt ist, waren auffallend viele Hakenkreuze auf Schilden und Borten der bekannten Frühmittelalter-Reenacmentgruppe Ulfhednar. Als dann noch ein Ulfhednar-Mitglied mit der SS-Parole "Meine Ehre heißt Treue", großflächig über den Bauch tätowiert, fotografiert wurde, war der Skandal komplett. Der Fall Ulfhednar und die Folgen (chronico.de).

Dass die Vorwürfe gegen Ulfhednar mehr sind, als ein museumpädagogischer Sturm im Wasserglas, wird daran deutlich, dass Arian Ziliox, Gründer und Vorsitzender von Ulfhednar, sich auf der öffentlichen Podiumsdiskussion "Lebendige Wissenschaft oder verdeckte Propaganda" (hierzu auch Erklärung zu "Facharchäologie und Reenactment") wieder einmal als Verschwörungstheoretiker betätigte.

Schon im Mai hatte er Ulfhednar als Opfer einer Verschwörung von Antifa, Publizisten, Historikern und Archäologen dargestellt, die "jeglichen positiven Bezug auf Deutschland und deutsche Identität" verweigern. Das deutet darauf hin, dass da wirklich etwas faulig-bräunlich sein könnte. Im besten Fall ist es so, dass Ziliox damit die Türen nach "rechtsaußen" weit öffnet und zugleich den Dialog mit Kritikern, und zwar auch wohlwollenden, abwürgt. Im schlechteren Fall vertritt er selbst eine rechtsextreme bzw. ultranationalistische Weltanschauung.

Wer öffentlich eine Swastika (bzw. ein Hakenkreuz) zeigt, muss sich darüber im Klaren sein, dass er für einen Nazi gehalten werden kann. Was wiederum bedeutet, dass man dafür einen stichhaltigen Grund haben sollte, wieso man nach §86 StGB verbotene Symbole - zu denen das Hakenkreuz in allen Varianten und alle ihm zum verwechseln ähnlichen Symbole zählen - trotzdem verwendet. Dabei kommt es nicht nur darauf an §86 (3) StGB "pro forma" zu erfüllen. Der Zweck der "Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte" ist meines Erachtens in dem Moment nicht mehr erfüllt, wenn z. B. bei einer Rekonstruktion historisch nicht verbürgte Swastika-Ornamente verwendet werden.

Nach dem Besuch der Ulfhednar-Website (die von mir keinen Link bekommt!) ist der Fall für mich leider klar: Zwar ist die Swastika im frühmittelalterlichen Kontext kein verfassungswidriges Symbol, aber sie wird von Ulfhednar offensichtlich freihändig auch da eingesetzt, wo sie nicht belegt ist.
Die schwarz-weiß-rote Gruppenfahne mit einem abgewandelten Hakenkreuz-Motiv, die für meine Begriffe einer SA-Standarte stärker ähnelt als einem Vexillum (Truppenfahne) aus römischer Zeit, dürfte für die Merowinger-Zeit ungefähr so "authentisch" sein wie ein Hörnerhelm für einen Wikinger. (Da hilft es auch nichts, dass eine neue Fahne genäht wird.) Ich mag da nicht mehr an Zufälle glauben, auch wenn der Mann mit den Nazi-Tattoo, der der "Skandal" ins Rollen gebracht hat, erst kurz zuvor zur Ulfhednar-Gruppe gestoßen ist.

Ein grundsätzliches Problem ergibt sich daraus, dass es keine "weltanschaulich neutrale" Rekonstruktion von Geschichte gibt. Allenfalls können archäologische Funde noch authentisch nachgebaut werden, alles weitere erfordert Interpretation, was schon bei der Verwendung eines Werkzeuges anfängt. Da die Quellenlage für das europäische Frühmittelalter eher schlecht ist, muss sehr viel interpretiert und möglichst plausibel ergänzt werden. Leider ermöglicht die schlechte Quellenlage weniger gewissenhaften Rekonstrukteuren viel Spielraum zur Verbreitung fragwürdiger Geschichtsbilder.
Noch schwerer wiegt das zweite Problem: je populärer eine Rekonstruktion ist, desto eher schleichen sich erfahrungsgemäß populäre, aber nicht der historischen Wirklichkeit entsprechende Klischees ein. (Hierzu ein Beitrag von D-Radio Kultur zum Problem Living History und die Suche nach Identität: Germanen, Götter und Gelehrte, der auch auf den der GGG nahe stehenden Semnonenbund eingeht.)
Dabei ist Reenactment nur die "Spitze des Eisbergs" der populären Rekonstruktionen, der z. B. auch Fernsehdokumentationen, Zeitschriftenartikel, Websites, Bücher und Museen umfasst. Von den unvermeidlichen Verzerrungen abgesehen, ist die Versuchung, einen gezielten "ideologischen Dreh" mitzugeben, groß. Je weniger sachkundig das Publikum ist und je dürftiger die Quellen sind, desto einfacher ist die Manipulation.

Da ist Wachsamkeit gefragt - von Museen, von Medienschaffenden, aber auch vom Zuschauer, und zwar nIcht nur in Hinblick auf ideologische Verfärbungen, sondern auch hinsichtlich der historischen Genauigkeit des Dargestellten.
(Zu dieser Problematik: Zutritt für Akteure nur mit Gütesiegel? und Qualität mit Zertifikat - im Geschichtstheater.

Was den "Fall Ulfhednar" betrifft, besteht leider die Gefahr, dass pauschal sämtliche Frühmittelalter- und Germanengruppen in den Verdacht geraten, möglicherweise rechtsextrem oder doch wenigstens gegenüber "rechtem" Gedankengut gefährlich unkritisch zu sein. Jedoch habe ich den Eindruck, dass es dort sehr wohl Problembewusstsein gibt. Ich teile die Ansicht von Nina Schnittger, die sich im Projekt "Res Gestae Saxonicae" der Darstellung lebendige Geschichte widmet.
(...) Dass das Problem schon seit Jahren bei den Aktiven diskutiert wurde, und eigentlich niemand mit den Ulfhednar großartig "spielen" wollte, wird in der großen Diskussion total ausgeklammert, und nun kommt der Verdacht auf, dass die Aktiven still die ganzen rechten Umtriebe, die es ja leider überall gibt, im Mittelalter aber evtl. mehr als woanders, da es genau die Germanophilen und Völkischen in ihrem Lebensbild anspricht.
Die Veranstaltungen auf die ich in den letzten Jahren gegangen bin und die in Museen stattfanden, waren aber nicht infiltriert und auch die Zahl von eindeutig als rechts auszumachenden Besuchern, war in den letzten Jahren sehr rückläufig.
Von diesem konkreten Problemfall Ulfhedner abgesehen, sehe ich "rechtsextreme Mittelalterfans" weniger in der "Reeactment"-Szene am Werk als in der mit historischen Detail eher locker umgehenden Szene um und auf Mittelaltermärkten. Das ist aber eine völlig andere "Baustelle", auch wenn einzelne Akteure hier wie dort präsent sein können. Nina Schnittger stellt klar:
Museumsveranstaltungen und Mittelaltermärkte kommerzieller Natur, sind auch zwei Paar Schuhe. Das wäre als vergleiche man Äpfel mit Birnen, weil: beide schmecken gut aber völlig verschieden...
Womit ich die "Mittelalterszene" genau so wenig in Misskredit bringen möchte, wie den im taz-Artikel angesprochene "Pagan-Metal"-Szene. Mehr Problembewusstsein und vor allem die Bereitschaft, sich gegebenenfalls nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten gegen Rechtsextremisten abzugrenzen, halte ich für dringend erforderlich.

Apropos "in Misskredit bringen": Es schmeckt mir gar nicht, wenn der Paderborner Museumsleiter Norbert Börste schon in seiner Einladung schreibt, es ginge bei der Podiumsdiskussion in Paderborn nicht um Kritik, sondern um Aufklärung; um Aufklärung über die Grenzziehung zwischen "Lebendiger Wissenschaft" (Living History in Museen) sowie "neuheidnischem Gedankengut und blankem Rechtsradikalismus".
Ich stimme dem Diskussionsteilnehmer Harald Baer, Theologe in der Katholischen Sozialethischen Arbeitsstelle in Hamm, zwar darin zu, dass das Hakenkreuz durch die Nazis politisch aufgeladen ist (dergestalt aufgeladen, dass sich ein unkritischer Gebrauch verbietet) - aber darin, dass es nicht mehr als "als bloßes Sonnensymbol" verwendet werden könne, mag ich ihm nicht folgen, erst recht nicht darin, dass die "politische Aufladung" durch die Nazis "quasi unumkehrbar" sei. Wenn er hier wie auch anderswo, "neuheidnischen Gruppen" pauschal eine verquere Geschichtsdarstellung anlastet, sehe ich das, aus eigenem Erleben, durchaus anders.

Auch über den schon erwähnten "telepolis"-Artikel von Marcus Hammerschmitt mag ich mich nicht so recht freuen:
Seltsam ist allerdings schon der Name der Gruppe. Warum man sich nennt wie die mythischen Wolfskrieger germanischer Sagen, die, den Berserkern nahe verwandt, sehr wohl für sattsam bekannte germanische Lieblingseigenschaften wie Rücksichtslosigkeit, Unbesiegbarkeitswahn und antirationale Besinnungslosigkeit stehen können, ist doch sehr die Frage, es sei denn, man möchte sich bewusst mit dem eisigen Ruch dieses in der Nazizeit aufgewärmten Germanenterrors umgeben.
Abgesehen davon, dass Rücksichtslosigkeit, Unbesiegbarkeitswahn und antirationale Besinnungslosigkeit eher die Lieblingseigenschaften alter und neuer Nazis als die "alter Germanen" sein dürften: Der Verdacht, dass Hammerschmitt jeden "Germanophilen" in der "braune Ecke" sieht, liegt jedenfalls nahe.
WirrLicht (Gast) - 18. Jul, 16:54

sowohl - als auch

und das ist eben das problem. wenn ich mir die paar mittelalter- leute anguck, die ich kenne, die sind nicht rechts, im gegenteil, eher links.

wenn ich da aber nun von der swastika - und triskelen - dichte auf die gesinnung der leute schliessen würde, würde mir auf einem M.A. - markt das kalte grausen kommen. ja, ich denke, es gibt da eine rechte szene, und diese muss beobachtet werden.

analog der "rechten" in neuheidnischen bewegungen.

aber das gibt noch lange keinem das recht, reenacter oder neuheiden immer den "rechts" - stempel aufzudrücken, oder sie andauernd (ja, andauernd! ich persönlich fühle mich belästigt) mit in diesem rechten pack in einen sack zu stecken, und draufzuhauen. wenn man sich als cowboy verkleidet, heisst das ja auch nicht, das man gerne indianer erschiessen würde.

im übrigen habe ich den eindruck, das die rechte szene mehr in der reenactmentnahen gothic-metal-sadomasoszene herumlungert, als wirklich bei den schaustellern. ist aber nur ein subjektiver marktbesuchereindruck.

MMarheinecke - 18. Jul, 18:12

Es geht leider nicht nur um die Swastikas

Tatsächlich ist es in ersten Linie die Art und Weise, wie Arian Ziliox mit Kritik umgeht, die für mich den Vorwurf, da sei etwas "braunfaul" für mich plausibel macht. Dem Sinne nach stellt er Ulfhednar als das Opfer einer Verschwörung "vaterlandsloser Gesellen" dar. Auch dass er Typen mit eintätowierten SS-Sprüchen in seiner Truppe duldet, stellt ihm kein gutes Zeugnis aus.
Wirr-Licht - 19. Jul, 10:23

eine pest & landplage

das sind sie, die braunen. und ziehen alle möglichen gruppen mit in ihren balten, fauligen dreck mit hinein. weswegen man wachsam sein muss, und ihnen, wo man sie sieht, auf die füße treten muss.
Björn (Gast) - 21. Jul, 09:18

Hammerschmitt ist ein Antideutscher im klassischen Sinn. (Wobei ich nicht weiß, ob er sich selbst so bezeichnet.) Der schießt bei sowas gerne mal übers Ziel hinaus.

MMarheinecke - 21. Jul, 12:33

Was ich ihm nicht mal übel nehmen kann

denn es ist m. E. Methode. Sozusagen "Aufklärung mit dem Holzhammer".
Er versteht sich als "links" und als "materialistisch". Interessant ist, dass ich etwa zwei Dritteln seiner Artikel auf "telepolis" zustimmen kann - das restliche Drittel empfinde ich hingegen als verbalen Schlag in die Magengrube.
Nina Schnittger (Gast) - 22. Jul, 10:25

nix für ungut

Sehr geehrter Herr Marheinecke,

Sie haben eine schöne Übersicht der momentan in vielen Teilen des Webs diskutierten Thematik geschaffen...
Auch wenn ich mit Ihnen insofern konform gehe, dass man Nazis weder in einer Geschichtsdarstelung, noch sonst irgendwo auf dieser Welt braucht möchte ich noch etwas anmerken:
Wenn ihnen Teile meines Chronico Kommentars so gut gefallen, dass sie hier eingebaut werden, dann entweder so umgebaut, dass man sie nicht mehr erkennen kann, oder bitte als Zitat.
Ansonsten nix für ungut.

MfG

Nina Schnittger

MMarheinecke - 24. Jul, 18:18

Ich habe den Beitrag überarbeitet. so dass ich mich jetzt nicht mehr mit "fremden Federn" schmücke.

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