Nachtrag zu "Odysseus - der erste "bürgerliche" Mensch?"
In meinem Beitrag Odysseus - der erste "bürgerliche" Mensch? habe ich mich ein wenig mit der Interpretation der "Odyssee" durch Adorno / Horkheimer in "Die Dialektik der Aufklärung" beschäftigt.
Ich machte mir dabei natürlich auch Gedanken darüber, wie Adorno /Horkheimer zu ihrer bemerkenswerten (und meines Erachtens weder Homer, noch der Odyssee, noch der griechischen Antike gerecht werdenden) Interpretation kamen.
Je mehr ich mich in den Text vertiefte, desto stärker wurde mein Eindruck, dass Adorno / Horkheimer bei ihrer Interpretation nicht vom Urtext der "Odyssee", sondern von schon vorhandenen Interpretationen ausgingen.
Der "Odyssee"-Exkurs berührt so gesehen die Frage, ob Homers Odysseus wirklich auf dem Weg zum bürgerlichen Individuum war, überhaupt nicht. Allenfalls geht es darum, ob Odysseus gemäß einer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aktuellen, von der Psychoanalyse, dem Marxismus (historischen Materialismus) und dem bürgerlichen Fortschrittsgedanken inspirierten Interpretation Vorläufer des "aufgeklärten" bürgerlichen Menschen war.
Der zweite Eindruck: es ging Adorno / Horkheimer entweder gar nicht um die Antike - oder sie hatten eine Vorstellung von der antiken Gesellschaft, die mit dem, was wir über die griechische Gesellschaft zu Homers Zeit (und noch lange nach ihm) wissen, nicht viel zu tun hat.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung:
Noch zur Zeit Platons, fast 400 Jahre nach Homer, war das harte athletische Körpertraining der Epheben (jedenfalls offiziell) dazu bestimmt, die jungen Männer zu ausdauernden und kräftigen Soldaten auszubilden. Platon schlug nicht ohne Grund vor, die Übungen wieder "kriegsnäher" zu gestalten, als es zu seiner Zeit üblich wurde. Den reinen "Gentlemen"-Sportler gab es im antiken Griechenland wahrscheinlich erst nachdem sich in hellenistischer Zeit Berufs- und Söldnerarmeen gegenüber den "Bürgermilizen" durchgesetzt hatten. Wobei die Athleten, die z. B. in Olympia antraten, schon lange vor Plato Zeit und wahrscheinlich nicht lange nach Homers Zeit im heutigen Sinne "Profis" waren. Aber weiter:
Es könnte auch sein, dass A. / H. an die Verhältnisse im frühen Industriezeitalter dachten: ein Fabrik- oder Landarbeiter hatte nicht die Gelegenheit, sich sportlich so zu üben wie ein "Gentleman" aus den besitzenden Ständen. Allerdings reichte es im 19. Jahrhundert überhaupt nicht aus, ein guter Sportler zu sein, um als "Gentleman" anerkannt zu werden.
Wie auch immer: "Odysseus" als Beispiel für einen Vorläufer des bürgerlich-aufgeklärten Menschen - oder als frühes Beispiel eines Grundherren und "Gentlemans" - funktioniert einfach nicht - es sei denn, man übernimmt exakt die Vorstellungen und (Vor-)Urteile Horkdornos über Homer, Odysseus und ihr gesellschaftliches Umfeld.
Jedenfalls interpretieren Adorno und Horkheimer eher etwas in die Odyssee hinein, als heraus!
Ich machte mir dabei natürlich auch Gedanken darüber, wie Adorno /Horkheimer zu ihrer bemerkenswerten (und meines Erachtens weder Homer, noch der Odyssee, noch der griechischen Antike gerecht werdenden) Interpretation kamen.
Je mehr ich mich in den Text vertiefte, desto stärker wurde mein Eindruck, dass Adorno / Horkheimer bei ihrer Interpretation nicht vom Urtext der "Odyssee", sondern von schon vorhandenen Interpretationen ausgingen.
Der "Odyssee"-Exkurs berührt so gesehen die Frage, ob Homers Odysseus wirklich auf dem Weg zum bürgerlichen Individuum war, überhaupt nicht. Allenfalls geht es darum, ob Odysseus gemäß einer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aktuellen, von der Psychoanalyse, dem Marxismus (historischen Materialismus) und dem bürgerlichen Fortschrittsgedanken inspirierten Interpretation Vorläufer des "aufgeklärten" bürgerlichen Menschen war.
Der zweite Eindruck: es ging Adorno / Horkheimer entweder gar nicht um die Antike - oder sie hatten eine Vorstellung von der antiken Gesellschaft, die mit dem, was wir über die griechische Gesellschaft zu Homers Zeit (und noch lange nach ihm) wissen, nicht viel zu tun hat.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung:
Der Träger des Geistes, der Befehlende, als welcher der listige Odysseus fast stets vorgestellt wird, ist trotz aller Berichte über seine Heldentaten jedenfalls physisch schwächer als die Gewalten der Vorzeit, mit denen er ums Leben zu ringen hat. Die Gelegenheiten, bei denen die nackte Körperstärke des Abenteurers gefeiert wird, der von den Freiern protegierte Faustkampf mit dem Bettler Iros und das Spannen des Bogens, sind sportlicher Art. Selbsterhaltung und Körperstärke sind auseinandergetreten: die athletischen Fähigkeiten des Odysseus sind die des gentleman, der, praktischer Sorgen bar, herrschaftlich-beherrscht trainieren kann.Genauer gesagt: A. / H. haben den Eindruck, es wären Kämpfe sportlicher Art. Ich sehe das anders: zur Zeiten Homers (und erst recht zur Handlungszeit der Odyssee, gut 400 Jahre vor Homer) und selbst in der "griechischen Klassik" waren diese athletischen Fähigkeiten zugleich die "selbsterhaltenden" bzw. überlebenswichtigen Fähigkeiten eines Kriegers. Beim waffenlosen Nahkampf und dem Spannen und Schießen mit einem schweren Kampfbogen war der unblutige, "sportliche", Wettstreit in erster Linie "Training" für den Ernstfall. Aus der Probe seiner Kraft und Geschicklichkeit, die Odysseus gibt, wird schnell blutiger Ernst - er erschießt die "Freier" / Thronrivalen.
Noch zur Zeit Platons, fast 400 Jahre nach Homer, war das harte athletische Körpertraining der Epheben (jedenfalls offiziell) dazu bestimmt, die jungen Männer zu ausdauernden und kräftigen Soldaten auszubilden. Platon schlug nicht ohne Grund vor, die Übungen wieder "kriegsnäher" zu gestalten, als es zu seiner Zeit üblich wurde. Den reinen "Gentlemen"-Sportler gab es im antiken Griechenland wahrscheinlich erst nachdem sich in hellenistischer Zeit Berufs- und Söldnerarmeen gegenüber den "Bürgermilizen" durchgesetzt hatten. Wobei die Athleten, die z. B. in Olympia antraten, schon lange vor Plato Zeit und wahrscheinlich nicht lange nach Homers Zeit im heutigen Sinne "Profis" waren. Aber weiter:
Die von der Selbsterhaltung distanzierte Kraft gerade kommt der Selbsterhaltung zugute: im Agon mit dem schwächlichen, verfressenen, undisziplinierten Bettler oder mit denen, die sorglos auf der faulen Haut liegen, tut Odysseus den Zurückgebliebenen symbolisch nochmals an, was die organisierte Grundherrschaft real ihnen längst zuvor antat, und legitimiert sich als Edelmann.A. und H. schreiben hier offensichtlich nicht von der Zeit Homers: erst einmal war die Kraft des "Berufskriegers" Odysseus nicht von der Selbsterhaltung getrennt, dann dürfte zu bezweifeln sein, dass Odysseus der "Feudalherr" seiner Rivalen war - es waren eindeutig "Edle", keine "Knechte / Sklaven". Odysseus erschießt seine Rivalen keineswegs symbolisch - nur wenn man die Handlung unmittelbar nachdem Odysseus den Bogen gespannt und den Pfeil durch Öhre der zwölf Streitäxte geschossen hat, abbricht, könnte man von einem "sportlichem Sieg" sprechen. Es stellt sich außerdem die Frage, was denn den "Freiern" durch Odysseus Grundherrschaft "real angetan" wurde - und wieso sich Odysseus durch den Sieg im Faustkampf und im Bogenkampf als "Edelmann" legitimiert. Er zeigt nur, dass er stark und geschickt ist. A. und H. unterstellen offensichtlich, dass zu Homers Zeiten eine Gesellschaftsordnung geherrscht hätte, die es dem "einfachen Mann" unmöglich gemacht hätte, ein guter Faustkämpfer und Bogenschütze zu werden. Ich vermute eine falsche Analogie: im Mittelalter konnte sich ein Ritter durch seine Fähigkeiten im Kampf zu Pferde als "Ritter" legitimieren, weil ein einfacher Bauer weder die Mittel für Rüstung, Waffen und den Unterhalt eines Schlachtrosse, noch die Zeit für die nötigen Waffenübungen gehabt hatte. Aber sowohl im Faustkampf wie im Bogenschießen konnte ein Bauer durchaus einem Ritter überlegen sein!
Es könnte auch sein, dass A. / H. an die Verhältnisse im frühen Industriezeitalter dachten: ein Fabrik- oder Landarbeiter hatte nicht die Gelegenheit, sich sportlich so zu üben wie ein "Gentleman" aus den besitzenden Ständen. Allerdings reichte es im 19. Jahrhundert überhaupt nicht aus, ein guter Sportler zu sein, um als "Gentleman" anerkannt zu werden.
Wie auch immer: "Odysseus" als Beispiel für einen Vorläufer des bürgerlich-aufgeklärten Menschen - oder als frühes Beispiel eines Grundherren und "Gentlemans" - funktioniert einfach nicht - es sei denn, man übernimmt exakt die Vorstellungen und (Vor-)Urteile Horkdornos über Homer, Odysseus und ihr gesellschaftliches Umfeld.
Jedenfalls interpretieren Adorno und Horkheimer eher etwas in die Odyssee hinein, als heraus!
MMarheinecke - Donnerstag, 17. April 2008
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