Rassismus - leider immer noch ein Thema

Rassismus ist für mich ein Dauerthema, spätestens seitdem ich vor fast acht Jahren einen ausführlichen Artikel darüber schrieb: „Menschenrassen gibt es nicht!" Bringen die Ergebnisse der Genforschung das Ende des Rassismus?

Der aktuelle Anlass für mich, wieder einmal auf das Thema "Rassismus" zurückzukommen, ist ein hässlicher Vorgang, der diese Woche durch die Nachrichten ging: Eine Pfarrersfamilie, die ursprünglich aus Westdeutschland stammte, hat die thüringische Kleinstadt Rudolstadt wieder verlassen. Sowohl Frau Neuschäfer als auch ihre fünf Kinder sahen sich rassistischer Anfeindungen ausgesetzt. Ihre Kinder seien wegen ihrer dunklen Haut beleidigt und verprügelt worden. Der Bürgermeister des Ortes sieht "keine Ausländerfeindlichkeit". Vielleicht hat er recht, denn Frau Neuschäfer ist Deutsche - mit einem aus Indien stammenden Vater.

Sehr aufschlussreich finde ich folgendes Interview mit Herrn Neuschäfer, das heute in der "Netzeitung" erschien: Flucht aus dem Osten: "Ich hätte meine Frau in die Psychiatrie bringen müssen"

Um rassistisch zu sein muss man es nicht unbedingt ein Rassist sein. Das klingt paradox, aber ein Rassist hat eine rassistische Ideologie, zumindest im Hinterkopf. Wobei diese Ideologie nicht zwangsläufig "rechts" sein muss und auch nicht zwangsläufig mit dem biologischen bzw. biologistischen Rassebegriff arbeiten muss. Es gibt einen "Rassismus ohne Rassen", so wie es einen "'Antisemitismus ohne Juden" gibt.
Der Alltagsrassismus muss noch nicht einmal böse gemeint sein, und selbst jemand, der nichts gegen Schwarze (Asiaten, Orientale, Inder usw.) hat, kann rassistisch sein. Rassismus fängt nicht erst beim "Rassenhass" an.
Rassismus heißt, Menschen anhand bestehender oder auch nur konstruierte Unterschiede zu klassifizieren. (Zum Beispiel: wer eine sehr dunkle Haut hat, kommt in die Schublade "Schwarzafrikaner", wer blond und hochgewachsen ist, gilt als "nordisch" usw. - auch wenn das mit der realen Herkunft nichts zu tun hat.) Diesen - oft nur vermuteten - ethnischen oder "rassischen" - Klassen werden bestimmte Eigenschaften zugeordnet, typischerweise anhand unreflektierter Vorurteile und Klischees.
Es ist rassistisch, wenn Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft, Gesichtsform usw. abgewertet werden. Aber es gibt auch einen "Positivrassismus": "die" Schwarzen sind musikalisch, "die" Japaner sind fleißig, "der" Südamerikaner temperamentvoll,"der" Nordeuropäer kann gut organisieren usw. usw..
Dass solche Annahmen blanker Unsinn und kein Stück plausibler als die Vorstellung vom "vom Natur aus kulturfernen" Schwarzen sind, ist eigentlich klar. Eigentlich - denn auch ich bin dagegen nicht immun - und manchmal deshalb selber rassistisch.
Rassistische Tendenzen hat fast jeder (auch ich), es ist ein hartes Stück Arbeit, sie zu erkennen und zu versuchen, nicht mehr rassistisch zu sein.

Gerade derjenige, der von sich im Brustton der Überzeugung behauptet, doch "kein Rassist" zu sein, ist erfahrungsgemäß anfällig für rassistisches Denken. Manchmal sind solche Menschen sogar "echte" Rassisten, also mit entsprechender Ideologie.

Woher kommt der "Alltagsrassismus"?
Kein Mensch ist dagegen immun, Vorurteile und dämliche Verhaltensweisen aufzunehmen, vor allem dann, wenn sie sogar Bestandteil der Erziehung sind.

Eine mögliche Ursache, weshalb "im Osten" Deutschlands und hier besonders "in der Provinz" der Alltagsrassismus anscheinend erheblich stärker ist, als in den Metropolen und "im Westen", erwähnt Neuschäfer in seinem Interview:
Wir haben Fremdenfeindlichkeit selbst im kirchlichen Rahmen erlebt, etwa im Kinderkreis unseres Sohnes. Diese Ablehnung ist auch ein Problem der ehemaligen DDR, wo Monokultur und Kollektivismus das akzeptieren anderer Kulturen erschwerten. Da ist vieles unaufgearbeitet geblieben. Denn man gilt schnell als Nestbeschmutzer, wenn man dieses Problem anspricht.
Um eins Klarzustellen: auch "im Westen" und in Großstädten gibt es viel zu viel Rassismus. Ich thematisiere den offensichtlich tief verwurzelten "Kleinstadtrassismus" nicht, um die "Ossis" in die Pfanne zu hauen:
Der Thüringen-Monitor, eine Studie zu den politischen Einstellungen der Bürger, hatte 2007 zum Ergebnis, dass 48 Prozent der Befragten der Meinung sind, Ausländer kämen, um den Sozialstaat auszunutzen, 52 Prozent meinen gar, die Bundesrepublik würde durch Ausländer überfremdet, 19 Prozent antworten, Ausländer sollten nur unter eigenen Landsleuten heiraten.
- Thüringen ist übrigens das Bundesland, in dem es am wenigsten "Ausländer" gibt: ganze 2,0 Prozent "Ausländeranteil" - Bundesdurchschnitt: 8,8 Prozent, das Bundesland mit dem höchsten "Ausländeranteil" ist Hamburg mit 14,2 Prozent. Zahlen gemäß statistischem Bundesamt, Stand 2006.
Das entspricht einer alten Erfahrung: Rassismus gedeiht dort, wo Vorurteile und Klischees nicht durch tägliche Erfahrung korrigiert werden.
Ich sehe eine lange rassistische Tradition, die kaum unterbrochen wurde, und die buchstäblich in "Kaisers Zeiten" begann.
Die DDR war zwar offiziell antirassistisch, und auch die Alt-BRD brach nicht wirklich konsequent mit der rassistischen Tradition, aber tatsächlich konservierte die DDR-Realität viele alte Ängste und Klischees. Glaubte man den DDR-Medien, kam die Ursache aller Probleme immer "von außen", meistens aus dem Westen, aber auch aus "sozialistische Bruderländern" wie Polen. Dennoch kann man die
intolerante Staatsdoktrin schwerlich für den gesamten Rassismus in Thüringen und anderen ehemaligen DDR-Gebieten verantwortlich machen. Schließlich waren viele von denen, die sich heute rassistisch betätigen, 1990 noch nicht einmal geboren.

Rassismus ist bei uns immer noch so sehr Normalität, dass wir ihn in unseren alltäglichen Handlungen und Überzeugungen nicht einmal bemerken. Politiker - auch "im Westen", auch seitens demokratischer Parteien appellieren ungeniert an rassistische und nationalistische Vorurteile.
Mehr noch: die meterhohe Zäune um die "Festung Europa", der mit brutaler Härte geführte Kampf gegen "illegale Einwanderer", werden als "normal" wahrgenommen. (Hierzu empfehle ich: Der eiserne Vorhang steht und wird täglich neu ausgebaut von che 2001.)
Faktisch ist das Fremdenfeindlichkeit in Reinkultur, durchaus auch mit rassistischen Untertönen. Auch die faktische Abschaffung des Asylrechtes ist offen fremdenfeindliche Politik. Diesen harten Fakten stehen meistens nur "weiche" Lippenbekenntnisse gegen Rassismus gegenüber.

Noch etwas:
Wenn jemand behauptet, es gebe "kaum Rassismus", z. B. "in unserer Stadt", ist das eine schwere Beleidigung gegenüber jenen, die unter rassistischen Überbegriffen leiden. Solche Behauptungen ignoriert die Erfahrungen hunderttausender Menschen in Deutschland, die das, als Betroffene oder als Betroffenen nahe Stehende, besser als jeder Außenstehende beurteilen können.
Wer Rassismus leugnet, stellt sich auf anmassende und verletzende Art "über" die Opfer des Rassismus: es wird bestritten, dass das, unter dem sie leiden, real ist.
David (Gast) - 3. Apr, 22:16

Auf der Diskussionsseite der deutschen Wikipedia zum Lemma "Oury Jalloh" steht, sowas (d.h. unter rätselhaften Umständen in einer Gefängniszelle zu verbrennen) passiere Asylbewerbern, die sich anständig verhalten, in Deutschland nicht. Das zu lesen hat mich sehr beruhigt.
Habe ich bei B.L.O.G. schonmal geschrieben, meine ich, fällt mir aber gerade wieder so ein.
Kann es im Übrigen sein, daß das Eingeständnis der Existenz von Rassismus in Deutschland noch wesentlich schwerer fällt, als anderswo? "Wir" sind doch ein geläutertes Volk; "wir" haben sogar damit aufgehört, gezielt Minderheiten auszurotten und eine beeindruckende Karriere als super-duper Menschenrechte-olé-Demokratie mit Vorbildcharakter hingelegt. Da kann sich doch nicht einfach einer hinstellen und sagen, es gehe immernoch weiter! Damit verbunden dann auch der Reflex, bei Rassismus (und Antisemitismus) immer gleich ans Extrem zu denken - Rassisten und Antisemiten wollen vernichten, 'gemäßigte', 'weiche' Varianten, wie Du sie oben ansprichst, können unmöglich existieren.

distelfliege - 3. Apr, 23:15

Superviele Dankeschöns

..für deinen Artikel.
Hatte mich letztens auch mit dem Thema beschäftigt, ohne aktuellen Medienanlass allerdings - und hätte da noch die Anmerkung, daß du zuerst ganz richtig anmerkst, daß es nicht um "Fremdenfeindlichkeit" oder "Ausländerfeindlichkeit" geht, weil die Neuschäfers Deutsche sind - später in deinem Artikel gehts dann aber wiederum um "Fremdenfeindlichkeit" als wäre es das selbe wie Rassismus, und als wären alle Schwarzen oder "nicht-Arier" = "fremd".
Kleine logische Unschärfe sozusagen.
Allein daß Fremdenfeindlichkeit von Herrn Neuschäfer als etwas, das ihnen begegnet sei, benannt wurde, ist eigentlich schad, weil sie waren auch nicht fremder als weiße Zugereiste, oder?
Ist halt unser Sprachgebrauch, der hier selber schon rassistisch ist, das is aber so konsequent überall verwendet, daß man es selber auch schon so macht.

Ich sehe mich selber über die indoktrinierten Rassismen auch nicht erhaben an, übrigens. Ich finds aber sehr lohnend, also für mich als Weiße, mich damit auseinanderzusetzen. Man kann sich dann einfach zunehmend so verhalten und so handeln, wie man es eigentlich will und meint, anstatt daß man etwas z.b. gut meint und sich entlang unhinterfragter Konventionen so verhält, wie man es gar nicht wollte oder gemeint hat. Daß man son Zeug ungefragt reingefüttert bekam, ist zum kotzen genug, zum Glück kann man wenigstens was dagegen unternehmen :)

MMarheinecke - 4. Apr, 09:33

Zur "Fremdenfeindlichkeit"

Ich benutze den Begriff "Fremdenfeindlichkeit" in meinem Artikel da, wo wirklich "Fremde" ausgegrenzt werden (und zwar buchstäblich), nämlich im Zusammenhang mit den stark gesicherten EU-Außengrenzen und mit dem fast komplett abgeschafften deutschen Asylrecht. Dass dieses politische Handeln auch rassistische Untertöne hat (vor allem dann, wenn es den EU-Bürgern "verkauft" wird), ist ein Aspekt dieser unsäglichen Politik.
distelfliege - 4. Apr, 22:32

jo...

...stimmt irgendwie...
Dann is das wohl dem Artikel der Netzzeitung zu verdanken, der wirklich unsäglich verquickt, daß ich das zunehmend als "ein Brei" wahrnehme, was eigentlich zwei Sachen sind.
Aber du schreibst z.b. schon, daß Rassismus in Thüringen zusammenhängen könnte damit, daß der Ausländeranteil so gering ist, und nicht z.b., daß Schwarze oder People of Color dort in den Kleinstädten kaum oder gar nicht leben.
Joaquin (Gast) - 8. Apr, 07:17

Vorurteile

Manchmal weiß man ja auch nicht, wo ein Vorurteil beginnt und daraus Rassismus wird. Aber ich denke mal, sich dessen Bewusst zu sein, ist schon ein Schritt in die richtige Richtung.

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