Wieso Pofalla glaubt, nicht gegen das Grundgesetz zu verstoßen - er glaubt

Ronald Pofalla, Generalsekretär der CDU, fordert bekanntlich, dass Kruzifixe in Schulen und Gerichten aufgehängt werden sollen.

Auf Abgeordnetenwatch liefert Pofalla auf die Frage eines Bürger eine persönlichen Begründung für seinen Standpunkt, die sehr tief blicken lässt.
Sehr geehrter Herr Pofalla,

sind Sie sich dessen bewusst, dass Ihre Forderung nach Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in allen Schulen einen Verstoß gegen das Grundgesetz darstellt?

Wie hat das Bundesverfassungsgericht doch schon 1995 festgestellt: “Die (staatlich verordnete) Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 GG.”

Sie werden sich doch als gewählter Volksvertreter nicht gegen das Grundgesetz stellen, oder?

Mit freundlichen Grüßen

Horst Fischer
Die Antwort erlaubt unerwartet tiefe Einblicke in das Weltbild Ronald Pofallas. (Hervorhebung von mir, MartinM.)
Sehr geehrter Herr Fischer,

vielen Dank für Ihre Mail, die ich mit Interesse gelesen habe.

Ich möchte Ihrer Kritik an meinen Äußerungen widersprechen. Als Partei, die das Christliche im Namen trägt, wollen wir, dass das Bekenntnis zum Christentum im öffentlichen Raum erhalten bleibt.

Das Kruzifix ist mehr als nur ein religiöses Symbol. Hängt ein Kreuz im Klassenzimmer einer Schule, werden die durch den Unterricht zu vermittelnden überkonfessionellen christlich-abendländischen Werte und ethischen Normen den Lehrern und Schülern sinnbildlich vor Augen geführt.

Dabei bezieht sich die Bejahung des Christentums nicht auf Glaubensinhalte, sondern auf seinen Charakter als prägender Kultur- und Bildungsfaktor und ist damit auch gegenüber Nichtchristen durch die Geschichte des abendländlichen Kulturkreises gerechtfertigt.

Der Staat verletzt damit nicht das Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität. Dieses beinhaltet nämlich nicht die Verpflichtung des Staates zur Indifferenz oder zum Laizismus.

Auch für einen nichtgläubigen Schüler versinnbildlicht es die Werte der christlich geprägten abendländlichen Kultur und daneben noch eine von ihm nicht geteilte, abgelehnte religiöse Überzeugung. Die Schüler sind nicht zu besonderen Verhaltensweisen oder religiösen Übungen vor dem Kreuz verpflichtet. Angesichts des Sinngehalts, den das Kreuz im Klassenzimmer für nichtchristliche Schüler hat, entstehen ihnen keine unzumutbaren psychischen Beeinträchtigungen oder mentale Belastungen. Auch sie sind zur Toleranz verpflichtet.

Mit freundlichen Grüßen
Ronald Pofalla, MdB
Nicht weiter überraschend ist, dass Pofalla nicht direkt auf den Vorwurf eingeht.
Nicht weiter überraschend ist auch, dass "Christentum" und "westliche Zivilisation'" ("Abendland") für Pofalla offensichtlich so eng zusammenhängen, dass für ihn sich auch die weltliche Kultur direkt aus dem Christentum ableiten lässt. Herr Pofalla erklärt das Kreuz rückwirkend auch zum Symbol der vorchristlichen griechisch-römischen Kultur, der jüdischen Kultur, der vorchristlichen Kultur der Germanen, Kelten, Slawen usw. - ja sogar zu Symbol der ohne Zweifel europäischen, aber ebenso ohne Zweifel islamisch dominierten maurischen Kultur im mittelalterlichen Spanien. Das "Abendland" lässt sich nicht allein auf die "christliche Traditionsline" zurückführen.
Damit ist er in der CDU / CSU nicht allein; auch Errungenschaften der Aufklärung und des Humanismus werden schon mal (historisch falsch) dem christlichen Menschenbild zugeschrieben:
Die aus dem christlichen Menschenbild entstandenen Menschenrechte sind universell gültig und dürfen nicht in Frage gestellt werden.
(Aus dem Strategiepapier "Moderner bürgerlicher Konservatismus" der CDU/CSU.)

Ein wenig überrascht hat mich die im von mir gefetteten Absatz geäußerte Rechtsauffassung. Wenn das Aufhängen eines bestimmtes religiösen oder weltanschaulichen Symbol nicht gegen das Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität verstößt, dann folgt daraus, dass auch die Symbole anderer Religionen und Weltanschuungen an Schule und Gerichten aufzuhängen seien - zumindest solche, die "die Werte der christlich geprägten abendländlichen (sic!) Kultur" repräsentieren. Der Wandplatz dürfte knapp werden.

Es sei denn, Pofalla denkt ähnlich wie der Kölner Kardinal Meisner:
"Dort, wo die Kultur von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte."
Was ich so verstehe, dass für Meisner (und ähnlich denkende Christen) "Kultur" von "Kult" käme, und folglich jede Kultur, die nicht die Verehrung des christlichen Gottes in den Mittelpunkt stell, jemanden anders verehrt, folglich also Götzendienst ist.
(Interessanterweise denken "fundamentalistische" Moslems ähnlich. Man muss nur "christlicher Gott" durch "Allah" ersetzen.)

Via Das Kreuz mit Pofalla
Rayson (Gast) - 15. Sep, 13:54

Doch, doch, die Menschenrechte sind tatsächlich aus dem Humus des christlichen Menschenbildes (das natürlich seinerseits jüdische und griechische Wurzeln hat) entstanden. Auch die Aufklärer gewannen ihre Ideale ja nicht frei schöpfend, sondern orientierten sich an Entwicklungen, die vor ihnen christliche Denker schon eingeschlagen hatten.

Das christliche Menschenbild entwickelte den Gedanken der "Menschenwürde" durch die Anerkenntnis des unbedingten Werts des einzelnen Menschen, der unmittelbar in einem Verhältnis zu Gott steht, und es enthält den Appell, von der eigenen Vernunft Gebrauch zu machen und die eigene Umwelt verantwortungsvoll zu gestalten.

Dass sich Aufklärer und Humanisten z.T. gegen einen kirchlichen Apparat durchsetzen mussten, widerspricht dieser Erkenntnis ebenso wenig wie die Untaten späterer "aufgeklärter" Herrscher.

Nur ist natürlich eine Gleichsetzung Unfug. Die Menschenrechte mögen, zumindest in unseren Breitengraden, im Christentum verwurzelt sein, aber sie sind keine exklusiv christliche Angelegenheit.

Und das Kreuz ist vom Glauben selbstverständlich nicht zu trennen. Christen müsste es eigentlich erschrecken, wie ihr wichtigstes Symbol so profanisiert wird.

Last but not least: In seiner Antwort setzt Pofalla "Kruzifix" und "Kreuz" gleich. Wenn es nicht in manipulativer Absicht geschieht, zeugt es von Unkenntnis. Beides spräche gegen seine Argumentation.

MMarheinecke - 15. Sep, 14:55

Nein, nicht unbedingt

Ja, dass Pofalla Kreuz und Kruzifix (Kreuz mit Dranhängender Darstellung des zu Tode gemartertem Jesus) gleichsetzt, ist mir auch aufgefallen. Ich vermute, dass er, als Katholik, beim "Symbol des Christentum" automatisch an ein Kruzifix denkt und nicht etwa an das von Protestanten bevorzugte schlichte Kreuz.

Historisch gesehen stammt die Idee der Menschenwürde nicht aus dem Christentum. Man kann zwar, mit M. J. Blumenthal, dahingehend argumentieren, das der Gedanken der "Menschenwürde", die Gleichheit vor dem Gesetz und die Vorstellung eines souverän und bewusst, nach freien Willen, entscheidenden Individuums im Judentum entstanden und über die mittelalterlichen Scholastiker in den christlichen Wertekanon übernommen wurden. Deshalb sollte man, wenn schon, von einem jüdischen Menschenbild sprechen.
Allerdings sind entsprechende Vorstellungen in der griechischen Philosophie - vor allem in der Stoa - ebenfalls angelegt.
Die Anerkenntnis des unbedingten Werts des einzelnen Menschen, der unmittelbar in einem Verhältnis zu Gott (oder den Göttern) steht, findet sich z. B. auch bei den den Orphikern bzw. im Dionysos-Kult des vorsokratischen Griechenlands - und natürlich auch bei Sokrates selbst. (Platon und Aristoteles haben das dann wieder relativiert, weil sie glaubten, die Sklaverei rechtfertigen zu müssen, Epikur hat die Menschenwürde dann - indem er die Götter herausnahm - auf die Erde geholt - der Mensch hat, allein aus der Tatsache heraus, dass er Mensch ist, seinen unbedingten Wert.) Das alles zu einer Zeit, in der das Christentum noch in weiter Zukunft lag. (Dass dann lange Zeit keine Probleme mit der Institution "Sklaverei" sah - es reichte offensichtlich aus, dass ein Sklave vor Gott frei war, die real-weltliche Freiheit stand dem gegenüber zurück.)

Selbstverständlich erfanden die Aufklärer ihre Vorstellungen nicht im leeren Raum, sondern in einer christlich geprägten Umwelt. Die aus dem aus Judentum und Hellenismus übernommen Vorstellung der unantastbaren Würde des Menschen, der Gleichheit, und der Gewissensfreiheit wurden tatsächlich unter anderem christlich vermittelt (neben dem Humanismus und seinem Rückgriff auf antike Quellen.)
Allerdings wurden die universellen Menschenrechte auch in bewusster Abgrenzung zu traditionellen Aspekten des christlichen Menschenbildes, wie die der ewigen Verdammnis der Ungläubigen oder der Erbsünde, formuliert.
Vor allem wären Menschenrechte, die sich explizit auf ein "christliches" (besser jüdisches und hellenistisches) Erbe berufen, nicht mehr universalierbar. Ich könnte, als Asatruar, z. B. behaupten, dass die "von Juden erfundenen" Menschenrechte für mich nicht maßgeblich wären. (Und die "Artgemeinschaft" des Neo-Nazis Jürgen Rieger argumentiert tatsächlich in dieser antisemitisch-völkischen Stoßrichtung.) Oder als Moslem, dass Menschenrechte, die auf Grundlage des christlichen Menschenbildes entstanden, nicht den Geboten des Korans gegenüber vorrangig sein können und allenfalls eine christliche Ergänzung zur Schari'a darstellen. (Ich schrieb zunächst "Alternative", da aber auch die Schari'a universelle Gültigkeit beansprucht, kann es aus islamischer Sicht keine Alternativen geben.)
Rayson (Gast) - 16. Sep, 13:11

Das ist eben die Frage, wie man es sehen will. Dass die Menschenwürde eine originär christliche Erfindung sei, ist m.E. ebenso falsch wie die Behauptung, das Christentum habe diesen Begriff nur vermittelt.

De facto entstammen die Menschenrechte nun einmal aus einer christlichen Gedankenwelt. Dass sie sich von dieser dann emanzipiert haben, ist eine andere Sache. Wobei ich übrigens Erbsünde und "ewige Verdammnis der Ungläubigen" nicht als Teil eines Menschenbildes sehen würde - das sind Dinge, wenn man sie denn meint, theologisch begründen zu können (was zumindest bei der "ewigen Verdammnis" nicht haltbar sein dürfte), die das Verhältnis zu Gott betreffen, aber nicht das Verhältnis der Menschen untereinander. Für Juden waren Nichtjuden noch in gewisser Hinsicht "weniger wert", wie sich sogar an Gleichnissen und dem Verhalten von Jesus selbst erkennen lässt, für Christen ist das nicht mehr sinnvoll zu begründen, da sich die Botschaft an jeden Menschen richtet, jeder also auch erlöst werden kann. Da kommt also schon noch einiges hinzu.

Die Universalisierbarkeit ist ein generelles Problem. Blendest du den jüdisch-christlichen Teil aus, bleibt der hellenistische Ursprung. Verdeckst du den auch noch, ist eben "der Westen" der Urheber. Menschenrechte gewinnen ihre Legitimität nicht durch geschichtliche Autorität, sondern durch Akzeptanz. Wer sie nicht akezeptieren will, wird immer einen Grund finden, warum sie für ihn nicht gelten können. Und sei es, dass sie eben "nicht-islamisch" seien.

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