Nach Grönland - den Gletschern beim Tauen zusehen?

Professor Lembke, vom Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, bewertet die Reise von Bundeskanzlerin Merkel und Bundesumweltminister Gabriel nach Grönland positiv. Und nicht etwa, weil er heimlich hofft, dass die Merkel in eine Gletscherspalte fallen oder "Siggy Pop" es mit einen freilebenden Artgenossen seines PR-Terminopfers Knut zu tun bekommen könnte. Nein, er findet, es sei lehrreich für die Politiker. Jedenfalls behauptet er das im Interview mit der dpa Forscher: Klimawandel wird auf Grönland besonders sichtbar - allerdings sagt er auch, dass der Rückgang der Gletscher in den Alpen mindestens genau so gut zu sehen ist.
Meiner Ansicht sogar noch besser: denn der Sermeq Kujalleq bei Ilulissat, einer der aktivsten Gletscher der Erde, Besuchsziel unserer coolen Politiker, hat sich, anders als die Alpengletscher, nicht zurückgezogen!
Aber die landschaftliche Kulisse ist atemberaubend schön - gibt einfach mehr her als so ein olles Eisbärgehege in Berlin. Oder so ein popeliger Alpengletscher, wo auch Hans und Franz hinfährt. Wenn man richtig polemisch ist, kann man mal nachrechnen, wie groß der CO2 Ausstoß für diesen PR-Flug ist, an einen Ort, an dem vom Klimawandel rein optisch und ohne dramatischen Kommentar aus dem Off nichts zu erkennen ist. Tatsächlich unterscheidet sich das Programm der Kanzlerin und des U-Ministers, bis auf ein paar Höflichkeitstermine bei grönländischen Politikern, nicht sonderlich von dem einer entsprechenden Pauschalreise an den "Eisfjord bei Ilulissat an der Disko-Bucht".

Dass auch Deutschland sich am "Run auf die Rohstoffe der Arktis", zu dem Russland ein schönes Fernsehspektakel am arktischen Meeresboden lieferte (das augenscheinlich mit ein paar eingeschnittenen Tauchboot-Szenen aus "Titanic" aufgesext wurde) ist eher unwahrscheinlich.
Apropos "Titanic" - der berühmteste Eisberg der Seefahrts- und Film-Geschichte kalbe wahrscheinlich am Sermeq Kujalleq bei Ilulissat (das damals noch Jakobshavn hieß).

Auch die Parole "besuchen Sie Grönlands Gletscher, solange es sie noch gibt" überzeugt irgendwie nicht. Heinz Miller, ebenfalls vom Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, meint jedenfalls: "Bis das Grönlandeis schmilzt, vergehen mehr als tausend Jahre". Was kein Grund zur Entwarnung ist, aber sehr wohl ein Grund, nicht gerade nach Grönland zu fliegen, wenn man auf den Klimawandel aufmerksam machen will. Aber es macht sich halt gut, wenn man das Sommerloch mit ein paar schönen Bildern aus der Arktis füllen kann. Und keine Demonstranten weit und breit. Und mit positivem Medienecho ist auch noch zu rechnen.

Was dieses als Staatsbesuch getarnte touristische Event zu einem geradezu klassischen Beispiel für "Unpolitik" macht.

Nachtrag:
Offensichtlich bin ich nicht der Einzige, der den 2-Tage-Grönland-Trip von Merkel und Gabriel kritisiert:
Unmittelbar vor Beginn der Grönland-Reise von Kanzlerin Angela Merkel hat die Opposition davor gewarnt, in der Umweltpolitik allein auf symbolisches Handeln zu setzen. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sagte der dpa: «Die Reise ist eine Flucht in die Inszenierung.»
Stimmt auffällig!
FDP-Chef Guido Westerwelle sagte: «Das ist Symbolik, gut für die Fotografen.»
Guido W. ist nicht unbedingt ein Politiker, den ich wählen würde, aber wo er recht hat, hat er recht!
Pileatus (Gast) - 16. Aug, 01:42

Ja, völlig idiotisch. Die entsprechenden Berichte werden dann immer noch schön mit Bildern von kalbenden Gletschern und gurgelnden Schmelzwasserflüssen im Eis untermalt. Dabei sind diese Phänomene das normalste der Welt. Dass es seit der Eiszeit schon mal wesentlich wärmer war als in den letzten Jahrzehnten und dass die Eisbären und das Grönlandeis das offenbar überstanden haben, will sowieso niemand hören.

Warum das Klimathema so populär ist, ist klar: Im Gegensatz zu handfesten Umweltproblemen wie dem Abholzen der Regenwälder, dem Artensterben und dem ungeheuren Landschaftsfrass der modernen Gesellschaft kann man hier wunderbar grosse Worte spucken, ohne befürchten zu müssen, dass diese irgendwann an realen Erfolgen gemessen werden. Bauen wir also Atomkraftwerke, holzen den Regenwald ab um Biosprit zu gewinnen und überlfluten wir die letzten unberührten Landschaften mit Megastauseen, zum Wohle des Klimas - und wenn das alles nix bringt, sind eh die Amis, Russen und Chinesen schuld...

Londo (Gast) - 16. Aug, 08:33

Klimawandel...

...könnte man auf Island wesentlich besser sehen. So ist die Gletscherlagune Jökulsarlon erst in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des 20. Jh. entstanden. Außerdem habe ich im Gletschermuseum in Höfn gelernt, dass der Vatnajökull zur Wikingerzeit vermutlich kleiner war als heute.

Pileatus (Gast) - 16. Aug, 10:20

Bedeutend kleiner. Hinweise auf massive Gletscherrückzugsphasen gibt es auch in den Alpen:

http://alpen.sac-cas.ch/html_d/archiv/2004/200406/ad_2004_06_12.pdf

Der Mann hat sich mit dieser Publikation allerdings sehr, sehr unbeliebt gemacht...
MMarheinecke - 16. Aug, 15:58

Auch in Grönland kann man gute Beispiele für Klimawandel finden

Allerdings in Südgrönland. Sie entsprechen - wie übrigens auch die Landschaft - ziemlich genau den isländischen Verhältnissen. Das heißt, es zeigt sich, dass es zur Zeit deutlich wärmer wird, aber auch, dass es schon mal wärmer war als heute.

Außerdem: in Südgrönland zeigt sich deutlicher als an anderen Orten, dass eine Erwärmung nicht nur Nachteile mit sich bringt. Die Landwirtschaft dort profitiert eindeutig von den milden Jahren, ebenso die Fischerei (immerhin Grönlands wichtigster Wirtschaftszweig). Weniger Eisgang bedeutet, dass die südwestgrönlandischen Hafen, namentlich der der Hauptstadt Nuuk, nicht nur während der kurzen Sommermonate angelaufen werden können.
Das alles würde deutlich werden, wenn Merkel und Gabriel dorthin reisen würden, wo man in Grönland die Erwärmung wirklich sehen kann.
MMarheinecke - 18. Aug, 15:45

Klassischer Fall von Sensationssprech - oder nur was falsch verstanden?

Nachtrag, 18. August:
Merkel erklärte nach einem Rundflug über mehrere vom Klimawandel gefährdete Gletscher: «Das muss man selbst gesehen haben.» Schmelzprozesse, die früher Zehntausende von Jahren gedauert hätten, liefen jetzt in 60 bis 80 Jahren ab. «Das, was ich gesehen habe, wird mir die Kraft geben zusammen mit dem Umweltminister weiter zu handeln», betonte sie.
Quelle - Hervorhebung von mir.
Zur Erinnerung: vor etwa 11.700 Jahren endete mit der Erwärmung des Klimas am Ende des Pleistozäns die vorerst letzte Eiszeit:
Holozän. Na ja, als Politikerin darf man sich ruhig mal so um den Faktor 100 gegenüber dem 4. IPCC-Report verschätzen ...

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