Summer of Love IX - Das Endes der Hippiebewegung

HIermit endet die lockere Folge der Artikel über den "Sommer of Love" 1967, der in Wirklichkeit ein politisch, gesellschaftlich und kulturell "heißer" Sommer war. Sie begann mit einem kleinen ironischen Text zum "Sommer of Love", es folgten ein Artikel zum "heißen Frühsommer" im West-Berlin des Jahres 1967 und eine kleiner Aufsatz, in dem ich zu zeigen versuchte, dass die Hippies mehr als nur "Blumenkinder" waren. Das Ende des chemischen Pfingstens schließt sich inhaltlich an die Beitrag LSD - die "Wunderdroge" und den nicht zur "Serie" gehörenden Text 70 Jahre Marihuana-Verbot an. Der sechste Teil der Serie widmet sich der Unvollständigen Sexuellen Revolution, der siebte dem Hippie-Pop und Hippie-Kommerz. Und in der vorletzte Folge beschäftigte ich mich mit der Pschedelic Music.

Die Hippiebewegung begann mit großen Idealen. Sie stand in der Tradition des "linken" Flügels der Lebensreform und führte die lebensreformerischen Ansätze der "Beat Generation" weiter. Wie ihre Vorläufer stellte sie sinnentleerte Wohlstandsideale in Frage und propagierte eine von Zwängen und bürgerlichen Tabus befreite Lebensvorstellung.
Sie überschnitt sich nicht nur zeitlich mit der "68er-Bewegung" (die, wie aufmerksame Leser dieser kleinen Reihe wissen, eigentlich "67er"-Bewegung heißen müsste). Allerdings waren die wenigsten "68er" Hippies - es gab, aus Richtung der Maoisten sogar eine ausgesprochen herbe Kritik am "weltflüchtigen Hedonismus" der Hippies, abgesehen davon, dass die wenigsten "68er" "bürgerlichen" Lebensentwürfen wirklich entsagten. Die Hippies setzten eher auf Selbstverwirklichung und Lebensformen, die man einige Jahre später "alternativ" nannte, als auf gesellschaftspolitische Konzepte, von politischer Revolution gar nicht zu reden.
Aber, wie ich schon früher schrieb, war die Hippiebewegung nicht "unpolitisch", sie war wichtiger Teil der Friedensbewegung gegen den Vietnamkrieg.

Es gibt nach wie vor Hippies - sowohl "Althippies" wie "Neo-Hippies". Es gibt auch eine im Kern auf die Hippies zurückgehende Gegenkultur. Es gibt zahlreiche kulturelle Einflüsse der Hippie-Kultur auf die Kultur der Gegenwart. Ohne die Hippies gäbe es weder die "Alternativ"-Bewegung der 70er und 80er Jahre noch die "New Age"-Esoterik.
Was es aber nicht mehr gibt, ist die Hippiebewegung. Der Niedergang der Hippies begann in dem Moment, in dem die breite Öffentlichkeit auf sie aufmerksam wurde - also im "Sommer of Love" 1967.

Das Anfang vom Ende am Höhepunkt
Mit dem "massenhaften" Auftreten der Hippies in Kalifornien wurde dieser Lebensstil populär - es entstanden Hippie-Pop und Hippie-Kommerz. Der Hippie-Lebensstil zog nun auch junge Menschen an, die von sich aus nicht zum Nonkonformismus oder auch nur zum ausgeprägten Individualismus geneigt hätten. Infolge dessen gab es ab dem Sommer 1967 zahlreiche "Modehippies" oder besser "Mitläuferhippies". Der Kern der Hippiephilosophie lässt sich als radikaler, toleranter, friedliebender Individualismus beschreiben, der nicht in eine egoistische und egozentrische "Einzelkämpfermentalität" mündetet, sondern im Gegenteil, zu ausgeprägt solidarischem Verhalten führte. Eine recht anspruchsvolle Haltung, die einiges an Reflexion und eine gewisse geistige Reife erfordert - Hippiesein setzte das "Aufräumen im Kopf" voraus. Ob das für die Mehrzahl der Zehntausende, die sich im Haight-Ashbury District San Franciscos ballten, galt, darf bezweifelt werden.
Der "Summer of Love" zog auch zahlreiche Neugierige und allein am amüsanten Spektakel interessierte "Partygänger" an. Die Menschenmassen überforderten die auf "gegenseitiger Selbsthilfe" aufbauenden Strukturen der Hippie-Szene. Überfüllung, Obdachlosigkeit, Hunger, Drogenprobleme und Kleinkriminalität machten der "Neighborhood" zu schaffen. Erstaunlich bleibt, dass die Solidarität nicht völlig kollabierte. Die Situation besserte sich, als im Herbst viele "Saisonhippies" an ihre Unis bzw. in ihre Heimat zurückkehrten.
Am 7 Oktober 1967 veranstalteten die in Haight-Ashbury gebliebenen Hippies eine symbolische Beerdigung: "The Death of the Hippie" - sie erkannten, dass der "Summer of Love" nicht nur von der Jahreszeit her vorbei war.
Ein bleibendes Vermächtnis der Welle der Solidarität im "Summer of Love" ist die "Free Clinic", die bis heute kostenlose medizinische Hilfe anbietet und zum Vorbild zahlreicher unabhängiger Obdachlosenambulanzen in vielen Städten der Welt wurde. Auch der Stammbaum der "Volxküche" weist eher in Richtung Haight-Ashbury-District als zu den Suppenküche wohltätiger Organisationen.

Im Mainstream angekommen
Der Hippie-Stil wurde nach 1967 bei Künstlern, Kreativen und solchen, die sich dafür hielten, sehr beliebt. An einige Orten, z. B. im Greewich Village in New York, bildete sich eine regelrechte Hippie-Bohème aus. Künstler wie Robert Crumb, Musiker wie die Beatles, Janis Joplin, Jim Morrison oder die Grateful Dead pflegten öffentlichkeitswirksam einen "hippiesken" Lebensstil. Die Grenzen zur "Maistream"-Kultur verwischten sich.
Ein musikalischer Höhepunkt, aber auch Anfang von Ende der Hippiebewegung als "Underground" war das Woodstock-Festival. Eine klare Grenze zwischen "authentischer Hippie-Kultur" und "Hippie-Pop" ließ sich nicht mehr ziehen. Und in der Mode war der "Hippie-Stil" längst kein Bekenntnis zum Nonkonformismus mehr.

Die ersten Skinheads
Es war auch 1969, als sich die erste Jugendkultur herausbildete, die sich ausdrücklich als Gegenbewegung zu den Hippies verstand: die Skinheads. Die Skinhead-Kultur wurde durch weiße junge Arbeiter in London begründet. Während die Hippies langhaarig waren, waren die Haare der Skins so kurz geschnitten ("Crop"), dass man die Kopfhaut erkennen konnte. (Die rasierte "Glatze" war aber verpönt - und ist es bei "traditionellen" Skins heute noch!) Wie die Mods, aus denen sie hervorgingen, legten sie Wert auf ein gepflegtes Äußeres - aber anders als die gerne teure Anzüge tragenden Mods bevorzugten sie einen "Arbeiterstil": Hemden von Fred Perry, der Marke des ersten aus der Arbeiterklasse stammenden Wimbledon-Gewinners, "edle" Arbeitsschuhe von Dr Martens und Harrington Jackets. Nach ihrem Selbstverständnis waren die Skinhead stolze Kinder der Arbeiterklasse, die mit ehrlicher Arbeit ihr Geld selbst verdienten, während sie Hippies als faule Söhne und Töchter aus "gutbürgerlichen" Verhältnissen ansahen, die dank des finanziellen Rückhalts ihrer "Alten" mal ein paar Jahre "Aussteiger" spielten. So sehr sich die Skinheads sich von ihren "verspießerten", d. h. "bürgerlicher" Mode und Lebenstil nacheifernden Eltern abgrenzten, so sehr teilten sie konservative Klischeevorstellungen über Hippies. Im noch stärkeren Maße als die Rocker und sehr im Gegensatz zu den "feigen" Hippies waren schon die "originalen" Skins Gewalt nicht abgeneigt.

Das Ende der Hippies als Gegenkultur
Das Ende der Hippies als erkennbare Gegen- bzw. Protestkultur lässt sich schon deshalb nicht festlegen, weil ein "harter Kern" den Hippie-Überzeugungen und dem Hippie-Livestyle über alle Wandel des Zeitgeistes hinweg treu blieb, und weil der Niedergang der Hippiekultur sich über mehr als ein Jahrzehnt hinzog. Wie der amerikanische Journalist Peter Tate 1974 schrieb, verblassten die Hippies so allmählich, wie ihre farbenfrohen Batik-T-Shirts im Laufe der Zeit ausblichen. Lange Haare und bunte Klamotten taugten schon zur Zeit von "Woodstock" nicht mehr als Protestsymbol. Schon die "Berverly-Hills"-Morde des "hippiesk" auftretenden Charles Manson und seiner "Family" trübten das friedliche Image der Hippies; die vier Toten beim Rockfestival in Altamont, Kalifornien im Dezember 1969 schockierten sogar Anhänger des "Hippie-Lifestyles". Der forcierte "War on Drugs" in den USA ab 1971 (andere Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland zogen mit repressiver Drogenpolitik wenig später nach) führte dazu, dass der als "drogenfreudig" geltende Lebensstil der Hippies kriminalisiert wurde.
Es blieb, von den oben erwähnten Hardcore-Hippies abgesehen, eine wage von Hippie-Idealen, Hippie-Mode und "New Age"-Esoterik beeinflusste Szene von "Freizeit-Hippies", die vielleicht für einige Wochen auf dem "Hippie-Trail" auf Abenteuerurlaub gingen, ansonsten aber "bürgerlich" lebten. Ziemlich genau 1974 verschwand der Hippie-Stil aus der Mode.
Das "Erbe der Hippies" (wie auch das der "68er") ging in die sich zu dieser Zeit bildenden "neuen sozialen Bewegungen" ein. Bei sozial und politisch von Anfang an sehr durchmischten Ökologie-, Anti-Atomkraft- und "neuen" Friedensbewegung war das weniger zu spüren, bei den "Dritte Welt"-/ "Eine Welt"-Initiativen und -Solidaritätsgruppen und der antiimperialistischen Bewegung wirkte die "68er"-Tradition sichtbar nach (aber auch unmittelbare "3.Welt-Erfahrungen", oft auf dem "Hippie-Trail" gemacht), während bei den Anhängern eines "alternativen Lebensstils" die Herkunft von den Hippies am Deutlichsten war. Ein entscheidender Unterschied im Lebensgefühl war die Absage an den fröhlichen Hedonismus der Hippies - von nur an wurde hart für eine bessere Welt (oder oft auch fürs bloße Überleben) gearbeitet.

Der "Hippiehass" der Punks
Angeblich war Punk, ähnlich den Skinheads, eine Reaktion auf die Hippie-Bewegung. Das ist meiner Ansicht nach nicht ganz richtig. Wenn die Punks der 70er-Jahre gegen "Hippies" wetterten, dann richtete sich ihr Protest gegen die Mischung aus oberflächlichem Idealismus und Optimismus, die "repressive Toleranz" und die autoritäre Bevormundung durch vorgeblich anti-autoritäre Menschen, die in Folge der Hippies und der "68er" in die politische Kultur eingezogen waren. "Echte" Hippies gab es zu dieser Zeit kaum noch, mit "Hippies" waren eher die betont lockeren, politisch betont korrekten, für alles und jedes Interesse und Verständnis äussernden Jung-Lehrer, -Politiker, -Manager mit der gepflegten Langhaar-Frisur gemeint. Demgegenüber gab sich der Punk illusionslos und setzte auf offene Ablehnung und Brüskierung der Gesellschaft. In mancher Hinsicht waren die Punks sogar die "Nachfolger" der Hippies (auch wenn Ex- und Alt-Punks das gar nicht gerne hören) - den Hang zu anarchistischen Lebensentwürfen und die Ablehnung des angepassten "bürgerlichen" Lebensstil haben beide Gruppen gemeinsam, genau so wie die Vorliebe für Eigenproduktion. Auf alle Fälle stammten die ausgefeilten Kompositionen des Psychedelic Rock (und in der Folge des Art-Rock, des Progressive Rock, des Glam-Rock) und ihr Gegenentwurf, der auf der "Kraft der 2-Akkorde" beruhende Punk-Rock aus einer gemeinsamen Wurzel, nämlich dem "Garage"-Rock der 60er Jahre.
Als die Punks sich um 1980 politisierten, da wurden sie nicht selten in genau jenen ""neuen sozialen Bewegungen" aktiv, wo auch schon zahlreiche mehr oder weniger ehemaliger Hippies zuhause waren.

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