Wir sind DIE GUTEN (und deshalb sind unsere Mittel legitim)

"Der Zweck heilig die Mittel" - Wirklich?
Man könnte es mit Hannah Arendt sagen:
Handeln ist aber etwas wesendlich anderes als das Herstellen in der Zweckwelt der Dinge: Wenn ich zum Beispiel jemanden verrate, um einer sogenannte guten Sache zu helfen, so steht die Frage nicht mehr, ob sich vielleicht die gute Sache im Handumdrehen in eine schlechte verwandelt, sondern lediglich die Tatsache, daß ich Verrat in die Welt menschliches Handelns gebracht habe. Hier wird das "Mittel" nicht nur gelegentlich stärker als der "Zweck". sondern die sogenannten Mittel sind immer das einzige, was zählt, der Zweck wird immer zum illusionären Vorhaben, und zwar deshalb, weil ja das unmittelbare, greifbare Handeln sofort da ist, so daß sich die Welt prinzipiell geändert hat, bevor der Zweck erreicht ist, und zwar so geändert, daß der Zweck unter Umständen gar nicht mehr sinnvoll ist.
(Hannah Arendt: Denktagebuch)

Oder als Sprichwort:"Der Mittel verraten den Zweckl". "Verrat" im doppelten Sinne, die Mittel können Verrat am Zweck sein - oder verraten, was der tatsächliche Zweck ist, für den die Mittel eingesetzt werden.

Nun mag das Prinzip, einen guten Zweck nicht durch den Einsatz unethischer Mittel zu verraten, im rauhen Alltag des Wirtschaftslebens dem pragmatischen Prinzip "wo gehobelt wird, da fallen Späne" untergeordnet werden. Zumal es nicht der Zweck eines Wirtschaftsunternehmens ist, "Gutes" zu tun. Das soll in aller Regel Gewinne erwirtschaften; möglichst ohne den Einsatz unethischer Mittel.

Wenn aber ein Unternehmen selbst dem Anspruch erhebt, nichts Böses zu tun, dann verschärfen sich die Maßstäbe, an denen es sich messen lassen muß, ganz erheblich. Z. B. bei Google - "Don't do evil". Nicht nur Hokey stellte sich angesichts eines Falls von ziemlich dreister Zensur zugunsten eines kritisierten Wirtschaftsunternehmens die Frage: Ist Google evil? (Für die, die den Fall noch nicht kennen sollten: Axonas kritisierte in seinem Blog die wirklich haarsträubenden Geschäftspraktiken u. A. des Unternehmes Easydentic "Weil Sie einzigartig sind..." - Sicherheitstechnologie in den Händen eines obskuren Geschäftsmilieus?. Google hatte die URL dieses Artikels für die Firmennamen "Easydentic", "Protection One”, “Adhersis” und “Eurotec GmbH" aus den Suchergebnissen gelöscht - aus "rechtlichen Gründen" und vermutlich auf Veranlassung der kritisierten Unternehmen.)
Natürlich sperrt Google nicht ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Es fällt allerdings auf, wie viele Suchergebnisse gerade auf Google.de nicht angezeigt werden. Meiner Ansicht nach fürchtet Google juristischen "Ärger" (was ja für ein Wirtschaftsunternehme verständlich ist) und gibt deshalb dem Verlagen nach Sperrung leichter nach, als dies im Interesse des in diesem und anderen Fällen vorrangigen Rechtsgutes "Meinungsfreiheit" angebracht wäre. Ohne der selbst gestellten Anspruch Googles würde ich über dieses Verhalten vielleicht nur die Achseln zucken. So sieht es aber ganz so aus, als hätte Google dem Zweck "Rechtstreitigkeiten möglichst vermeiden" den eigenen Anspruch geopfert.

Besonders verheerend ist es, wenn wohltätige Organisationen der Verlockung des Prinzips "der Zweck heiligt die Mittel" erliegen.
Als Beispiel einer an sich sehr verdienstvollen Organisation, die dieser Verlockung bei der Gestaltung ihrer Informationskampagnen erlag, greife ich hier mal die Deutsche Krebshilfe heraus.

Anti-Raucher-Kampagnen wollen vornehmlich junge Menschen ansprechen, um sie vom Rauchen abzuhalten oder sie zum Aufhören zu bewegen. Die Botschaft ist klar: Wer raucht, kann Lungen-, oder Kehlkopfkrebs bekommen, wer nicht raucht, kann sich vor Krebs schützen. Infolgedessen setzen diese Kampagnen gern auf drastische Abschreckung - Schock-Spots sind anscheinend besonders wirksam.
Der Nachteil: Solche Kampagnen führen jedoch auch im Umfeld von Lungenkrebspatienten zu der unumstößlichen Ansicht, dass der Patient an seinem Schicksal selbst Schuld ist! Selbst Patienten, die nie geraucht haben, fühlen sich für Ihre Krankheit verantwortlich und werden auch von Ärzten immer wieder mit Vorwürfen konfrontiert.
Einer dieser Schock-Spots ist mir (als Nichtraucher!) besonders im Gedächtnis geblieben: In einem Café beginnt ein rauchender Mann ene attraktive junge Frau anzuflirten. Als er sich zu ihr an den Tisch setzt und ihr eine Zigarette anbietet, holt sie einen Summer aus der Tasche, hält ihn an die Kehle und sagt mit blecherner Simme: "Danke, ich rauche nicht mehr". Zum Logo der Deutschen Krebshilfe fleht eine Stimme aus dem Off: "Hören Sie auf!"
Allerdings enthält der Spots viel "künstlerische Freiheit" - laut Krebsatlas des DKZF liegt bei Frauen unter 45 die für Kehlkopfkrebs-Neuerkrankungsrate bei eins zu einer Million. Kehlkopfkrebs tritt zudem vor allem mit übermäßigem Alkoholkonsum auf. Mit anderen Worten: Es gibt wahrscheinlich in ganz Deutschland keinen einzigen Fall einer so jungen, offenkundig nicht alkoholgeschädigten Frau, der wegen durch ihr Rauchen verursachtem Kehlkopfkrebs der Kehlkopf entfernt werden mußte. Risiko-Aufklärung sieht anders aus ...

Das betrifft nicht nur die Raucherkrebs-Kampagnen der Deutschen Krebshilfe. Ein Beispiel, mit dem ich mich schon mehrmals beschäftigt habe, ist Hautkrebs. (Siehe hierzu: Todesurteil für UV-süchtige Teenager und Was jeder weiß .)
Die Botschaft dieser Kampagnen lauter nicht etwa: "Im Übermaß kann Sonne auch gefährlich werden". Offensichtlich soll die Sonne künftig vor allem als Gefahr wahrgenommen werden. Wie bei dem Anti-Raucher-Spots setzen die Sonnenschutz-Kampagnen auf drastische Abschreckung.
Das Prinzip Angstmache gilt sogar für Aufklärungsschriften, wie z. B. in der an Schule verteilte Broschüre "Sonnenschutz ist kein Kinderkram!" - Auch wenn es so nicht beabsichtig ist, vermittelt sie den Kindern die Botschaft: Jeder ungeschützte Schritt ins Freie kann zum späteren Krebstod führen! "Die Haut erinnert sich an jeden Moment in der Sonne." "Jede Bräunung ist schon ein Zeichen für ihre Schädigung." "Auch Sonnenschirme, Bäume oder Markisen bieten keinen vollständigen Schutz." Das Ziel: "Die Kinder werden lernen, Strategien zur Minimierung der Sonnenbestrahlung zu benennen." Vorbild ist eine ähnliche Kampagne im (subtropischen, extrem sonnigen) Australien - die die Krebshilfe-Kampagne in deutscher Gründlichkeit allerdings noch übertrifft.

Es geht mir hier nicht darum, eine verdienstvolle Einrichtung wie die Deutsche Krebshilfe sozusagen mit Dreck zu bewerfen. Dafür ist sie zu wichtig. Das Ziel ihrer Kampagnen ist die Krebs-Prävention, als deren "wichtigste Pfeiler" die Krebshilfe die Krebs-Früherkennung und eine gesunde Lebensweise nennt. Mir vermittelt sich der Eindruck, dass es dabei sehr viel mehr um "Motivation" als um "Information" geht. Und das für die Motivation aus der Produktwerbung übernommene, hochwirksame, aber mit drastischen Nebenwirkungen verbundene "Arzneien" in hohen Dosen eingesetzt werden. (Ich hoffe nur, dass die als Berater tätigen Ärzte bei der Chemotherapie behutsamer vorgehen.)

Ein noch so guter Zweck, und wenn es die Krebsvorsorge ist, heiligt niemals jedes Mittel!

Eine Ungeheuerlichkeit am Rande:
Bei der Internet-Recherche zu diesem Beitrag stieß ich auf ein Beispiel dafür, dass für die Deutsche Krebshilfe der gute Zweck bestimmte "Mittel" nicht immer heiligt. Vor gut zwei Jahren nahm die Krebshilfe offensichtlich Spendengelder, die beim "Metal gegen Krebs" Open Air-Konzert gesammelt wurden, nicht an. dt. Krebshilfe e.V. nimmt Geld nicht an.
Insgesamt konnte ein Reinerlös von 3006,64€ gespendet werden.
Eigentlich sollte das Geld der deutschen Krebshilfe e.V. mit Sitz in Köln gespendet werden. Diese zeigten aber leider kein großes Interesse, das sie sich nicht vorstellen konnten, das "diese Rockertypen" dazu im Stande sind, eine solche Spendenaktion durchzuführen. Außerdem hegte man seitens der Dt. Krebshilfe Zweifel, ob bei dieser "Gruppierung" nicht rechtsextreme Hintergründe vorhanden seien. Auf die Bitte von Veranstalter Luck Maurer, sich die Homepage doch mal anzusehen bekam dieser nur die Antwort, dass man keine Zeit habe, im www rumzusurfen. Daraufhin gab Herr Maurer der Organisation zu verstehen, dass man sich eine andere Institution suchen werden, welche auch das Geld von "Rockertypen" annehmen.
Der Erlös wurde nun an die Deutsche Josè Carreras Leukämie Stiftung e.V. gespendet, welche das Geld für die gleichen Zwecke verwendet wie die deutsche Krebshilfe, mit dem einen Unterschied, dass man dort bei weitem nicht so voreingenommen ist!
Luck Maurer dazu:
"Ein bißchen angepisst bin ich natürlich! Vor allem weil es darum geht, DASS geholfen wird und nicht WER hilft. Hier zählt jeder Cent, ob er vom Anzugträger oder vom Rockertypen kommt, ist mal wirklich SCHEISSEGAL!"
Hier die Darstellung des Vorfalls auf der Website des Veranstalters und die Reaktion der Krebshilfe, als ihr die Peinlichkeit des Vorgangs bewußt wurde: Metal gegen Krebs: Skandal

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