Von beliebten Maibäumen und beliebten Geschichtsklischees

Mein lieber Mai, wie schon seit Jahrzehnten ("neuerdings") entdeckt die Presse bei passender Gelegenheit wieder mal, dass "neuerdings" altes und neues folkloristisches "Brauchtum" "wieder beliebter" wird. Anlaß dieses von zahlreichen Zeitungen übernommenebn dpa-Artikels war die prosaische Mitteilung des Hauptverband der Deutschen Holzindustrie, dass dieses Jahr rund 38 000 Maibäume aufgestellt werden, so viele wie schon seit Jahren (wie vielen Jahren?) nicht mehr.
Maibäume wieder beliebter

So eine holzige Nachricht paßt nicht zum Frühlingsfest, das der 1. Mai außer dem "Kampftag der Arbeiterklasse" bzw. der passenden Gelegenheit für Gewerksschaftsfunktionäre, Basisnähe zu demonstrieren / vorzutäuschen, ja immer war und ist. Also fragt man einen Volkskundler. Und der hat in der Tat Interessantes zu vermelden:
Entgegen weit verbreiteter Meinung wurzelt der Maibaum aber nicht in germanisch-heidnischen Bräuchen. "Das ist alles Unfug und Fantasiererei", erläuterte Döring. So gehe auch die Geschichte, bei den Germanen habe der 1. Mai als Hochzeitstag Wotans und der Göttin Freia gegolten, auf die "nationalromantische Mythologie" des 19. Jahrhunderts zurück. Damals sei krampfhaft versucht worden, Bräuche auf die germanisch mythische Vorzeit zurückzuführen.
So weit, so gut. Nun aber kommts:
Der 1. Mai sei eigentlich erst durch den fränkischen König Pippin im 8. Jahrhundert zu etwas Besonderem geworden. Dieser habe die Heerschau vom 1. März auf den 1. Mai verlegt. Im Anschluss daran wurden Ritterspiele ausgetragen und auf den Plätzen ein Baum errichtet, als Mittelpunkt und Zeichen dieser Feste, erklärte Döring. Dies sei vermutlich die historische Wurzel des Maibaums. Seit dem 13. Jahrhundert seien so genannte Mairitte oder Maiumzüge bekannt. Dabei seien die Wege mit frischem Grün geschmückt worden. Auch in der Minnelyrik hätten Maibaum und frisches Grün als Zeichen für die Liebe dem Forscher zufolge Eingang gefunden.
Äh, mhm - also der König Pippin war's also. (Welcher? Pippin war unter den Karolingern ein überaus beliebter Name! Nehmen wir mal an, das "Pippin der Kurze" gemeint ist, der mit "Bertha der Großfüssigen" einen Sohn hatte, der als "Karl der Große" in die Geschichtsbücher einging.) Wobei Urkunden aus dem frühen Mittelalter mit Vorsicht zu genießen sind, gerade wenn ihnen irgend einem Herrscher irgend etwas Volkstümliches zugeschrieben wird. Nebenbei: "Ritterspiele" wären für das 8. Jahrhundert anarchronistisch, jedenfalls wenn man darunter so etwas wie die hoch- und spätmittelalterlichen Tourniere vorstellt. Selbst wenn die historische Anekdote wahr sein sollte: Wie und warum kam Pippin dann ausgerechnet auf die Idee mit dem Baum?

Döring hat damit recht, dass die Nationalromantiker des 19. Jahrhunderts krampfhaft versuchten, Bräuche auf die "germanisch mythische" Vorzeit zurückzuführen. Sogar bei an sich seriösen Forschern wie Jakob Grimm ("Die deutsche Mythologie") finden sich Mutmaßungen zur frühgeschichtlichen Herkunft vielen Volkbräuche, die einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Allerdings muß man Grimm zugute halten, dass er Vieles noch nicht wissen konnte, und das er keineswegs, wie die "völkischen" Germanentümler des 19., 21. und frühen 21. Jahrhunderts, alles und jedes den "alten Germanen" zuschrieb. Slawische und baltische Mythologien flossen in seine Betrachtungen ebenso selbstverständlich ein wie indische, altgriechische oder hebräische Überlieferung.
Anders bei den Nationalromantikern, die in der Tat alle "fremdländischen Bräuche" aus dem "deutschen Volkskörper" entfernen wollten - und wenn ein Brauch tief im Volke verwurzelt war, dann mußte er nach "völkischer" Überzeugung notwendigerweise germanisch sein, egal, wie viele Quellen in die römische, keltische, slawische oder - der Horror jedes "Nationalromatikers" vom rechten Schrot und Korn! - in die jüdische Richtung wiesen.

Was den Maibaum angeht, fehlen meines Wissens Quellen oder archäologische Hinweise darauf, dass seine Vorgänger einst zu Ehren Wotans und Freias errichtet wurden. Allerdings: Ausschließen läßt's sich auch nicht, entsprechende unbewiesene Mutmaßungen sind eben unbewiesene Mutmaßungen, und nicht von vornherein "Unfug und Fantasiererei".
Was es allerding gab (und gibt!) war das keltische Frühlingsfest Beltaine, begangen am 2. Frühjahrsvollmond oder am 30. April und 1. Mai.
Es fand Eingang in die irokeltische Kirche, mitsamt einigen Bräuchen, in deren Mittelpunkt unzweideutig die Fruchbarkeit - sowohl der Äcker wie der Lenden - stand. Selbst überzeugte Nicht-Freudianer werden im Maibaum unschwer ein zu diesem Anlaß angemessenes Phallus-Symbol erkennen.
Es ist leicht erklärbar, wie ein keltischer (und im Kern heidnischer) Brauch in das mittelalterliche Deutschlang gelangen konnte: Einmal durch irokeltische und durch Irokelten beeinflußte angelsächsische Missionare. Zum Anderen auch durch keltische Traditionen, die in römischer Zeit "überlebt" hatten - westlich des Rheins und südlich der Donau herrschte auch nach dem Abzug der Legionen eine "gallorömische" Bevölkerung - im wesendlichen romanisierte Kelten - vor. (Während die "Germanen" auf der anderen Seite des ehemaligen Limes zum Teil germanisierte Kelten gewesen sein dürften.)

Wenn der gute König Pippin tatsächlich seine Heerschau vom 1. März (dem traditionellen Termin nach römischer Tradition) auf den 1. Mai verlegte, dann werden ihn nicht nur praktische Gründe, z. B. das Wetter, dazu bewegt haben. Für einen "Heerschautermin" liegt der 1. Mai nämlich eigentlich zu spät, von Karl "dem Großen" ist z. B. bekannt, dass er seine Feldzüge gerne möglichst früh im Jahr startete.

Die Vorstellung, bestimmt Bräuche unbedingt auf bestimmte "große" historische Persönlichkeiten zurückführen zu wollen, ist meiner Ansicht nach ebenso fragwürdig, wie die nationalromantische Alles und Jedes auf die "alten Germanen" zurückführen zu wollen. Dahinter steckt die Vorstellung, dass Alles und Jedes irgendwann einmal "von oben herab" eingeführt wurde.

Was gerade in der nationalistischen Geschichtsschreibung gang und gebe war. Das klänge im Fall "1. Mai" dann so.
"Ein deutscher König - nun gut, Pippin war fränkischer König - also: ein ur-deutscher König führt ein wahrhaft deutsches Fest ein!" (Weitergesponnen, im Sinne des deutsch-nationalen Militärkultes: "Diese gross-arrtige Trraddizzionn stammtt selpstt-verrrstänt-lich von einerr Heerrschau herr, ja-woll!")

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