Samstag, 24. Dezember 2011

Aus tiefster Raunachtsruhe (oder Weihnachtsruhe, je nachdem)

Es gibt unangenehme Themen, denen man für einige Tage aus dem Weg gehen kann und gehen sollte.
Leider gehört das Thema "Alltagsantisemitismus" nicht dazu. Der hält sich an keine Feststagssruhe.
Und er kommt auch nicht nur aus dem Mund der "üblichen Verdächtigen", der "Rechtsextremisten", "Völkischen", NS-Nostalgiker usw. . Sondern manchmal aus dem an und für sich netter, toleranter, rechtsradikaler Umtriebe unverdächtiger Mitmenschen.
Mit dem Alltagsantisemitismus ist es so wie mit seinen Verwandten, dem Alltagsrassismus und dem Alltagssexismus. Der Alltagsantisemit ist sich in der Regel gar nicht einmal darüber klar, wie antisemitisch seine Äußerungen sind. (Gilt sinngemäß auch für Alltagsantisemitinnnen).
Aus Rücksicht auf die Privatsphäre der es gar nicht böse meinenden Alltagsantisemiten verzichte ich darauf, den konkreten Vorfall zu beschreiben. Dafür bringt Marina Weisband (ja, die Frau, die von unserer Qualitätspresse so gern die "hübsche Piratin" genannt wird, unter weiträumiger Umgehung aller politisch relevanter Themen) ein "schönes", selbsterfahrenes, Beispiel wie Alltagsantisemitismus funktioniert.

Wie kann es sein, dass Menschen, die nach eigener Einschätzung sogar Juden schätzen, Alltagsantisemiten sind?
Das Schrecklichste nach dem Antisemitismus ist der Philosemitismus
schrieb der jüdische Publizist Egon Schwarz. Selbstverständlich bringen Philosemiten keine Juden um und legen ihnen noch nicht einmal Steine in den Weg. Es ist mit dem Philosemitismus so wie mit dem Positivrasssismus - es ist z. B. für einen Schwarzen nicht unmittelbar gefährlich, aufgrund seiner Hautfarbe für einen temparamentvollen Tänzer mit "Rhythmus im Blut", guten Leichtathleten oder einen total coolen und relaxten Typen gehalten zu werden. Es kann aber reichlich nerven, so etikettiert und verschubladisiert zu werden. Und allzu oft schlägt ein enttäuschtes Positivklischee ins Negative um - manchmal schon wenn der besagte Schwarze ein miserabler 100-Meter-Läufer sein sollte.
Philosemitismus ist aber nach meiner Einschätzung doch etwas mehr als eine Sonderform des nervigen Positivrassismus. Speziell deutschen Philosemiten sind oft von Schuldabwehr oder schlechtem Gewissen gegenüber "den Juden" motiviert. Der Schuldabwehrphilosemitismus ist meiner Ansicht nach eng mit dem Schuldabwehrantisemitismus, dem sekundären Antisemitismus, verwandt. Und mit überhohen Ansprüchen an "die Juden" verbunden, an ihre Moral, Intelligenz, Toleranz. Ein Philosemit sieht in Juden "etwas Besonderes" - Juden sind für ihn irgendwie keine normalen Menschen.
Wenn jemand mir Eigenschaften zuschreibt, oder mich mag / nicht mag, einzig WEIL ich jüdisch bin, das ist Antisemitismus
twittert Marina Weisband (Afelia)

Warum das Thema für mich so wichtig ist. obwohl ich kein Jude bin? Weil es immer die Sache der Nichtjuden ist, Antisemitismus zu bekämpfen, nicht die der Juden.

Ich wünsche allen Juden ein fröhliches Rest-Chanukka!

Mittwoch, 14. Dezember 2011

"Bruder Gianluca Casseri" - oder: was macht einen Menschen zum Killer-Nazi?

Es ist eine jene Tatsachen, die mich in Selbstzweifel stürzen - und die mich zugleich befürchten lassen, dass ich in das Profil eines "potenziellen faschistischen Gewalttäters" passe.
Gianluca Casseri – der “italienische Breivik” (publikative.de).
Gianluca Casseri war jener ultrafaschistische Rassist, der am 13. Dezember 2011 in Florenz zwei senegalesische Immigranten abknallte, drei weitere Schwarze anschoss und sie wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens an Leib und Seele verkrüppelte, und sich dann feige durch Suizid der irdischen Gerechtigkeit entzog.
Einer jener Menschen, die nur hassen kann. Die mich an meiner Menschlichkeit zweifeln ließe, wenn ich sie nicht hassen und verabscheuen würde.
Aber - ich sehe in den Spiegel - und mein Spiegelbild zeigt mir einen Menschen, der dem faschistische Killer, der aufgrund einer irren Weltanschauung zum irren Mörder wurde, unangenehm ähnlich sieht:
Beschrieben wird der 50-jährige Buchhalter aus der Provinz Pistoia als introvertierter Einzelgänger, fasziniert von keltischen Riten, Neopaganismus, Tolkiens Fantasy und arischen Herrenrassen, der in seinen Schriften auch gern Fantasy-Einschläge mit faschistischem Gedankengut verwickelte. Im Umfeld des Casa Pound wurde der Mann mit dem rundlichen Gesicht eher als “einsamer Wolf” gesehen als als Mitglied neofaschistischer Schlägertrupps. Ein intellektueller Ideologe der Herrenrasse, Kenner der neofaschistischen Bewegungen und Analytiker von deren Gründungsmythen. Als großer Comic-Liebhaber referierte er im Casa Pound wiederholt über seine Lieblingscharaktere Tex und Tin Tin.
Sehr viel davon trifft auch auf mich zu. Was mich von Cassiri unterscheidet, dass ist das, was in unseren Köpfen ist. Etwas, was sich der Überprüfung durch Außenstehende entzieht.
In einer (möglichen) Gefährderdatei wären (oder sind schon?) naturgemäß nur die beobachtbaren Fakten über mich gespeichert. Dass ich politisch völlig anders eingestellt bin, als der sich selbst irre gemacht habenden Killer-Fascho, das dürfte, angesichts der diskursbestimmenden Extremismustheorie, mit der fixen Idee einer "guten Mitte" und "bösen Rändern" der Gesellschaft, in der "Extremismus von rechts und links" gleichgesetzt und gleich gewichtet werden, irrelevant sein.
Ja, so wird man argwöhnisch, pessimistisch und am Ende paranoid.
Wo es doch so einfach wäre: unauffällig im "Mainstream" mitschwimmen, als lauer Christ oder halbherziger Atheist, mit anständigen, erwachsenen, Interessen - z. B. Fernsehn - apolitisch, bis auf alle vier Jahre brav Kreuzchen bei SPD, CDU, FDP oder allenfalls GRÜN machen, der Comics für "Kinderkram", Fantasy für ""Fluchtliteratur" und Heiden und Hexen für "abgedrehte Spinner" hält. Ja, und wer es mit "den Germanen" hat, kann doch nur Nazi sein.
Wenn ich ernsthaft vor hätte, Verbrechen zu begehen, dann würde ich mir Mühe geben, nach außen genau so unauffällig - angepasst bis spießig - zu wirken.
Aber die Parallelen zwischen mir und Casseri gehen weiter:
Autobiografisch beschreibt sich der Mann, der gern in der dritten Person von sich spricht, so:
“Er wird 1961 in Ciriegio (PT) geboren, während der Mensch in den Weltraum fliegt und der Himmel sich in der größten Sonnenfinsternis des XX. Jahrhunderts verdunkelt. Im Alter von 12 Jahren, überwältigt von der Begegnung mit H.P. Lovecraft, entfernt er sich endgültig aus dem ihn umgebenden geordneten Kosmos. Seine vielfältigen Interessen im Bereich Fantasy, alle rigoros nicht aktuell, reichen von Flash Gordon bis zum Sci-Fi-Kino der 50er Jahre, von den Autoren der Weird Tales bis zu Val Newtons Filmen und darüber hinaus. Im Jahr 2001, zu Zeiten des endgültigen Durchbruchs des Internets, hat er die geniale Idee, eine Printzeitschrift herauszubringen, La Soglia, wo er seine multimedialen Manien auslebt. Um sich von den ernsten Dingen des Lebens abzulenken scheint es, als wäre er Buchhalter.”
Ich bräuchte nur wenige Vokabeln auszuwechseln, und es wäre eine biographische Skizze über MartinM. Immerhin: ich schreibe nur selten in der dritten Person über mich selbst, und ich schätze auch aktuelle SF und Fantasy.
Es ist eine reichlich peinliche Verwandtschaft. Ich will trotzdem die Augen nicht davor schließen, denn nochmals: besser, aufrichtiger, heiterer und produktiver als der Haß ist das Sich-wieder-Erkennen.
So leitete Thomas Mann seinen berühmten Aufsatz Bruder Hitler ein. In Hitler erkenne ich mich nicht wieder, was nicht mein Verdienst ist, sondern allein dem Umstand geschuldet ist, dass ich zu einer anderen Zeit geboren wurde, und unter anderen Verhältnissen aufwuchs. Thomas Mann drückte mit seiner Gleichsetzung aus, dass es sich beim Politiker Adolf Hitler im Kern um einen Künstler handelt, einen gescheiterten und verkommenen Künstler. Eine Beschreibung, die auf mich (obwohl sicher kein Politiker) sicher eher zutrifft, als auf den Erfolgsschriftsteller und Literaturnobelpreisträger Mann. Aber Hitler, das war das frühe 20. Jahrhundert.
In einigen der heutigen Faschisten, da erkenne ich mich durchaus stärker wieder. Zum Beispiel auch in dem Hamburger Berufs-Neonazi Christian Worch, einen Mann, der recht lesbare (und interessanterweise nicht rassistische) Fantasy-Geschichten geschrieben hat, jemanden, mit dem ich mich gut verstehen könnte - wenn er nicht unzufällig Nazi und unzufällig ein schlauer Machtstratege und Strippenzieher wäre. Wie ich ist Worch ein wenig erfolgreicher "Schreiberling". Wie es auch Casseri war.

Selbstmitleid oder gar Selbstviktimisierung sind jedenfalls nicht angebracht. Eher scharfe Selbstkritik.
Ich darf jedenfalls niemanden übel nehmen, dass er oder sie mich nach flüchtiger Betrachtung für einen "Fascho" hält.

Ein Versuch einer Antwort auf meine Frage: "Was macht einen Menschen zum Killer-Nazi?"
Wahrscheinlich sind es nicht das Milieu, die bevorzugte Literatur, der persönliche Geschmack, oder die spirituelle, religiöse oder philosophische Grundeinstellung. Und schon gar nicht das intellektuelle Niveau. Auch wenn der "typischen Nazi" eher eine Hohlbratze ist, schützen weder Bildung noch Intelligenz vor Menschenfeindlichkeit.
Ich vermute - und der "Fall Casseri" spricht dafür - dass es nur wenige Faktoren sind, die jemanden nach "rechts außen" abbiegen lassen.
Einer dieser Faktoren ist ein Weltbild, das klar zwischen "schwarz" und "weiß", "gut" und "böse", "wir und die" unterscheidet. Also ein sehr weit verbreitetes, sozusagen "normales", Weltbild. Das ist jedenfalls der entscheidende Unterschied zwischen meiner und Casseris Ansicht:
Obacht, Romualdi und Casseri meinen das durchaus ernst, eine “neue europäische Spiritualität”, basierend auf den (germanischen) “Wurzeln Europas” soll die Volksgesundung herbeiführen. Durch Abwehr der “von außen” eindringenden feindlichen Kräfte selbstverständlich.
Auch ich meine es durchaus ernst mit meiner "neuen europäischen Spriritualität", unter anderem auf germanischen Wurzeln basierend. Aber: ich bin mir klar darüber, dass ich, und auch das Europa bzw. "der Westen" auch weitere Wurzeln haben. Mit Reinheitsdiskursen habe ich nichts am Hut. Ich weiß, was "der Westen" Arabien, Persien, Indien und sogar China verdankt. Ich weiß, was ich, was meine persönliche Spiritualität, dem westafrikanischen und karibischen Vodun, der sibirischen, koreanischen und amerikanischen Schamanen, aber auch den jüdischen Kabbalisten verdankt.
"Der Westen", das ist für mich ganz wesentlich Humanismus, Aufklärung, die französische und die amerikanische Revolution, Emanzipation, kritische Wissenschaft. Das sind "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" (letztere bitte um "Schwesterlichkeit" ergänzen).
Wenn diese Zivilisation, die ich schätze, bedroht wird, dann nicht von außen, sondern von innen. Von der (vermeintlich) "guten" Mitte her.

Die Worte Manns treffen auch auf mich und mein Verhältnis zu "intellektuellen" Faschisten zu:
Ein Künstler, ein Bruder. Aber die Solidarität, das Wiedererkennen sind Ausdruck einer Selbstverachtung der Kunst, welche denn doch zuletzt nicht ganz beim Wort genommen werden möchte.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Hypermoral

Hin und wieder benutze ich den Ausdruck "Hypermoral", für eine Haltung, ein "Ethos", das ich für sehr problematisch halte.

Jemand, der hypermoralisch ist, ist nicht etwa, wie man vielleicht von Wortsinn her meinen könnten, jemand, der oder die besonders viel Wert auf moralisch einwandfreies Verhalten legt. Es gibt hypermoralische "Moralapostel", aber nicht jeder eifernder Moralprediger ist hypermoralisch.
Die meisten hypermoralischen Menschen haben ein manichäistisches, "schwarz/weiß", "ja/nein", "gut/böse" Weltbild. Aber auch davon gibt es Ausnahmen.

Hypermoral ist eine übersteigerte Form gesinnungsethischer Grundsätze, bei denen der Realitätsbezug und die praktische Anwendbarkeit nebensächlich ist. Für einen Hypermoralisten sind menschlichen Handlungen im wesentlichen durch gute oder böse Absichten bzw. "das Gute" und "das Böse" an den Absichten motiviert. Eine pragmatisch-moralische Auffassung, wie sie Goethes Mephisto in die Worte "Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft" fasst, ist für Hypermoralisten nicht akzeptabel - aus einer böse Absicht kann für sie nichts Gutes erwachsen!
Ein entsetzliches Beispiel für Hypermoral sind jene Abtreibungsgegner, die so weit gehen, das ungeborene Leben auch auf Kosten des Lebens der Schwangeren zu schützen.
In der Politik ist "Moralhypertrophie" eine Einstellung, die alle Probleme in Staat und Gesellschaft als moralische Probleme auffasst.

Geprägt wurde der Begriff der "Hypermoral" 1968 im Essay Moral und Hypermoral des konservativen bis reaktionären Philosophen Arnold Gehlen. Diese Schrift ist durchaus danach, die philosophisch-anthropologischen Überlegungen Gehlens treten gegenüber der polemischen Zeitkritik deutlich ins Hintertreffen. Mit seinem Rundumschlag gegen so ziemlich alles, was ihm politisch und gesellschaftlich in der Bundesrepublik der 1960er-Jahre nicht gefiel (und ihm gefiel vieles nicht), ist Gehlen sozusagen der Prototyp aller "68er-Basher".
Obwohl ich völlig anderen Ansicht bin, halte ich die von Gehlen geprägten Begriffe "Humanitarismus" und "Hypermoral" für brauchbar.
Unter "Humanitarismus" versteht Gehlen die "zur ethischen Pflicht gemachte unterschiedslose Menschenliebe", eine Erweiterung des Familienethos auf die ganze Menschheit. "Fremde" Menschen, die nicht Familienangehörige, Freunde, Kollegen usw. sind, sollten genau so geliebt werden wie Menschen aus diesen "Nahgruppen". Also anstatt des alttestamentarischen "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" die Forderung: "Liebe deinen Fernsten wie deinen Nächsten". (Wobei Selbstliebe gerade nicht als "Tugend" gesehen wird, sondern als Laster - was die bei Hypermoralikern nicht seltene Haltung "Verachte deinen Nächsten wie dich selbst" folgerichtig nach sich zieht.)
Im Sinne des Humanismus muss die Menschenwürde eines Straftäters auch dann gewährt bleiben, wenn seine Tat aufs Tiefste missbilligt wird. Das wäre für Gehlen - aber nicht für mich! - schon hypermoralisch.
Humanitarismus sei ein Mittel ideologisch zweckmäßiger Fremdtäuschung zum Vorteil bestimmter (Herrschafts-)Gruppen mit gleichzeitiger öffentlicher Geltungssteigerung der Intellektuellen. Humanitarismus im Sinne Gehlens ist eine Form des übersteigerten Humanismus, die kein überzeugter Humanist ernsthaft vertreten würde.
Trotzdem ist der Begriff kein "Strohmann", denn entsprechende moralische Forderungen gibt es ja wirklich. Wenn auch eher selten seitens der von Gehlen gescholtenen Intellektuellen, als eher aus dem Lager religiöser oder ideologischer Fanatiker.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

That's The Bag I'm In

Das neueste Video von "Thee Pounders" (nur echt mit zwei "ee"). "Live on boat" auffer Elbe - und statt "Musikdampfer" *) Musikbarkasse (hat sowieso mehr Stil).


Der Anlass, aus dem ich das "Thee Pounders Video" poste: The Sonics & Thee Pounders live @ Markthalle (heute Abend, ist leider schon ausverkauft). Support für The Sonics, die (mutmaßlich) erste Punk-Band, ist ja nicht irgend etwas ...

*) "Musikdampfer": a) Kreuzfahrtschiff - die meisten von denen haben heutzutage so viel Stil wie ein Viehtransporter und so viel Eleganz wie ein Parkhaus.
b) Ausflugsschiff, vor allem die kitschige, z. B. als "Mississippidampfer" aufgebrezelte, Variante.

Sonntag, 4. Dezember 2011

Was ist Arbeit?

Abgesehen von eindeutig definierten physikalischen Arbeit ist der Begriff "Arbeit" schwer fassbar. Abstrakte Definitionen, wie die, dass Arbeit das bewusste schöpferische Handeln des Menschen sei, kollidieren mit jedenfalls heftig mit Alltagserfahrungen, die sich in Sprichwörtern wie "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen" niederschlagen. (Darauf, dass in diesem Spruch auch ein Stück "protestantische Arbeitsethik" steckt, in dem Arbeit nur dann wirklich "Arbeit" ist, wenn sie auf Selbstüberwindung, Disziplin und Askese beruht, sei nur am Rande verwiesen.) Jedenfalls erscheint auch mir eine Abgrenzung von "Arbeit" zum "reinem Zeitvertreib", "Spiel" und "Erholung" einerseits, und kriminellen Aktivitäten andererseits sinnvoll zu sein. Auch wenn es eher fließende Übergänge als scharfe Grenzen zwischen diesen Aktivitäten gibt.

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist "Arbeit" gleichbedeutend mit "bezahlter Erwerbstätigkeit". Begriffe wie "Arbeitslosigkeit", "Arbeitssuche", "Arbeitsfähigkeit" oder "Arbeitsmarkt" sind nur in diesem Sprachgebrauch sinnvoll. Dass dabei z. B. die unbezahlte Hausarbeit und die Arbeit im Ehrenamt außen vor stünden, ist so oft thematisiert worden, dass ich es nicht weiter ausführen brauche.

Jedenfalls neigt auch die politische Linke dazu, "Arbeit" auf die "Produktionsarbeit" (unter Einschluss allerdings auch unentgeltlicher "produktiver Tätigkeiten") zu beschränken - und sie zugleich, fast wie in der protestantischen Arbeitsethik, weltanschaulich zu überhöhen: Selbstverwirklichung sei nur in der Arbeit möglich, und ein moralisches Leben ist ein arbeitsames Leben. Die Tugend Fleiß (die strenggenommen eine Sekundärtugend ist, also eine abgeleitete Tugend, die nie davon getrennt gesehen werden kann, zu welchem Zweck und aus welchem Grund jemand fleißig ist) wird in dieser Sicht zum moralischen K.O.-Kriterium: wer "faul" ist, ist automatisch ein moralisch schlechter Mensch.
Bei konservativen Sozialdemokraten der "alten Schule" gipfelt das schon mal in Aussprüchen wie dem falsch zitierten biblischen Ausspruch: "Wer nicht arbeitet, der soll nicht essen". Über die Aussage: "Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur" im Programm der deutschen Arbeiterpartei (der Vorgängerin der SPD), die der Arbeit eine "übernatürliche Schöpferkraft" zuschreibt, mokierte sich schon Karl Marx - was nicht daran ändert, dass solche Ansichten auch bei Marxisten weit verbreitet sind.
In dieser Vorstellungswelt ist ein bedingungsloses Grundeinkommen (auch wenn es in allen mir bekannten Entwürfen nur das Existenzminimum abdeckt) ein Anreiz zur Faulheit und daher moralisch verwerflich.

Im Zusammenhang mit der Entscheidung der Piratenpartei Bundesparteitag in Offenbach für ein bedingungsloses Grundeinkommen" rückt eine andere, zwar nicht neue, aber sinnvolle Auffassung von Arbeit ins Licht einer breiten Öffentlichkeit:
"Wir können uns erstens eine Vollbeschäftigung nicht mehr leisten, und zweitens brauchen wir sie auch nicht mehr", sagte Weisband zur Begründung eines Grundeinkommens für alle. "Wir bezeichnen alles als Arbeit, was für die Gesellschaft nützlich ist." Dazu gehöre auch die Pflege von Familienangehörigen und die Gestaltung von Kunst.
Piraten schielen auf Bundestagswahl 2013 (Stern.de)
Während die Pflege von Familienangehörigen und auch ehrenamtliche Tätigkeiten wahrscheinlich von einer breiten Mehrheit der Deutschen als "gesellschaftliche nützliche Arbeit" angesehen würde, wage ich sehr zu bezweifeln, dass auch das Werk eines Amateurkünstlers gemeinhin als "gesellschaftlich nützliche Arbeit" angesehen würde.

Interessant wird die Kopplung des Begriffs "Arbeit" an eine, auch großzügig definiert, gesellschaftliche Nützlichkeit, wenn man sie auch einige durchaus gesellschaftliche angesehenen Erwerbstätigkeiten anwendet.
Meiner Ansicht, dass ein berufsmäßiger Spekulant auf der selben Stufe wie ein Berufsspieler stünde, würde wohl noch auf breite Zustimmung stoßen (wobei ich übrigens Spielen um Geld ebenso wie Spekulation für ethisch unproblematisch halte, solange dabei niemand geschädigt wird - aber Arbeit ist es in beiden Fällen nicht, auch wenn einiges Geschick und einige Mühe dazu gehört, gut zu Spielen oder zu Spekulieren).
Die bisher schlechtestes und anstrengenste Erwerbstätigkeit, der ich je nachgegangen bin, nämlich der als "outbound"-telefonierender Call-Center-Agent, sprich, als jemand, der unter einem Vorwand ungefragt Menschen anruft, um ihnen etwas aufzuschwatzen, ist demnach keine Arbeit. Das würden zahllose sich sehr anstrengende Call-Center-Agenten sicher anders sehen, und ich würde mich hüten, dieses Beispiel für "Nicht-Arbeit" zu nennen, wenn ich niemals in einem Call-Center gegen eine erbärmlich schlechte Bezahlung Leute am Telefon übers Ohr gehauen hätte. Meiner Ansicht nach fällt diese Tätigkeit in den Bereich legalisierte Kriminalität.

Ich neige jedenfalls dazu, den alten CDU-Slogan "Sozial ist, was Arbeit schafft" umzudrehen: "Arbeit ist das, was sozial ist".

Ist es Arbeit, wenn ich einen Roman schreibe? In dem Moment, in dem ich ihn veröffentliche: Ja! Und zwar unabhängig davon, ob ich damit Geld verdienen (Erwerbstätigkeit) oder nicht.
Von der Frage, inwieweit der Roman gesellschaftlich nützlich ist, sehe ich bewusst ab - es reicht aus, dass die Leser davon einen Nutzen haben, wenn sie ihn lesen.
Schreibe ich den Roman nur für mein Privatvergnügen bzw. für die viel genannte Schublade, dann ist die Anstrengung des Schreibens keine Arbeit, sondern nur Zeitvertreib.

Donnerstag, 1. Dezember 2011

NaNoWriMo - eine Nachlese

Zum (vorerst) letzten Mal über den November-Wahn.

NaNoWriMo-Winner

Anders als bei meinem ersten NaNoWriMo vor zwei Jahren ist der
Roman mit dem Arbeitstitel "Herr der Meer - Geheimauftrag MARIA STUART" vom geplanten Umfang und der Handlung her, fertig geworden. Umschreiben werde ich ihn nicht müssen, aber natürlich überarbeiten.
Wie beim ersten Mal ist es ein "marinehistorischer Roman". Zumindest im Großen und Ganzen. Nicht in jeder Hinsicht realistisch, aber plausibel, und vor historisch stimmigen Hintergrund.

Auch anders als bei meinem ersten NaNoWriMo-Romanversuch habe ich eine realistische Perspektive, dass der Roman auch veröffentlicht wird. Zwar wohl nicht im kommerziellen Rahmen, aber auch nicht im Selbstverlag (geschweige denn "Vanity-Press" / "Zuschussverlag"). Etwas, was die Art und Weise, wie ich schrieb, deutlich beeinflusste.
Aus Erfahrung mit dem "versandeten" NaNoWriMo-Manuskript vor zwei Jahren hatte ich dieses Mal ein ausgearbeitetes Konzept, mit Exposé, Datenblättern, Kapitelgliederung usw.. und vor allem: einen Schluss, auf den das ganze zusteuert. Mein Problem bei "Brüder der Küste" damals war ja, dass ich mich völlig verzettelt hatte.

Was konnte ich von meinem ersten Versuch verwenden? Im wesentlichen die Recherchen. Immerhin ist es ein historischer Roman, da sollten auch Details stimmen oder wenigstens historisch plausibel sein - was übrigens auch für die Aspekte der "Science Fiction in der Vergangenheit", dem "Quasi-Steampunk", "Clockworkpunk", "Sailpunk" oder wie auch immer, gilt. Es macht mir einfach Spaß, mir auszumalen, was es damals gegeben haben könnte, was machbar gewesen wäre. Einfach, wie im jüngsten "Die Drei Musketiere"-Film, irgendwelche Luftschiffe in die Handlung einzubauen, wäre mir zu wenig gewesen. "Piraten-Fantasy" á la "Fluch der Karibik" ist amüsant, aber nicht das, was ich beabsichtige.
Trotzdem hat Andreas Eschbah natürlich recht, wenn er meint:
Gute Recherche ist ein Qualitätskriterium für einen Journalisten, aber nicht für einen Schriftsteller. Bei einem Roman die Recherche zu loben ist ungefähr so, als lobe man die Rechtschreibung. Beim Schreiben eines Romans ist Recherche einfach eine mehr oder weniger lästige Notwendigkeit
Eschbach hat auch damit recht, dass es wichtiger ist, die Details am RANDE zu recherchieren, als dass das zentrale Thema Realitätsbezug hätte. Das zentrale Thema bei mir ist die Suche nach einem verschollenen "Superpiraten" samt "Superschiff" - das ist sozusagen Vorgabe. Hätte es diesen "Herrn der Meere" wirklich gegeben, wäre die Geschichte des späten 17. Jahrhunderts wohl völlig anders verlaufen. Auch bei der Suche selbst ließe ich meine Phantasie wild vor sich hin toben - es ist kein Sachbuch, und auch keine "kontrafaktische Geschichtsschreibung", es ist ein Abenteuerschmöker vor historischem Hintergrund. Eschbachs Beispiel: wenn in Irland ein Mord passiert, wie heißt die Polizeieinheit, die sich damit befasst? Welche Dienstgrade gibt es da? In meinem Fall: wenn ein Segelschiff in einen Hurrikan gerät, was wird die Besatzung tun? Da sollten auch die Fachbegriffe stimmen.

Wie Eschbach bringt mir die Recherche wirklich Spaß - von "lästiger Notwendigkeit" kann keine Rede sein. Es gibt noch eine Gemeinsamkeit. Er antwortete auf die Frage, woher er all die Informationen in seinem mit Wissen gespickten Roman "Das Jesus-Video" her hätte:
Württembergische Landesbibliothek. Stadtbibliothek Stuttgart. Internet. Punkt. 

Außer, dass ich natürlich die entsprechenden Hamburger Bibliotheken aufsuchte, ist es bei mir genau so.

Montag, 28. November 2011

NaNoWri - ich höre auf!

Ich habe nämlich etwas geschafft, was ich bei meiner letzten NaNo-Teilnahme nicht schaffte:
Die magischen vier Buchstaben E,N,D und E getippt!
Ja, eine erste rohe, aber vollständige Fassung meines Romans "Geheimauftrag MARIA STUART" ist fertig!

Geplanter Umfang: 60000 Wörter, 250 Manuskript-Normseiten
Realisierter Umfang: 63430 Wörter, 266 Manuskript-Normseiten
(Umgerechnet auf ein gängiges Taschenbuchformat wären das
etwa 180 Seiten.)

Da Kürzen erfahrungsgemäß leichter ist als Verlängern, ist es nicht weiter tragisch, dass es ein paar Seiten mehr als geplant wurden.
Winner 2011
Was nun? Erst mal etwas liegen lassen. Dann überarbeiten. Denn: "Die erste Fassung ist immer Scheiße" (Ernest Hemingway).

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