Montag, 29. Januar 2007

Kafka und die Fahrschule

Manchmal erinnert die deutsche Realität an eine Erzählung von Franz Kafka. Wie in einem Albtraum bewegt sich der Bürger im bizarren Paralleluniversum staatlicher und privatwirtschaftlicher Bürokratie, anonymen Mächten ausgeliefert, durch ein Labyrinth undurchsichtiger Verhältnisse.

Besonders verstörend sind die gar nicht einmal so seltenen Fälle, in denen der Bittsteller Kunde sich widersprechenden Vorschriften ausgesetzt ist. Ein groteskes, aber wenigstens nicht alptraumhaftes Beispiel: Eine Bekannte möchte sich mit einer Fahrschule selbstständig machen. Das Dumme ist nur - nach der "Durchführungsverordnung zum Fahrlehrergesetz" braucht man für eine Fahrschulerlaubnis ein Schulungsfahrzeug. Um aber ein Schulungsfahrzeug mit Fahrschulnachlaß kaufen zu können, braucht man eine Fahrschulerlaubnis.
Als angehender selbständiger Fahrlehrer bleibt einem also nur, zusehen, dass man ein erschwingliches Schulungsfahrzeug auch ohne Fahrschulnachlaß erwerben kann. (Faktisch eine Benachteiligung von "Neulingen" gegenüber "bereits Etablierten", die ein fabrikneues Auto mit Nachlaß kaufen können.) Oder - man greift beim Amt zu einem Trick: man kann einen Nutzungsvertrag mit einem Kollegen machen, in dem steht, dass man dessen Auto mitbenutzen kann. Dass ist natürlich Quatsch, was auch beim Verkehrsamt bekannt ist, aber so kommt man zu einer Fahrschulerlaubnis.

Vergleichbare Regelungen, die sich nur mit Tricksereien und dem Wohlwollen der Behörden aushelbeln lassen, lernt ein angehender Kleingewerbetreibender zu haufe kennen. Manchmal läßt es sie sogar erkennen, wer einem die Steine aus welchen Grunde in den Weg legt. Zum Beispiel hat es die Handwerkskammer gar nicht gern, wenn man als selbständiger etwas Rolläden baut und montiert - es gibt zwar keinen Beruf "Rollädenbauer" (oder "Garagentorbauer" oder "Jalousienbauer"), aber dennoch fragt die Handwerkskammer nach einem Meisterbrief (in einem einer einigermaßen passenden Handwerksberuf). Es gibt auch in diesem Bereich natürlich Tricks und Kniffe, wie man trotzdem an den ersehnten Gewerbeschein kommt - aber nur dank wohlwollender Behördenwillkür.

Richtig alptraumhaft kann so etwas werden, wenn man sich z. B. als Langzeitarbeitsloser selbstständig machen will. Oder auch, wenn man als ALG II Empfanger auf die Idee kommt, tatsächlich die so gern eingeforderte Eigeninitiative ergreifen zu wollen. Ohne das Wohlwollen des "Fallmanagers" (oder wie der Sachbearbeiter sonst heute heißt) ist da nichts zu wollen. Wenn er will, kann er genau so gut den Kunden wegen irgendwelcher nicht beachteten Detailvorschriften schikanieren. (Zum Glück scheine ich in dieser Hinsicht Glück zu haben. War nicht immer so ... )

Und so was findet sich nicht nur bei Behörden. Auch z. B. Personalabteilungen stellen gerne Anforderungen an neue Mitarbeiter, die sich eigentlich nicht erfüllen lassen. (Der berühmte Witz mit dem Unternehmen, dass einen höchstens 30-jährigen Mitarbeiter mit abgeschlossenem Studium und mindestens 15- jähriger Berufserfahrung sucht, ist gar nicht so weit von der Realität entfernt.) Der Sinn der Übung: erst mal die Anzahl der Bewerbungen überschaubar halten - und dann die, dem erfolgreichen Bewerber das Gefühl geben, er sei nur dank besonderer Rücksichtnahme "ausnahmsweise" eingestellt worden.

Was schon Kafka erkannte: undurchschaubare und widersprüchliche Vorschriften sind dazu da, den Einzelnen vom guten Willen der "Entscheider" abhängig zu machen. Machtinstrumente. Die, wenn es der "Entscheider" für richtig hält, auch zur völlig legalen Schikane eingesetzt werden können.

Und noch ein Aspekt fällt auf: viele dieser Vorschriften reduzieren den Wettbewerb, schützen die, die schon "drin" sind, vor der Konkurrenz durch die Neuen.

Hamburger Paradoxon

Es ist merkwürdig: einerseits gilt Hamburg als weltoffen, liberal, tolerant - anderseits ist die Hamburger Sicherheitspolitik von einer konservativen und bürgerrechtsfeindlichen Härte gekennzeichnet, die sich in Deutschland sonst nur noch in Bayern finden läßt.

Ich haben mir bei den "Bissigen Liberalen" ein paar Gedanken über diesen Widerspruch gemacht: Verbrechensbekämpfung Hamburger Schule"

Sonntag, 28. Januar 2007

... und Goscinny und Uderzo hatten doch recht!

Ein 1700 Jahre altes Massengrab in der Normandie, in dem Menschen und Pferde zusammen bestattet wurden, gibt Archäologen Rätsel auf. Die Art der Bestattung war vor der Eroberung Galliens durch die Römer weit verbreitet, jedoch wurde bisher kein Grab dieser Art aus römischer Zeit gefunden.

Möglicherweise deutet der Fund auf die Verehrung der keltischen Göttin Epona, Göttin der Pferde und Krieger, hin. (Es ist schon länger bekannt, dass die Epona-Verehrung sich in römischer Zeit hielt und sogar von nicht-keltische Einwohner des römischen Reichs übernommen wurde. Allerdings wurde Epona in römischer Zeit nach bisherigen Erkenntnissen in "römisch-zivilisierter" Form verehrt - und wirkte sich nicht auf die Form der Bestattung aus.)

Ausgrabungsleiterin Sylvie Pluton vom "Institut National de Recherches Arcéologique Préventives (INRAP)", eine Expertin für die Gallo-Römische Periode, betont, dass die Römer sehr organiert waren und ihre Friedhöfe entsprechend ordentlich aussahen. Bei diesem Grab ist das nicht der Fall. Die Körper zeigten in alle möglichen Richtungen. Details der Bestattung - z. B. lag ein Schädel zwischen den Kieferknochen eines Pferdes - deuten darauf hin, dass hier alt-gallische Sitten 300 Jahre römischen Einfluß überstanden hatten - immerhin in unmittelbarer Nähe zu einer römischen Stadt.

Eine Erklärung könnte sein, dass ein kleiner Teil des alten Galliens 300 Jahre lang den Römer widerstanden hat - zumindest in kultureller Hinsicht. Damit wäre "Asterix" gar nicht so weit von der historischen Realität entfernt.

The Independent: Normandy grave hints at 300-year defiance of the Roman Empire

Samstag, 27. Januar 2007

Warum Ausschwitz? - Gunnar Heinsohn glaubt es zu wissen

"Der Holocaust gilt als unerklärbar, ist es aber nicht" schreibt Gunnar Heinsohn im Tagesspiegel: Warum Auschwitz?

Heinsohns nicht neuer Ansatz ist, dass Hitler die Juden vernichten wollte, um ihre Ethik zu vernichten.
Heinsohns Versuch einer kurzen Antwort ist problematisch. Weil es (wieder einmal) ein auf Hitler zentrierter Ansatz ist, der vielleicht erklären könnte, wie seine Ideologie (allenfalls noch die einiger ganz harter Nazis) funktioniert haben könnte. Offen bleibt, wieso Millionen Deutsche und ihre kollaborierenden europäischen Helfershelfer "sein" sehr abstraktes Programm zur Ausrottung der Juden zwecks Ausrottung ihrer Ethik umsetzten.

Auch aus anderen Gründen ist der Ansatz problematisch.
Hitler wollte die archaischen Stammespraktiken des Infantizids und der Völkervernichtung wiederherstellen und dafür das Volk des Tötungsverbotes der Zehn Gebote auslöschen. Bald nach dem Ersten Weltkrieg hatte er das Judentum als Verursacher für die ethische Überwindung dieser uralten Tötungssitten identifiziert. Die Niederlage des Deutschen Reiches im Krieg von 1914–18 schob er auf „religiöse Prinzipien“. Sie seien allein von deutscher Seite eingehalten worden, wodurch der Wille zum bedingungslosen Töten für den Sieg „zersetzt“ worden sei. Diese Analyse erstellte Hitler ohne persönlichen Hass auf Juden, er war frei von „Radau-Antisemitismus“.
Zuerst wäre zu Fragen, ob Infantizid und Völkervernichtung tatsächlich archaische Stammespraktiken waren, dann, ob Hitler und wie er denkende Vernichtungsideologen wirklich meinten, dass archaische Stammespraktiken auch Infantizit und Völkervernichtung umfassen. Die erste Frage läßt sich aus ethnologischer, archäologischer und althistorischer Sicht klar verneinen: Infantizit - Kindesmord - war und ist in Stammesgesellschaften eine verzweifelt Notmaßnahme. Das vielzitierte Sparta, in dem kranke oder schwächliche Neugeborene getötet wurden, war längst keine archaische Stammesgemeinschaft mehr, sondern ein hoch entwickelter autoritärer Staat. Völkervernichtung ist auch etwas, dass erst auf relativ "hohem" Entwicklungsstand eines Staates denkbar ist. Es stimmt zwar, dass Stammesgesellschaften dazu neigen, den Begriff "Mensch" auf das eigene Volk zu beschränken, für einen Völkermord bedarf es aber einer darüber hinausgehenden Ideologie, in der "die Anderen" als tödlichen Bedrohung erscheinen, die nur durch ihre totale Vernichtung gebannt werden kann - und es geht nicht ohne straffe und disziplinierte Organisation, wenn wirklich ganze Völker ausgerottet werden und nicht "nur" etwa die Einwohner eines Dorfes "spontan" ermordet werden sollen.
Ob Hitler glaubte, dass "in grrrauärr Voorrzeitt" wirklich solche rücksichtlosen Sitten geherrscht hätten, kann ich nicht beantworten. Klar ist, dass seine Vorstellung von einer "gesunden Volksgemeinschaft" die brutale Ausrottung von "lebensunwertem Leben" und "Volksschädlingen" umfasste. Er projezierte seine grauenvolle Utopie auf die "alten Germanen", auf das antike Sparta, auf das Rom der Expansionszeit, auf das Stauferreich und auf eine sagenhafte "nordische" Urzivilisation - wobei er historische Tatsachen nach gutdünken ignorierte oder verzerrte.

Klar beantworten läßt sich auch, dass Hitler das Gewissen für eine "jüdische Erfindung" hielt, und glaubte, Deutschland hätte den erste Weltkrieg verloren, weil es "zu weich" gewesen wäre. Er sah in den zehn Geboten tatsächlich "zersetzenden jüdischen Ungeist". Wichtig ist aber auch, dass er der Ansicht war, dass "die Juden" insgeheim auch "völkisch" dachten und sich selbst nicht an die von ihnen "erfundenen" moralischen Gebote hielten, dieses "Gift" aber in allerlei Verkleidungen - christliche Ethik, Humanismus, Menschenrechte, Demokratie usw. - unter anderen Völkern ausstreuten, um ihre Kampfkraft zu schwächen.
Es ging ihm um die Vernichtung der "jüdischen Rasse" und des "jüdisch verseuchten" Denkens. Hitler hatte vor dem 1. Weltkrieg anscheinend wirklich keinen persönlichen Hass gegen Juden, vielleicht auch später nicht, aber viele Nazis, sogar in hohen Funktionen, waren primitive Judenhasser und "Radau-Antisemiten", man denke z. B. an Julius Streicher. Auch wenn Streicher Hitler persönlich zu vulgär war - er ließ ihn gewähren. Es diente ja dem "guten" Zweck der Judenvernichtung.

Die entscheidenden - und über den konkreten Fall Hitlers hinnausweisende - Punkte sind die "der Zweck heiligt jedes Mittel" "Ethik", das Machtdenken, in dem Symphatie, Rücksicht, Gewissen nur als Hindernis zu begreifen sind, und die paranoiden Verschwörungsängste, die sich unzufälligerweise auf die "tradionell" verhaßten Juden konzentrierten.

Je länger der Nationalsozialismus vorbei ist, desto stärker wird er bekämpft. Nützlicher ist es allemal, sich auf die "modernen" Erben der alten Nazis zu konzentrieren, auf deren Antisemitismus, deren Ideologie, deren brutale Machtphantasien, um neues Unheil zu vermeiden. Es kommt darauf an, Menschenrechte und Demokratie zu schützen, Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen

Freitag, 26. Januar 2007

Brandstifter

Verden ist eine Stadt, die zwei bemerkenswerte Denkmäler hat: einmal den Sachsenhain, eine 1935 errichtete Nazi-Kultstätte, die das "Verdener Blutgericht" von 782 politisch instrumentalisiert - und das heute noch Anziehungspunkt für Neo-Nazis und andere Rechtsextremisten ist. (Leider eine, wie ich finde, schöne und idyllische Anlage. Andere Denkmälern aus dem 12-jährigen Reich, wie der "Kriegsklotz" am Hamburger Dammtorbahnhof, verraten schon durch ihre einschüchternde Brutal-Ästhetik den menschenverachtenden Charakter der Auftraggeber.)

Als bemerkenswerten Gegenpol gibt es seit 2003 in Verden ein Holocaust-Mahnmal bzw. Nach-Denkmal. Bemerkenswert, weil Verden kein "Haupt-Täterort" ist, bemerkenswert auch, weil es keine aufdringliche Kombination aus "Kranzabwurfstelle" und "Holzhammer-Volkspädagogik", wie andere Mahnmale, ist: Ein restaurierter Viehwaggon der Reichsbahn aus den 30er Jahren soll an die Judenvernichtung erinnern.

Streng genommen müßte ich in der Vergangenheitsform schreiben. Denn letzte Nacht, in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar 2007, ist der Wagon vollständig niedergebrannt. Das Feuer wurde wahrscheinlich von Brandstiftern gelegt. Am Sonnabend sollte dort eigentlich eine Gedenkfeier zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz stattfinden. Die Polizei schließt auch "Rechtsradikale" als Täter nicht aus. (Welch eine Formulierung! Mir fällt außer Rechtsextremisten niemand ein, der ein Motiv für die Tat haben könnte. Es sei denn, man ist Verschwörungstheoretiker.)

NDR: Verden: Holocaust-Mahnmal ausgebrannt
n24:Mahnmal für NS-Zwangsarbeiter abgebrannt.

Die schlechteste Reaktion wäre, aufzugeben und für keinen Ersatz zu sorgen. Die zweitschlechteste, statt des Wagons (oder eines ähnliches Objektes) einen unbrennbaren, graffitigeschützten und vandalismusicheren "Gedenkklotz" aufzustellen.

Donnerstag, 25. Januar 2007

Ode für Odin

Eine nicht unbedingt dort erwartete Fundsache vom literatur-news Blog: Odin - höchster Gott der Germanen
Eigentlich geht es nur um eine neuerschienene CD-ROM "Nordische Göttersagen". Interessanter ist allemal das verlinkte Video:

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Unterlegt mit "An Ode To AllFather Odhin" von Hildr Valkyre, einer griechischen (!) Viking-Neofolk Sängerin, zeigt das Video künstlerische Darstellungen Odins aus verschiedenen Epochen, in den unterschiedlichsten Kunststilen.

Übrigens: Mehr als die Hälfte aller Deutschen (62 Prozent) meinen, dass man über Gott und Religion keine Witze machen darf. stern.de - Islam: Jeder dritte Deutsche hat Angst.

Das ist ja das Schöne am Asatru: Unsere Götter machen sogar Witze übereinander ...

Mittwoch, 24. Januar 2007

Illuminismus (Teil 3): die aufgeklärte Romantik

Nach langer Pause ist es an der Zeit, die kleine Reihe über den "Illuminismus" zuende zu bringen.
Der Grund für die lange Pause: ich hatte mich gründlich im Gestrüpp der Philosophiegeschichte verlaufen ...


Mit der Französischen Revolution endete gemäß den meisten Geschichtsbüchern "das Zeitalter der Aufklärung". Was selbstverständlich nicht des "Ende der Aufklärung" oder der aufgeklärten Philosophie bedeutete. Mit der Revolution endete aber tatsächlich der "Esoterik-Boom" der letzten Jahre des "Ancien Regime" - und das Ende des "organisierten" Illuminismus.
Die "illuminierte", "ganzheitliche" geistige Strömung wirkte allerdings weiter - in der nicht ganz zurecht "deutscher Idealismus" genannte philosophischen Richtung und als Teil der Romantik.

Burgruine Waldeck
Burgruine Waldeck Foto: Martin Marheinecke
Einige Zweige der Romantik waren eine Gegenbewegung zur Aufklärung, andere setzten die aufklärische Tradition fort. Besonders gut läßt sich das beim Umgang der Romantiker mit dem "Erbe der Geschichte" zeigen.
In der Romantik verband sich das rational-aufgeklärte Interesse am Geschichte mit der irrationalen Sehnsucht nach einer besseren Vergangenheit und einer gefühlsbetonten, eher nach der Wiedergaben von Stimmungen als äußerer Perfektion strebenden Ästhetik. In nicht-romantischer Sicht ist eine Burgruine ein häßlicher Trümmerhaufen. In der sentimentalen, anti-aufklärerischen Sicht , die einigen Romantikern zueigen ist, wird die Ruine zur Projektionsfläche für Wunschvorstellungen, oft ohne Rücksicht auf historische Fakten: viele "historische" Romane und die meisten "Historiengemälde" der "romantischen Schule" würde man heute ohne Zögern als "Fantasy" bezeichnen. (Wobei die Romantik außerdem die "klassische" Blütezeit der phantastischen Literatur war - die scheinbar unterschiedliche literarischen Genres Kriminalroman, Horror, Fantasy und Science Fiction entsprangen alle der englischen "Gothic Novel", die wiederum auf der deutschen "Schauerromantik" bzw. "schwarzen Romantik" beruhte.)
Etwas vereinfacht kann man sagen: die Neigung, alles "alte Gerümpel" abzureissen, entsprach dem in der Industriellen Revolution entstandenen Fortschrittsglauben, die romantische Mode, historisierende "Traumschlösser" zu bauen und sogar künstliche "Ruinen" zu errichten, der sentimentalen Reaktion auf den nach-aufklärerischen Fortschrittsoptimismus, der Denkmalschutzgedanke entsprang einer "aufgeklärten Romantik".

Zur Philosophie: Immanuel Kant hatte in seiner “Kritik der reinen Vernunft” nachgewiesen, dass metaphysische Erkenntnisse allein durch Vernunft nicht möglich sind. Vernunftmäßiges Denken kann bestimmte Grenzen der Erkenntnis nicht überschreiten.

Das war der Anstoß für den Deutschen Idealismus (der strenggenommen nicht immer "deutsch" war, viele, aber nicht alle Philosophen dieser Richtung waren Deutsche). Er ging, allgemein gesagt, aus der Auseinandersetzung mit Kants Philosophie hervor. Als Hauptmerkmale gelten: die Deutschen Idealisten behaupten die Existenz geistiger Entitäten (Ideen) - (Idealismus), gehen von einer Außenwelt aus, die von den Vorstellungen denkender Subjekte abhängig ist (wobei sich sehr unterschiedliche Vorstellung entwickelten) und waren davon überzeugt, dass sich das menschliche Handeln aus Vernunftprinzipien begründen läßt. Die Philosophie des Deutschen Idealismus ist typischerweise unanschaulich und schwer zugänglich, zur "Schwierigkeit" trägt auch der betont "gelehrten" Stil bei (besonders schwer verständlich: Hegel.) Typisch ist auch die Neigung, umfassende philosophische Systeme zu entwerfen, als zentral gelten die philosophischen Systementwürfe Fichtes, Hegels und Schellings.

Der Deutsche Idealismus neigt, im Unterschied zum Illuminismus, nur wenig zur Mystik, geschweige denn Magie, sondern gibt sich betont rational (oder besser: rationalistisch, im Sinne einer Vernunft-Ideologie). Typisch ist Fichtes Gebrauch logischer Axinome. Hegel lehnte schließlich jede "Unmittelbarkeit" mystischer oder religiöser Art ab - womit sich vom "romantischen" Denken sehr weit entfernt. Eine Gemeinsamkeit mit dem Illuministen sind aber die spekulativen und all-umfassenden Welterklärungssysteme: alles hat seinen Grund, seinen Platz und seine Ordnung, und ist, wenn man klug genug ist, vernunftmäßig zu begreifen. Problematisch war, dass einige Deutsche Idealisten ausgesprochene "Staatsphilosophen" in doppelter Wortbedeutung waren: politische Philosophen und glühende Befürworter des (preußischen) Staates. Ob der Sonderweg, die "deutsche Nation" als "Kulturnation" zu definieren - was historisch ähnlich fatal war, wie die zur gleichen Zeit aufgekommene und damit verbundene Vorstellung eines "einigenden deutschen Blutes", also der "Abstammungsnationalismus" - ohne Fichte, Schellig usw. je beschritten worden wäre, ist fraglich. In "abgesunkener Form" degenierten diese Systeme zu (nationalromantischen) Ideologien, noch weiter abgesunken zu Verschwörungstheorien, mit den zu höheren bestimmten, aber an hinterhältigen "Feinden" scheiternden Deutschen in der permanenten Opferrolle. (Womit sich der Kreis zu den "Illuminaten"-Theorien schließt.)

Es war dann auch ein Kritiker der hegelschen Systemphilosophie, und ein ausgeprägt romantischer Geist, nämlich Arthur Schopenhauer, der wieder die Mystik in die Philosophie einführte.
Schopenhauer griff sogar ausdrücklich auf den Begriff des "Illuminismus" zurück; er verstand darunter jene Formen der Erkenntnis, die Bücher nicht mehr zu vermitteln können. Er befaßte sich als einer der ersten europäischen Philosophen eingehend mit dem Buddhismus, und sah, anders als die deutschen Idealisten, der Welt ein irrationales Prinzip zugrundeliegen. Gemäß Schopenhauer liegt der Wille nicht nur dem Handeln des Menschen zugrunde, sondern er umfasse die gesamte Wirklichkeit, das heißt die organische und die anorganische Natur. Er objektiviert sich in der Erscheinungswelt als Wille zum Leben und zur Fortpflanzung. Diese Lehre vom „Primat des Willens“ bildet die zentrale Idee der Schopenhauer'schen Philosophie.

Die moderne "Esoterik" ist meine Ansicht nach nicht ohne trivalisiertes Schopenhauer´sches Gedankengut zu begreifen, und zwar nicht nur weil er den Buddhismus bei europäischen Intellektuellen "modern" gemacht hatte. Schopenhauer knüpfte, wie die Illuministen des "Ancien Regime", auch an die Magier, Mystiker und Theosophen der Renaissancezeit an - und brachte sie damit ins Gespräch. Wenn es in okkulten Kreisen des späten 19. Jahrhunderts und heute bei modernen Hexen und Magiern heißt: "Wille bestimmt Realität", dann treten sie die die Fußstapfen Schopenhauers. (Wie auch Sigmund Freud, bekanntlich ein scharfer Kritiker des magischen Denkens.) Es darf aber auch nicht verschweigen werden, dass Schopenhauer ein geistiger Wegbereiter des "modernen" Antisemitismus war und dass sein pessimistisches Weltbild die grandiosen Weltuntergangs- und Endzeit-Phantasien, die "Vernichtungs-Romantik", des faschistischen und faschistioden Denkens bis heute indirekt befeuerte.

Teil 2: Gelehrte zwischen den Welten
Teil 1: Die Illuminaten-Panik
Exkurs: Wer hat Angst vor den Illuminaten?

Wichtiges Argument der "Intelligent Design"-Anhänger experimentell entkräftet

"Intelligent Design" ist die These, dass bestimmte Merkmale des Lebens am besten durch eine intelligente Ursache außerhalb der Natur (vulgo "Schöpfergott" genannt) erklärt werden können und nicht durch einen "ungeleiteten" Vorgang wie die natürliche Selektion. Im Prinzip ist I.D. ein als naturwissenschaftliche Theorie getarnter "kosmologischer Gottesbeweis".
Die Anhänger des I.D. stützen sich dabei vor allem auf ungeklärte - bzw. wie sie meinen ohne göttlichen Eingriff nicht erklärbare - "Lücken" der Evolutionstheorie.

Die Entwicklung komplexer Eigenschaften wie etwa neuer Proteinstrukturen durch den Prozess der Evolution ist weitgehend ungeklärt. Zum Berspiel schließen die Befürworter der "intelligent design"-These die "Erfindung" neuer, komplexer Proteinstrukturen durch wenige Mutationsschritte aus.
Evolutionsbiologen haben aber Hinweise gefunden, dass neue Proteine aus Übergangsformen entstehen können, die ursprüngliche und neue Eigenschaften vereinen. Allerdings konnte dies bisher nur durch eine Akkumulation künstlich herbeigeführter Mutationen demonstriert werden, die evolutionäre Vorgänge lediglich simulieren. Was nach Ansicht der I.D-Anhänger nichts beweist.

Suat Özbek und Thomas Holstein in der Abteilung Molekulare Evolution der Universität Heidelberg ist es jetzt in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern vom Biozentrum in Basel gelungen, an Kollagenen des Süßwasserpolyps Hydra eine globale Strukturänderung von Proteinen infolge von zwei Mutationsschritten nachzuweisen. Bereits die Änderung einer einzelnen Aminosäure hat hier zu der Entwicklung einer Übergangsform geführt, die sowohl die ursprüngliche als auch eine gänzlich neue Proteingestalt annimmt. Dieser natürliche Vorgang lässt sich experimentell nachvollziehen und stellt damit einen bisher einzigartigen Beweis der Theorie gleitender evolutionärer Übergänge bei der Entwicklung neuer und komplexer Eigenschaften von Lebewesen dar.
Pressemeldung der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: Einzigartiger Beweis der Theorie gleitender evolutionärer Übergänge

Eine weitere empfindliche Niederlage im permanenten Rückzugsgefecht, das die ID-Anhänger gegen die "Darwinisten" führen.

Sonntag, 21. Januar 2007

Kreativ?

Bezeichnenderweise benutzt das Adjektiv "kreativ" niemand, der über van Gogh oder Dürer schreibt.
Diese Behauptung fand ich in einer Leseprobe aus "Schöner Denken", einem satirischen Lexikon über die Phrasen und Floskeln mit denen Politiker und Medienleute die Welt erklären.
Wenn ich mich aufmerksam umhöre, dann kann ich ihr nicht widersprechen.

"Kreativ" ist seit mindestens 30 Jahren eine ständig eingeforderte Qualität, vor allem in Stellenanzeigen. Was darauf schließen läßt, dass Kreativität ein gesuchtes, wahrscheinlich sogar ein knappes "Gut" ist.
Dem steht eine häufig zu beobachtende tiefe Verachtung für "kreative Spinner" gegenüber. Die stören mit ihren verrückten Ideen nur den geregelten Arbeitsablauf. Ihnen wird sogar in "kreativen" Branchen wie z. B. dem Fernsehen bestenfalls "Narrenfreiheit" eingeräumt.

"Kreativ" bedeutet an sich nichts weniger als "schöpferisch". Die Fähigkeit, Neues zu schaffen. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist von dieser anspruchsvollen Bedeutung wenig zu merken. Allzu oft ist nämlich Kreativität ein
Synonym für Ideenlosigkeit. Kreativ ist Collagen-Schnipseln im Manager-Workshop, Töpfern in der Toskana und Fingerfarben-Kunst in der Krabbelgruppe. Hauptsache, alle stehen im Kreis und loben das kreativen Potenzial des Erzeugers.
("Schöner Denken")

Woher kommt diese Kluft zwischen herem Anspruch und schnöder Wirklichkeit? Einmal sicherlich aus der inflationären Verwendung des Begriffs. Es gibt meiner Ansicht nach aber auch tiefere Ursachen.
Es fängt schon damit an, dass es zwei Arten von schöpferischem Denken gibt: die operationale und die expressive Kreativität.

Die expressive Kreativität
Man findet sie zum Beispiel in der Kunst. Wer expressiv kreativ ist, bringt originärer Ideen, Visionen und Werke hervor. Expressive Kreativität ist das Rüstzeug von Malern und Bildhauern, Schriftstellern und Komponisten. Das Dumme ist nur: Diese Art von Schöpfungskraft ist nicht zu erlernen, jedenfalls nicht durch Lernen im Sinne einer Ausbildung. Sie kann, was das Berufsleben angeht, allenfalls entdeckt, gefördert und selbstverständlich leider auch unterdrückt werden.
Die Verachtung für "kreative Spinner" kommt daher, dass expressiv kreative Menschen dazu neigen, ausgesprochen eigenwillig zu sein. Hingegen erfordert das moderne Arbeitsleben eher den unversell einsetzbaren, disziplinierten, plichtbewußten, nirgendwo aneckenden und gegebenenfalls austauschbaren Mitarbeiter. Hinzu kommt das klassische Dilemma der "kreativen" Branchen: die originellen Einfälle werden nach Auftragslage benötigt, wohingegen expressiv kreatives Schaffen praktisch nie auf Kommando abrufbar ist. Das kann aber z. B. eine Werbeagentur oder ein Designer niemals zugeben, eher werden im Grunde einfallslose oder auf Krampf "originelle" Ergebnisse schöngeredet. So wie im "Kreativitäts-Workshop" oder in der Töpfergruppe.

Die operationale Kreativität
Das ist die Fähigkeit, Wissen zur Lösung von Aufgaben einzusetzen, Fakten intelligent zu verknüpfen und Intuition mit Logik zu kombinieren. Die Fähigkeit, unvorhergesehene Probleme zu bewältigen: "Da lassen Sie sich mal was einfallen!". Entprechend gefragt ist diese stark von der Ausbildung abhängige Fähigkeit im Berufsleben, und entsprechend hoch ist die gesellschaftliche Wertschätzung.

Nur in sehr wenige Berufen ist expressive Kreativität gefragt. Operationelle Kreativität wird dagegen in sehr vielen Berufen verlangt. (Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass in den allermeisten beruflichen Positionen überhaupt keine Kreativität gefordert wird. Arbeiten heißt fast immer, Anweisungen und Vorgaben möglichst exakt einzuhalten.)

Aber auch die operationale Kreativität ist oft nur ein Euphememismus für Einfallslosigkeit. Inflationsbedingt, weil oft versucht wird, planlose Improvisation als "kreativen Problemlösungsansatz" zu verkaufen. Und strukturbedingt, weil operative Kreativität letzten Endes eine konservative Fähigkeit, die Fähigkeit zur Reparatur des Bestehenden, ist.

Oft werden diese beiden Arten der Kreativität verwechselt, wenn z. B. in einer Stellenanzeige "operationelle Kreativität" gefragt ist, aber der Eindruck entsteht, hier würde ein expressiv kreativer "Künstlertyp" gesucht.

Übrigens setzt expressive Kreativtät operationelle Kreativität im erheblichen Maße vorraus. Das steckt hinter dem bekannten Ausspruch, eine originelle Schöpfung (Erfindung, Musikstück, Roman, was auch immer) sei ein Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration.

Die Frage, weshalb niemand die Kreativität eines anerkannten Künstlers lobt, ist leicht zu beantworten: (expressive) Kreativität ist Grundvoraussetzung für jede Kunst, die diesen Namen verdient, so wie die Pinselführung beim Maler oder die Kenntnis der Grammatik für einen Schriftsteller. In Grunde ist es fast eine Beleidigung, einen Künstler "kreativ" zu nennen. Sogar einen Amateur.
Selbst wenn "Oh, alles selbst gemalt? Du bist aber kreativ!" kein Euphemismus für "Du eitler Kerl hängst überall deine stümperhaften Gemälde auf!" sein sollte.

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