Hassmails - was man mit ihnen macht und warum es sie überhaupt gibt
Was macht man mit Hassmails?
Die meisten, die schon mal Hassmail bekommen haben, machen es ganz pragmatisch: sie löschen sie.
Auch ich habe schon Hassmails bekommen, und sie gelöscht.
Hassmails sehe ich als eine böse Form der Trollerei an - ärgerlich, aber nichts, was mir wirklich zu schaffen macht. Ein Hassmail-Schreiber will mich ärgern und provozieren. Es wäre schlicht dumm, Trolle dadurch aufzuwerten, dass man sich von ihnen fertig machen lässt. Das ist eine Frage des gesunden Menschenverstandes und eine der Psychohygiene.
Die meisten interneterfahrenen Menschen werden das, vermute ich, ähnlich sehen.
Allerdings gibt es Mechanismen, die dazu führen, dass Hassmails, jedenfalls im journalistischen Diskurs, anders gesehen werden.
Da wird schnell mal aus einer Mücke ein Elefant, wie neulich im Falle der noch amtierenden politischen Geschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband.
Es gibt meiner Ansicht nach drei Faktoren, die dazu führten, dass der gesunde Menschenverstand bei einige Journalisten und anderen Meinungsmultiplikatoren aussetzte:
Allenfalls kann ich mir Vorstellen, dass jemand bei der Münsteraner Polizei die aufgeregten Meldungen der Boulevardpresse von einer Hassmail-Flut für bare Münze nahm und es nur gut meinte.
Anders würde ich reagieren, wenn anscheinend ernst gemeinte Drohungen eingingen. Eine konkrete Drohung wäre auf jeden Fall Sache der Polizei - sogar dann, wenn es keine Möglichkeit gibt, den Droher zu fassen. Schon die bloße Tatsache, dass die Polizei eingeschaltet wurde, schreckt manche Täter davor ab, ihren Drohungen Taten folgen zu lassen. Eventuell ist sogar Personenschutz erforderlich und möglich.
Warum gibt es Hassmails? Auch dazu hat Frau Weisband etwas Kluges zu sagen:
Es sind in der Regel nicht die harten Nazischläger, die Hassmails schicken - die schicken, wenn überhaupt, eher ernst gemeinte und ernst zu nehmende Drohungen.
Der typische Hassmailschreiber will diejenigen, in die er seine Unzufriedenheit projiziert, die er für "schuldig" an seiner Misere hält, ärgern, "es ihnen zeigen," sie "fertigmachen". Damit ist er in der Tat ein Troll, ein Provokateur, der bösartigen Sorte. Solche Menschen wollen, dass sich ihre Opfer schlechter fühlen. (Es ist anzunehmen, dass Frau Weisband, immerhin "fast fertige" Psychologin, das weiß - im Gegensatz zu vielen Journalisten, Polizisten und auch Politikern.)
Die Frage nach den Gründen für die Hasswelle, die Ausdruck einer "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" sind, untersucht u. A. das Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Hassmails, Beleidigungen und Einschüchterungsversuche sind nur die Spitze des Eisbergs. Und die Hasswelle fällt auch nicht vom Himmel:
Ich habe im Laufe der Jahre einige Hassmails bekommen, nicht viele, vielleicht ein oder zwei pro Jahr.
Das erste Mal, dass ich Hassmails erhielt, und zwar in nennenswerten Mengen, war vor gut 10 Jahren. Der Grund war, dass ich eine rechts-esoterische Gruppierung - konkret: die Armanen - in einem Online-Artikel offensichtlich geärgert hatte. Das ist nur scheinbar ein völlig anderer Mechanismus als die diffusen Projektionen, die z. B. hinter antisemitischen oder rassistischen Hassmails stecken.
Tatsächlich ging es gar nicht um mich persönlich oder gar um konkrete Punkte in meinem Artikel - das ergab sich aus den Formulierungen der Mails. Aus ihnen sprach einfach diffuser Hass auf "linke Zecken", "Volkstums-Verräter", "Inquisitoren" und "Antifanten", kurz, die Gruppen, denen diese Armanen und Armanen-Fans die "Schuld" dafür geben, dass sie, anders als noch in den 1990er-Jahren, kaum noch Einfluss auf die "Heidenszene" haben. Ich hatte mich exponiert - und wurde zum "Blitzableiter" einer diffusen Abneigung. Allerdings hatte ich den Armanen auch etwas getan.
Interessant ist, dass die Hassmails irgendwann aufhörten, ohne dass ich meine Mailadresse geändert hätte, und auch ohne, dass ich damit aufgehört hätte, rechte Esoteriker und Neuheiden mit braunstichiger Weltanschauung öffentlich zu kritisieren.
Wahrscheinlich hatten die Trolle einen anderen als "Blitzableiter" gefunden, der diffusen Hass auf sich zog.
Die meisten Hassmails treffen aber jene, die nur durch das, was sie sind oder für das, wofür sie gehalten werden, zur Projektionsfläche werden: rassistische, antisemtische, antiislamische, schwulenfeindliche usw. Mails.
Auf den ersten Blick bizarr mutet es an, dass auch ich, als Nichtjude, antisemitische Hassmails erhielt. Nicht oft, genau zwei Mal in rund zehn Jahren, aber klar antisemitisch.
Sicher würde ich viel mehr antisemitsche Hassmails bekommen, wenn ich Jude und irgendwie "wichtig" wäre.
Den Grund vermute ich darin, dass Antisemitismus ein zentraler, identitätsstiftender Punkt in der Weltanschauung neofaschistischer und völkischer Gruppen ist. So unterschiedlich die Rechtsextremisten auch sein mögen, auf das Feindbild Jude können sie sich alle verständigen - auch wenn der jeweilige Antisemitismus durchaus unterschiedliche Formen annehmen kann. Antisemitismus gehört zum Kitt, der "neurechte" Salonfaschisten, eher spießige NDPler, gewaltverliebte Nazis-Boneheads, ebenso gewaltverliebte, aber einen anderen Stil und Lebensstil praktizierende "autonome Rechte", "ökofaschistische" Artamanen, rechte Esoteriker usw. zusammenhält. Judenhass ist also wichtig für die "rechtsextreme Szene".
Ein typisches Merkmal ideologisch denkender (bzw. eher nicht-denkender) Menschen ist die Feindbildvereinheitlichung. Daher steckt für Nazis hinter allen ihren Gegnern "der Jude" - die historischen Nazis sahen bekanntliche Juden als "Drahtzieher" sowohl der Wallstreet wie des (damals sowjetischen) Kremls und wähnten "Finanzkapitalisten" und Bolschewisten insgeheim unter einer Decke.
Damit ist auch klar, wieso Nichtjuden aus dieser Ecke antisemitische Hassbekundungen abbekommen können: Wer entschieden gegen sie ist, kann doch nur ein Jude oder wenigstens "Jude im Geiste" sein!
Die meisten, die schon mal Hassmail bekommen haben, machen es ganz pragmatisch: sie löschen sie.
Auch ich habe schon Hassmails bekommen, und sie gelöscht.
Hassmails sehe ich als eine böse Form der Trollerei an - ärgerlich, aber nichts, was mir wirklich zu schaffen macht. Ein Hassmail-Schreiber will mich ärgern und provozieren. Es wäre schlicht dumm, Trolle dadurch aufzuwerten, dass man sich von ihnen fertig machen lässt. Das ist eine Frage des gesunden Menschenverstandes und eine der Psychohygiene.
Die meisten interneterfahrenen Menschen werden das, vermute ich, ähnlich sehen.
Allerdings gibt es Mechanismen, die dazu führen, dass Hassmails, jedenfalls im journalistischen Diskurs, anders gesehen werden.
Da wird schnell mal aus einer Mücke ein Elefant, wie neulich im Falle der noch amtierenden politischen Geschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband.
Es gibt meiner Ansicht nach drei Faktoren, die dazu führten, dass der gesunde Menschenverstand bei einige Journalisten und anderen Meinungsmultiplikatoren aussetzte:
- Sie ist eine bekannte Politikerin und hat ihren (vorläufigen) Rückzug von einem wichtigen Parteiamt angekündigt. Weil gerade politische Journalisten sich daran gewöhnt haben, dass Politiker "Pattex am Hintern haben" und ohne massiven Druck oder massive Probleme kein wichtiges Amt aufgeben, wirkt der von Frau Weisband genannte Grund - Examen fertig machen - nicht plausibel. Ihr Verhalten passt nicht ins Weltbild. (Ich vermute, dass, wäre sie keine Politikerin, sondern Sportlerin, Künstlerin, Unternehmerin oder Wissenschaftlerin der Grund "ich will erst mal in Ruhe zu Ende studieren" nicht nur akzeptiert, sondern beinahe einhellig gelobt worden wäre: "Da setzt jemand die richtigen Prioritäten im Leben!")
- Sie ist Jüdin und die Hassmails sind antisemitisch. Es gibt in Deutschland - aus bekannten historischen Gründen und somit aus gutem Grund - eine starke Unsicherheit gegenüber Juden. Leider führen diese berechtigten Selbstzweifel und die manchmal angebrachte Scham nur selten zur Selbstkritik und noch seltener zu notwendigen kulturellen Veränderungen, z. B. echter Toleranz. Das Übliche sind Betroffenheitsgesten. Wenn also ein Jude antisemitische Hassmails erhält, ist das automatisch ganz furchtbar, viel schlimmer als wenn ein Nichtjude antisemitische Hassmails bekommt.
- Der "Stille Post"-Effekt - einer schreibt vom anderen ab, und bei jedem Abschreiben wird die Meldung sensationeller.
@Afelia: Polizei Münster schickt mir Briefe, ich solle Menschen anzeigen. Ich habe keine Lust, Menschen anzuzeigen.Ich frage mich ernsthaft, was die Polizei da geritten hat. Beleidigung wird bekanntlich nur dann strafrechtlich verfolgt, wenn die oder der Beleidigte das selbst anzeigt. Außerdem ist es sehr fraglich, ob die Absender der Hassmails überhaupt ermittelt werden können (Stichworte: Wegwerf-Mailadressen, Mail-Anonymisierer).
Allenfalls kann ich mir Vorstellen, dass jemand bei der Münsteraner Polizei die aufgeregten Meldungen der Boulevardpresse von einer Hassmail-Flut für bare Münze nahm und es nur gut meinte.
Anders würde ich reagieren, wenn anscheinend ernst gemeinte Drohungen eingingen. Eine konkrete Drohung wäre auf jeden Fall Sache der Polizei - sogar dann, wenn es keine Möglichkeit gibt, den Droher zu fassen. Schon die bloße Tatsache, dass die Polizei eingeschaltet wurde, schreckt manche Täter davor ab, ihren Drohungen Taten folgen zu lassen. Eventuell ist sogar Personenschutz erforderlich und möglich.
Warum gibt es Hassmails? Auch dazu hat Frau Weisband etwas Kluges zu sagen:
[...] Aber nicht nur das macht Weisband Sorgen: »Es gibt eine regelrechte Hasswelle, egal ob sie sich gegen Juden, Muslime, Arbeitslose richtet, die Neigung, die eigene Unzufriedenheit auf eine gesellschaftliche Gruppe zu projizieren, ist enorm groß.« [...]»Nur acht bis zehn Hassmails« - Marina Weisband zieht sich nicht wegen Antisemitismus zurück (juedische-allgemeine.de)
Es sind in der Regel nicht die harten Nazischläger, die Hassmails schicken - die schicken, wenn überhaupt, eher ernst gemeinte und ernst zu nehmende Drohungen.
Der typische Hassmailschreiber will diejenigen, in die er seine Unzufriedenheit projiziert, die er für "schuldig" an seiner Misere hält, ärgern, "es ihnen zeigen," sie "fertigmachen". Damit ist er in der Tat ein Troll, ein Provokateur, der bösartigen Sorte. Solche Menschen wollen, dass sich ihre Opfer schlechter fühlen. (Es ist anzunehmen, dass Frau Weisband, immerhin "fast fertige" Psychologin, das weiß - im Gegensatz zu vielen Journalisten, Polizisten und auch Politikern.)
Die Frage nach den Gründen für die Hasswelle, die Ausdruck einer "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" sind, untersucht u. A. das Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Hassmails, Beleidigungen und Einschüchterungsversuche sind nur die Spitze des Eisbergs. Und die Hasswelle fällt auch nicht vom Himmel:
[...]Ökonomische Umverteilungen von unten nach oben, Entfernungen aus dem öffentlichen „Verkaufsraum“, Generalverdächtigungen gegenüber Lebensstilen oder religiösen Überzeugungen ganzer Gruppen sind nur einige Varianten. Zum Teil werden Gruppen gegen andere instrumentalisiert oder als Bedrohungspotential auf die öffentliche Tagesordnung gehoben. Eine andere Variante ist, die Situation schwacher Gruppen gar nicht erst zu thematisieren, sie also aus der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion auszuschließen, zu vergessen; mithin sie nicht anzuerkennen, um nicht über Verbesserungen ihrer Lage nachdenken zu müssen. Klammheimlich kann dazu auch die „Schuldumkehr“ eingesetzt werden, womit die Ursachen für Abwertungen – quasi gesellschaftsentlastend – den Gruppen selbst zugeschrieben werden. [...]Was muss "man" tun, um Hassmails auf sich zu ziehen?
Ich habe im Laufe der Jahre einige Hassmails bekommen, nicht viele, vielleicht ein oder zwei pro Jahr.
Das erste Mal, dass ich Hassmails erhielt, und zwar in nennenswerten Mengen, war vor gut 10 Jahren. Der Grund war, dass ich eine rechts-esoterische Gruppierung - konkret: die Armanen - in einem Online-Artikel offensichtlich geärgert hatte. Das ist nur scheinbar ein völlig anderer Mechanismus als die diffusen Projektionen, die z. B. hinter antisemitischen oder rassistischen Hassmails stecken.
Tatsächlich ging es gar nicht um mich persönlich oder gar um konkrete Punkte in meinem Artikel - das ergab sich aus den Formulierungen der Mails. Aus ihnen sprach einfach diffuser Hass auf "linke Zecken", "Volkstums-Verräter", "Inquisitoren" und "Antifanten", kurz, die Gruppen, denen diese Armanen und Armanen-Fans die "Schuld" dafür geben, dass sie, anders als noch in den 1990er-Jahren, kaum noch Einfluss auf die "Heidenszene" haben. Ich hatte mich exponiert - und wurde zum "Blitzableiter" einer diffusen Abneigung. Allerdings hatte ich den Armanen auch etwas getan.
Interessant ist, dass die Hassmails irgendwann aufhörten, ohne dass ich meine Mailadresse geändert hätte, und auch ohne, dass ich damit aufgehört hätte, rechte Esoteriker und Neuheiden mit braunstichiger Weltanschauung öffentlich zu kritisieren.
Wahrscheinlich hatten die Trolle einen anderen als "Blitzableiter" gefunden, der diffusen Hass auf sich zog.
Die meisten Hassmails treffen aber jene, die nur durch das, was sie sind oder für das, wofür sie gehalten werden, zur Projektionsfläche werden: rassistische, antisemtische, antiislamische, schwulenfeindliche usw. Mails.
Auf den ersten Blick bizarr mutet es an, dass auch ich, als Nichtjude, antisemitische Hassmails erhielt. Nicht oft, genau zwei Mal in rund zehn Jahren, aber klar antisemitisch.
Sicher würde ich viel mehr antisemitsche Hassmails bekommen, wenn ich Jude und irgendwie "wichtig" wäre.
Den Grund vermute ich darin, dass Antisemitismus ein zentraler, identitätsstiftender Punkt in der Weltanschauung neofaschistischer und völkischer Gruppen ist. So unterschiedlich die Rechtsextremisten auch sein mögen, auf das Feindbild Jude können sie sich alle verständigen - auch wenn der jeweilige Antisemitismus durchaus unterschiedliche Formen annehmen kann. Antisemitismus gehört zum Kitt, der "neurechte" Salonfaschisten, eher spießige NDPler, gewaltverliebte Nazis-Boneheads, ebenso gewaltverliebte, aber einen anderen Stil und Lebensstil praktizierende "autonome Rechte", "ökofaschistische" Artamanen, rechte Esoteriker usw. zusammenhält. Judenhass ist also wichtig für die "rechtsextreme Szene".
Ein typisches Merkmal ideologisch denkender (bzw. eher nicht-denkender) Menschen ist die Feindbildvereinheitlichung. Daher steckt für Nazis hinter allen ihren Gegnern "der Jude" - die historischen Nazis sahen bekanntliche Juden als "Drahtzieher" sowohl der Wallstreet wie des (damals sowjetischen) Kremls und wähnten "Finanzkapitalisten" und Bolschewisten insgeheim unter einer Decke.
Damit ist auch klar, wieso Nichtjuden aus dieser Ecke antisemitische Hassbekundungen abbekommen können: Wer entschieden gegen sie ist, kann doch nur ein Jude oder wenigstens "Jude im Geiste" sein!
MMarheinecke - Sonntag, 5. Februar 2012