Samstag, 29. Oktober 2011

Burn Out Syndrom - eine Modediagnose?

Das "Burn-Out Syndrom" ist - scheinbar - in aller Munde. Glaubt man den Medien, betrifft "Burnout" Politiker, (Leistungs-)Sportler, Menschen in helfenden Berufen.

Die Behauptung, das "Burn-Out-Syndrom" sei eine "Modediagnose" stützt sich darauf, dass sich laut BKK-Report 2010 die Anzahl der durch Burnout verursachten Krankheitstage innerhalb von fünf Jahren verzehnfacht haben. So sehr auch die psychischen Krankheiten in den letzten 20 Jahren nachweislich zugenommen haben, mutet eine "Burn-Out-Epidemie" doch merkwürdig an.

Tatsächlich ist "Burn-Out" keine Krankheit, sondern ein Problem der Lebensbewältigung, das, was man gemeinhin "eine Lebenskrise" nennt. Es ist einfach körperliche, emotionale bzw. geistige Erschöpfung. Wenn jemand durch "Burn-Out" "ausfällt", wie es auf Sportreporterdeutsch so unschön heißt, dann hat der Erschöpfungszustand schon gesundheitliche Folgen gehabt - meistens Depression.
Es ist für viele Menschen einfacher, "Ausgebrannt" zu sein, denn wer ausgebrannt ist, muss einmal gebrannt haben. Da "Burn-Out" oft durch berufliche Überlastung verursacht wird, ist es sozusagen eine "ehrenwerte Diagnose". Man hat hart gearbeitet und ist sozusagen fix und alle.
Hingegen hat die Depression, auch wenn sich da einiges in den letzte Jahren geändert hat, wie alle psychischen Krankheiten die Konnotation "Verrückt sein", "geistesgestört sein" und - vielleicht am wichtigsten - "schwach sein." Wer die "Depris" hat, der ist schwach, ist ein Weichei, ein Versager. Jemand, der sich nicht zusammenreißen kann, jemand, der nicht "positiv denkt". Oft genug wird die "Schuld" an dieser Krankheit den Kranken und ihrem angeblichen "Fehlverhalten" zugeschrieben. (Was daran liegen mag, dass jeder mal ein "Tief" hat - und die Depression irrtümlich als besonders tiefes Stimmungstief verstanden wird. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Depression ist etwas anderes als eine besonders trübe Stimmung.)
Oder - so das durch den Boulevardjournalismus gezeichnete Bild (vor allem in der BILD) - ist ein Depressiver ein "Selbstmordkandidat". Jemand, der total am Ende ist.
Beide Klischees sind nicht eben einfach zu ertragen, wenn man an Depressionen leidet.

Es hat sich im Laufe der letzten Jahre auch etwas an der sozialen Umwelt massiv verschlimmert. Zeiten der wirtschaftlichen Depression sind auch Zeiten, in denen besonders viele Menschen depressiv werden. Auch wenn die Arbeitslosigkeit angeblich zurückgegangen ist: sehr viele Langzeit-Arbeitslose empfinden ihre Situation als unlösbar. Hinzu kommt, dass "Hartz-Vierer" oft stigmatisiert werden. Die offizielle Arbeitsmarktpolitik fördert die Angst vor Arbeitslosigkeit und erhöht - durchaus gewollt - den Druck auf die Arbeitenden. Menschen bleiben aus Angst eher an Stellen mit schlechten Arbeitsbedingungen. Das macht unzufrieden und macht anfällig für das „Ausbrennen“. Manchmal gibt es eine regelrechte "Flucht in die Krankheit", nicht zu verwechseln mit "Blaumachen auf gelben Schein" - denn der Krankenstand ist nach wie vor sehr viel geringer, als z. B. vor 30 Jahren.

In vielen Berufen hat sich auch die "Arbeitsdichte" stark erhöht. Es wird Leistung gefordert, und auch erbracht. Ein Problem ist aber, dass das Berufsleben meistens "problemorientiert" funktioniert. Leistung befriedigt, aber die meisten Menschen brauchen eine positive Rückmeldung. Meistens sind die Rückmeldung aber negativ - denn wenn alles in Ordnung ist, bracht "man" sich als Vorgesetzter oder Kollege auch nicht darum zu kümmern. Aufmerksamkeit gibt es erst, wenn Fehler gemacht wurden.
Wenn aber eine positive Rückmeldung ausbleibt, bleiben auf die Dauer die Selbstzweifel nicht aus.
Je nach Persönlichkeit und Temperament führen diese Selbstzweifel dazu, dass der Betroffene ständig gereizt ist ("mit den Nerven runter ist"), seinen "Frust" an anderen auslässt und unausstehlich wird oder sich distanziert zeigt, sich immer mehr in sich selbst zurückzieht. In allen Fällen leiden die Sozialkontakte. Die "sich Zurückzieher" sind dabei stark depressionsgefährdet - und sind zugleich diejenigen, die am längsten "funktionieren" und am wenigsten auffallen.

Noch ein Medien-Klischee: es sind nicht nur die Perfektionisten, die Über-Ehrgeizigen und die Menschen mit anspruchsvollen Berufen (z. B. Manager) oder "typischen Stress-Jobs" (z. B. Telefonist, Disponent) burn-out-gefährdet.
Besonders gefährdet sind auch pflegende Angehörige, Ehrenamtler z. B. in Vereinen und brerufstätige Mütter. Pflegende Angehörige können sich, anders als beruflich gestresste, nicht mit Kollegen austauschen, und sie erfahren so gut wie keine Anerkennung. Ehrenamtler neigen zur Selbstausbeutung bzw. dazu, sich ausnutzen zu lassen. Und berufstätige Mütter leiden an einem übergroßen "Mutterlichkeitsideal", dem Anspruch, eine "perfekte Mutti" zu sein, und zugleich im Beruf perfekt "funktionieren" zu müssen.

Sicher haben viele persönliche Einflussfaktoren wie z.B. Perfektionismus, unrealistisches Selbstbild, das soziales Umfeld und vor allem die Arbeitsbedingungen einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung eines Burn-Outs.
Es sind jedoch vor allem schwer zu bewältigende, aber auch sinnlose Aufgaben, die Menschen "ausbrennen" lassen, vor allem bei geringer Wertschätzung. Außerdem begünstigen Eingriffe in den Handlungsspielraum, die grassierende "Kontrollities" und technische Überwachungsmaßnahmen, das latente Misstrauen und die stets drohenden Verdächtigungen nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Gesamtgesellschaft das Ausbrennen.

Man brennt nicht so einfach aus. Es ist eine langsame, schleichende Entwicklung, die durchaus rechtzeitig gestoppt werden kann - oder könnte.

"Burn Out" ist also keine Modediagnose und keine "neu erfundene Krankheit" (es ist, siehe oben, gar keine Krankheit, sondern eine Lebenssituation, die krank machen kann). So etwas gab es auch früher, nur nannte man das chronischer Erschöpfung oder Antriebslosigkeit.
Es gibt einen scheinbaren Anstieg, weil sich die Diagnostik verbessert hat und psychische Störungen mehr beachtet werden - also, weil Dunkelziffer der unbemerkten psychischen Störungen früher höher war, und sicher auch, weil "Burn Out" eine griffiger, nicht stigmatisierender und außerdem ziemlich umfassende Bezeichnung ist, die sich außerdem als Euphemismus für Depression etabliert hat.
Aber der alarmierende Anstieg ist in der Tat real, und er hat im wesentlichen gesellschaftliche Ursachen.

Interessanter Link: Psychenet - Hamburger Netz psychischer Gesundheit.

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