Burn Out Syndrom - eine Modediagnose?

Das "Burn-Out Syndrom" ist - scheinbar - in aller Munde. Glaubt man den Medien, betrifft "Burnout" Politiker, (Leistungs-)Sportler, Menschen in helfenden Berufen.

Die Behauptung, das "Burn-Out-Syndrom" sei eine "Modediagnose" stützt sich darauf, dass sich laut BKK-Report 2010 die Anzahl der durch Burnout verursachten Krankheitstage innerhalb von fünf Jahren verzehnfacht haben. So sehr auch die psychischen Krankheiten in den letzten 20 Jahren nachweislich zugenommen haben, mutet eine "Burn-Out-Epidemie" doch merkwürdig an.

Tatsächlich ist "Burn-Out" keine Krankheit, sondern ein Problem der Lebensbewältigung, das, was man gemeinhin "eine Lebenskrise" nennt. Es ist einfach körperliche, emotionale bzw. geistige Erschöpfung. Wenn jemand durch "Burn-Out" "ausfällt", wie es auf Sportreporterdeutsch so unschön heißt, dann hat der Erschöpfungszustand schon gesundheitliche Folgen gehabt - meistens Depression.
Es ist für viele Menschen einfacher, "Ausgebrannt" zu sein, denn wer ausgebrannt ist, muss einmal gebrannt haben. Da "Burn-Out" oft durch berufliche Überlastung verursacht wird, ist es sozusagen eine "ehrenwerte Diagnose". Man hat hart gearbeitet und ist sozusagen fix und alle.
Hingegen hat die Depression, auch wenn sich da einiges in den letzte Jahren geändert hat, wie alle psychischen Krankheiten die Konnotation "Verrückt sein", "geistesgestört sein" und - vielleicht am wichtigsten - "schwach sein." Wer die "Depris" hat, der ist schwach, ist ein Weichei, ein Versager. Jemand, der sich nicht zusammenreißen kann, jemand, der nicht "positiv denkt". Oft genug wird die "Schuld" an dieser Krankheit den Kranken und ihrem angeblichen "Fehlverhalten" zugeschrieben. (Was daran liegen mag, dass jeder mal ein "Tief" hat - und die Depression irrtümlich als besonders tiefes Stimmungstief verstanden wird. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Depression ist etwas anderes als eine besonders trübe Stimmung.)
Oder - so das durch den Boulevardjournalismus gezeichnete Bild (vor allem in der BILD) - ist ein Depressiver ein "Selbstmordkandidat". Jemand, der total am Ende ist.
Beide Klischees sind nicht eben einfach zu ertragen, wenn man an Depressionen leidet.

Es hat sich im Laufe der letzten Jahre auch etwas an der sozialen Umwelt massiv verschlimmert. Zeiten der wirtschaftlichen Depression sind auch Zeiten, in denen besonders viele Menschen depressiv werden. Auch wenn die Arbeitslosigkeit angeblich zurückgegangen ist: sehr viele Langzeit-Arbeitslose empfinden ihre Situation als unlösbar. Hinzu kommt, dass "Hartz-Vierer" oft stigmatisiert werden. Die offizielle Arbeitsmarktpolitik fördert die Angst vor Arbeitslosigkeit und erhöht - durchaus gewollt - den Druck auf die Arbeitenden. Menschen bleiben aus Angst eher an Stellen mit schlechten Arbeitsbedingungen. Das macht unzufrieden und macht anfällig für das „Ausbrennen“. Manchmal gibt es eine regelrechte "Flucht in die Krankheit", nicht zu verwechseln mit "Blaumachen auf gelben Schein" - denn der Krankenstand ist nach wie vor sehr viel geringer, als z. B. vor 30 Jahren.

In vielen Berufen hat sich auch die "Arbeitsdichte" stark erhöht. Es wird Leistung gefordert, und auch erbracht. Ein Problem ist aber, dass das Berufsleben meistens "problemorientiert" funktioniert. Leistung befriedigt, aber die meisten Menschen brauchen eine positive Rückmeldung. Meistens sind die Rückmeldung aber negativ - denn wenn alles in Ordnung ist, bracht "man" sich als Vorgesetzter oder Kollege auch nicht darum zu kümmern. Aufmerksamkeit gibt es erst, wenn Fehler gemacht wurden.
Wenn aber eine positive Rückmeldung ausbleibt, bleiben auf die Dauer die Selbstzweifel nicht aus.
Je nach Persönlichkeit und Temperament führen diese Selbstzweifel dazu, dass der Betroffene ständig gereizt ist ("mit den Nerven runter ist"), seinen "Frust" an anderen auslässt und unausstehlich wird oder sich distanziert zeigt, sich immer mehr in sich selbst zurückzieht. In allen Fällen leiden die Sozialkontakte. Die "sich Zurückzieher" sind dabei stark depressionsgefährdet - und sind zugleich diejenigen, die am längsten "funktionieren" und am wenigsten auffallen.

Noch ein Medien-Klischee: es sind nicht nur die Perfektionisten, die Über-Ehrgeizigen und die Menschen mit anspruchsvollen Berufen (z. B. Manager) oder "typischen Stress-Jobs" (z. B. Telefonist, Disponent) burn-out-gefährdet.
Besonders gefährdet sind auch pflegende Angehörige, Ehrenamtler z. B. in Vereinen und brerufstätige Mütter. Pflegende Angehörige können sich, anders als beruflich gestresste, nicht mit Kollegen austauschen, und sie erfahren so gut wie keine Anerkennung. Ehrenamtler neigen zur Selbstausbeutung bzw. dazu, sich ausnutzen zu lassen. Und berufstätige Mütter leiden an einem übergroßen "Mutterlichkeitsideal", dem Anspruch, eine "perfekte Mutti" zu sein, und zugleich im Beruf perfekt "funktionieren" zu müssen.

Sicher haben viele persönliche Einflussfaktoren wie z.B. Perfektionismus, unrealistisches Selbstbild, das soziales Umfeld und vor allem die Arbeitsbedingungen einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung eines Burn-Outs.
Es sind jedoch vor allem schwer zu bewältigende, aber auch sinnlose Aufgaben, die Menschen "ausbrennen" lassen, vor allem bei geringer Wertschätzung. Außerdem begünstigen Eingriffe in den Handlungsspielraum, die grassierende "Kontrollities" und technische Überwachungsmaßnahmen, das latente Misstrauen und die stets drohenden Verdächtigungen nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Gesamtgesellschaft das Ausbrennen.

Man brennt nicht so einfach aus. Es ist eine langsame, schleichende Entwicklung, die durchaus rechtzeitig gestoppt werden kann - oder könnte.

"Burn Out" ist also keine Modediagnose und keine "neu erfundene Krankheit" (es ist, siehe oben, gar keine Krankheit, sondern eine Lebenssituation, die krank machen kann). So etwas gab es auch früher, nur nannte man das chronischer Erschöpfung oder Antriebslosigkeit.
Es gibt einen scheinbaren Anstieg, weil sich die Diagnostik verbessert hat und psychische Störungen mehr beachtet werden - also, weil Dunkelziffer der unbemerkten psychischen Störungen früher höher war, und sicher auch, weil "Burn Out" eine griffiger, nicht stigmatisierender und außerdem ziemlich umfassende Bezeichnung ist, die sich außerdem als Euphemismus für Depression etabliert hat.
Aber der alarmierende Anstieg ist in der Tat real, und er hat im wesentlichen gesellschaftliche Ursachen.

Interessanter Link: Psychenet - Hamburger Netz psychischer Gesundheit.
karuda (Gast) - 30. Okt, 02:33

Daumen hoch für Deine Ausführungen ! ;-)

Köppnick - 30. Okt, 11:55

Ich denke, dass es doch einen Anstieg derartiger Krankheiten gibt, der über verbesserte Diagnosemöglichkeiten hinausgeht. Die Reizüberflutung durch neue Medien und die ständige Online-Präsenz sind reale Änderungen unserer Umwelt, die krankmachend wirken. Ständige Erreichbarkeit, die Unfähigkeit, einem längeren Text zu folgen, und und und...

MMarheinecke - 30. Okt, 17:48

Der Ansicht bin ich auch

Vor allem die "ständige Erreichbarkeit", bzw. eigentlich das "ständig erreichbar sein müssen" trägt sicherlich zum Burn-Out bei. Ein mir gut bekannter Netzwerk-Spezialist ist im Urlaub regelmäßig "verschollen" - niemand weiß, wo er ist und wie man ihn erreichen könnte. Anders, sagt er, sei Urlaub keine Erholung für ihn. Aber er kann sich so ein Verhalten nur leisten, weil er nahezu unentbehrlich ist. Berufsanfängern in seinem Arbeitsgebiet wird es übel vermerkt, wenn sie "im Notfall" (der unschön regelmäßig eintritt) nicht zu erreichen sind.

Reizüberflutung - hängt sehr von der Art der Reize ab. Die Unfähigkeit, sich auf längere Texte konzentrieren zu können, sehe ich bei an sich lesekompetenten Menschen schon als Symptom eines Ausbrennens. (Anders bei Menschen, die nie gelernt haben, längeren Texte folgen zu können. Wofür die "neuen" Medien wahrscheinlich noch am wenigsten verantwortlich sind.)
MMarheinecke - 1. Nov, 15:36

"Ich möchte Ihnen gratulieren, dass alles so gut geht. Das ist selten", würde das Glück sagen, wenn es an die Tür klopft. Aber das Glück kommt nicht. Es schweigt, während uns die Krise täglich volllabert.
http://www.heise.de/tp/artikel/35/35763/1.html

MMarheinecke - 3. Nov, 11:57

Stiftung Deutsche Depressionshilfe: Fünf Gründe gegen das Modewort Burnout
2. Ein Großteil der Menschen, die wegen „Burnout“ eine längere Auszeit nehmen, leidet defacto schlicht an einer depressiven Erkrankung. Alle für die Diagnose einer Depression nötigen Krankheitszeichen liegen vor, wozu immer auch das Gefühl tiefer Erschöpftheit gehört.

Gast (Gast) - 24. Nov, 21:41

Interessant

Ich stimme dem Bericht voll kommen zu. Aber die persöhnlichen EINFLUßFACKTOREN wie sie gemeint sind, sind doch nur das Spiegelbild dessen, was die Gesellschaft und die Medien uns seid unserer frühster Kingheit geimpft hat.
Sie zeigen uns ``Wer es im Leben zu was Erreichen will, muss hart im NEHMEN sein bzw viel geben.``
Seien wir doch mal ehrlich, was steht in der Gesellschaft an erster Stelle?
die Familie oder die Kariere?
Natürlich ist die Familie für uns Menschen das ERSTE, doch müssen diese für das Berufsleben viel einstecken und stehen immer hinten.

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