Sonntag, 13. März 2011

"Die Wirklichkeit ist kohlenschwarz und diesig"

Mit diesen Worten beschreibt Horst Eckert, besser bekannt als "Janosch" seine Kindheit:
Die Wirklichkeit ist kohlenschwarz und diesig, sie riecht nach verfaultem Holz, nach altem Kraut.
Eine harte Kindheit hatte er im oberschlesischen Kohlerevier, und zu allem Überfluss lehrte der Jesuitenpater, der ihn ab dem siebten Lebensjahr unterrichtet, Ehrfurcht und erzählt viel vom Fegefeuer. Kein Wunder eigentlich, dass der kleine Horst sich einen Farbkasten wünscht, mit dem er die dunkle, dumpfe, matte Welt, die ihn umgibt, will er übermalen.
Katholisch geboren zu sein, ist der größte Unfall meines Lebens.
meint er, obwohl seine Eltern nicht besonders religiös waren. Seine Lehrer, seine ganze Umgebung, war es umso mehr.
Die ersten Jahre meines Lebens waren die totale Zerstörung meiner Person
sagt er im Rückblick, und ich denke, man kann den Kinderbuchautor nicht wirklich verstehen, wenn man das nicht weiß.
Porträt: Von der Welt, wie sie sein könnte (Augsburger Allgemeine)

Janosch gehört zu denen, die finden, dass die Wirklichkeit stark überschätzt wird. Früher hätte ich diesen Standpunkt nicht geteilt, inzwischen finde ich ihn sehr vernünftig. Die "Tigerente" findet er heute kitschig und kann sie nicht ausstehen. Er bezeichnet sie sogar als "Scheiß Tigerente". Diesen Fluch habe ich gelegentlich auch auf den Lippen, aber ich vermute, dass ich etwas anderes damit meine. Jedenfalls meistens.

Die "Grundstimmung" seines Lebens ist die Auflehnung gegen alles, was in seinen Augen Macht ausübt, Kirche, Staat, Vorgesetzte, Banken, Anwälte, alles. Ich kann das zwar sehr gut, verdammt gut, verstehen, aber um diese anarchistische, rebellische Haltung auch mit 80 (er hatte am 11. März Geburtstag) noch durchzuhalten, sie zu leben, dazu muss sie ganz tief verwurzelt sein.
Sehr gut verstehen kann ich, wieso Janosch ein scharfen Kirchenkritiker, vor allem der katholische Kirche, ist. Er sitzt im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung, für die er kirchenkritische Karikaturen zeichnete. Er nennt sich einen frommen Ketzer und lehnt gottesfürchtige Religiosität entschieden ab. 2007 bezeichnete Edmund Stoiber, zu diesem Zeitpunkt noch amtierender bayrischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender, Janosch aufgrund der Zeichnung "Die Taufe" sowie seiner GBS-Mitgliedschaft als "falschen Propheten", der
keinen Zugang zu unseren Kinderzimmern erlangen" dürfe. In meinen zutiefst heidnischen Augen ist das ein Kompliment. Obwohl ich kein Atheist und nur mit Einschränkung Naturalist bin, und mich nicht als Feind des Christentums verstehe (es ist einfach nicht meine Baustelle), sympathisiere ich mit der GBS.Es tut auch der "Kirche im Dorf", den engagierten Christen an der Basis, meiner Ansicht nicht gut, wenn "die Kirche" eng mit dem Staat und wichtigen Medien verfilzt Macht ist. Aber genug abgeschweift ...
Es gibt noch drei andere Kinderbuchautoren, die ich, auch als Erwachsener, ähnlich schätze wie Janosch: Astrid Lindgren, Tomi Ungerer und Max Kruse. (Wobei ich Janosch und Ungerer erst kennen und schätzen lernte, als ich kein Kind mehr war. Janosch' "Die Geschichte von Valek dem Pferd" erschien schon 1960, es liegt also nicht an meinem Jahrgang.) Es ist kein Zufall, dass Janosch mit ihnen eng befreundet ist bzw. war.
(Der vierte "Kinderbuchautor", den ich nennen könnte, ist eigentlich ein "Erwachsenenautor", der sich des Genres Kinder- und Jugendbuch bediente, und seine Weltanschauung - besser: Welt-Anschauung - war zwar ähnlich tief und menschenfreundlich, aber anders: Michael Ende. Ein geistig sehr "erwachsener", d. h reifer Mensch - man muss innerlich reif sein, um in Worten, die auch ein Kind versteht, tiefsinnige Gedanken zu vermitteln. Was er dann wieder mit den vier anderen Autoren gemein hat.)
Dass auch Janosch ein "tiefer" Denker ist, das wurde mir erst richtig klar, als ich dem Töchterchen eines Freundes (sie war damals gerade vier) aus "Oh, wie schön ist Panama" immer und immer wieder vorlesen musste. Nur ist das bei Kindern dieses Alters nicht ungewöhnlich, aber irgendwie "hatte" die Geschichte etwas, eine Erkenntnis, die so wichtig ist, dass sie nicht oft genug ausgesprochen werden kann: die Erkenntnis, dass so etwas wie das Glück niemals woanders als in sich selbst gefunden werden kann.
(Für die, die die Geschichte nicht kennen sollten: Tiger und Bär finden eine Kiste mit der Aufschrift "Panama". Sie stellen sich Panama als Paradies vor und machen sich auf den Weg. Am Ende der Reise kommen sie, ohne es zu merken, genau dort an, wo sie aufgebrochen sind. Von außen betrachtet hat sich nichts verändert, und doch sind die zwei nun glücklich – weil sie glauben, in Panama zu sein.) Den, wie er sagt, wichtigsten Satz seines Lebens brachte man ihm in seiner Zeit als Schmied und Schlosser bei: "Es gibt nichts, was nicht geht!" Vielleicht hätte er nie Hammer und Zange erfolgreich gegen Zeichenfeder und Schreibmaschine getauscht, wenn er diesen Satz nicht sehr verinnerlicht hätte. (Noch ein kleiner Einschub: als Schriftsteller reich zu werden, ist in etwa so wahrscheinlich wie ein Lottohauptgewinn. Die meisten Menschen haben keine realistische Vorstellung davon, in welcher finanziellen Situation sich die meisten Schreiber befinden (wie auch die meisten Musiker, die meisten Maler und Graphiker, die meisten Bildhauer, kurz: die meisten Künstler, "Kulturschaffenden"). Ihnen sei dieser Artikel der taz dringend empfohlen: "Bestsellerautor mit 845 Euro netto - Hungernde Poeten". Auch Janosch wurde, bei allem Erfolg, nicht wirklich reich. Warum Künstler trotzdem weitermachen? Weil ihnen an ihrer Kunst liegt. Finanziell gesehen in einer von der Verwertungslogik bestimmten Welt eine äußerst ungünstige Verhandlungsposition.)
Vor einiger Zeit schrieb ich über das Thema: "Kitsch". Janosch Bilderbücher sind nicht kitschig. Wieso sie es nicht sind, erkannte Jan Chaberny, der Autor des Artikels der "Augsburger Allgemeinen" sehr gut:
Dass sie das nicht ist, liegt daran, dass Janosch seine Geschichten mit Sarkasmus und mit Humor erzählt. Dass er keine heile Welt schafft, dass er anarchische Wünsche wie Versuchsballons aufsteigen lässt. Seine Helden wollen wahlweise Obst klauen, Schwarzfahren oder gleich zum Mond fliegen.
Janosch' Geschichten erzählen häufig von einer Umkehrung, von einer Verkehrung der Machtverhältnisse. Dass scheint mir typisch für gute Kinderbuchautoren zu sein. Nicht nur Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf stellt die Verhältnisse auf den Kopf, das schafft sogar der niedliche blonde Knirps namens Emil (bzw. Michel) - auch wenn das weniger offensichtlich ist.

Es gibt einige Janosch-Fans, die halten seine Werk für unpolitisch und finden das angenehm. Zwar bin auch ich der Ansicht, dass Kinder mit Propaganda und Agitation in Ruhe gelassen sollten, aber ein völlig politikfreies Kinderzimmer ist ein fragwürdiges Ideal. In dem Sinne, dass er keine Propagandaschriften schreibt, nicht Partei für eine politische Partei ergreift und nicht agitiert (außer gegen gottesfürchtige Religion und die katholische Kirche) mag das Urteil "unpolitisch" zutreffen. Spätestens seit der Sache mit Edmund Stoiber ist seine Werk Politikum, und außerdem ist jedes Buch, jedes Bild, in dem er sich für Freundschaft, Treue und Freiheit und gegen jede Form von Macht und Gewalt einsetzt, politisch. Damit sind die meisten seiner Werke politische Werke.

Kinderbuchautoren wie Janosch, Kruse, Lindgren, Ungerer, Ende und einige mehr, die es auch verdient hätten, die ich aber nicht oder zu wenig kenne, sind enorm wichtig, weil sie ideale vermitteln - die nicht immer die Ideale der erziehenden Erwachsenen und niemals die Ideale der Untertanenmacher sind. Sie werden von "weißen" und "schwarzen" Kindern (natürlich sich allen Menschen, und damit alles Kinder, braun, nur in unterschiedlicher Helligkeit und Farbsättigung) geliebt, egal. ob sie in Deutschland, Schweden, der Türkei oder Kroatien leben (Lindgren ist auch über den europäischen Raum hinaus berühmt, den anderen Autoren wäre es zu wünschen.)

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