Ausweichthemen
Es gibt Themen, die sind wichtig und brisant.
Datenschutz zum Beispiel.
Sie liegen buchstäblich in der Luft. Es ist einfach nicht möglich, sie zu ignorieren.
Aber - diese Themen sind unbequem. Greift man sie als Politiker auf, dann besteht die Gefahr, Unterstützer und Parteispender zu vergraulen, sich beim Wählerklientel unbeliebt zu machen, sich innerhalb der eigenen Partei Feinde zu machen, dem politischen Gegner eine "Blöße" geben.
Greift man sie als Journalist auf, dann macht man sich bei Politikern unbeliebt, setzt Kontakte aufs Spiel, verärgert Werbekunden, riskiert Meinungsverschiedenheiten mit der Verlagsleitung.
Also sucht man sich ein Ersatzthema heraus. Ein scheinbar brisantes Thema am Rande des wirklich relevanten Themas. Brisante Themen im Bereich Datenschutz sind z. B. auf staatlicher Seite Vorratsdatenspeicherung (ja, immer noch nicht vom Tisch!), Volkszählung, ELENA, SWIFT-Abkommen mit den USA, Weitergabe von Fluggastdaten, elektronischer Personalausweis, Telekommunikationsüberwachung, aber auch der flächendeckende Einsatz von Überwachungskameras und vieles mehr. Auf Seiten der Privatwirtschaft: Mitarbeiterüberwachung, Weitergabe von Kundendaten, Weitergabe von Personaldaten, zweifelhafte Praktiken von Auskunfteien und Kreditüberwachungsinstituten, irreführende "Kundenkarten" und "Gewinnspielaktionen" zwecks Datengewinnung usw. und natürlich das riesige Fass des mangelhaften Datenschutzes bei "online communities" wie facebook.
Aber das sind Themen, mit denen man bei "wichtigen Leuten" und "relevanten Interessengruppen" anecken kann. Mit denen man sich unter Umständen unbeliebt macht.
Also wendet man sich lieber Themen zu, bei denen es zwar strenggenommen gar keine Probleme gibt - die aber unbedingt gelöst werden müssen! Und bei denen jemand der "Böse" ist, den man sowieso aus verschiedenen, teils nachvollziehbaren, teils auf Vorurteilen basierender Gründe sowieso nicht mag. Ja, ich meine das Sommertheater um Google Street View.
Geht es bei Street View überhaupt um Datenschutz, geht es überhaupt um Privatsphäre? Was mir vor allem auffällt, ist geradezu demonstrative Ahnungslosigkeit über Datenschutz und die tatsächliche Verletzung der Privatsphäre. Groteske Fehleinschätzungen bleibe da nicht aus. Aber die Angst vor Street View kommt aus der berechtigten, aber diffusen, Ahnung, dass die Privatsphäre missachtet wird. Das "Ausweichthema" Street View kanalisiert also Ahnungen und Ängste.
Nebenbei bemerkt, zeugt auch die "Lösung" Verpixelung von einer gewissen Weltfremdheit bzw. Phantasielosigkeit. Wäre ich Einbrecher und würde ich einen Bruch ausbaldowern, dann würden verpixelte Häuser mein Interesse daran wecken, die Häuser mal direkt in Augenschein zu nehmen. Denn im wirklichen Leben sind die ja nicht verpixelt - und die für einen erfolgreichen Bruch wirklich interessanten Details sind auf Street View ja sowieso nicht zu erkennen. (Foursquare wäre unter Umständen für potenzielle Einbrecher interessanter ...)
Es könnte auch andere geben, für die gerade verpixelte Häuser interessant sein könnten.
Street View ist nur eines von vielen Ausweichthemen, wenn die wirklich brisanten Themen zu heikel sind.
Dann geht es z. B. darum, ob die ausführliche Anamnese des homöopathisch tätigen Arztes von gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden sollten (und nicht etwa die homöophathischen Arzneimittel, die müssen sowieso privat bezahlt werden). Und nicht darum, wie die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung wirklich gewährleistet werden könnte. Oder um "unvermeidliche" Rationierungen. Oder auch um hohe Arzneimittelpreise. Oder um "erfundene" Krankheiten und Überdiagnostik. Oder vieles mehr, was am Gesundheitswesen wirklich und kostenträchtig im Argen liegt.
Dann geht es um die "Hartz-IV-Chipcard" für Bildungsleistungen (eine ziemliche windige Sache, an der ganz gut verdient werden kann) - und nicht darum dass das Bundesverfassungsgerichts die Bundesregierung auffordert, bis zum Ende des Jahres für alle Kinder und Jugendlichen das Existenzminimum zu definieren und sicherzustellen.
Auch das die deutschen Medien in geradezu hetzerischer Wesen über Griechenlands Wirtschaftskrise berichteten (und mit Klischee wie "faule Griechen" usw. nicht sparte), war offensichtlich ein Ausweichthema. Die Wirtschaftskrise ist, trotz (Pseudo-)Aufschwung, auch in Deutschland nicht überwunden. Es war auch kein Hauptthema, dass die "Medizin" für die "Krankheit" Griechenlands, das von IWF und EU erzwungenen brutale Einsparprogramm, nach aller ökonomischen Vernunft zur Deflation führen würde.
Datenschutz zum Beispiel.
Sie liegen buchstäblich in der Luft. Es ist einfach nicht möglich, sie zu ignorieren.
Aber - diese Themen sind unbequem. Greift man sie als Politiker auf, dann besteht die Gefahr, Unterstützer und Parteispender zu vergraulen, sich beim Wählerklientel unbeliebt zu machen, sich innerhalb der eigenen Partei Feinde zu machen, dem politischen Gegner eine "Blöße" geben.
Greift man sie als Journalist auf, dann macht man sich bei Politikern unbeliebt, setzt Kontakte aufs Spiel, verärgert Werbekunden, riskiert Meinungsverschiedenheiten mit der Verlagsleitung.
Also sucht man sich ein Ersatzthema heraus. Ein scheinbar brisantes Thema am Rande des wirklich relevanten Themas. Brisante Themen im Bereich Datenschutz sind z. B. auf staatlicher Seite Vorratsdatenspeicherung (ja, immer noch nicht vom Tisch!), Volkszählung, ELENA, SWIFT-Abkommen mit den USA, Weitergabe von Fluggastdaten, elektronischer Personalausweis, Telekommunikationsüberwachung, aber auch der flächendeckende Einsatz von Überwachungskameras und vieles mehr. Auf Seiten der Privatwirtschaft: Mitarbeiterüberwachung, Weitergabe von Kundendaten, Weitergabe von Personaldaten, zweifelhafte Praktiken von Auskunfteien und Kreditüberwachungsinstituten, irreführende "Kundenkarten" und "Gewinnspielaktionen" zwecks Datengewinnung usw. und natürlich das riesige Fass des mangelhaften Datenschutzes bei "online communities" wie facebook.
Aber das sind Themen, mit denen man bei "wichtigen Leuten" und "relevanten Interessengruppen" anecken kann. Mit denen man sich unter Umständen unbeliebt macht.
Also wendet man sich lieber Themen zu, bei denen es zwar strenggenommen gar keine Probleme gibt - die aber unbedingt gelöst werden müssen! Und bei denen jemand der "Böse" ist, den man sowieso aus verschiedenen, teils nachvollziehbaren, teils auf Vorurteilen basierender Gründe sowieso nicht mag. Ja, ich meine das Sommertheater um Google Street View.
Geht es bei Street View überhaupt um Datenschutz, geht es überhaupt um Privatsphäre? Was mir vor allem auffällt, ist geradezu demonstrative Ahnungslosigkeit über Datenschutz und die tatsächliche Verletzung der Privatsphäre. Groteske Fehleinschätzungen bleibe da nicht aus. Aber die Angst vor Street View kommt aus der berechtigten, aber diffusen, Ahnung, dass die Privatsphäre missachtet wird. Das "Ausweichthema" Street View kanalisiert also Ahnungen und Ängste.
Nebenbei bemerkt, zeugt auch die "Lösung" Verpixelung von einer gewissen Weltfremdheit bzw. Phantasielosigkeit. Wäre ich Einbrecher und würde ich einen Bruch ausbaldowern, dann würden verpixelte Häuser mein Interesse daran wecken, die Häuser mal direkt in Augenschein zu nehmen. Denn im wirklichen Leben sind die ja nicht verpixelt - und die für einen erfolgreichen Bruch wirklich interessanten Details sind auf Street View ja sowieso nicht zu erkennen. (Foursquare wäre unter Umständen für potenzielle Einbrecher interessanter ...)
Es könnte auch andere geben, für die gerade verpixelte Häuser interessant sein könnten.
Street View ist nur eines von vielen Ausweichthemen, wenn die wirklich brisanten Themen zu heikel sind.
Dann geht es z. B. darum, ob die ausführliche Anamnese des homöopathisch tätigen Arztes von gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden sollten (und nicht etwa die homöophathischen Arzneimittel, die müssen sowieso privat bezahlt werden). Und nicht darum, wie die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung wirklich gewährleistet werden könnte. Oder um "unvermeidliche" Rationierungen. Oder auch um hohe Arzneimittelpreise. Oder um "erfundene" Krankheiten und Überdiagnostik. Oder vieles mehr, was am Gesundheitswesen wirklich und kostenträchtig im Argen liegt.
Dann geht es um die "Hartz-IV-Chipcard" für Bildungsleistungen (eine ziemliche windige Sache, an der ganz gut verdient werden kann) - und nicht darum dass das Bundesverfassungsgerichts die Bundesregierung auffordert, bis zum Ende des Jahres für alle Kinder und Jugendlichen das Existenzminimum zu definieren und sicherzustellen.
Auch das die deutschen Medien in geradezu hetzerischer Wesen über Griechenlands Wirtschaftskrise berichteten (und mit Klischee wie "faule Griechen" usw. nicht sparte), war offensichtlich ein Ausweichthema. Die Wirtschaftskrise ist, trotz (Pseudo-)Aufschwung, auch in Deutschland nicht überwunden. Es war auch kein Hauptthema, dass die "Medizin" für die "Krankheit" Griechenlands, das von IWF und EU erzwungenen brutale Einsparprogramm, nach aller ökonomischen Vernunft zur Deflation führen würde.
MMarheinecke - Donnerstag, 19. August 2010