Montag, 16. August 2010

"Wenn du nicht mindestens einmal deine Meinung über das Thema geändert hast, hast du schlecht recherchiert"

Lesens- und beherzenswertes aus Lars Fischblog: Wie man den Stand der Forschung herausfindet - 13 Tipps für Blogger
Wenn du nicht mindestens einmal deine Meinung über das Thema geändert hast, hast du schlecht recherchiert
Es ist alles ein bisschen komplizierter, als es am Anfang aussieht. Zusätzliche Informationen bedeuten neue Perspektiven. Wenn sich deine Perspektive auf das Thema während der Recherche nicht verändert, deutet das möglicherweise darauf hin, dass du wenig wirklich neue Informationen sammelst.
Diese Erfahrung mache ich auch immer wieder. Dieser besondere Merksatz triff nicht nur auf das Gebiet des Wissenschaftsjournalismus oder auf Wissenschaftsblogs zu, sondern überall, wo überhaupt recherchiert wird.

Ich will aber nicht verschweigen, dass solche Erfahrungen manchmal irritieren, vor allem dann, wenn sie den Bereich der "reinen Wissenschaft" überschreiten. Vor Jahren brachten mich Recherchen über den Leukämie-Cluster im Gebiet Geesthacht arg ins Schwimmen. Denn sie ergaben offensichtlich, dass nicht nur, wie ich erwartete, die Kernkraftsbefürworter ein "taktisches Verhältnis zu Wahrheit" haben, sondern auch die Atomkraftgegner.

Eine andere Erfahrung, die ich einige Mal machen musste: für erstaunlich viele Menschen ist jemand, der nicht genau mit ihrer Ansicht übereinstimmt, automatisch ein "Gegner". Ich wurde z. B. von einem nicht ganz unwichtigen Umweltpolitiker der "Linken" in die Ecke der bösen "Klimaskeptiker" gestellt. (Ein saudummer Begriff, der mich zu einer Satire ermunterte: Neue Verschwörungsbücher aus dem ARIO-Verlag Die 2. "Buchvorstellung": "Klimaskepsis: Klima – gibt es das überhaupt?")
Das heißt: wer, wie ich, hinsichtlich der Aussagekraft von Klimamodellen Zweifel hat (ohne deshalb die globale Erwärmung als solche oder die Wirkung von menschlichen Aktivitäten auf das Klima zu bestreiten), und vor allem auf das "apokalyptische Denken" mancher (nicht aller) Klimaaktivisten hinweist, gehört offensichtlich zu den "Bösen". (Wobei ich meine Ansicht zum Klimawandel und seinen Folgen an sich im Laufe der Jahre mehrmals geändert habe.)

Ich vermute, dass dieses Denken in "gut-böse"-Gegensätzen, in "entweder/oder"-Alternativen und, in gesteigerter Form, in der Annahme, bestimmte Handlungsweisen seien "alternativlos", kulturell bestimmt ist. Jedenfalls entspricht es nicht dem wissenschaftlichen Denken.

Aber Denken in einfachen Gegensätzen ist (auch aus kulturellen Gründen) einfacher zu vermitteln, als "sowohl-als-auch", "weder-noch" oder gar: "so einfach sind die Dinge nicht". Mehr noch: ich habe den Eindruck, dass wir in einer Kultur leben, die, entgegen ihrer beinahe täglichen anderen Erfahrung, auf "ewige und einzige Wahrheiten" gepolt ist. Wäre das anders, hätten Spekulationen, die metaphysischen Annahmen als physische Ursache physischer Tatsachen heranziehen, wie das "Intelligent Design" als vermeintliche Alternative zum neodarwinistischen Evolutionsmodell, keine Chance. Einfach, weil "I. D." die Kategorien zwischen Psysik und Metaphysik, zwischen"wissenschaftlichen Theorien" und "sinnstiftenden Mythen", verwechselt: "Intelligent Design" ist etwa so, als ob ich, als Asatrú, ernsthaft einen Donnergott wie Thor irgendwo in den elektrostatischen Prozessen eines Gewitters unterzubringen versuchen würde.
Aber da die in Rede stehende metaphysische Annahme eine "ewige (Glaubens)-Wahrheit" ist, nämlich die Annahme, es gäbe einen "Designer", sprich Schöpfergott, und die gut bestätigte Evolutionstheorie "nur" eine Theorie auf dem derzeitigen Stand des Wissens ist, hat die "ewige Wahrheit", auch wenn sie im konkreten Fall unsinnig ist, gegenüber der "Theorie" bei vielen Menschen einen emotionalen Vorsprung.

Es sind meiner Ansicht also nicht nur Zeitdruck und Oberflächlichkeit, die gründlichen Recherchen, die unweigerlich Überraschungen bereit halten, im Wege stehen. Es sind auch nicht immer verfestigte Vorurteile, ideologische Scheuklappen und Interessengebundenheit, die einem offenen Umgang mit Fakten im Wege stehen.
Es ist auch und gerade die Angst vor unangenehmen oder unbequemen Überraschungen.

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