Samstag, 10. April 2010

Besser kann man es nicht sagen (oder wenigstens: Ich kann es nicht)

Manchmal stoße ich auf Formulierungen, die einen Gedanken so gekonnt in Worte fassen, dass ich mich ärgere, dass mir so etwas nicht einfällt.

Die Einleitung von Hans Schmids Ein deutsches Schicksal - Das Dritte Reich im Selbstversuch, Teil 2: Hans Westmar drückt mit wenigen Worten etwas aus, was ich, vielleicht aus Betriebsblindheit, so nicht hätte formulieren können:
Die Nazis hatten vor, das Christentum durch etwas zu ersetzen, von dem sie gern glauben wollten, dass es die Religion der alten Germanen gewesen sei. Diese Religion war angeblich in Deutschlands Wäldern entstanden (wahrscheinlich in einer Fichten-Monokultur), und es gab diverse Forschungsprojekte, die das beweisen sollten. Die Phantasien von der Fortsetzung des Germanentums führten zu immer abstruseren Gedankengängen. Vielleicht stimmt deshalb sogar die Geschichte, dass im Himalaya in Himmlers Auftrag der Yeti gefangen werden sollte, um ihn mit einer Südtirolerin zu kreuzen und so den Urgermanen zu züchten, den neuen/alten deutschen Übermenschen.
Genial! Allenfalls gäbe es zu bemäkeln, dass längst nicht allen Nazis ein stark ariosophisch geprägter "Germanenglaube" vorschwebte - er konkurrierte vor allem mit dem Modell "entjudifiziertes Christentum" ("Deutsche Christen"), das ein Menschenbild hatte, das etwa so "christlich" war, wie das Religionskonstrukt der falschen Freunde Odins unter den Nazis "germanisch" war. Die meisten Nazis in Machtpositionen verstanden sich nachweislich als "christlich" - oder behaupteten wenigstens, Christen zu sein. Andere Nazis waren Nihilisten, es gab sogar "Nazi-Esoteriker", die ihren "Ariermythos" mit hinduistischen Elementen garnierten oder mit Versatzstücken aus dem "alten Tibet" - was sich u. A. in den Himalaya-Expeditionen zeigte. Entgegen mancher Behauptungen, vor allem von römisch-katholischer Seite, spielte der Atheismus in der NS-Weltanschauung keine Rolle und stand immer unter Marxismusverdacht. In der SS waren bekennende Atheisten unerwünscht, das gleiche galt für die NSDAP.

Aber genug davon. Tatsächlich waren die realen "Germanen" (in Anführung, weil es sie als Volk, Staat oder gar "Rasse" nie gegeben hat) so verschieden vom Wunschbild der Nazis hinsichtlich der "großartigen Vorfahren", dass es den Archäologen im SS-Ahnenerbe sichtlich schwer fiel, ihre Forschungsergebnisse mit der "gewünschten" Weltanschauung in Einklang zu bringen. Hitler soll gelästert haben, die alten Griechen hätten schon großartige Bauten gehabt, als die Germanen noch in Lehmhütten gelebt hätten - und dieser Himmler hätte nichts Besseres zu tun, als diese Lehmhütten ausgraben zu lassen. Die propagandistische Darstellung der "Germanen" als "urwüchsige unverdorbene" Naturburschen hatte allerdings ihre Grenzen - vor allem, wenn es galt, ihre"rassische und kulturelle Überlegenheit", etwa gegenüber den "Völkern des Orients" zu "beweisen". Was dann zu völlig abstrusen Gedankenkonstrukten führte.

Die "Germanen" im Nazi-Verständnis entsprechen tatsächlich nicht dem lebensstrotzenden Chaos eines Urwaldes, sondern der Gradlinigkeit und Gleichförmigeit einer Monokultur. Das Nazi-Verständnis von "Gleichheit" in der "Volksgemeinschaft" war nicht das von "Egalität", sondern von "Homogenität". Wer "irgendwie anders ist", dem ist nicht zu trauen, und Individualismus ist sowieso dekadent. Eine Einstellung, die im heutigen Deutschland auch nicht gerade selten ist.

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