Donnerstag, 11. Februar 2010

Intertextuelle Abschreibkünste

Das Dauerthema "geistiges Eigentum" kocht hoch - und ich koche mit, denn es geht mich an - und zwar unmittelbar.
Über den Anlass, den konkreten "Axolotl-Fall", und die Art und Weise, wie das deutsche Literaturfeuilleton in den "Qualitäts"-Zeitungen mit dieser Peinlichkeit umgeht, blogge ich nichts, denn darüber haben andere schon besser und sachkundiger gebloggt, als ich es könnte, z. B.:
Anatol Stefanowitsch im "Sprachblog": Intertextuelle Illusionen oder Gregor Keuschnig: Die Unfähigkeit, zu googlen und - kurz, knackig, böse und treffend Klaus Jarchow Muss ich das nun verstehen? (Kommentare unbedingt mitlesen!)

Plagiator ist, wer fälschlich behauptet, Urheber d. h. Schöpfer, eines Werkes zu sein oder wer bei (grundsätzlich zulässigen!) Zitaten die Quellenangabe unterlässt. Das nur mal, um klarzustellen, worum es geht. Es geht nicht um die Fragen der Verwertungsrechte (was ja gerne und oft mutwillig mit dem Recht des Urhebers durcheinandergewürfelt wird).
Ich halte nebenbei das Schlagwort vom "geistigen Diebstahl" für falsch. Wenn jemand z. B. eines meiner Werke plagiert, dann ist es nach wie vor in meinem Besitz - der Unterschied zu jemandem, der mir etwa das Originalmanuskript klaut, oder eine meiner Originalzeichnungen mitgehen ließe, ist zumindest aus meiner Sicht nicht gänzlich irrelevant.
Es macht aus meiner Sicht einen Unterschied, ob jemand mein Werk übernimmt, und nur "vergisst", mich als Quelle anzugeben - oder ob jemand behauptet, es sei sein Werk - oder ob jemand mit meinem Werk Geld verdient. Der ärgerlichste - aber keineswegs unrealistische - Fall wäre, wenn jemand mein Werk übernimmt, es als sein Werk ausgibt, und dann den Spieß umdreht, und behauptet, es wäre sein Werk und mir vorwift, abgeschrieben zu haben.
Ich selbst stelle grundsätzlich alles, was ich "im Internet" veröffentliche, unter Creative-Commons-Lizenz. Es gibt unterschiedliche Modelle, die aber grundsätzlich gemein haben, dass die Urheber ausdrücklich genannt werden müssen. (Wobei ich zugeben muss, dass ich auch schon in dieser Hinsicht geschlampt habe). Ich bevorzuge dabei die CC-Lizenz Namensnennung - Keine kommerzielle Nutzung. Jedenfalls bei Werken, mit denen ich selbst kein Geld verdienen möchte.

Übrigens ist es an sich nicht strafbar, ein Plagiat zu begehen. (Das ist ein entscheidender Unterschied zum "Diebstahl", der ist grundsätzlich strafbar.) Dazu aus der "Wikipedia": Plagiat:
Möglicherweise verstößt ein Plagiator aber gegen:
  • das Urheberrecht, wenn das plagiierte Werk noch urheberrechtlich geschützt ist. Es macht so gesehen einen Unterschied aus, ob man ein Gedicht von Goethe oder von einem lebenden Autor plagiiert.
  • einen Arbeits- oder Honorarvertrag, wenn darin vereinbart ist, dass der Arbeitende sich nicht plagiieren darf.
  • die Bestimmungen einer Prüfungsinstanz, beispielsweise einer Schule oder Hochschule. Das Plagiat führt je nach Regelgebung zu einer schlechten Note oder auch zum Ausschluss.
  • Strafrechtsnormen, z.B. Betrug.
Der Satz mit dem "Arbeits- und Honorarvertrag" bezieht sich auf das "Selbstplagiat", also den Fall, dass der Autor auf seine älteren Arbeiten zurückgreift. Was einmal mehr den Unterschied zwischen "Diebstahl" und "Plagiat" und die Fragwürdigkeit der Metapher "geistiges Eigentum" verdeutlichen sollte, denn ich kann mich nicht selbst bestehlen.

Eine weitere, aus meiner Sicht nicht unwichtige Unterscheidung ist die zwischen "Remix-, Sharing- oder Sampling" und "einfach mal eben klauen". (Ich schreibe "klauen", auch wenn ich vom Begriff "geistigen Diebstahl" nichts halte - eine sprachliche Inkonsequenz, die hinsichtlich meiner Rechtsauffassung irrelevant ist. Ich habe so einige Erfahrung mit haarspalterischen Trollen.)

Aus der Sicht des Urheberrechts sieht das so aus:
Die freie Benutzung eines urheberrechtlich geschützten Werkes ist zulässig, um ein neues selbständiges Werk hervorzubringen. Das neue Werk muss aber selbst alle Voraussetzungen eines geistigen Werkes aufweisen und die schöpferische Leistung des benutzten Werks zu einem gewissen Maße verdrängen.
(§ 63 UrhG)

In der juristischen Praxis liefert die Abgrenzung zwischen "Remix" und "Urheberechtsverletzung", wie könnte es anders sein, Stoff für lange Auseinandersetzungen. Aber grundsätzlich sollte klar sein, worum es geht, und wieso es nicht immer redlich ist, die "üblichen Verdächtigen", die in Plagiatsfällen gern bemüht werden, als entschuldigendes Beispiel heranzuziehen. Die "üblichen Verdächtigen" sind berühmte "Abschreiber" wie Shakespeare, Thomas Mann, Brecht, Goethe oder Kempowski. Die haben nämlich unbestreitbar etwas Eigenes aus dem verwendeten übernommen Material geschaffen - und vor allem: sie hatten auch wirklich etwas zu sagen. Das ist längst nicht bei allen, die mit Alle-großen-Schriftsteller-haben-abgeschrieben ankommen, der Fall. Nebenbei ist es auch im Fall eines "Remixes" oder einer "Collage", die ein neues, selbstständiges Werk darstellt, nur recht und billig, die verwendeten Quellen anzugeben.

Was ist aber mit unbeabsichtigten Plagiaten? Das es so etwas nicht nur gibt, sondern das es mich persönlich betrifft, wurden mir vor Kurzem unangenehm deutlich. Unproblematisch - aus juristischer Sicht jedenfalls - sind dabei Selbstplagiate "aus Versehen":
Nebenbei: Beim sorgsamen Lesen wurde mir klar, dass ich, ohne es zu wollen, doch Motive und Handlungselemente längst fertiger Texte "recycelte" - nicht etwa durch direktes Abschreiben oder gar "copy-paste", sondern aus dem Gedächtnis. Der Zeitdruck und die nano-typische Enthemmung führt dazu, dass ich viele Situationen so ähnlich schilderte, wie ich sie schon mal geschildert hatte. Im Gehirn abgelegte Textbausteine, wenn man so will, oder selbst gemachte Handlungsklischees.
Leider sind im Hirnkasten eines belesenen Schreiberlings (wie mir) nicht nur eigene Texte "abgespeichert":
Etwas heikler sind "innere Textbausteine", die aus dem Textgedächtnis, Abteilung: "tolle Romane so intensiv gelesen, dass ich sie inhaltlich auswendig kann" stammen. Einiges bei mir erinnert stark an Szenen aus Romanen und Geschichten von Foster, London, Melville, Defoe, Kent usw. usw. . Was, solange die sinngemäßen Zitate unter der Plagiatsschwelle bleiben, nicht weiter schlimm ist.
NaNoWriMo - Nachlese

Mit "Plagiatsschwelle" meine ich, dass genügend "Eigenes" zum "Fremden" dazukommt, dass die schöpferische Leistung des benutzten Werks zu einem gewissen Maße verdrängt wird, wie es im Gesetz so schön heißt. Wobei es präziser heißen sollte: "Schwelle, ab der ein Plagiat urheberrechtlich relevant werden kann."

Jürgen vom Scheidt, ein nicht ganz unbekannter Schriftsteller, Psychologe und Schreiblehrer, schrob in seinem Kommentar zu Intertextuelle Illusionen:
Dies ist eine willkommene Gelegenheit zur Beichte: Ich habe damals eine Stelle aus einem Sachbuch (A. Bragine: "Atlantis", S. 238)abgekupfert, weil ich eine Schilderung des Untergangs von Atlantis "brauchte" und mich selbst überfordert fühlte, die Szene gut zu beschreiben. Ich habe die halbe Druckseite zwar mit meinen eigenen Worten wiedergegeben - aber "geklaut" war sie in ihrer Dramatik der Sezne eben trotzdem - und dies ohne Nennung des Autors. Mea culpa - ich war jung und brauchte (nicht das Geld aber den ersten) Erfolg.
Vom Scheidt war gerade einmal 17, als er seinen Science Fiction-Roman verfasste. Urheberrechtlich ist sein Plagiat nicht relevant - nicht nur, weil er eindeutig ein eigenständiges Werk schuf - einen SF-Roman gegen ein Sachbuch - und weil er nicht wörtlich abschrieb, sondern den Text umarbeitete. Ein Plagiat ist es aber trotzdem.
Allerdings kein wirklich Schlimmes - vom Scheidt zähle ich zu jenen, die ohne rot zu werden, mit Shakespeare, Brecht usw. ankommen könnten. Nein, das ist keine Frage der literarischen Qualität des Romanerstlings, sondern allein eine Frage, in welchen Verhältnis eigene Kreativität zur "Kleptokreativität" steht.

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