Samstag, 23. Januar 2010

Gedanken zu Protestformen

Einige Überlegungen aus durchaus aktuellem Anlass, aber auf eher grundsätzlicher, ethischer Ebene.
Weniger interessant erscheint mir dabei die ethisch-moralische Frage der "Legalität". Es trifft zwar zu, dass in Dresden und anderswo das Demonstrationsrecht mit Blick auf die "kackbraunen Kameraden" eingeschränkt wurde - z. B. sind bestimmte symbolträchtige Orte jetzt als Kundgebungsort nicht mehr zulässig, und es ist völlig richtig, dass es keine gute Idee ist, Fans einer stramm obrigkeitshörigen Gesellschaftsordnung mit den obrigkeitsstaatlichen Mitteln bekämpfen zu wollen. Im Fall "Dresden" ist die konkrete Situation aber so, dass es im Interesse der Demokratie (die die Neonazis bekämpfen) und der Gewaltabwehr (denn die "Kackbraunen" "argumentieren" lieber mit dem Kantholz als mit Kant) geboten ist, die Demonstrationsfreiheit für eine Gruppierung, von der klar ist, dass ihnen an der Demonstrationfreiheit für andere nichts liegt, einzuschränken. Das geschieht bekanntlich auch anders motivierten Demonstranten, meistens aus entschieden schlechteren Gründen.
Der sächsische Justizminister Jürgen Martens (FDP) sagte in der Landtagsdebatte:
Die Rechtsextremisten wollen nicht trauern, sie wollen nicht gedenken, sie wollen provozieren, hetzen und Geschichtsfälschung unter die Leute bringen.
Und damit hat er völlig recht!

Dann gibt es die bizarre Situation, dass ein Bündnis, das zu einer Sitzblockade gegen die Nazi-Demo aufruft, kriminalisiert wird - wobei auch das Mittel der Zensur eingesetzt wird. (Vollends bizarr ist dann die Reaktion bestimmten "Piraten", die sich, streng legalistisch, an die Vorgabe halten, dass Antifa-Demos sich aufs Lichterkettenwerfen zu beschränken hätten.)

Interessanter ist da die Frage nach dem gewaltlosen Protest. Kleine Erinnerung: in den großen Friedensdemos der 1980er Jahre galten selbst unter "Hardcore-Pazifisten" Sitzblockaden als gewaltfreies Mittel. Die einzigen, die damals von "Nötigung des Staates" redeten, gingen dabei von einem ausgesprochen autoritären Staatsverständnis aus: "Wir bestimmen, und keiner muckt gegen unsere Entscheidungen auf". Noch drastischer war die Situation in der DDR - nach DDR-Rechtsverständnis waren Demonstranten, die sich ohne Gegenwehr wegtragen ließen, Verbrecher. "Keine Gewalt" hieß eben nicht "wir halten uns an alle Vorgaben der Behörden" - in der DDR-Situation wäre das auch offenkundig absurd gewesen.
Irgendwie habe ich den Verdacht, dass im Raum Dresden in vielen Köpfen noch das stramm obrigkeitstaatliche Gesellschaftsverständnis der DDR steckt. Zusammen mit mit der Nazi-Ideologie, die vor allem im "Westen" den Kalten Krieg überwinterte, ist dieser vor allem im "Osten" ziemlich intakt gebliebene "deutsche Autoritarismus" ja auch für die heutigen Neonazis typisch - in den frühen 1990er-Jahren, als die rechtsextremen Strukturen in der ehemaligen DDR entstanden, waren die "geistigen Brandstifter" fast alle "Westimporte", während die Schlägertypen und vor allem auch die "Beifallspender" und "Weggucker" "Einheimische" waren. Aber genug der Abschweifung.

Radikaler Pazifismus erhebt völlige Gewaltlosigkeit zur obersten moralischen Maxime. Auch wenn es unangenehm ist: radikaler Pazifismus (der damals in der Friedensbewegung bei aller Friedfertigkeit nur die Position einer Minderheit war) ist eine moralische Position, die sich praktisch nicht lange einhalten lässt.
Unter normalen Umständen kann die Feder wirklich mächtiger sein als das Schwert. Allerdings wüsste ich nicht, wie man sich mit einer Feder (beziehungsweise mit Worten) gegen eine Horde gewaltgeiler Neonazis wehren könnte.
Es ist leider nun einmal so, dass man zur Verteidigung von Menschenrechten in bestimmten Situationen möglicherweise Gewalt anwenden muss. Wobei eine Sitzblockade gegen Neonazis nicht einmal Gewalt wäre. Selbst Mahatma Gandhi hatte keine Probleme damit, dieses Mittel des passiven Widerstandes einzusetzen.

Was jene, die von "unbedingter Gewaltlosigkeit" und "auf keinen Fall Verbotenes tun" reden, ignorieren, ist, dass einem Freiheiten eben nicht geschenkt werden!

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