Freitag, 15. Januar 2010

Katharina Rutschky ("Schwarze Pädagogik") ist tot

Es entbehrt nicht einer gewissen bitteren Ironie (oder einer Synchronizität), dass am Donnerstag, einen Tag, nachdem ich meinen Artikel über "schwarze und braune Pädagogik" schrieb, Katharina Rutschky, die Frau, den den Begriff "Schwarze Pädagogik" prägte, nach langer Krankheit starb.

Guter Nachruf auf Katharina Rutschky auf BerlinOnline.
Ergänzung: Nachrufe in der digi-taz.


Katharina Rutschky schrieb zwei im besten Sinne aufklärerische Bücher, die vielleicht nicht mein Leben, aber sehr wohl die Art und Weise, wie ich mein Leben sehe, änderten.

Das erste ist natürlich Schwarze Pädagogik. Weil mir klar wurde, dass der "autoritäre Erziehungsstil" und Kinderdressur nicht etwa auf irgend einer dummen Tradition beruhte, sondern gemacht war - und zwar nicht "nur" von machtgeilen Menschenfeinden, sondern leider auch von es durchaus gut meinenden, "aufgeklärten" Männern(!). Ja, es war für mich auch eine Erkenntnis, dass Patriarchat und schwarze Pädagogik zusammen gehörten. Ungeachtet der Tatsache, dass es viele, zu viele weibliche Fans und Propagandistinnen der Erziehung mit Gewalt und Einschüchterung gibt, ist "schwarze Pädagogik" eindeutig frauenfeindlich. Zwei weitere Erkenntnisse, die ich aus diesem Buch zog: Die Katastrophen der jüngeren deutschen Geschichte hätte es ohne das in Deutschland besonders wirksame "Untertanenmachen" nicht geben können. Ohne die "Pioniere" der "schwarzen Pädagogik" wäre das "Untertanenmachen" nicht so leicht möglich gewesen. (Übrigens nicht nur in Deutschland: eine weitere "Hochburg" der "schwarzen Pädagogik" war das Großbritannien des 19. Jahrhunderts. Es fällt mir nicht schwer, diese üble Tradition in der aktuellen britischen Politik wirken zu sehen.)
Die zweite war die (nicht leichte) Erkenntnis, dass hinter dem "Handausrutschen" meiner Mutter, dem "Kasernenhof-Erziehungstil" meines Großvaters, den unsäglichen kinderfeindlichen "Ratschlägen" und "Praktiken" vieler professioneller Erzieher und Lehrer kein übler Zufall steckte, und auch keine persönliche Bosheit - sondern System. Nicht "böse Einzelfälle", sondern Strukturen. Womit die Einsicht verbunden war, wie sehr mein Denken und Fühlen "schwarzpädagoisch" gefärbt ist - obwohl ich (abgesehen von meinem Großvater und einem sadistischen Lehrer) ja nicht absichtlich im Sinne der schwarzen Pädagogik erzogen wurde. Woraus folgt: es reicht nicht aus, die "schwarze Pädogogik" abzulehnen (wie es ja meine Mutter tat). Notwendig ist aktives Gegensteuern. Ohne bessere Erziehungsalternativen und ohne eine offene, demokratische Gesellschaft als Umgebung kann die "schwarze Pädogogik" nicht überwunden werden.

Das zweite Buch ist Erregte Aufklärung – Kindesmissbrauch: Fakten und Fiktionen

Bevor ich auf dieses Buch stieß, gehörte ich zu jenen, denen zum Thema "Kindesmissbrauch" nichts Besseres als panische Angst angesichts "erschreckender Zahlen" und die Forderung nach unnachsichtiger Strafverfolgung einfiel. Nicht zuletzt dank dieser Streitschrift über den "Missbrauch mit dem Missbrauch" finde ich zwar sexuellen Kindesmissbrauch nach wie vor widerlich, entsetzlich und skandalös - aber hinterfrage seitdem den öffentlichen Umgang mit Inzest, Kindesmisshandlung, sexueller Ausbeutung von Kindern. Ohne diesen Denkanstoß würde ich, allgemein gesprochen, vielleicht "mediale Beißreflexe", und den Ruf nach immer härteren Strafen, und die Mechanismen der Panikmache einfach achselzuckend hinnehmen - wahrscheinlich mit dem Spruch "Ist zwar übel, aber der Zweck heiligt die Mittel". Ich verdanke es unter anderem Rutschky, dass mir klar ist, dass es die Mittel sind, die den Zweck verraten (neben Alice Miller, Michel Foucault und einigen echten Freunden).
Seltsamerweise war es dieses Buch, das Rutschky den Vorwurf des "Antifeminismus" eintrug. Seltsamerweise, denn sie kritisierte ja nicht "den Feminismus", sondern z. B. Feministinnen mit arg ideologisch verkürzter Wahrnehmung, die glatt mit ausgewiesenen Frauenfeinden (ultra-konservativen Christen, oft fundamentalistischer Bauart, fast immer mit Familienbild von vorgestern) Zweckbündnisse eingehen.

Gute Reise, Katharina - und danke!

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