Dienstag, 11. August 2009

Der Starfighter-Mythos (3)

Nach längerer Pause - der dritte und letzte Teil meines Beitrags über den Starfighter-Mythos.
F-104 - der Starfighter-Mythos - Teil 1
F-104 - der Starfighter-Mythos - Teil 2

Persönliche Anmerkung: Die Verzögerung liegt nicht allein daran, dass ich in den letzten Tagen wenig Zeit und Neigung zum Bloggen hatte. Ich war, im Zuge meiner Recherchen, irritiert darüber, dass die Gründe, die zur Anschaffung des Lockheed-F-104-G Starfighter führten, sehr viel vernünftiger - im Sinne eine instrumentellen Vernunft, im Rahmen einer fragwürdigen Militärpolitik, aber immerhin - waren, als ich zuerst vermutete. Ich vermutete eine Mischung aus Stiefelleckerei gegenüber dem "großen Bruder" USA und Korruption auf Seiten der Politiker und irrationaler Lust an einem gefährlichen "Spielzeug" auf Seiten der vom Starfighter begeisterten Piloten.

3. Aus welchen Gründen wurde der Starfighter überhaupt angeschafft?
Generalleutnant Werner Panitzki, bis 1965 Generalinspekteur der Luftwaffe, kritisierte in einem Interview die Beschaffung des Kampfflugzeugs als eine "rein politische Entscheidung".
Dennoch ist die "militärische Komponente" bei der Beschaffung eines teuren Waffensystems nicht ganz zu vernachlässigen - auch wenn der F-104 G Starfighter nicht das Flugzeug war, das Panitzki angeschafft hätte.
Die deutsche Luftwaffe war 1958 mit Kampfflugzeugen ausgerüstet, die größtenteils gebraucht von anderen NATO-Luftwaffen beschafft worden waren, von denen die Bundesluftwaffe befürchtete, dass sie auf mittlere Sicht den Flugzeugen des Ostblocks nicht gewachsen seien. Außerdem erschwerte die Typenvielfalt die Einsatzplanung und Logistik. Deshalb befürworteten der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß und die Bundesluftwaffe die Einführung eines modernen Mehrzweck-Kampfflugzeugs, um die bisherigen verschiedenen Kampfjet-Typen F-86F Sabre, F-86D Sabredog, F-84F Thunderstreak und RF-84F Thunderflash sowie die Hawker F.101 Sea Hawk der Marineflieger zu ersetzen. Also sollten die Rollen Abfangjäger, Luftüberlegenheitsjäger, Jagdbomber, Aufklärer und Seekampfflugzeug von einem Flugzeugtyp übernommen werden. Das Anforderungsprofil war entsprechend anspruchsvoll:
  • Doppelte Schallgeschwindigkeit
  • Fähigkeit konventioneller und nuklearer Waffenzuladung
  • Allwetterfähigkeit
  • Flugzeug mindestens als Vorserienmodell vorhanden
Um es kurz zu machen: 1958 gab es so ein Flugzeug einfach nicht!
Zu den schwer zu erfüllenden, letztendlich politisch begründeten, Anforderungen an das zu beschaffende Flugzeug kamen zwei weitere politische Forderungen, die beide von Verteidigungsminister Strauß energisch vertreten wurden. Die eine war die "nukleare Teilhabe" - zu der Frankreich nicht, die USA aber gern bereit waren. Das begünstigte folgerichtig US-Hersteller. (Die Angaben in der Wikipedia, dass der Starfighter zunächst gänzlich ohne konventionelle Bewaffnung gekauft werden sollte, kann ich nicht bestätigen. Das schon vor der Entscheidung für den Starfighter beschlossene sehr breite Anwendungsprofil für das neue Kampfflugzeug der Bundeswehr spricht dagegen.)
Der zweite Grund war industriepolitischer Natur: durch die Lizenzfertigung von ausländischen Flugzeugen sollte die westdeutsche Luftfahrtindustrie das nötige Know-How zum Bau eigener moderner Flugzeuge -auch Kampflugzeuge - erwerben. Nur Hersteller, die dazu bereit waren, kamen in Frage.

Als die Entscheidung schließlich getroffen wurde, standen von ursprünglich vierzehn Flugzeugmustern noch drei Kandidaten zur Auswahl: der Lockheed F-104 Starfighter, die französische Dassault Mirage III A und die Grumman F11F-1F Super Tiger. Von der Mirage III A und der Grumman F11F-1F standen zu diesem Zeitpunkt nur Prototypen zur Verfügung, während der Starfighter schon in Serie gefertigt wurde, wenn auch in Versionen, die für die Bundesluftwaffe nicht in Frage kamen.
Dennoch hatte Helmut Schmidt, damals verteidungspolitischer Sprecher der SPD, recht: die Bundeswehr kaufte mit dem F-104-G die Katze im Sack, denn das Flugzeug, das die Bundeswehr letztendlich gekauft hat, existierte Ende des Jahres 1958 tatsächlich erst auf dem Papier. Allerdings hätte auch die Mirage III erheblich umkonstruiert werden müssen, um dem Anforderungsprofil der Bundeswehr auch nur halbwegs zu entsprechen. Zudem war sie 1958 noch im Vorserienstadium. Sie wäre also ebenfalls eine "Katze im Sack" gewesen. Über die Eignung des Grumman F11F-1F "Super Tiger" lässt sich kaum etwas sagen, dieses Modell ging nie in Serie.
Das Streben nach einem Mehrzweckflugzeug ist typisch für die Bundesluftwaffe. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Starfighter und seinen Nachfolgern - dem in den USA beschafften F-4F Phantom II, dem Tornado und schließlich dem Eurofighter Typhoon - liegt darin, dass diese Flugzeuge von vornherein als Mehrzweckmaschinen konzipiert worden waren. Der Starfighter war als "point defense interceptor" konzipiert, als als ein Jagdflugzeug, das auf eine kurze Vorwarnzeit regiert, so schnell wie möglich die Flughöhe eines angreifenden Flugzeugs erreicht, um ein eng umrissenes Gebiet zu verteidigen. Die USA wandten sich damals von diesem Konzept zugunsten des Langstrecken-Abfangjägers ab - das war der Hauptgrund dafür, dass die U.S. Air Force relativ wenige Starfighter beschaffte. Ein weiterer Grund, der aus US-Sicht gegen die F-104 sprach: das Konzept des Luftkampfs galt seit der Entwicklung von "Fire-and-forget" Luft-Luft-Raketen als veraltet - voreilig, wie die Erfahrungen in Vietnam zeigten. Für die kleine und eng besiedelte Bundesrepublik, die nahe an den Luftstützpunkten des potenziellen Gegners lag, war das Konzept "point defense" nahezu alternativlos. Der Starfighter war nicht nur ein hervorragender Höhenjäger, sondern hatte auch sehr gute Tiefflugeigenschaften, was wichtig war, da man seitens der Bundeswehr mit tieffliegenden Jagdbombern als Gegner rechnete.
So gut der Starfighter als "Luftverteidiger" war, so fragwürdig war sein Einsatz als Jagdbomber - die schwere Waffenlast beraubte dem "Zipper" seinen Charakter als agiles Jagdflugzeug. Es haperte auch bei der geforderten Allwetterfähigkeit.

Währen die Anforderungen des Verteidigungsministeriums anders gewesen, wäre sicher auch ein anderes Flugzeug in Frage gekommen. Innerhalb des politisch gesteckten Rahmens war die F-104-G offensichtlich die beste Alternative - auch ohne die meines Erachtens sehr wahrscheinlich geflossenen Schmiergelder. Wie der "Spiegel" in den 1960er Jahren zu der Ansicht kam, dass die Mirage III in jeder Hinsicht die bessere Alternative gewesen sei, ist aus meiner Sicht rätselhaft. Ihr Triebwerk war weniger hoch entwickelt, ihre Avionik weniger ausgefeilt - immerhin hatte die F-104-G ein vollwertiges Trägheitsnavigationssystem. Hinzu kommt, dass die Mirage III ein "hoch & schnell"-Jäger war, eine Jagdbomberversion hätte, um die Bombenlast tragen zu können, "abgespeckt" werden müssen. Für die Luftwaffe, die auf Allwetter- und Tiefflugtauglichkeit großen Wert legte, wäre das wohl nicht akzeptabel gewesen. In der Schweizer Luftwaffe zog die Anschaffung der Mirage III und der Versuch, aus ihr einen (potenziell atomwaffenfähigen) Mehrzweck-Jäger/Jagdbomber zu machen, eine beispiellose Kostenexloposion für ein Flugzeug, das in der Jagdbomberrolle nie wirklich befriedigte, nach sich. ("Mirage-Krise".)

Die Version F-104-G war bis Mitte der 1960er Jahre technisch unausgereift. Ausfälle und Defekte, vor allem bei der Elektronik, beim Triebwerk - eine notorische Schwachstelle war die Schubdüsenverstellung - und anfangs, bei in Lizenz gefertigten Maschinen, auch der Hydraulik - waren an der Tagesordnung. Als diese (oft tödlichen) "Kinderkrankheiten" überwunden waren, konnte die F-104-G in vielen ihrer Aufgabenbereiche als "gutes" Waffensystem gelten - weshalb die "Nachbestellung" von Starfightern Anfang der 1970er Jahre, die bis 1991 reichende Einsatzzeit und allgemein die große Stückzahl, in der der F-104 G Starfighter gebaut wurde, nicht mehr überraschen.
Nachtrag: Der letzte Starfighter, eine F-104S (Weiterentwicklung der F-104G), wurde 1979 in Italien ausgeliefert. Es war auch die italienische Luftwaffe, die als letzte den Starfighter einsetzte - bis 2004.
Allerdings erwies sich der Starfighter als für die Aufklärer-Rolle wenig geeignet (und wurde schon 1970 durch die RF-4E Version der "Phantom II" ersetzt). Die Marineflieger, die gerne ein für Tieffliegerangeriffe auf Seeziele optimiertes Flugzeug wie die Blackburn Buccaneer gehabt hätten, haderten bis zur Einführung des Tornados mit ihren Starfightern, die zwar hervorragende Tiefflugeigeschaften hatten, allerdings dabei eine für Seeflieger zu hohe sichere Mindestgeschwindigkeit. Die Anfälligkeit gegen Vogelschlag und die lange Zeit unbefriedigende Allwetterfähigkeit waren für ein Marineflugzeug ebenfalls ungünstig.

4. Inwieweit war die Struktur der Luftwaffe Ursache der Absturzserie?
General Johannes Steinhoff, der die Luftwaffe 1966 auf dem Höhepunkt der Starfighter-Krise als Inspekteur übernahm, sah dem den Hauptgrund für die hohen Verluste in der "Pause von zehn Jahren zwischen dem letzten Weltkrieg bis zum Beginn der Neuaufstellung" der Luftwaffe.
Der schlechte Ausbildungsstand erklärt die generell sehr hohen Absturzzahlen der Bundeswehr in den ersten 10 Jahren ihres Bestehens. Hinzu kommt, dass die Luftwaffe, indem sie von Unterschall-Düsenjägern auf den hochgezüchtete, mehr als doppelt schallschnellen F-104-G Starfighter umrüstete, eine ganze Flugzeuggeneration übersprang, und sich für die Umstellung nur wenig Zeit nahm. Auch andere NATO-Luftwaffen, die einen schnellen Generationensprung machten, wie etwa die der Niederlande, Kanadas oder Dänemarks, kämpften in der ersten Hälfte der 1960er Jahre mit hohen Verlusten.

Strukturelle Probleme der Bundeswehr waren:
  • Das Personalproblem: In den Zeiten des "Wirtschaftswunders" war die Bundeswehr, vor allem für junge Männer mit technischer Ausbildung, kein attraktiver Arbeitsplatz. Hinzu kam die Erinnerung an den erst rund 15 Jahre zurückliegenden Krieg - freiwillig Soldat werden oder auch "nur" als Zivilangestellter "beim Bund" zu arbeiten, war für viele junge Männer - und vor allem ihre Eltern - ein Unding. Es fehlten rund 10.000 ausgebildete Mechaniker. Seitens der Luftwaffe wurde teilweise sogar angeordnet, spezielle Komponenten nicht mehr routinemäßig zu warten, sondern erst bei festgestellten Fehlern zu reparieren, da die Mechaniker regelmäßig Fehler bei der Wartung machten.
  • Das Infrastruktur-Problem: Die Fliegerhorste der Luftwaffe waren Anfang der 1960er noch im Bau bzw. im Aus- und Umbau. Er fehlte vor allem an Sheltern für in Bereitschaft stehenden Flugzeuge und an Wartungshangars. Die Flugzeuge standen meistens bei Wind und Wetter, Hitze und Kälte im Freien, was zu Schäden an der empfindlichen Elektronik, Elektrik und Hydraulik führte.
  • Das Piloten-Ausbildungsproblem: Viele Starfighter-Piloten der "ersten Stunde" hatte einfach zu wenig Flugstunden auf ihren keine Fehler verzeihenden Kampfjets, um unter den schwierigen deutschen Einsatzbedingungen fliegen zu können.
Diese strukturellen Probleme hätten jedes moderne Kampfflugzeug betroffen. Anders gesagt: Hätte die Bundeswehr die Mirage III angeschafft, hätte es wohl eine "Mirage-Krise" gegeben. (Wahrscheinlich zusätzlich zur einer Kostenexplosion wie in der Schweiz.)

Schon Luftwaffeninspekteur Panitzki setzte entschiedene Maßnahmen gegen die Strukturprobleme, vor allem bei der Wartung und beim Hangarmangel, durch. Er bestellte Brigadegeneral Diether Hrabak zum Sonderbeauftragten für den "Starfighter". Die Maßnahmen der Arbeitsgruppe Hrabak griffen jedoch erst, als Panitzki nicht mehr im Amt war.
Dennoch ist der Ruhm seines Nachfolgers, Luftwaffeninspekteur General Johannes Steinhoff, Bezwinger der Starfighterkrise zu sein, nicht unverdient. Unter Steinhoff, der den Starfighter auch selbst flog, um sich mit den Eigenarten der Maschine vertraut zu machen, war die Starfighter-Krise vorrangige "Chefsache". Als erste Maßnahme im Amt verhängte er eine dreiwöchige Flugsperre bis zum Abschluss der von der Arbeitsgruppe Hrabak vorgeschlagenen technischen Verbesserungen. Zu Steinhoffs Maßnahmen gehörte auch das Abwerben von zivilen Luftfahrttechnikern z. B. von der "Lufthansa". Mögliche Spannungen zwischen den gut bezahlten zivilangestellten "Lufthanseln" und den schlechter bezahlten "Flightschweinen" der Truppe nahm er in Kauf. Vor allem kümmerte sich Steinhoff um die Sicherheit der Piloten. Er ließ Fanganlagen an den Landebahnen installieren, was die Landeunfälle stark reduzierte, und setzte sich für die Einführung des zuverlässigeren und auch in geringen Flughöhen einsetzbaren Martin-Baker GQ7(A)-Schleudersitzes, anstelle des serienmäßigen Lockheed-C-2-Sitzes, ein. Vor allem aber sollten die Piloten Erfahrungen sammeln. "Fliegen, fliegen und nochmals fliegen", lautete seine Devise. Die Ausbildung in den USA wurde intensiviert, die Anzahl der Flugstunden für den Piloten erhöht. Seine Rechnung ging auf, die Abstürze sanken auf ein "normales" Maß.

Fazit:
Ich denke, das die Entscheidung, den F-104-G Starfighter zu beschaffen, sowohl militärisch als auch industriepolitisch vertretbar war. Selbstverständlich unter der Voraussetzung, dass man das Konzept einer starken Verteidigungsarmee, die auch zur Offensive fähig ist und "im Bündnis ein Wort mitzureden" hat, akzeptiert, und eine deutsche Luftfahrtindustrie für sinnvoll hält. (Bemerkenswert ist, dass z. B. seitens des "Spiegels" in den 1960er Jahre der Sinn einer eigenen Luftfahrtindustrie weitaus stärker hinterfragt wurde als die Militärdoktrin der Bundesrepublik.)

Auch die Bestechungen durch Lockheed sollte man als pragmatisch- interessengelenkt, nicht als "schurkenhaft" oder "von der CIA gesteuert" wahrnehmen. Es ist betriebswirtschaftlich nachvollziehbar, dass Lockheed nach dem äußerst mäßigen Verkauf an die U.S. Air Force sehr intensiv potentielle Käufer des Starfighters umwarb. Dass Lockheed dabei auch zu Mitteln griff, die nicht immer legal waren, ist nichts Ungewöhnliches. Korruption kommt praktisch in allen Großkonzernen vor und trifft auf korruptionsanfällige Strukturen in Politik und Verwaltung.

Die Starfighter-Krise (Auf der Website der Luftwaffe.)

Die F104-Story (Cactus-Starfighter-Squadron, Traditionsvereinigung.)

Witwenmacher mit Stummelflügeln ("einestages", Spiegel.de)

F-104G Starfighter (Private Website des "Flightschweins" (Warts) Rolf Ferch.)

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