F-104 - der Starfighter-Mythos (1)

(Ein Beitrag der Reihe: "Alte Männer reden von von früher" - jedenfalls fängt er so an! Opa)
Vor einiger Zeit sah ich mit ein paar Freuden alte "Raumschiff Enterprise"-Folgen an - ja, die originale "Star Trek"-Serie mit Captain Kirk und Spock. Unter anderem sahen wir die Episode "Morgen ist gestern" ("Tomorrow is Yesterday" von 1967), in der der "Enterprise" nach einer Beinahe-Kollision mit einem Schwarzen Loch eine unfreiwillige Zeitreise ins Jahr 1969 unternimmt. Die "Enterprise" taucht auf den Radarschirmen der US-Air Force auf, die daraufhin einen Abfangjäger startet, der das seltsame riesige Flugobjekt identifizieren soll. Durch den Einsatz des Traktorstrahls der "Enterprise" zerbricht das Flugzeug, eine Lockheed F-104, und der Pilot, Captain John Christopher, wird an Bord gebeamt.
F-104 3-view
Der weitere Inhalt dieser "Star Trek"-Episode soll hier nicht weiter interessieren. Ich würde mich an diesen Video-Abend auch kaum noch erinnern, wenn nicht jemand beim Anblick der F-104 sagte: "Och, n´Starfighter", was die Gegenfrage der jüngsten (23-jährigen) Anwesenden auslöste: "Starfighter? Ist das ein Raumjäger?" Sie hatte so ein Flugzeug noch nie gesehen.
Für alle, die keine alten Knacker sind: Die Lockheed F-104 "Starfighter" ist ein in großer Stückzahl gebautes Kampfflugzeug der 1950er und 1960er Jahre, und wurde immerhin von 1961 bis 1991 auch von der Bundesluftwaffe geflogen.
Die Assoziation "Raumjäger" liegt nicht nur des Namens wegen nahe: in der Tat unterscheidet sich das "bemannte Geschoss" mit seinem raketenförmigen Rumpf und den Stummelflügeln von allen anderen Kampflugzeugen. Er war der spektakulärste Kampfjet seiner Zeit: Kein anderes Flugzeug war so schnell und stieg so hoch wie die F-104. Der radikaler Entwurf stammt von Clarence "Kelly" Johnson, dem langjährigen Chefkonstrukteur der (vor allem bei Verschwörungstheoretikern) legendären "Skunk Works" - er entwarf auch das Spionageflug U-2, die A-12 und deren Nachfolgerin SR-71 und war an der Entwicklung des "Tarnkappenbombers" F-117 Nighthawk beteiligt.
Die F-104 wurde auf extrem niedrigen Luftwiderstand im Überschallbereich optimiert. Die Kanten der Tragflächen waren dabei buchstäblich messerscharf - das Bodenpersonal musste nach der Landung zur eigenen Sicherheit elastische Schutzleisten an den Flügeln anbringen. Es ist kaum zu glauben, dass der "Sternenkämpfer" ein Zeitgenosse der VW-Käfer, Nierentische und Propellerflugzeuge auf der Transatlantikroute war.
F 104 Starfighter
Lockheed F-104 G "Starfighter" der Bundesluftwaffe im Bourget Museum, Frankreich. Foto: Deep silence (Mikaël Restoux) - Wikimedia common

Als ich zur Schule ging, war in der BRD "Starfighter" sozusagen ein Synonym für "Kampfjet" oder "Düsenjäger" (auch so ein fast vergessenes Wort). Ein Lied Herman van Veens begann mit den Worten: "Ein Starfighter zieht einen Strich durch die Luft" - wie selbstverständlich voraussetzend, dass ein einsamer Kondensstreifen nur von einem Flugzeug dieses Typs stammen könne.

Allerdings wurde der "Starfighter" in der Öffentlichkeit nicht in erster Linie wegen seiner außerordentlichen Flugleistungen oder seines eleganten Aussehens zur Legende. Er war auch in erster Linie nicht wegen die damals häufigen Tiefflug-Übungen mit ihrer enormen Lärmentwicklung berühmt-berüchtigt.

Was den "Starfighter" zur Legende machte, waren seine Abstürze.

Nicht weniger als 292 deutsche F-104 wurden bei Unfällen zerstört, wobei 116 Piloten umkamen. 171 Piloten konnten sich mit dem Schleudersitz retten, 8 von ihnen zwei Mal. (Angaben nach 916 Starfighter)
Auf dem Höhepunkt der Starfighter-Krise stürzen allein 1965 (lt. "916 Starfighter") 29 Maschinen ab.
Da die Bundeswehr insgesamt 916 "Starfighter" beschaffte, heißt das, dass fast 1/3 ihrer F-104 abstürzten. Allein die durch die Starfighter-Verluste entstandenen Kosten (ohne die am Boden anrichteten Schäden) wurden auf 1,5 Mrd. DM geschätzt.
In absoluten Zahlen eine erschreckende Bilanz. In der Presse und im Volksmund wurde das Jagdflugzeug "Witwenmacher", "Sargfighter" oder "Erdnagel" genannt.

Der britische Musiker Robert Calvert veröffentlichte 1974 eine LP unter den Namen "Captain Lockheed And The Starfighters", auf der er sich ausgiebig mit dem Thema beschäftigte und die Affäre als "Aero-Spaceage Inferno" bezeichnete.

Die deutsche Elektroband Welle:Erdball hat in ihrem Song „Starfighter F-104G“ dem Tod Joachim von Hassels, des Sohnes Kai-Uwe von Hassels, der während der "Starfighter-Krise" Verteidigungsminister war, ein Denkmal gesetzt.


Die "Starfighter-Saga" in der bekannten Form geht etwa so:
Die F-104 war als leichtes Jagdflugzeug für extreme Steigraten ausgelegt und glänzte mit neuen Höhen-Weltrekorden. Darüber hinaus war das Flugzeug aber nicht attraktiv. Die US Luftwaffe bestellte nur wenige Starfighter. Die deutsche Luftwaffe suchte 1958 nach einem allwettertauglichen Überschallflugzeug, das als Abfangjäger, Luftüberlegenheitsjäger, Jagdbomber, Aufklärer und Seekampfflugzeug verwendbar sein sollte. Die deutschen Testpiloten, die die F-104 in den USA testeten, lehnten die Maschine ab. Außerdem musste das als Schönwetter-Abfangjäger konzipierte Flugzeug erheblich umkonstruiert werden, um die Anforderungen auch nur einigermaßen erfüllen zu können. Die auf die deutschen Bedürfnisse zugeschnittene Version F-104 G ("G" für "Germany") gab es erst auf dem Papier. Dennoch befürwortete 1958 der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß nach einem Besuch bei Lockheed die Anschaffung des Starfighters - obwohl er wenige Monate zuvor noch die französische Mirage III bevorzugt hatte. Die Mirage wäre in jeder Beziehung die klügere Wahl gewesen. Beim gewaltigen Deal - es ging um hunderte millionenteurer Kampfjets, entschied sich Verteidigungsministerium dennoch für den amerikanischen Jäger. Ein möglicher Grund: Franz-Josef Strauß setzte sich damals für die Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen ein - die USA boten eine "nukleare Teilhabe für die F 104 an, Frankreich war dazu nicht bereit. Oder es waren Schmiergelder im Spiel - nach Aussagen des ehemaligen Lockheed-Lobbyisten Ernest Hauser erhielten Strauß und die CSU 1961 10 Millionen US-Dollar.
Es kam, wie es kommen musste: der "Starfighter", ein ohnehin überzüchtetes Flugzeug, wurde bei der Bundeswehr für Zwecke eingesetzt, für die er nicht konstruiert war, und stürzte massenhaft ab. Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Werner Panitzki, wurde 1965 auf eigenen Wunsch von Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel entlassen, nachdem er in einem Interview die Beschaffung des Kampfflugzeugs als eine "rein politische Entscheidung" kritisiert hatte.

Wahrscheinlich waren nicht allein die, gemessen etwa den an Sicherheitsstandard der Zivilluftfahrt, unfassbar vielen Abstürze, die den "Starfighter" zum "negativen Mythos" machten. Es gibt in der "Starfighter"-Saga mit Strauß einen profilierten "Bösewicht", finstere Mächte und verbrecherische Absichten im Hintergrund, und auch tragische Helden.
Obwohl die "Starfighter-Saga" auf Tatsachen beruht, ist sie offensichtlich nicht die ganze Wahrheit. Wenn die F-104 G ein so ungeignetes Flugzeug war - wieso hielt die Luftwaffe sie 30 Jahre im Dienst und bestellte noch Anfang der 70er Jahre weitere Maschinen? In Italien wurde die F-104 S, eine Weiterentwicklung der G-Version, sogar erst 2004 ausgemustert.

Trotz der hohen Absturzquote wollte eine ganze Generation von Piloten unbedingt den "Starfighter" fliegen. Viele Piloten, die auf die leistungsfähigeren (und eine geringere Absturzquote aufweisenden) Nachfolger F-4 F "Phantom" und später Panavia MRCA "Tornado" umsattelten, trauerten ihren "Zippern" hinterher.

Ein zentraler Teil des schwarzen Mythos, nämlich dass der "Starfighter" ein außergewöhnlich absturzgefährdetes Jagdflugzeug gewesen wäre, hält einem Vergleich nicht stand:
Von seinen Vorgängern, den 946 Flugzeugen der Typen F-84 "Thunderstreak" und F-86 "Sabre", die bei der deutschen Luftwaffe nur neun Jahre lang, von 1957 bis 1966, im Dienst standen, gingen 139 verloren. 62 Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben. Bezogen auf die Flugstunden waren diese nicht überschallschnellen Jäger bzw. Jagdbomber erheblich unsicherer als der berüchtigte "Witwenmacher". Das statistisch unsicherste Jagdflugzeug der US-Airforce war der F-100 "Super Sabre", der bezogen auf die Flugstunden, mehr als doppelt so viele Unfälle hatte wie der F-104 "Starfighter".

Aber nicht dieser Aspekt macht die "Starfighter-Saga" meines Erachtens fragwürdig - immerhin war die F-104 G auch nach Aussagen ihrer Piloten ein Flugzeug, das keine Fehler verzeiht, und die außergewöhnliche Absturzserie der 60er Jahre kann nicht wegdiskutiert werden. (Wobei sich die Abstürze nach 1967 im Rahmen des bei Hochleistungs-Kampfflugzeugen damals international Üblichen bewegten ... was heftig genug ist.)
Fragwürdig ist, dass sie stark personalisiert. Was sich bei so farbigen Persönlichkeiten wie Franz-Josef Strauß förmlich aufdrängt. (Meiner Ansicht nach war Strauß ein machtversessener, autoritärer und moralisch fragwürdig handelnder Kotzbrocken - aber ein auf seine Weise brillanter Kotzbrocken, der in seinem kleinen Finger mehr Charisma hatte, als die komplette heutige Bundesregierung zusammengenommen.)
Meiner Ansicht nach waren es die Strukturen der Bundeswehr, die zum Starfighter-Skandal führten. Was Strauß übrigens nicht im Geringsten entschuldigt.
Der Starfighter-Mythos, Teil 2.)

Nachtrag: 05.07. - 18:06: Zahlenangaben korrigiert.
Björn (Gast) - 6. Jul, 12:07

Als ich in der Grundschule war, machte am Küchentisch der Witz die Runde: "Wie bekommt man seinen eigenen Starfighter? - Garten kaufen und warten."

Björn (Gast) - 6. Jul, 12:09

Und Respekt für den Welle:Erdball-Verweis, sonst hätte ich den Link hier in den Kommentaren gesetzt.

Njörd (Gast) - 6. Jul, 14:13

Da kommt was nicht hin

Moin!
Ich finde es bezeichnend, daß die Bundeswehr "nur" 225 Starfighter-Abstürze zugibt. Du schrobst, daß 292 deutsche F-104 wurden bei Unfällen zerstört wurden, wobei 116 Piloten umkamen. 171 Piloten konnten sich mit dem Schleudersitz retten, 8 von ihnen zwei Mal. Also konnte bei 179 Abstürzen der Pilot noch aussteigen. 179 plus 116 gibt aber 195! Deine Zahlen halte ich für realistischer, aber so ganz kommen die auch noch nicht hin.

MMarheinecke - 6. Jul, 17:59

Es kommt schon hin

Einerseits waren einige der abgestürzten Starfighter zweisitzige Maschinen, anderseits gab es auch Unfälle, z. B. bei Landungen, bei denen die Piloten, auch ohne sich per Schleudersitz herauskatapultiert zu haben, die Havarie überlebten.

Nebenbei: Woher hast Du die Angabe, dass die BW "nur" 225 "Starfighter-Totalverluste" zugeben würde?

Auch nach Angaben auf der offiziellen Website der Luftwaffe stürzten 292 Starfighter ab, dabei verloren 116 Ploten ihr Leben.

Trackback URL:
https://martinm.twoday.net/stories/5802913/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 6725 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren