Donnerstag, 9. Juli 2009

F-104 - der Starfighter-Mythos (2)

Die "Starfigher-Krise" ist, wenn man so will, alter Käse: eine Krise, die vor über 50 Jahren begann, und die ein Waffensystem betraf, das schon seit 18 Jahren ausgemustert ist. Aber oft zeigen gerade Affären von gestern, welche Strukturen heute noch wirken. In einem 40 Jahre alten Fernsehbeitrag über Schundhefte, die faschistisches Gedankengut in die Hirne unschuldiger Jugendlicher trugen (1969 - "Perry Rhodan - der Hitler des planetarischen Zeitalters") lassen sich grundsätzlich die selben kulturellen Strukturen wie in der aktuellen Debatte um "Killerspiele" feststellen. Sie treten gerade dadurch so plastisch hervor, weil keine erhitzte Diskussion mehr den Blick dafür verstellt, dass die Vorwürfe und Verdächtigungen gegen "Perry Rhodan" von Anfang maßlos übertrieben waren.

Ähnlich ist es bei der Starfighter-Krise. Ich habe ein wenig darüber recherchiert, und schnell gemerkt, dass die "Starfighter-Saga", wie ich sie im ersten Artikel über den Starfighter-Mythos skizzierte, problematisch ist, und zwar nicht nur, weil sie auf "Bösewichte" wie Strauß und "dunkle Mächte" wie das mit Bestechungsgeldern arbeitende und allzu eng mit dem CIA zusammenarbeitende Rüstungsunternehmen Lockheed personalisiert ist - worüber die Strukturen, das, was wirklich faul ist, übersehen werden. ("Strukturen" sind etwas anderes als "Sachzwänge". Strauß hätte sich z. B. anders entscheiden können und war deshalb voll für alles, was er anrichtete, verantwortlich.)

1. Der "Starfighter" wurde zum Mythos, weil er stark symbolisch aufgeladen wurde
Der "Starfighter-Krise" und die Art und Weise, wie sie von den Medien und der breiten Bevölkerung aufgenommen wurde, ist meiner Ansicht ein gutes Beispiel, wie eine Waffe symbolisch aufgeladen wurde, und wie sich diese symbolische Aufladung hartnäckig hielt. Wie ich schon im ersten Teil erwähnte, war die F-104 G nämlich keineswegs (für ein Jagdflugzeug dieser Generation) überdurchschnittlich oft abgestürzt, wenn man die Gesamtflugstunden zugrunde legt.
Die Abstürze hatten sich, aus Gründen, die zum Teil bei der noch nicht ausgereiften Technik des Flugzeugs, zum weitaus größeren Teil aber mit der Struktur der Bundeswehr zu tun hatten, in einem kurzen Zeitraum geballt und so den Eindruck einer Fehlkonstruktion oder einer geradezu verbrecherischen Fehlbeschaffung erzeugt.
Geradezu genüsslich wurden in manchen Medien - allen voran dem "Spiegel" - die Verluste der Bundesluftwaffe gezählt, was sicherlich auch im Zusammenhang mit der wesentlich von Strauß verursachten Spiegel-Affäre gesehen werden muss. Aber nicht nur im "Spiegel" wurde die Starfighter-Krise als Staatskrise wahrgenommen, was dieser Leitartikel Steh auf, mein Volk! aus der "Frankfurter Rundschau" vom 14. Mai 1966 illustriert, in dem Karl Gerold von einem "Menschheitsverbrechen an unserer Bundeswehr" schreibt.
Gerolds Pathos muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass das Bonner Verteidigungsministerium lange Zeit geneigt gewesen war, die hohe Unfall-Quote als normalen Preis für ein neues, technisch kompliziertes Waffensystem anzusehen. Denn die Vorgängern des Starfighters hatten noch höhere Absturzquoten. Erst im internationalen Vergleich wurde deutlich, wie zynisch das Verteidigungsministerium "Piloten verheizte". Die Erinnerungen an den zweiten Weltkrieg waren 1966 noch frisch - der Eindruck, es würden schon wieder deutsche Soldaten in einen sinnlosen Tod geschickt, lag unangenehm nahe.
Der Starfighter war also ein Symbol für politische Entscheidungen aus Eigennutz der Entscheider gegen die Interessen der Bürger, und ein Symbol für gefährliche, vermeintlich unbeherrschbare, Technik. In der Friedensbewegung der 80er Jahre war der Starfighter zudem ein wichtiges Symbol für die These, dass Rüstung schon im Frieden tötet. Zwar gab es bei Starfighter-Abstürzen glücklicherweise kaum zivile Tote, aber die Umstände eines Starfighter-Absturzes zu am 22. Mai 1983 waren (ich bitte um Entschuldigung für meine zynische Formulierung) ein Paradebeispiel für mörderische Technik, dass kein Regisseur hätte wirksamer inszenieren können. Bei einer Flugschau auf der Rhein-Main-Airbase stürzte ein Starfighter der kanadischen Luftwaffe auf einen Autobahnzubringer, wobei sechs Menschen, die Familie des Frankfurter Pfarrer Martin Jürges, in den Flammen qualvoll verbrannten. Bittere Ironie: Martin Jürges war engagiertes Mitglied der Friedensbewegung, und bekam eine Art Märtyrerstatus. "Gott ist an diesem Tag mitgestorben" (hr-online). Übrigens war die wahrscheinliche Absturzursache, wie vielleicht bei den meisten Flugunfällen mit Kampfflugzeugen, Selbstüberschätzung des Piloten - dazu weiter unten mehr.
Aber auch durch seine Befürworter und Fans wurde der Lockheed F-104 G Starfighter symbolisch überhöht. Sogar das charaktristische Heulen des Triebwerks wurde als "Sound of Freedom" verklärt. Die Mystifizierung des Flugzeugs durch seine Piloten, und die unbestreitbaren Faszination, die von dieser extremen und ästhetisch reizvollen Konstruktion ausging, trug auch bei den Gegner der Starfighters zu dem außerordentlich widerstandsfähiger Mythos, den ich als "Starfighter-Saga" grob umrissen habe, bei.
Die Absturzserie wäre wahrscheinlich nicht als Staatskrise wahrgenommen worden, wenn der Starfighter nicht als modernstes, bestes und perfekt für die Verteidigung der BRD geeignetes Mehrzweck-Kampfflugzeug angepriesen worden wäre. Es entstand wegen dieser Überhöhung um die Mitte der 60er Jahre der Eindruck, dass die Luftwaffe wegen des "Witwenmachers" praktisch hilflos sei, ohne funktionierende Abfangjäger, ohne Jagdbomber - und das angesichts einer von oft von den selben Politikern und Verteidigungsexperten, die den "Starfighter" priesen, drastisch an die Wand gemalten (angeblichen) bedrohlichen Überlegenheit der Ostblock-Streitkrafte.
Auch die Tatsache, dass einige deutsche F-104 G im Rahmen der Nuklearen Teilhabe innerhalb der NATO im Kriegsfall US-amerikanische Atombomben getragen hätten, und dass, wenn die Bundeswehr eigene Atombomben erhalten hätte, der "Starfighter" der "deutsche Atombomber" gewesen wäre, trugen zur symbolischen Aufladung bei. Weder die immerhin aktiv im Krieg eingesetzten deutschen "Tornados", die theoretisch ebenfalls im Rahmen der "nuklearen Teilhabe" Atomwaffen tragen könnten, noch die F-4 F "Phantom", noch der Eurofighter "Typhoon" sind ähnlich symbolbefrachtet wie die F-104 G.

2. Psychologische Strukturen: Die Gefahr der Selbstüberschätzung war sozusagen eingebaut.

Don't wait for the undertaker, timely pull your Martin Baker!

Martin Baker stellte den GQ 7A Schleudersitz her, ein Zero/Zero-Sitz (Null Höhe, Null Geschwindigkeit), der sogar bei Unfällen am Boden den Piloten unter einem vernünftigen Risiko retten konnte. Er ersetzte auf Druck der Piloten und des Inspekteurs der Luftwaffe, General Steinhoff, ab 1966 den ursprünglichen C-2 Schleudersitz des F-104 Starfighters, der beim Katapultieren bei geringen Fluggeschwindigkeiten und in niedriger Höhe den Piloten gefährdete.

Der Spruch weist auf einen psychologischen Aspekt bei Absturz sehr leistungsfähiger, aber dabei wenig fehlertoleranter Flugzeuge hin: die Gefahr der Selbstüberschätzung, die unter anderem dazu führen kann, dass ein Pilot bei einer Havarie nicht rechtzeitig "aussteigt".

Einerseits wird von einem Jagdflieger verlangt, dass er nicht die geringsten Zweifel an seinen Fähigkeiten haben darf, denn schon geringe Selbstzweifeln verlangsamen die Reaktion, anderseits darf er nie, und sei es nur für einen Sekundenbruchteil, seine Grenzen und die Grenzen seines Luftfahrzeugs vergessen. Beides lässt psychologisch gesehen nur schwer vereinbaren.
Hinzu kommt, dass es unter Soldaten allgemein und unter Kampfpiloten ganz besonders verpönt ist, auch nur geringste Anszeichen von Feigheit erkennen zu lassen. In Tom Wolfes berühmten Reportageroman "The Right Stuff" ("Der Stoff, aus dem die Helden sind"), wird eindringlich geschildert, wie Kampfpiloten aus Angst, als Feiglinge oder als Nichtskönner zu gelten, regelmäßig zu viel zu riskieren. Dabei geht es nur selten wirklich um Leichtsinn oder blindes Draufgängertum. Viele Piloten starben, weil sie dachten, dass sie bei einem Defekt oder bei einen unkontrollierten Flugzustand (Überziehen, Trudeln) "die Kiste noch irgendwie heil runter kriegen".
Es ist ein der Struktur der Militärfliegerei und der Pilotenausbildung bedingtes Problem, das nicht nur für den "Starfighter" gilt, aber bei einen Flugzeug, das keine Pilotenfehler verzeiht und "bei Triebwerksausfall die Gleitflugeigenschaften eines fallen gelassen Schlüsselbundes" hat, (Ex- Testpilot und -Astronaut Michael Collins über die F-104) besonders deutlich zutage tritt.

Flugvorführung des F-104 G Demo-Teams der deutschen Marineflieger "The Vikings". Sie vermittelt ein wenig, wieso diese Maschine so faszinierte - kein anderes Flugzeug ist bis heute im Tiefflug so schnell - aber auch etwas von dem Gefahrenpotenzial dieser Flugvorführungen, die nicht einmal Kunstflug waren, sondern nur Taktiken vorführten, die auch für den Einsatz geübt wurden.

Jochen Missfeldt, ein Schriftsteller, der früher Pilot auf dem Starfighter und der Phantom war, schrieb:
Wir wollten vor allem eins: Wir wollten das Ding fliegen. Der Starfighter war unheimlich schnell, besaß extrem gute Tiefflug-Eigenschaften. Wir konnten bei gutem Wetter von Jever nach Bayern fliegen und uns die Alpen ansehen. Der Tiefflug, wenn man den Rausch der Geschwindigkeit am stärksten spürt, das war für uns das Schönste.
- Es erfordert nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass der Rausch der Geschwindigkeit manchem Piloten zu Kopf gestiegen sein wird - und zwar ausgerechnet im Tiefflug. Sehr viele der F-104 Abstürze sind CFIT -"Controlled Flight Into Terrain" (im Fliegerjargon "unangespitzt in den Boden gerammt") - neben schlechter Sicht dürfte Unaufmerksamkeit dafür die Hauptursache gewesen sein.
Eine Reportage des "Spiegel" aus dem Jahr 1968 geht auf die ständige Gefahr der Selbstüberschätzung, der overconfidence, ein: Heiße Tiger.

Der Starfighter-Mythos (Teil 3):
- Aus welchen Gründen wurde der Starfighter überhaupt angeschafft?
- Inwieweit war die Struktur der Luftwaffe Ursache der Absturzserie?

Der Starfighter-Mythos (Teil 1)

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