Samstag, 21. Februar 2009

Käpt'n Konny und die Nordsee ist Mordsee

Bei Ulysses fand ich einen Hinweis auf Martina Kausch, die eine interessante Frage stellt: Wer sind die Helden Eurer Kindheit?

Ich kann nicht sagen, wer die Helden meiner frühen Kindheit waren, und meine Helden, die ich so als fünf- oder sechsjähriger hatte, wechselten beinahe täglich.

Im Schuljungen-Alter - so ab Klasse 3 - hatte ich eindeutig einen "Helden": Käpt'n Konny (aus den Büchern von Rolf Ulrici).
konny
Ja, die ersten vier Bände besitze ich tatsächlich als Ausgabe aus den 1950er-Jahren - ich hatte sie bei einem Onkel abgestaubt. Die folgenden vier Bände schrieb Ulrici erst in den frühen 1970er Jahren, also auch zu der Zeit, als ich sie las. Erstaunlicherweise schaffte er irgendwie den Übergang ganz gut - damals hatte ich den Eindruck, zwischen den alten und neuen Abenteuern lägen nur etwa zwei und nicht gut 20 Jahre.
Es geht übrigens um die Erlebnisse von einigen segelbegeisterten Jungs von der Ostseeküste. Irgendwann auch für's Fernsehn verfilmt, die Verfilmung fand ich doof.

Warum Käpt'n Konny? Das kann ich heute auch nicht mehr so recht sagen. Wieso sie mich "ansprachen", als ich sie unter den anderen alten Jugend- und Kinderbüchern meines Onkels entdeckte, hingegen schon. Segelschiffe und Boote fand ich schon immer spannend. Dass ich auch die Folgebände haben "musste", war klar.
Die Faszination, die diese Schmöker dann auf mich ausübten, ist für mich aus Erwachsenensicht nicht mehr ganz nachvollziehbar.
Ich kann nur aus der Erinnerung sagen, dass sie mit dem nur unzureichend mit "Schuljungen-Fluchtphantasie" umschriebenen Gefühl zusammenhing, einer Sehnsucht, die Udo Lindenberg mal treffend im Titelsong von "Nordsee ist Mordsee" so betextete:
"Ich träume oft davon / ein Segelboot zu klau'n / und einfach abzuhau'n"
Diese Sehnsucht erfüllen andere Schreiber besser als Ulrici. Einige davon kannte ich auch schon als Schuljunge.
Auch wenn "Käpt'n Konny schnuppert Seeluft" tatsächlich damit beginnt, dass Konny mit seinen Freunden Papis Segeljacht klaut. Die zwar, vorhersehbar, "Bruch bauen", aber doch glimpflich davonkommen. Vielleicht machte das einen Teil der Faszination aus: der in den damaligen Kinderbüchern obligatorische "pädagogische Zeigefinger" war zwar pflichtgemäß vorhanden, aber erkennbar nicht ernst gemeint: Konny und seine Freunde können sich gegen Erwachsene behaupten, und zwar sogar dann, wenn sie etwas ausgefressen haben. Das haben sie sogar ihren "Nachfahren" TKKG voraus. Irgendwo ist Käpt'n Konny ein ferner Odysseus-Nachfahre im Schuljungen-Format.
Vielleicht lag die Faszination daran, dass Konnys Abenteuer "realistisch" genug waren, dass ich mir vorstellen konnte, sie selbst erleben zu können - und un-alltäglich genug, um nicht unter die Kategorie der unsagbar langweiligen "pädagogisch wertvollen" Kinder- und Jugendbücher zu fallen, die von den ganz alltäglichen Problemen aus dem ganz alltäglichen Leben ganz alltäglicher Leute handeln.

Wenig später kam ein Held dazu, der auch ein Kindheitsheld Ulysses' ist: James T. Kirk, Captain der U.S.S. Enterprise, NCC 1701 - Später fand ich Spock cooler - mit ihm konnte ich mich, so seltsam es klingt, sehr gut identifizieren. Nicht weil ich glaubte so intelligent wie der Vulcanier zu sein, geschweige denn so selbstbeherrscht. Eher das Gefühl der Fremdheit unter den Menschen, das Gefühl, irgendwie ein "Alien" zu sein - das mich übrigens nie ganz verlassen hat.

Ulrici schrieb übrigens auch Science Fiction-Jugendbücher. Von dem ersten Band aus seiner "Raumschiff Monitor"-Serie, "Geheimer Start", war ich hin und weg und begeistert. Mit jedem Band der Serie schrumpfte die Begeisterung, bis sie völlig ausbrannte. Der Grund ist einfach: von Band zu Band wurden die Abenteuer unglaubwürdiger, konstruierter, "hingedrehter".

Ich erwähnte schon den Film "Nordsee ist Mordsee", der 1976 in die Kinos kam, wo ich ihn mir auch promt ansah - was nur ging, weil Regisseur Hark Bohm, der eigentlich Rechtsanwalt ist, noch eine Freigabe ab 12 Jahren durchsetzen konnte. Die FSK fürchtete den "Nachahmungseffekt" und wollte den Film erst ab 16 Jahren freigeben. (Damals sahen viele "Experten" in Film und Fernsehen eine wesentliche Ursache der Jugendkriminalität - heute hat sich die Diskussion mit im wesentlichen identischen Argumenten in Richtung "Killerspiele" verschoben. Noch früher verdarben Comics und Schundromane die Jugend.)

Ein ganz anderes Kaliber, eine andere Welt, als "Käpt'n Konny", hart, realistisch - und ohne Helden, aber mit glaubwürdigen Charakteren. Ein Film, der zwar von den alltäglichen Problemen aus dem alltäglichen Leben alltäglicher Leute handeln, aber eben Probleme, die ich wirklich beinahe jeden Tag sah, und zum Glück nicht am eigenen Leib erleben musste. Ich kannte Jungs wie den "jugendlichen Kriminellen" Uwe mit dem saufenden Vater oder den ausgegrenzten "Kanaken" Dschingis, und endlich machte mal jemand einen Film ohne Betroffenheitslyrik, Sozialkitsch und erhobenen Zeigefinger über sie.
Ich mag ich diesen Film auch heute noch, auch weil er sich Zeit für die Charakterentwicklung nimmt (andere halten ihn deshalb für Langweilig).

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