Sonntag, 15. Februar 2009

Krise und Kontrollverlust

Ein Aspekt der derzeitigen Wirtschaftskrise, der meines Erachtens krisenverschärfend wirk, ist die altbekannte Angst "alter Männer" vor Kontrollverlust. ("Alte Männer" müssen nicht zwingend biologisch alt oder biologisch männlich sein - es gibt durchaus Frauen mittleren Alters, die wie "alte Männer" denken.)

Mir der "Angst alter Männer" meine ich, Sven Scholz folgend, eine Einstellung, die sich am Kneipen-, Küchen- oder Kantinentisch in Redensarten wie "Wo kämen wir denn dahin, wenn jeder machen könnte, was er will" zu erkennen gibt. Politiker und "Wirtschaftsführer" mit dieser Einstellung drücken mit vielen wohlgesetzten Worten das selbe aus.

Die Angst vor dem Kontrollverlust befällt vor allem Menschen mit autoritärer Persönlichkeit. Nur eines beunruhigt einen autoritären Menschen, der in einer Hierarchie weit aufgestiegen ist, noch mehr, als die Vorstellung, dass die Autorität, an die er "glaubt", wanken könnte - nämlich die, dass seine eigene Autorität infrage gestellt werden könnte.
Tatsächlich sind solchen Menschen keine "Schurken", sondern "arme Schweine", deren eigenes Leben völlig angst- und damit fremdbestimmt verläuft: Angst vor Veränderung, Angst letztlich vor dem Tod, die bis in alltäglichste Kleinigkeiten hineinreicht. Diese Angst wächst erfahrungsgemäß mit zunehmendem Lebensalter, einfach, weil immer mehr Dinge nicht mehr so funktionieren, wie man sie einst, als autoritätsgläubiger jungen Mensch, als "ewig gültig" erlernt hatte.
Die Reaktion auf diese Angst zeigt sich in psychotischem Verhalten ("Mehr desselben" - hier: mehr Kontrolle), das nichts nützt, wobei aus dem ausbleibenden Nutzen nicht etwa geschlossen wird, dass die Wirksamkeit von Kontrollmaßnahmen Grenzen hat, sondern, dass eben immer noch nicht genug kontrolliert wird.

In Zeiten des Wandels - egal welchen Wandels, es muss nicht eine Wirtschaftskrise sein, es muss nicht einmal negativ oder gefährlich sein, es reicht aus, dass es die gewohnte Ordnung der Dinge verändert (wie z. B. das Internet) - reagieren "ängstliche alte Männer" in verantwortlicher Position so:
Sie haben die Dinge nicht mehr unter Kontrolle. Also halten sie es zunächst für besser, den Kopf einzuziehen und zu hoffen, dass alles vorbeigehen würde, oder zumindest, dass die "Katastrophe" erst losbrechen würde, wenn sie längst nicht mehr im Amt sein wären.
Ist dann die "Katastrophe" (die oft nur aus Sicht der "ängstlichen alten Männer" von Nachteil ist) nicht mehr abzuwenden - oder fürchten die "ängstlichen alten Männer", dass sie nicht mehr abzuwenden sei - dann finden solche Pläne anklang, die im Wesentlichen passiv sind. Man repariert etwas, aber man ändert nichts. Es stimmt natürlich, dass die Risiken von Veränderungen schwerer zu erkennen sind, und dass pragmatische Lösungsansätze gegenüber großen Utopien vorzuziehen sind. Aber manchmal führen die "bewährten Methoden" nur weiter in den Abgrund. "Ängstliche alte Männer" erkennen das nicht - was gestern funktioniert hat, muss auch heute funktionieren, und wenn es nicht funktioniert, dann wurde es eben nicht entschieden genug durchgeführt. Damit ist der Einstieg zum psychotischen Zirkel des "mehr desselben" gemacht.

Es kommt noch etwas hinzu: ein übersteigertes Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle verändert die Wahrnehmung. Sich vor Kontrollverlust fürchtende Personen sind offensichtlich bereit, auch im Chaos Ordnung zu erkennen bzw. sie vergessen, dass es so etwas wie Zufälle und unwichtiges Geschehen gibt.
Die Kontrolle zu verlieren ist für diese Menschen offenbar so furchterregend, dass sie alles unternehmen um wieder "Ordnung" herzustellen. Nichts ist Zufall, jede Kleinigkeit ist wichtig!

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