Sonntag, 4. Januar 2009

2009 - Es ist noch was zu retten ...

Das Jahr 2009:
Jeden Tag gibt es in Europa rund 30.000 Tote durch Luftverschmutzung. Nahrungsmittel - die größtenteils synthetisch hergestellt werden - und Trinkwasser sind streng rationiert. Die Meere sind nach Unfällen mit Chemikalientankern praktisch tot. Es gibt keine Wälder mehr. Wegen der anhaltende Dürre in der versteppten Landschaft ist auch in Deutschland kaum noch Landwirtschaft möglich. Der allgemeine Rohstoffmangel ist akut.
Auch viele der Versuche, die katastrophale Lage "in den Griff" zu bekommen, wirken sich negativ aus: es gibt eine mächtige (und korrupte) Kontrollbürokratie, die Bürgerrechte sind ausgehebelt und fragwürdige Versuche, mit der lebensbedrohlichen Krise fertig zu werden, die bis zu Genmanipulationen an Menschen reichen.

Leider gibt nur wenige deutsche Science-Fiction-Serien. Unter diesen wenige Serien überzeugen die meisten weder durch Originalität noch Niveau.
Die 1974 vom WDR produzierte Fernsehserie: "2009 - Es ist noch was zu retten" (Alternativtitel: "Studio Telerop 2009") gehörte zu diesen seltenen Serien. Sie lief im Laufe der 1970er Jahre einige Male in den ARD-Regionalprogrammen und in einigen 3. Programmen. Seit Anfang der 1980er Jahre ist sie nicht mehr wiederholt worden.

Im Mittelpunkt der Serie steht ein Fernsehmagazin des "Studio Telerop", eine "wöchentliche Lebens- und Überlebenshilfe". Dabei gibt es drei Ebenen: die Ebene der (fiktiven) Sendung selbst, mit Expertenrunde und dem "Archiv", in dem die Moderatoren Bilder aus der "Gegenwart" mit denen der "Vergangenheit" der 1970er Jahre verglichen, wobei auch jedesmal die Frage gestellt wird, was damals hätte anders gemacht werden müssen. (In der Serie selbst wirkte das weniger "dikdaktisch", als es meine Beschreibung vielleicht nahe liegt.) Die zweite Ebene ist der Blick "hinter die Kulissen" der Produktion, die Recherchen der Journalisten, aber auch Versuche von "interessierter Seite" (Politiker, Lobbyisten, Beamte) auf sie Druck auszuüben. Die dritte Ebene zeigt thematisch passende Szenen aus dem schwierigen Alltag des Jahres 2009.

Soweit ich mich erinnern kann, war "Es ist noch was zu retten" wegen ihrer belehrenden Art, die manchmal an ältere "Greenpeace"-Spots erinnerte, unter Teenagern (wie ich es damals war) nicht unbedingt beliebt. Dennoch lieferten ihre erschreckenden Zukunftsszenarios reichlich Gesprächsstoff. Denn sie war zwar bedrückend und "uncool", aber irgendwie spannend und informativ, gerade weil sie auch 1974 noch scheinbar fern liegenden Gefahren (etwa durch Manipulation am menschlichen Erbgut) thematisierte.

Zwar waren Umweltverschmutzung und Umweltschutz 1974 schon breit diskutierte Themen, und es gab auch mehr oder weniger überzeugende (Horror-)Szenarien z. B. von Paul Ehrlich ("Die Bevölkerungsbombe") oder dem "Club of Rome" ("Das Ende des Wachstums"). Vor dem Hintergrund solcher Szenarien muss man "Es ist noch war zu retten" sehen - tatsächlich ähnelten mache Grundanahmen der Serie einem Szenario Ehrlichs aus dem Jahr 1972:
Zum Beispiel starben wie bei Ehrlich in der Serie alle wichtigen Meerestierarten und das gesamte Phytoplankron aus - wenn auch einige Jahre später als es Ehrlich befürchtete (Ehrlich 1979 - Studio Telerop "um die Jahrtausendwende").

Es wäre allerdings verfehlt, die Serie auf ihre Warn- und Informationsfunktion zu reduzieren, auch wenn die Autoren von "Es ist noch was zu retten" sicherlich diesen Aspekt im Auge behielten. (An den "Archiv"-Einblendungen wird dieser "präventive" Aspekt besonders deutlich.) 1974 gab es z. B. weder die "Grünen" noch bundesweite Umweltschutz-Bürgerinitiativen. Es wäre interessant herauszufinden, wie viele Menschen sie dazu bewegt hat, sich für Umweltschutz zu engagieren.
Was die Serie etwas von den Szenarien Ehrlichs oder den schon erwähnte frühen "Greenpeace"-Spots abhob, war eine tiefe Skepsis gegen technokratische und zentralistische Krisenbewältigungsprogramme. In einer Folge, "Fortschritt verboten", wird gezeigt, wie sich die strenge Rohstoffrationierung hemmend auf die technische Entwicklung auswirkt - auch auf Erfindungen, die echte Problemlösungen sind. Auch wird, etwa in der Folge "Megalopolis" gezeigt, dass es durchaus Profiteure des weltweiten Öko-Desasters gibt.
In mancher Hinsicht war "Es ist noch was zu retten" auch gegenwartsbezogene Gesellschaftskritik im Science-Fiction-Gewand. Ein immer wiederkehrendes Motiv könnte man mit "Misstraue den Experten, wenn sie einfache Lösungen versprechen" beschreiben.

Interessant, wenn auch für die Beurteilung der Serie nebensächlich, ist die Frage, inwieweit die Szenarien der Serie Wirklichkeit wurden.
Eine Kommentatorin auf fernsehserien.de meinte gar:
Leider ist all das eingetreten, was prophezeit wurde (Feinstaubbelastung, Überalterung und Hass auf alte Leute, verseuchte Lebensmittel, Züchtungen von Menschen)
Das ist, wenn ich die "Es ist noch was zu retten" richtig in Erinnerung habe, keineswegs der Fall: als "Prophezeihung" ist die Serie ein Flop. Tatsächlich ist z. B. die Feinstaubbelastung heute geringer als 1974 - allerdings hat sich damals kaum jemand - und schon gar kein Politiker - um Feinstaub gekümmert. Ähnlich ist sieht es mit "verseuchten Lebensmitteln" aus - auch wenn das Problem etwa der Pestizidrückstände immer noch ein Problem ist. Eine "Überalterung" gibt es in der Welt von "Es ist schon was zu retten" allein wegen der drastisch gesunkenen Lebenserwartung nicht.
Was man den Autoren der Serie (Jürgen Voigt und Karl Wittlinger) unbedingt zugestehen muss, ist ein Gespür für Trends. Und einige der Warnungen sind heute noch aktuell. Auch wenn vieles, was in der Serie gezeigt wurde, heute lächerlich wirken würde.
Telerop 2009 - Es ist noch was zu retten [TV-Serie] - auf Online-Filmdatenbank"

2009 - Es ist noch was zu retten - auf fernsehserien.de

Bliebe die Frage, wieso "Es ist noch was zu retten" seit etwa 1980 nicht mehr wiederholt wurde - und weshalb es vergleichbare Serien später nicht wieder gab.
Die zweite Frage ist leider einfacher zu beantworten: Es erfordert einigen Mut, eine innovative und gesellschaftskritische TV-Serie zu machen - und der fehlt in der heutigen deutschen Fernsehlandschaft, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat. Man ist dort, aus Angst vor "Flops", aus ökonomischem und politischem Druck, stockkonservativ geworden. Schon eine weniger düstere und weniger kritische deutsche SF-Serie hätte derzeit kaum Chancen realisiert zu werden.
Für die erste Frage vermute ich eine Antwort zwischen: "Den alten Kram will doch niemand mehr sehen" und "So etwas düsteres kann man dem heutigen Fernsehzuschauern nicht mehr zumuten". Wobei düstere Prognosen, auch im Fernsehen, durchaus Konjunktur haben - je düsterer, desto besser. Vielleicht ist auch das ein Grund, "Es ist noch was zu retten" im Archiv zu lassen - die Serie würde allzu deutlich machen, dass Niels Bohr recht hatte:
"Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen."
Das wäre, nehme ich an, einigen Angstmachern eben so wenig recht, wie den Anhängern von autoritären Lösungen - die in der Serie geradewegs zu einer regelrechten "Ökodiktatur", die aber gerade nicht mit der ökologischen Krise fertig wird, führen - das tiefe Misstrauen der Serie gegen eben solche Lösungen recht wäre.

Aber das ist, wie erwähnt, nur eine Vermutung.

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