Mittwoch, 3. Dezember 2008

Schwerverbrecher, hinter jeder Ecke Schwerverbrecher

Bekanntlich werden In Großbritannien sogar Müllsünder auf Grundlage eines Anti-Terror-Gesetzes von Kommunen ausspioniert.
Wenn man schon so tolle Gesetze und so tolle teure Überwachungstechnik hat, dann wendet man sie auch an. Terroristen gibt es wenige. Müllsünder viele. Ist zwar ein wenig so, wie Mückenjagd mit dem Vorschlaghammer, Blattlausvernichtung mit dem Flammenwerfer oder Stadttauben-Bekämpfung mit einer 35 mm-Flak - aber wenn man das Zeugs schon mal hat ...

Das gilt natürlich auch für die Vorratsdatenspeicherung. Wir erinnern uns: Das Bundesverfassungsgericht hat per einstweiliger Anordnung den Zugriff ausdrücklich auf Fälle beschränkt, in denen Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO ist, die auch im Einzelfall schwer wiegt, der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre. (Info via Udos Law Blog).
Innerhalb von drei Monaten sollen Ermittlungsbehörden (mit richterlicher Erlaubnis) schon fast 2200-mal auf Vorratsdaten zugegriffen haben. Diese Zahl ergibt sich laut SpOn aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Fraktion.

Sicherheitsfanatikerexperten werden das möglicherweise als Indiz dafür halten, wie schrecklich viele Schwerverbrecher es doch gäbe, und wie leistungsfähig das Werkzeug Vorratsdatenspeicherung doch in der Kriminalitätsbekämpfung sei. Meiner Ansicht nach zeigen die Zahlen nur, wie gleichgültig Entscheidungen des Verfassungsgerichts genommen werden - und wie "wirksam" der viel beschworene Richtervorbehalt ist.
Außerdem gäbe es es noch die gern genutzte Möglichkeit der kreativen Gesetzesinterpretation, nach der z. B. ein Blogbeitrag über Sprengstoffchemie ganz schnell zur "Bombenbauanleitung im Internet" mutieren kann - und diese angebliche Bauanleitung wiederum schnell zum Verstoß gegen § 40 Waffengesetz ("Verbotene Waffen").

Damit dürfte auch klar sein, wieso die CDU ein Bekenntnis zur deutschen Sprache ins Grundgesetz aufnehmen will. Damit in Zukunft die Verfassung wenigsten in einem Punkt mit der gesellschaftlichen Realität übereinstimmt.

Übrigens: "Man kann das Grundgesetz auch dann mit den Füßen treten, wenn man im Rollstuhl sitzt."

Innovationspreis: Herzklappen und Herzlosigkeit

Als die Kandidaten für den Deutschen Zukunftspreis 2008 nominiert wurden, da hatte ich einen eindeutigen Favoriten (Deutscher Zukunftspreis: die Kandidaten stehen fest):
Das Team um Professor Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) wurde für die "mitwachsende Herzklappe" zunächst für den Zukunftspreis 2008 nominiert, und dann wieder ausgeladen - wegen patentrechtlicher Unklarheiten.

Nach eigenen Angaben hatten die Forscher herzkranken Kindern die Klappen weltweit. Doch Mediziner der Berliner Charité sahen das anders, denn die Klinik für Herzchirurgie hatte bereits im Jahr 2000 ein Biotechnologieunternehmen ausgegründet, das Patente für mitwachsende Klappen anmeldete.
Nun sollen Patentanwälte den Streit klären.

Bei "rein wissenschaftlichen" Prioritätsstreitigkeiten ist es nicht unüblich, die Preise einfach zu teilen. Zumal das Team in Berlin offenbar zuerst die Idee hatte, während das Team in Hannover sie als erste praktisch anwendetet.
Eine derartige "solomonische" Entscheidung ist angesichts der Tatsache, dass es um Patentrechte - und damit möglicherweise um viel Geld - geht, nicht möglich. Es kann sogar sein, dass die chirurgische Pionierleistung in Hannover mit lizenzrechtlichen Sanktionen geahndet wird. Geschenkt wird da nichts.

Das Erfinden und das patentrechtliche Aufwerten von Erfindungen ist nun einmal ein knallhartes Geschäft und der Bereich der Medizin ist leider keine Ausnahme. (Man denke z. B. an patent-geschützte AIDS-Medikamente, die aufgrund der Lizenzsabgaben an den Patentinhaber - der entgegen eine weit verbreiteten Vorstellung nicht immer das "forschende Pharmaunternehmen" ist - zu teuer für den Einsatz etwa im südlichen Afrika sind. Patentschutz behindert nach wie vor die Behandlung von HIV/Aids-Patienten in Entwicklungsländern.)

Das ist besonders schade, denn das Projekt hätte m. E. den Preis wirklich verdient: Bisher war Herzklappen-Ersatz bei Kindern wegen des Wachstums ein riesiges Problem. Sehr oft muss man so lange warten, bis das Kind ausgewachsen ist, um dann eine künstliche Klappe einzusetzen - wobei das "Abwarten" oft mit Folgeschäden und fast immer mit verminderter Lebensqualität einhergeht. Hinzu kommt, dass die "mitwachsende Herzklappe" ein biologisch vollwertiger Ersatz einer natürlichen Herzklappe mit nahezu unbegrenzter Haltbarkeit ist - während bei künstlichen Herzklappen lebenslang blutgerinnungshemmende Medikamente eingenommen werden müssen.

Die übrigen drei Vorschläge sind solide Ingenieurskunst, aber eben keine "großen Erfindungen" mit ermutigender Signalwirkung. Wahrschein hat der Patentstreit um die mitwachsenden Herzklappen eine negative Signalwirkung über den "Forschungsstandort Deutschland" hinaus: "Probiere bloß nicht Neues aus, es könnten irgendwo Patentrechte drauf liegen!"

Gewonnen hat übrigens:

Smarte Sensoren erobern Konsumelektronik, Industrie und Medizin
Dr. Jiri Marek (Sprecher)
Dr. Michael Offenberg
Dr. Frank Melzer
Robert Bosch GmbH, Reutlingen
Bosch Sensortec GmbH, Reutlingen

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